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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)Norm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch den Ausschluss unehelicher Kinder vom gesetzlichen Erbrecht zum Nachlass der Verwandten des (verstorbenen) Vaters gemäß einer (historischen) Bestimmung des ABGB; Schlechterstellung unehelicher Kinder gegenüber ehelichen Kindern nicht durch "Rücksicht auf die eheliche Familie" zu rechtfertigen; Unsachlichkeit des generellen – selbst gegenüber dem Heimfallsrecht des Staates – Ausschlusses des gesetzlichen ErbrechtsSpruch
I. §754 Abs3 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), JGS Nr 946/1811, idF BGBl Nr 342/1970 war verfassungswidrig.
II. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG, begehren die Antragstellerinnen, der Verfassungsgerichtshof möge
"1. feststellen, dass die Bestimmung des §754 (3) ABGB idF BGBl 1970/342 jedenfalls bereits in dem im Anlassfall relevanten Zeitpunkt, dem 09.11.1990, verfassungswidrig war
– in eventu –
2. die Wortfolge 'tritt mit dem 1. Jänner 1991 in Kraft. Es' des ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz 1989 BGBl 1989/656 aufheben, sodass dieser lautet: 'Dieses Bundesgesetz ist anzuwenden, wenn der Erblasser nach dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes gestorben ist'
– in eventu –
feststellen[,] dass die Übergangsbestimmung des ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz 1989 BGBl 1989/656 jedenfalls bereits in dem im Anlassfall relevanten Zeitpunkt, dem 09.11.1990, verfassungswidrig war."
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des §733 und des §754 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS 946/1811, idF BGBl 342/1970 lauteten wie folgt (die mit dem Hauptantrag angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):
"§733. Ist ein Kind des Erblassers vor ihm gestorben, und sind von demselben Ein oder mehrere Enkel vorhanden; so fällt der Antheil, welcher dem verstorbenen Kinde gebührt hätte, diesem nachgelassenen Enkel ganz, oder den mehrern Enkeln zu gleichen Theilen zu. Ist von diesen Enkeln ebenfalls Einer gestorben und hat Urenkel nachgelassen; so wird auf die nähmliche Art der Antheil des verstorbenen Enkels unter die Urenkel gleich getheilt. Sind von einem Erblasser noch entferntere Nachkömmlinge vorhanden; so wird die Theilung verhältnißmäßig nach der eben gegebenen Vorschrift vorgenommen.
[…]
III. Gesetzliches Erbrecht unehelicher Kinder
§754. (1) Ein uneheliches Kind hat zum Nachlaß der Mutter und ihrer Verwandten ein gesetzliches Erbrecht wie ein eheliches Kind; ausgenommen sind die Verwandten der Vaterseite der Mutter, wenn diese selbst unehelich ist.
(2) Zum Nachlaß des Vaters, dessen Vaterschaft festgestellt ist, hat ein uneheliches Kind, vorbehaltlich der Bestimmungen über das gesetzliche Erbrecht der Witwe (§757 Abs2 erster Satz), ein gesetzliches Erbrecht wie ein eheliches Kind, doch gehen ihm die ehelichen Nachkommen und die diesen erbrechtlich Gleichgestellten vor. Dieses gesetzliche Erbrecht des unehelichen Kindes wird durch eine Feststellung im Sinne des §164 b Abs1 zweiter Satz nicht berührt. Die Vaterschaft muß vor dem Tode des Vaters festgestellt worden sein, außer das Kind ist zu dieser Zeit noch minderjährig; in diesem Falle genügt es, daß die Klage auf Feststellung spätestens zum Ablauf eines Jahres nach dem Tode des Vaters erhoben worden ist.
(3) Zum Nachlaß der Verwandten des Vaters steht einem unehelichen Kinde kein gesetzliches Erbrecht zu."
2. Das Bundesgesetz vom 13. Dezember 1989 über die Gleichstellung des unehelichen Kindes im Erbrecht und die Sicherung der Ehewohnung für den überlebenden Ehegatten (Erbrechtsänderungsgesetz 1989 – ErbRÄG 1989), BGBl 656/1989, lautet auszugsweise:
"Artikel I
Änderungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs
Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch vom 1. Juni 1811, JGS 946, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl Nr 343/1989, wird wie folgt geändert:
[…]
6. Die §§752 bis 756 werden samt Überschriften aufgehoben.
[…]
Artikel III
Schluß- und Übergangsbestimmungen
1. Dieses Bundesgesetz tritt mit dem 1. Jänner 1991 in Kraft. Es ist anzuwenden, wenn der Erblasser nach dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes gestorben ist.
[…]"
III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Die Antragstellerinnen sind Klägerinnen in einem vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien geführten Verfahren. Sie sind die leiblichen Töchter des im Juni 1945 geborenen und im Jänner 1987 verstorbenen A. Zudem sind die Antragstellerinnen die Enkelinnen des im November 1990 verstorbenen B (Großvater der Antragstellerinnen) und der im Oktober 1988 verstorbenen C (Großmutter der Antragstellerinnen). Der Beklagte im Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien, B jun., ist der Bruder des verstorbenen Vaters der Antragstellerinnen. Die Antragstellerinnen brachten im Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien vor, sie seien gesetzliche Erbinnen und Pflichtteilsberechtigte in den Verlassenschaftsverfahren nach ihrem Vater und ihren Großeltern als Repräsentantinnen ihres vorverstorbenen Vaters. Der gesamte Nachlass nach dem verstorbenen Großvater der Antragstellerinnen, B, sei dem Sohn des Erblassers, B jun. (Onkel der Antragstellerinnen), eingeantwortet worden.
2. Mit Urteil vom 29. Oktober 2021 wies das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien die Klage der Antragstellerinnen ab. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes seien Umfang und Inhalt der gesetzlichen Erbfolge sowie des Pflichtteilsrechtes mangels eindeutiger abweichender Regelung nach der zur Zeit des Erbfalles geltenden Rechtslage zu beurteilen. In diesem Fall sei somit die zum Zeitpunkt des Todes des B (Großvater der Antragstellerinnen) im November 1990 geltende Rechtslage anzuwenden. §733 ABGB idF BGBl 342/1970 sah zwar ein Repräsentationsrecht der Enkel des Erblassers vor, wenn der grundsätzlich erbberechtigte Elternteil zum Zeitpunkt des Erbfalles bereits vorverstorben war. §754 Abs3 ABGB idF BGBl 342/1970 beinhaltete aber eine selbstständige Regelung für uneheliche Kinder, wonach einem unehelichen Kind zum Nachlass der Verwandten des Vaters kein gesetzliches Erbrecht zukam. Da es sich bei den Antragstellerinnen um uneheliche Kinder des vorverstorbenen Sohnes des Erblassers handle, sei die Klage bereits wegen fehlenden gesetzlichen Erbrechtes der Antragstellerinnen abzuweisen.
3. Gegen dieses Urteil erhoben die Antragstellerinnen Berufung und stellten aus Anlass dieses Rechtsmittels unter einem den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag. Darin legen sie ihre Bedenken wie folgt dar:
"7. Begründung der Verfassungswidrigkeit
7.1. Zur Verletzung der gemäß Art7 B-VG und Art2 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte
[…]
Mit gegenständlichem Antrag bekämpfen die Antragstellerinnen
- §754 (3) ABGB idF BGBI 1970/342, welcher wie folgt lautet: 'Zum Nachlaß der Verwandten des Vaters steht einem unehelichen Kinde kein gesetzliches Erbrecht zu'
sowie die
- Wortfolge der Übergangsbestimmung ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz 1989 BGBI 1989/656, welche lautet: 'Dieses Bundesgesetz tritt mit dem 1. Jänner 1991 in Kraft. Es ist anzuwenden, wenn der Erblasser nach dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes gestorben ist.' Die Antragstellerinnen bekämpfen folgende konkrete Wortfolge des ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz 1989 BGBI 1989/656 'tritt mit dem 1. Jänner 1991 in Kraft. Es', sodass ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz 1989 BGBI 1989/656 zu lauten hat: 'Dieses Bundesgesetz ist anzuwenden, wenn der Erblasser nach dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes gestorben ist.'
Zu 754 (3) ABGB idF BGBl 1970/342
Die Bestimmung des §754 ABGB idF BGBI 1970/342 wurde mit dem Erbrechtsänderungsgesetz 1989 ersatzlos gestrichen. Hauptanliegen dieser Gesetzesänderung war die Gleichstellung unehelicher und ehelicher Kinder im Erbrecht. Anstoß dazu gab die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der die Entwicklung zur Gleichheit unehelicher und ehelicher Kinder in seiner Entscheidung Marckx gegen Belgien vom 13.06.1979 anerkannt und eine Ungleichbehandlung für sachlich nicht gerechtfertigt erachtet hatte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich auch in der Rechtssache Inze gegen Österreich mit der Ungleichbehandlung von ehelichen und unehelichen Kindern beschäftigt und wiederholt ausgesprochen, dass die Menschenrechtskonvention keinen Platz für eine Diskriminierung von unehelichen Kindern im Erbrecht lässt.
Die ersatzlose Aufhebung des §754 (3) ABGB idF BGBl 1970/342 durch das Erbrechtsänderungsgesetz 1989 war aus verfassungsrechtlicher Sicht jedenfalls geboten; dies insbesondere da spätestens seit den entsprechenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des §754 ABGB idF BGBI 1970/342 evident war.
Auch aus den Materialien zum Erbrechtsänderungsgesetz 1989 ergibt sich zweifelsfrei die Verfassungswidrigkeit des §754 (3) ABGB idF BGBI 1970/342. Sowohl in der Sitzung des Nationalrates (125. Sitzung NR XVII. GP vom 13.12.1989; 1158 der Beilagen XVII. GP) als auch jener des Bundesrates (523. Sitzung des BR vom 15.12.1989; 3774/BR der Beilagen – Ausschussbericht BR) wurde klar festgehalten, dass die derzeitige gesetzliche Erbfolge, insbesondere die Ungleichbehandlung von ehelichen und unehelichen Kindern eine Verletzung der Menschenrechtskonvention darstellt und nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen, sondern auch um den internationalen Standard in Westeuropa zu erreichen und der gesellschaftlichen und rechtlichen Fortentwicklung in Österreich zu entsprechen, geboten erscheint (1158 der Beilagen XVII. GP, 2). Konkret wurde in der Plenarversammlung des Nationalrates vom 13.12.1989 betreffend die Neuerungen im Zusammenhang mit dem Erbrechtsänderungsgesetz 1989 ausgesprochen, dass durch die Gleichstellung des unehelichen Kindes im Erbrecht gegenüber dem Vater und dessen Verwandten eine verfassungsrechtliche Verpflichtung erfüllt wird und wird betont, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt ausgesprochen hat, dass die Menschenrechtskonvention für die Diskriminierung des unehelichen Kindes im Bereich des Erbrechts keinen Raum lässt (125. Sitzung NR XVII. GP vom 13.12.1989; 1158 der Beilagen XVII. GP, 14857). Dabei ist zu betonen, dass gerade eine Ungleichbehandlung und Diskriminierung aufgrund der Geburt, ein Merkmal, das vom Betroffenen nicht kontrolliert werden kann, besonders schwer wiegt und eine Benachteiligung aufgrund von Unehelichkeit jedenfalls konventions- und verfassungswidrig ist.
Die Ungleichbehandlung von unehelichen Kindern im Erbrecht, insbesondere die hier gegenständliche Ungleichbehandlung von unehelichen Kindern betreffend ihr gesetzliches Erbrecht nach ihrem Vater und nach dessen Verwandten, kann auch nicht sachlich gerechtfertigt werden. Es ist nicht erkennbar[,] aus welchen Gründen eine solche Ungleichbehandlung und Diskriminierung aufgrund der Geburt gerechtfertigt sein könnte. Es ist nicht sachlich zu rechtfertigen[,] weshalb ein uneheliches Kind, nur auf Grund dessen Unehelichkeit, welche es zudem selbst nicht beeinflussen kann, kein gesetzliches Erbrecht nach den Großeltern väterlicherseits haben soll, ihm aber sehr wohl ein gesetzliches Erbrecht nach den Großeltern mütterlicherseits zukommt. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass 'sehr gewichtige Gründe vorliegen müssen, damit eine unterschiedliche Behandlung allein aus dem Umstand der ehelichen oder unehelichen Geburt als mit Art7 B-VG vereinbar angesehen werden kann' (VfGH 27.06.2013, G68/12 mwN insbesondere 'siehe unter Berufung auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 28.10.1987, Fall Inze, Appl 8695/79, ÖJZ1988, 177 f., VfSlg 12.735/1991; weiters VfGH 29.11.2012, G66/12, G67/12; VfGH 14.3.2013, G65/12, G69/12; 14.3.2013, G63/12; aus der Literatur Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz, 2008, 472 f'). Solche sehr gewichtigen Gründe liegen und lagen gegenständlich nicht vor. Für diese Ungleichbehandlung ehelicher und unehelicher Kinder fehlt es an einer sachlichen Rechtfertigung. Eine Benachteiligung wegen einer unehelichen Geburt kann unter keinen Umständen gerechtfertigt werden (Berka, Verfassungsrecht5, 575 m[wN]). Dies kommt auch – wie bereits oben ausgeführt – schon in den Materialien zum Erbrechtsänderungsgesetz 1989 klar zum Ausdruck.
Die Bestimmung des §754 (3) ABGB idF BGBI 1970/342 ist verfassungswidrig und war dies auch bereits in dem im Anlassfal[l] relevanten Zeitpunkt am 09.11.1990. Spätestens im Zeitpunkt der Beschlussfassung über das Erbrechtsänderungsgesetz 1989 im Nationalrat war die Verfassungswidrigkeit des §754 (3) ABGB idF BGBI 1970/342 offensichtlich. Das Erbrechtsänderungsgesetz 1989, mit welchem unter anderem §754 ABGB idF BGBl 1970/342 ersatzlos gestrichen wurde, wurde bereits am 29.12.1989 kundgemacht.
Die Antragstellerinnen sind durch das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29.10.2021 sowie durch die Anwendung der verfassungswidrigen Bestimmung des §754 (3) ABGB idF BGBI 1970/342 in ihren Rechten, insbesondere in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG und Art2 StGG verletzt.
Zur Übergangsbestimmung des ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz 1989 BGBI 1989/656
Mit dem Erbrechtsänderungsgesetz 1989 wurden unter anderem die Bestimmungen der §§752 bis 756 ABGB idF BGBl 1970/342 samt Überschriften aufgehoben. Nach der Übergangsbestimmung des ArtIII Z1 des Erbrechtsänderungsgesetzes 1989 tritt das Erbrechtsänderungsgesetz 1989 mit dem 01.01.1991 in Kraft und ist anzuwenden, wenn der Erblasser nach dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes gestorben ist.
Bereits seit den zitierten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Marckx gegen Belgien und Inze gegen Österreich) war die Verfassungswidrigkeit des §754 (3) ABGB idF BGBI 1970/342 offensichtlich. Auch schon im Zeitpunkt der Beschlussfassung über das Erbrechtsänderungsgesetz 1989 im Nationalrat am 13.12.1989 war klar, dass die Regelung des §754 (3) ABGB idF BGBI 1970/342 verfassungswidrig war. Das Erbrechtsänderungsgesetz 1989 wurde am 29.12.1989 im BGBl 1989/656 kundgemacht; spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Verfassungswidrigkeit des §754 (3) ABGB idF BGBI 1970/342 jeder Person evident.
Es ist nicht erklärlich, weshalb obwohl
- die Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des §754 (3) ABGB idF BGBI 1970/342 bereits seit den Entscheidungen des EGMR in den Sachen Marckx gegen Belgien und Inze gegen Österreich offensichtlich war
und
- bereits am 13.12.1989 im Nationalrat der Beschluss über das Erbrechtsänderungsgesetz 1989 gefasst wurde und das Erbrechtsänderungsgesetz 1989 bereits am 29.12.1989 im Bundesgesetzblatt kundgemacht wurde
mit ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz BGBI 1989/656 eine Übergangsbestimmung getroffen wurde, die ein Inkrafttreten des Erbrechtänderungsgesetzes 1989 und somit der darin enthaltenen Änderungen und Aufhebungen erst ab 01.01.1991 vorsah. Diese Legisvakanz von einem guten Jahr mutet insbesondere im Hinblick auf die offenkundige Verfassungswidrigkeit der mit dem Erbrechtsänderungsgesetz 1989 aufgehobenen Bestimmungen, insbesondere des §754 (3) ABGB idF BGBI 1970/342, befremdlich an. Es ist kein plausibler Grund erkennbar, warum das Erbrechtsänderungsgesetz 1989 so verspätet in Kraft getreten ist.
Dies insbesondere auch im Hinblick darauf, dass die durch das Erbrechtsänderungsgesetz 1989 erfolgten Änderungen keine Dispositionsmöglichkeiten der Betroffenen auslösten. Es waren keine Handlungen von durch das Erbrechtsänderungsgesetz 1989 betroffenen Personen erforderlich und auch nicht möglich. Der Zeitpunkt des Todes des Erblassers ist ausschlaggebend dafür, welche Rechtslage auf den gegenständlichen Anlassfall zur Anwendung kommt: Bei einem Tod des Erblassers vor dem Inkrafttreten des Erbrechtsänderungsgesetzes 1989 besteht die Ungleichbehandlung von ehelichen und unehelichen Kindern (insbesondere betreffend deren Erbrecht zum Nachlass der Verwandten des Vaters) weiter fort. Stirbt der Erblasser demgegenüber nach dem Inkrafttreten des Erbrechtsänderungsgesetzes[,] kommen die verfassungswidrigen Bestimmungen nicht zur Anwendung und es besteht keine diesbezügliche Ungleichbehandlung mehr. Gerade dieses entscheidende Element des Zeitpunkts des Todes des Erblassers, kann aber vom Erblasser (in der Regel) nicht beeinflusst werden, weshalb auch aus diesem Grund eine derart lange Legisvakanz von über einem Jahr nicht erforderlich und auch nicht verständlich ist.
Im Gegensatz zu dem beim Erbrechtsänderungsgesetz 1989 nicht vorliegenden Dispositionsbedarf von Betroffenen, waren aufgrund des Erbrechtsänderungsgesetzes 2015 zahlreiche Änderungen erforderlich. Das Erbrechtsänderungsgesetz 2015 sah zahlreiche Änderungen, vor allem auch betreffend die Formerfordernisse letztwilliger Verfügungen vor. Betroffene mussten beispielweise ihre letztwilligen Verfügungen anpassen oder zumindest überprüfen und sah das Erbrechtsänderungsgesetz 2015 zwar eine verhältnismäßig lange, aber im Vergleich zur Legisvakanz des Erbrechtsänderungsgesetzes 1989 kurze, Legisvakanz von 17 Monaten vor.
Eine Legisvakanz von über einem Jahr ist gerade auch im Hinblick auf die Konventions- und Verfassungswidrigkeit der entsprechenden Bestimmungen zu lange. Auch in den Plenarberatungen im Nationalrat und Bundesrat wird mit keinem Satz diese überaus lange Legisvakanz des Erbrechtsänderungsgesetzes 1989 erwähnt oder begründet. Es gibt keine sachliche Rechtfertigung für die (zu) lange Legisvakanz des Erbrechtsänderungsgesetzes 1989.
Aufgrund des ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz[es] 1989 BGBI 1989/656 und der darin geregelten langen Legisvakanz von über einem Jahr, wird die oben dargestellte Ungleichbehandlung unehelicher und ehelicher Kinder (insbesondere in Bezug auf deren gesetzliches Erbrecht zum Nachlass der Verwandten des Vaters) ohne sachliche Rechtfertigung verlängert.
Die Bestimmung des ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz 1989 BGBI 1989/656 ist insofern verfassungswidrig, als die Wortfolge 'tritt mit 1. Jänner 1991 in Kraft. Es' aufzuheben ist, sodass die Bestimmung wie folgt lautet: 'Dieses Bundesgesetz ist anzuwenden, wenn der Erblasser nach dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes gestorben ist.'
Die Antragstellerinnen sind durch das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29.10.2021 sowie durch die Anwendung der verfassungswidrigen Bestimmung des ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz 1989 BGBI 1989/656 in ihren Rechten, insbesondere in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG und Art2 StGG verletzt.
7.2. Zur Verletzung der gemäß Art5 7. ZPEMRK, Art8 EMRK iVm Art14 EMRK gewährleisteten Rechte
[…]
Zu §754 (3) ABGB idF BGBI 1970/342
Art14 EMRK verbietet jede Form der Diskriminierung beim Genuss der in der Konvention oder in einem Zusatzprotokoll zur EMRK festgelegten Rechte und Freiheiten. Art14 EMRK wird vom EGMR im Sinne eines Diskriminierungsverbotes ausgelegt; eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung ist unzulässig. Im Einzelnen qualifiziert der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Regelung dann als diskriminierend,
- wenn sie bei Personen oder Personengruppen, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden, eine Unterscheidung hinsichtlich des Genusses eines Konventionsrechts trifft,
- wenn dieser Unterscheidung kein objektiver und angemessener Rechtfertigungsgrund zugrunde liegt und/oder
- zwischen den eingesetzten Mitteln und dem angestrebten legitimen Ziel kein angemessenes Verhältnis besteht (Berka, Verfassungsrecht5, 591f).
Die Frage der (Un)ehelichkeit von Kindern und daraus resultierende Nachteile fallen in den Schutzbereich des Art8 EMRK. Der Begriff des Familienlebens (in Art8 EMRK) wird von der Rechtsprechung weit verstanden und erfasst jedenfalls die Beziehung zwischen Ehepartnern untereinander und zu deren Kindern (VfSlg 15.836). Art8 EMRK unterscheidet nicht zwischen einer ehelichen und einer unehelichen Familie. Dies wird auch durch Art14 EMRK bestätigt, der beim Genuss der in der Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten Diskriminierungen verbietet, die auf 'der Geburt' beruhen (vgl EGMR Marckx gegen Belgien).
Art5 des 7. ZPEMRK regelt die Gleichberechtigung von Ehegatten untereinander sowie in Beziehung zu ihren Kindern während aufrechter Ehe und nach deren Auflösung. Auch dieser Artikel bietet einen Schutz vor Ungleichbehandlung von ehelichen und unehelichen Kindern. Nach Art5 7. ZPEMRK darf der Bestand oder Nichtbestand einer Ehe keinen Einfluss auf die (gleichen) Rechte und Pflichten der Eltern zu ihren Kindern haben.
Die Ungleichbehandlung und Diskriminierung von unehelichen und ehelichen Kindern ist jedenfalls konventionswidrig, sofern keine sachliche Rechtfertigung vorliegt. Dabei ist – wie bereits ausgeführt – zu beachten, dass das Merkmal der (Un)ehelichkeit eines Kindes, ein Merkmal ist, das auf der Geburt beruht. Der Betroffene hat keine Möglichkeit über dieses Merkmal zu verfügen. Eine Ungleichbehandlung und Diskriminierung aufgrund der (Un)ehelichkeit wiegt daher besonders schwer. Es müssten auch aus diesem Grund besonders gewichtige Gründe vorliegen, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen; solche gewichtigen Gründe liegen allerdings nicht vor.
Gerade auch im Hinblick auf das gesetzliche Erbrecht von unehelichen und ehelichen Kindern kann keine sachliche Rechtfertigung für eine Diskriminierung von (un)ehelichen Kindern erkannt werden. Es ist nicht erklärlich, weshalb – wie im gegenständlichen Anlassfall – uneheliche Kinder (im Gegensatz zu ehelichen Kindern) kein gesetzliches Erbrecht nach den Verwandten ihres Vaters haben soll[en]. Die mit gegenständlichem Antrag monierte Rechtslage enthält eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von (i) unehelichen und ehelichen Kindern und (ii) unehelichen Kindern im Hinblick auf das gesetzliche Erbrecht zum Nachlass der Verwandten der Mutter einerseits und zum Nachlass der Verwandten des Vaters andererseits und ist konventions- und verfassungswidrig.
Staatliche Regelungen, die eine Unterscheidung zwischen unehelichen und ehelichen Kindern treffen wollen, müssen in Anforderung des Art8 EMRK iVm Art14 EMRK und des Art5 7. ZPEMRK iVm Art14 EMRK so ausgestaltet sein, dass sie zu keiner Benachteiligung führen, die insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprach[e], Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist (siehe auch EGMR Fall Genovese in Bezug auf die Erlangung der Staatsbürgerschaft). Eine Benachteiligung und Ungleichbehandlung aufgrund der Geburt und somit auch aufgrund der (Un)ehelichkeit ist konventionswidrig.
Die Bestimmung des §754 (3) ABGB idF BGBI 1970/342, welche eine Ungleichbehandlung von ehelichen und unehelichen Kindern im Erbrecht vorsah, ist daher auch im Hinblick auf die in Art8 EMRK iVm Art14 EMRK und Art5 7. ZPEMRK iVm Art14 EMRK garantierten Rechte konventions- und verfassungswidrig.
Zu ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz 1989 BGBI 1989/656
Ebenso konventions- und verfassungswidrig ist auch die Übergangsbestimmung des ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz 1989 BGBI 1989/656, die den dargelegten konventions- und verfassungswidrigen Zustand ohne sachliche Rechtfertigung verlängert. Wie bereits unter Punkt 7.1. ausgeführt[,] gibt es keinen plausiblen Grund, weshalb eine derart lange Legisvakanz des Erbrechtsänderungsgesetzes 1989 vorgesehen wurde. Dies insbesondere im Hinblick auf die vor dem Inkrafttreten des Erbrechtsänderungsgesetzes 1989 bestehend[e] Konventions- und Verfassungswidrigkeit.
Die Bestimmung des ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz BGBl 1989/656, die die Ungleichbehandlung von ehelichen und unehelichen Kindern, insbesondere im Hinblick auf §754 (3) ABGB idF BGBI 1970/342, ohne sachliche Rechtfertigung verlängert, ist aus den oben ausgeführten Gründen auch im Hinblick auf die in Art8 EMRK iVm Art14 EMRK und Art5 7. ZPEMRK iVm Art14 EMRK garantierten Rechte konventions- und verfassungswidrig.
7.3. Conclusio
Aus all dem folgt, dass die Antragstellerinnen durch das angefochtene Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien und die Anwendung der verfassungswidrigen Bestimmungen, nämlich dem in Rede stehenden §754 (3) ABGB idF BGBI 1970/342 sowie ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz 1989 BGBI 1989/656 in de[n] ihnen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art7 (1) B-VG, Art2 StGG, Art5 7. ZPEMRK iVm Art14 EMRK und Art8 EMRK iVm Art14 EMRK verletzt sind.
Die in Rede stehende Bestimmung des §754 (3) ABGB idF BGBI 1970/342 war bereits im Zeitpunkt des im Anlassfall relevanten Zeitpunktes, dem 09.11.1990, verfassungswidrig. Ebenso ist die Bestimmung des ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz 1989 BGBI 1989/656 insofern verfassungswidrig, als die Wortfolge 'tritt mit 1. Jänner 1991 in Kraft. Es' aufzuheben ist, sodass die Bestimmung wie folgt lautet: 'Dieses Bundesgesetz ist anzuwenden, wenn der Erblasser nach dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes gestorben ist.' in eventu festzustellen ist, dass die genannte Wortfolge des ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz 1989 BGBI 1989/656 verfassungswidrig war bzw ist.
Die Antragstellerinnen sind durch das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29.10.2021 sowie durch die Anwendung der verfassungswidrigen Bestimmung des ArtIII Z1 Erbrechtsänderungsgesetz 1989 BGBI 1989/656 in ihren Rechten, insbesondere ihren Rechten nach Art8 EMRK iVm Art14 EMRK un[d] Art5 7. ZPEMRK iVm Art14 EMRK sowie vor allem Art7 B-VG und Art2 StGG verletzt."
4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zulässigkeit des ersten Eventualantrages bestreitet und den im Antrag erhobenen Bedenken in der Sache wie folgt entgegentritt:
"III. In der Sache:
Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.
1. Zu §754 Abs3 ABGB in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl Nr 342/1970:
1.1. Die Antragstellerinnen sehen sich durch den angefochtenen – bereits außer Kraft getretenen – §754 Abs3 ABGB in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG; Art2 StGG), auf Gleichheit der Ehegatten untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gemäß Art5 7. ZPEMRK sowie auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens gemäß Art8 iVm. Art14 EMRK verletzt. Auf das Wesentliche zusammengefasst, bringen die Antragstellerinnen vor, die angefochtene Bestimmung sei sachlich nicht gerechtfertigt, weil sie eine Ungleichbehandlung unehelicher und ehelicher Kinder im Erbrecht vorgesehen und damit eine Diskriminierung bewirkt habe. Durch die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen §754 Abs3 ABGB in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl Nr 342/1970 durch das ErbRÄG 1989 sei 'die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung evident'.
1.2. Den Antragstellerinnen ist zunächst – unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien des ErbRÄG 1989 – zuzustimmen, dass die Gesetzgebung die Änderungen im Sinn einer erbrechtlichen Gleichstellung von ehelichen und unehelichen Kindern mit Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in den Fällen Marckx gegen Belgien (EGMR 13.07.1979, Appl 6833/74) und Inze gegen Österreich (EGMR 28.10.1987, Appl 8695/79) begründet (vgl AB 1158 BlgNR XVII. GP).
1.3. Dies bedeutet nach Ansicht der Bundesregierung jedoch nicht, dass die angefochtene Bestimmung des §754 Abs3 ABGB vor ihrem Außerkrafttreten durch das ErbRÄG 1989 der EMRK widersprochen hat:
1.3.1. Der EGMR hat im Urteil Marckx festgestellt, dass das Erbrecht zwischen nahen Verwandten, insbesondere zwischen Kindern und ihren Eltern und zwischen Enkeln und ihren Großeltern, ein Teil des durch Art8 EMRK geschützten Familienlebens sei. Zwar besage Art8 EMRK nicht, dass Kinder Anspruch auf einen bestimmten Teil des Nachlasses haben müssten; eine unterschiedliche Behandlung ehelicher und nichtehelicher Kinder im Erbrecht könne aber Art8 iVm. Art14 EMRK verletzen. Diese weite Auslegung des Art8 EMRK war nicht unumstritten und führte zu einer Reihe von Einwendungen (vgl dazu näher Paliege, Neues im österreichischen Erbrecht, ZfRV 1991, 169 ff, Fn. 36 mwN). In dem späteren Urteil Inze hat der EGMR festgestellt, dass im Hinblick auf die Bedeutung, die die Mitgliedstaaten des Europarates der Gleichbehandlung ehelicher und unehelicher Kinder beimessen, sehr gewichtige Gründe gegeben sein müssten, die eine Unterscheidung aufgrund ehelicher und unehelicher Geburt gemäß Art14 EMRK rechtfertigen würden.
1.3.2. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist somit eine Benachteiligung unehelicher Kinder unzulässig, 'sofern nicht sehr gewichtige Gründe vorliegen'. Der EGMR betont dabei den (zwar engen) Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers auch in diesem Zusammenhang (vgl Inze gg. Österreich, ÖJZ1988/4, 177 f). Dem folgend geht auch der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass sehr gewichtige Gründe vorliegen müssen, damit eine unterschiedliche Behandlung etwa allein aus dem Umstand der ehelichen oder der unehelichen Geburt als mit Art7 B-VG vereinbar angesehen werden kann (siehe unter Berufung auf das Urteil des EGMR im Fall Inze VfSlg 12.735/1991).
1.4. Der angefochtene §754 Abs3 ABGB ist vor dem Hintergrund der damals geltenden Rechtslage zu verstehen, die im Hinblick auf die folgenden Ausführungen noch eine – nach Ansicht der Bundesregierung sachlich gerechtfertigte – Ungleichbehandlung ehelicher und unehelicher Kinder im Erbrecht vorsah:
1.4.1. Die Differenzierung war – wie bereits unter Punkt I.3.2.1. dargelegt sowie ausweislich der Gesetzesmaterialien – sachlich begründet und diente der Lösung von Interessenkonflikten, die sich aus dem Verhältnis zwischen dem unehelichen Kind und der ehelichen Familie des Erblassers ergeben haben (siehe 6 BlgNR XXII. GP, 31 f; vgl auch Welser, Die Erbrechtsreform 1989, NZ 1990, 137; Kralik, Die Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes, JBl 1971, 11/12, 273 ff).
1.4.2. In ständiger Rechtsprechung hat der OGH zu §754 ABGB ausdrücklich festgestellt, dass die ungleiche Behandlung ehelicher und unehelicher Kinder nicht unsachlich ist und daher nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt (vgl RIS-Justiz RS0038505): 'Zu den sachlichen Erwägungen gehört … auch, dass die Familie als rechtliche Institution ein wesentliches Element der rechtlichen Ordnung menschlicher Beziehungen ist.' (OGH 09.04.1980, 6 Ob 18/79).
1.4.3. Des Weiteren ist auf die Rechtsprechung des OGH unmittelbar vor der Erbrechtsreform 1989 hinzuweisen, wonach der OGH die damals geltende Rechtslage, welche die Verschiedenbehandlung ehelicher und unehelicher Kinder im Erbrecht vorsah, als weder konventions- noch gleichheitswidrig bezeichnete (OGH 29.03.1989, 2 Ob 531/89). Der OGH begründete dies damit, dass sich Art14 EMRK ausdrücklich auf den Genuss der in der EMRK festgelegten Rechte und Freiheiten beziehe. Nur diese seien ua auch ohne Rücksicht auf Geburt oder sonstigen Status gewährleistet. Die EMRK sage aber zur Frage des Erbrechts überhaupt nichts, und auch das 1. Zusatzprotokoll zur EMRK, BGBl Nr 210/1958, enthalte in Art1 nur die Bestimmung, dass jede natürliche Person ein Recht auf Achtung ihres Eigentums hat. Damit seien Bestimmungen, die das Erbrecht in Hinblick auf die eheliche und uneheliche Geburt verschieden regeln, nicht ausgeschlossen. Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liege nicht vor, da die Ungleichbehandlung ehelicher und unehelicher Kinder nur dann gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, wenn hiefür keine sachlichen Erwägungen bestimmend seien. Die Gründe, von denen sich der Gesetzgeber bei Schaffung des §754 Abs2 ABGB leiten ließ, seien aber keinesfalls unsachlich. Ihre sachliche Rechtfertigung erfahre diese Regelung vielmehr dadurch, dass die Grundsätze des Erbrechts im Gegensatz zu denen des Familienrechts auf dem Gedanken der Bewahrung des Vermögens in der Familie beruhen, weil in der Regel nur das tatsächliche und ideelle Zusammenwirken der Familienmitglieder das nachgelassene Vermögen geschaffen hat. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass das uneheliche Kind in der Familie als Eindringling empfunden werden würde, was zu schwersten Zerwürfnissen innerhalb der väterlichen Familie führen könnte (vgl dazu die Gesetzesmaterialien zum Bundesgesetz BGBl Nr 342/1970, 6 BlgNR XII. GP, 31 f). Der Umstand, dass Bestrebungen im Gange sind, diese Vorschrift zu ändern und das uneheliche Kind erbrechtlich dem ehelichen gleich zu stellen, vermag daran, dass die geltende gesetzliche Regelung ihre sachliche Rechtfertigung hat, nichts zu ändern, zumal die Familie als rechtliche Institution nach wie vor ein wesentliches Element der rechtlichen Ordnung menschlicher Beziehungen ist.
1.4.4. Schließlich wird darauf hingewiesen, dass auch der Verfassungsgerichtshof offensichtlich zu einer eher einschränkenden Auslegung des Art8 EMRK tendierte. In seinem Erkenntnis VfSlg 12.103/1989 hat der Verfassungsgerichtshof im Zusammenhang mit dem durch §177 Abs1 ABGB angeordneten – in bestimmten Fällen zwingenden – Ausschluss eines Ehegatten von den elterlichen Rechten erklärt, es liege kein Verstoß gegen Art8 EMRK vor; der betreffende gesetzliche Eingriff entspreche dem Gebot der Verhältnismäßigkeit und der Vorbehaltsregelung des Art8 Abs2 EMRK. Es sei ein geeignetes Mittel, das Wohl des Kindes aus einer geschiedenen Ehe dadurch sicherzustellen, dass mangels Einvernehmen[s] zwischen den Eltern über das Kind betreffende Angelegenheiten von vornherein nur einem Elternteil die elterlichen Rechte zustehen sollen.
1.5. Die Bundesregierung übersieht dabei nicht, dass nach der Rechtsprechung des EGMR, die EMRK im Lichte sich wandelnder gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auszulegen ist (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK7, §5 Rn. 16) und dass der EGMR die Veränderungen gesellschaftlicher Auffassungen zum Stellenwert der Gleichstellung unehelicher und ehelicher Kinder nicht ignorieren könne (vgl Hochhauser, Menschenrechtskonvention und Erbrecht, ÖJZ2015, 139 ff; EGMR 18.12.1986, Johnston gg. Irland, Appl 9697/82, Rz. 74); dennoch sind nach ständiger Rechtsprechung des EGMR 'die mit der Aufrechterhaltung der Ungleichheit […] verfolgten Ziele, nämlich die Erhaltung der Rechtssicherheit und der Schutz des Willens des Verstorbenen und der Rechte seiner Familie, legitim' (vgl zB EGMR 28.05.2009, Brauer gg. Deutschland, Appl 3545/04; 23.3.2017, Wolter und Sarfert gg. Deutschland, Appl 59752/13).
1.6. Erwähnt sei noch, dass der Bericht des Justizauschusses betreffend das ErbRÄG 1989 (AB 1158 BlgNR XVII. GP, 2) neben den oben skizzierten verfassungsrechtlichen Bedenken vor allem auf geänderte soziale Verhältnisse hinweist, in denen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft eine steigende Bedeutung zukomme. Die gesellschaftliche Entwicklung, die der EGMR festgestellt hat und die sich in der Mitte der 70er Jahre in den meisten Mitgliedstaaten auch in einer erbrechtlichen Gleichstellung ehelicher und unehelicher Kinder niedergeschlagen hat, habe sich – so die Gesetzesmaterialien – auch in Österreich vollzogen. Eine erbrechtliche Gleichstellung des unehelichen Kindes sei daher, wie die Materialien weiter ausführen, 'nicht bloß aus verfassungsrechtlichen Gründen und, um den internationalen Standard in Westeuropa zu erreichen, geboten, sondern entspricht auch der gesellschaftlichen und rechtlichen Fortentwicklung in Österreich'.
1.7. Vor diesem Hintergrund vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass die angefochtene Bestimmung des §754 Abs3 ABGB in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl Nr 342/1970 vor dem Inkrafttreten des ErbRÄG 1989 – nicht zuletzt auch im Hinblick auf die damaligen sozialen Verhältnisse – nicht verfassungswidrig war, sondern den damaligen gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen der Gesetzgebung entsprochen hat.
1.8. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass für den Erblasser selbst eine Dispositionsmöglichkeit dahingehend bestanden hat, mit letztwilliger Verfügung seine unehelichen Enkelkinder (die Antragstellerinnen) als gewillkürte Erben oder als Nach- oder Ersatzerben nach seinem (vorverstorbenen) Sohn einzusetzen.
2. Zu ArtIII Z1 ErbRÄG 1989:
2.1. Die Bedenken der Antragstellerinnen gehen in die Richtung, dass die in ArtIII Z1 ErbRÄG 1989 geregelte Legisvakanz von einem Jahr mit Blick auf das Sachlichkeitsgebot und insbesondere den Todeszeitpunkt des Erblassers zu lang bemessen sei. Der Erblasser verstarb am 9. November 1990 und damit wenige Tage vor dem Inkrafttreten des ErbRÄG 1989 mit 1. Jänner 1991, weshalb auf diesen Erbfall noch die alte Rechtslage und damit insbesondere §754 Abs3 ABGB in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl Nr 342/1970 anzuwenden war.
2.2. Den Bedenken, durch die Inkrafttretens- und Übergangsbestimmung des ArtIII Z1 ErbRÄG 1989 würde das Sachlichkeitsgebot verletzt, ist entgegenzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Gesetzgebung bei der Regelung von Übergangsfällen über einen weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum verfügt (vgl VfSlg 18.607/2008); es steht ihr daher grundsätzlich frei, anzuordnen, ob auf einen bestimmten Sachverhalt im Fall der Änderung der Rechtslage das frühere oder das neue Recht anzuwenden ist (vgl VfSlg 18.281/2007). Dagegen ist vom Standpunkt des Gleichheitssatzes nichts einzuwenden, mag es durch diese Regelung auch bei Fällen – wie dem vorliegenden Beschwerdefall – zu Härten kommen (vgl VfSlg 14.268/1995).
2.3. Es wird darauf hingewiesen, dass – vergleichsweise lange – Legisvakanzen gerade im Bereich des Erbrechts durchaus üblich sind (vgl zB §1503 Abs7 ABGB in der Fassung des ErbRÄG 2015, BGBl I Nr 87/2015) und dazu dienen, den Normunterworfenen Gelegenheit zu geben, sich auf das Gesetz einzustellen (vgl VfSlg 20.269/2018, Rz. 53); auch die Vollziehung braucht häufig Zeit, um entsprechende Durchführungsmaßnahmen vorzubereiten (siehe Berka, Verfassungsrecht8, 2021, Rz. 479). Die Gesetzgebung hat daher nach Ansicht der Bundesregierung bei der Regelung des zeitlichen Geltungsbereiches des ErbRÄG 1989 den ihr zustehenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nicht überschritten.
3. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die angefochtenen Bestimmungen des §754 Abs3 ABGB in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl Nr 342/1970 und ArtIII Z1 ErbRÄG 1989 nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig waren sowie die mit dem ersten Eventualantrag angefochtene Wortfolge in ArtIII Z1 ErbRÄG 1989 nicht verfassungswidrig ist."
5. Der Beklagte im Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien erstattete als beteiligte Partei eine Äußerung, in der den Bedenken der Antragstellerinnen Folgendes entgegengehalten wird: Nach der Rechtsauffassung des Beklagten sei die Frage der Verfassungsmäßigkeit des §754 Abs3 ABGB idF BGBl 342/1970 für den Ausgang des Verfahrens vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien irrelevant, weil das Recht der Antragstellerinnen zur Geltendmachung des besseren Erbrechtes bereits nach §1487a ABGB verjährt sei. Dessen ungeachtet träfen die verfassungsrechtlichen Bedenken der Antragstellerinnen nicht zu, weil der Erblasser auf den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge nach der damaligen Rechtslage gemäß §754 Abs3 ABGB idF BGBl 342/1970 vertrauen habe dürfen. Die beantragte Feststellung der Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung verletze die Testierfreiheit des Erblassers, denn dieser hätte "in Kenntnis solcher Entwicklungen selbstverständlich ein Testament errichtet". Ebenso hätte der Alleinerbe, B jun., nunmehr seit beinahe drei Jahrzehnten auf sein alleiniges Erbrecht nach seinem verstorbenen Vater vertraut und hätte basierend auf diesem Vertrauen Vermögensdispositionen getroffen. Österreich sei dem Europäischen Übereinkommen über die Rechtsstellung der unehelichen Kinder, BGBl 313/1980, mit dem Vorbehalt beigetreten, dem unehelichen Kind nicht ein dem Erbrecht des ehelichen Kindes gleiches Erbrecht zum Nachlass des Vaters und der Verwandten des Vaters zuzuerkennen. Daraus erschließe sich, dass die Mitgliedstaaten des Europäischen Übereinkommens in der Ungleichbehandlung von ehelichen und unehelichen Kindern zum Nachlass der Großeltern väterlicherseits keine Verletzung der europäischen Grundwerte, insbesondere Art5 7. ZPEMRK, Art8 EMRK und Art14 EMRK, erblickten.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit
1.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.
1.2. Der vorliegende Antrag wurde aus Anlass der Berufung gegen ein Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien gestellt. Mit diesem Urteil wurde die Rechtssache in erster Instanz durch ein ordentliches Gericht entschieden (Art140 Abs1 Z1 litd B-VG).
1.3. Als Klägerinnen sind die Antragstellerinnen Parteien des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht, womit sie zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG berechtigt sind.
1.4. Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels haben die Antragstellerinnen jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass sie den vorliegenden Antrag und das Rechtsmittel gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien am selben Tag erhoben und eingebracht haben (vgl VfSlg 20.074/2016).
Im Übrigen geht der Verfassungsgerichtshof auf Grund einer entsprechenden Mitteilung des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien davon aus, dass das erhobene Rechtsmittel rechtzeitig und zulässig ist.
1.5. Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (VfSlg 20.029/2015; vgl VfSlg 20.010/2015).
1.6. Das Erstgericht hat §754 Abs3 ABGB idF BGBl 342/1970, dessen Verfassungswidrigkeit die Antragstellerinnen behaupten, angewendet. Die angefochtene Bestimmung ist somit als präjudiziell anzusehen.
1.7. Die Einschreiterinnen beantragen in ihrem Hauptantrag, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass die Bestimmung des §754 Abs3 ABGB idF BGBl 342/1970 verfassungswidrig war. Ein untrennbarer Zusammenhang der angefochtenen Bestimmung mit anderen Bestimmungen ist für den Verfassungsgerichtshof nicht erkennbar; die Zulässigkeit des Hauptantrages wird auch seitens der Bundesregierung nicht in Zweifel gestellt.
1.8. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Hauptantrag als zulässig. Ein Eingehen auf Eventualanträge ist sohin entbehrlich.
2. In der Sache
Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997,