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Verwaltungsverfahren - AVGNorm
AVG §19 Abs3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Böhler, über die Beschwerde des WK in W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Berufungssenates der Stadt Wien vom 29. März 1983, Zl. MA 70-VIII/K 82/82, betreffend Kostenvorschreibung nach § 89a Abs. 7 der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Gemeinde) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.495,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Berufungssenates der Stadt Wien vom 29. März 1983 wurden dem Beschwerdeführer gemäß § 89a Abs. 7 und 7a der Straßenverkehrsordnung 1960 in Verbindung mit den §§ 1 und 2 der Verordnung des Magistrates der Stadt Wien vom 14. April 1978, Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 17/1978, Kosten für die am 17. Februar 1982 um 13.12 Uhr vorgenommene Entfernung und nachfolgende Aufbewahrung des in Wien 1, Spiegelgasse 2, verkehrsbeeinträchtigend abgestellten, dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges in der Höhe von insgesamt S 1.289,-- vorgeschrieben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen,
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 89a Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung vor der 10. Novelle, BGBl. Nr. 174/1983, hat die Behörde, wenn durch einen Gegenstand auf der Straße, insbesondere durch ein stehendes Fahrzeug der Verkehr beeinträchtigt wird, die Entfernung des Gegenstandes ohne weiteres Verfahren zu veranlassen.
Den Beschwerdeausführungen ist zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer - wie schon im Verwaltungsverfahren - unter anderem in Abrede stellt, daß andere Verkehrsteilnehmer am Umkehren in der Umkehrzone gehindert waren und daß damit eine Verkehrsbeeinträchtigung im Sinne der zitierten Gesetzesstelle vorgelegen sei, weshalb auch eine Kostenvorschreibung gemäß § 89a Abs. 7 leg. cit. nicht gerechtfertigt gewesen sei. Richtig ist, daß eine solche Kostenvorschreibung das Vorliegen einer derartigen Verkehrsbeeinträchtigung zur Voraussetzung hatte (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Jänner 1982, Zl. 81/02/0239). Ob aber im Beschwerdefall eine solche Verkehrsbeeinträchtigung vorlag, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nur insofern unterliegt, ob unter anderem der Sachverhalt genügend erhoben ist.
Im Sinne des § 37 und § 39 Abs. 2 AVG 1950 bedarf es, wenn in einem Verwaltungsverfahren der Behörde nur die Angaben des als Zeugen vernommenen Meldungslegers vorliegen, die Partei jedoch einen Zeugenbeweis (hier: Zeugenaussage der Fahrzeuglenkerin) beantragt hat, in der Regel der Vernehmung dieses Zeugen (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. September 1963, Zl. 775/63).
Die belangte Behörde hat zwar den Meldungsleger als Zeugen vernommen und die vom Beschwerdeführer genannte Zeugin SW geladen, aus dem Akteninhalt ergibt sich jedoch, daß die Zeugin der Ladung nicht Folge geleistet hat. Von der belangten Behörde wurden hierauf keine weiteren Versuche unternommen, die Lenkerin des abgeschleppten Kraftfahrzeuges SW als Zeugin zum Erscheinen und bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zur Aussage zu zwingen. Die belangte Behörde vertrat hiezu die Auffassung, daß dem Beweisantrag auf Vernehmung von SW nicht entsprochen habe werden können, da diese einer diesbezüglichen ordnungsgemäß zugestellten Ladung unentschuldigt keine Folge geleistet habe.
Dies ist rechtsirrig. Da alle Personen, die im Amtsbereich der Behörde ihren Aufenthalt haben und deren Erscheinen nötig ist, gemäß § 19 Abs. 3 AVG 1950 verpflichtet sind, Ladungen zur Behörde Folge zu leisten, da weiters solche Personen zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden können, da schließlich § 49 Abs. 5 AVG 1950 der Behörde noch weitere Möglichkeiten gibt, gegen Personen, die unwillig sind, als Zeugen zu erscheinen oder, wenn sie sich ungerechtfertigt weigern, auszusagen, Sanktionen zu verhängen, erscheint die von SW der Behörde des Verwaltungsverfahrens gegenüber der eingehaltene Vorgangsweise als nicht dem Gesetz entsprechend (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. September 1985, Zl. 85/18/0310). Der Umstand, daß eine Person allenfalls nicht bereit ist, als Zeuge zu erscheinen oder auszusagen, darf nicht zu Lasten der Partei gehen. Die Ansicht der belangten Behörde in der Gegenschrift, es handle sich infolge des Wortes „kann“ im § 19 Abs. 3 AVG 1950 um ein Ermessen, ist rechtsirrig. Denn „kann“ bedeutet hier, daß das Gesetz der Behörde die Rechtsmacht einräumt, den Zeugen notfalls mit Zwang vorzuführen.
Die belangte Behörde hätte daher im Rahmen eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens im Sinne der §§ 39 Abs. 2 und 45 Abs. 2 AVG 1950 gemäß den oben dargelegten Ausführungen vorgehen müssen. Erst nach Vorliegen der entsprechenden Beweisergebnisse wird sich die Behörde schlüssig zu werden haben, welchen der allenfalls strittigen Sachverhalte sie annimmt, und danach zu beurteilen haben, ob ihr Fachwissen ausreicht oder ob sie zur Beurteilung des Vorliegens einer Verkehrsbeeinträchtigung ein Sachverständigengutachten einzuholen hat.
Das Ermittlungsverfahren ist auf Grund des oben dargelegten Rechtsirrtums der belangten Behörde zu der (vom Beschwerdeführer beantragten) Zeugeneinvernahme mangelhaft geblieben, weshalb der Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufgehoben werden mußte.
Hinsichtlich der zitierten nicht veröffentlichten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes wird an Art. 14 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.
Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil Stempelgebühren für überzählige Schriftsatzausfertigungen (hier: einer dritten Ausfertigung der Beschwerde) nicht zu ersetzen sind.
Wien, am 27. November 1987
Schlagworte
Ermessen VwRallg8 Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Zeugenbeweis Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Erheblichkeit des Beweisantrages Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung Vorweggenommene antizipative BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1987:1985180098.X00Im RIS seit
30.03.2022Zuletzt aktualisiert am
30.03.2022