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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §69 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des S C in K, vertreten durch Dr. Eveline Landmann, Rechtsanwältin in 6322 Kirchbichl, Oberndorferstraße 1, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 23. Dezember 2020, Zl. LVwG-2020/33/2059-10, betreffend Abweisung eines Wiederaufnahmeantrages gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG iA Entziehung der Lenkberechtigung, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 27. Oktober 2020 wurde die Lenkberechtigung des Revisionswerbers durch Bestätigung des Vorstellungsbescheides der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 5. August 2020 für die Dauer von zwölf Monaten (gerechnet ab der Zustellung des Mandatsbescheides vom 28. Mai 2020) gemäß (u.a.) § 7 Abs. 3 Z 3 iVm. § 26 Abs. 2a FSG entzogen, und es wurden begleitende Maßnahmen (Nachschulung und Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens samt verkehrspsychologischer Stellungnahmen) angeordnet.
2 Die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision des Revisionswerbers wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. März 2021, Ra 2020/11/0229, zurückgewiesen. Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird zur näheren Vorgeschichte auf den genannten hg. Beschluss verwiesen. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof in diesem Beschluss u.a. wie folgt aus:
„Wenn daher im vorliegenden Fall das als ‚Wheelie‘ ausgestaltete Überholmanöver des Revisionswerbers in Verbindung mit dem Überfahren der Sperrlinie (nach den Feststellungen noch dazu im Bereich eines Schutzweges) und der erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung vom Verwaltungsgericht als Verhalten gewertet wurde, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse iSd. § 7 Abs. 3 Z 3 FSG herbeizuführen, so bewegt sich diese Beurteilung innerhalb der Leitlinien der zitierten hg. Judikatur.“
3 Mit Schreiben vom 12. November 2020 beantragte der Revisionswerber gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 27. Oktober 2020 abgeschlossenen Verfahrens. Näher bezeichnete Beweismittel, von denen der Revisionswerber erst nach Abschluss des in Rede stehenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Kenntnis erlangt habe bzw. in deren Besitz er erst nach dem zuletzt genannten Zeitpunkt gelangt sei, belegten, dass der „Wheelie“ erst kurz vor dem Ortsende von W und nicht bei dem in der Nähe eines Supermarkts gelegenen Kreisverkehr erfolgt sei. Das gegenständliche erste Überholmanöver durch den Revisionswerber habe sich somit unmittelbar vor dem Ortsende von W zugetragen und es habe der Polizeistreife daher unmöglich bekannt gewesen sein können, mit welcher Geschwindigkeit der Revisionswerber zu diesem Zeitpunkt, als sich das Fahrzeug des Revisionswerbers noch hinter der Polizeistreife befunden habe, gefahren sei. Der Vorwurf, der Revisionswerber habe während der in Rede stehenden Fahrt eine „führerscheinentzugsrelevante“ Geschwindigkeitsüberschreitung begangen, sei daher nicht statthaft. Die diesbezüglichen Angaben der Polizisten seien unzutreffend.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss wurde der Wiederaufnahmeantrag des Revisionswerbers abgewiesen. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
5 Begründend hielt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen fest, der Revisionswerber habe in dem mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 27. Oktober 2020 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren den zweimaligen Überholvorgang (einer davon mit „Wheelie“) ebenso wie das zweimalige Überfahren der Sperrlinie und die erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung (laut Angaben des Revisionswerbers eine Fahrgeschwindigkeit von 100 km/h) selbst zugestanden, sodass die im Wiederaufnahmeantrag bezeichneten neuen Tatsachen bzw. Beweismittel nicht geeignet seien, allein oder in Verbindung mit den sonstigen Ergebnissen des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Ergebnis herbeizuführen.
6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit geltend macht, die verwaltungsgerichtliche Beurteilung des im Wiederaufnahmeantrag erstatteten Vorbringens sei in Anbetracht der ins Treffen geführten „widerstreitenden Beweise“ und der „gegenteiligen Beweislage“ unvertretbar. Hätte das Verwaltungsgericht dem Wiederaufnahmeantrag stattgegeben, hätte es festgestellt, dass der Revisionswerber im Freiland zwar mit überhöhter, jedoch nicht „führerscheinentzugsrelevanter“ Geschwindigkeit bei weiterhin guten Sichtverhältnissen, Trockenheit und ohne Gegenverkehr zwei Fahrzeuge trotz Sperrlinie mit „Wheelie“ überholt habe und anschließend nochmals mit überhöhter, aber keinesfalls „führerscheinentzugsrelevanter“ Geschwindigkeit bei weiterhin guten Sichtverhältnissen, Trockenheit und ohne Gegenverkehr im Freiland trotz Sperrlinie ein Überholmanöver durchgeführt habe.
Die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG liegen nicht vor:
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit einer Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. VwGH 8.2.2021, Ra 2020/11/0150, mwN).
11 Nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens unter anderem dann stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten. Diesbezüglich kann auf das bisherige Verständnis zum Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG zurückgegriffen werden (VwGH 3.12.2021, Ra 2020/07/0069).
12 Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund ungeachtet des Erfordernisses seiner Neuheit nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt (und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit) die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche die Behörde entweder den den Gegenstand des Wiederaufnahmeantrages bildenden Bescheid oder (zumindest) die zum Ergebnis dieses Bescheides führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (VwGH 19.4.2007, 2004/09/0159).
13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind für die Beurteilung der Frage, ob einem Wiederaufnahmeantrag stattzugeben ist, allein die innerhalb der Wiederaufnahmefrist vorgebrachten Wiederaufnahmegründe maßgebend (VwGH 22.10.2020, Ra 2018/11/0126).
14 Ebenso entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass der Wiederaufnahmewerber den Grund, auf den sich das Wiederaufnahmebegehren stützt, schon in seinem Antrag aus eigenem Antrieb konkretisiert und schlüssig darzulegen hat. Sein Antrag kann nur dann zur Wiederaufnahme führen, wenn er Tatsachen vorbringt, auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit zutrifft, dass sie im wiederaufzunehmenden Verfahren zu einer anderen Entscheidung geführt hätten (vgl. auch dazu VwGH 22.10.2020, Ra 2018/11/0126).
15 Die Beurteilung, ob im Wiederaufnahmeantrag die Gründe für die Wiederaufnahme konkretisiert und schlüssig dargelegt wurden und ob Tatsachen vorgebracht werden, auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit zutrifft, dass sie im wiederaufzunehmenden Verfahren zu einer anderen Entscheidung geführt hätten, ist als Einzelfallbeurteilung in der Regel nicht revisibel, solange das Verwaltungsgericht nicht von den Leitlinien der hg. Rechtsprechung abgewichen ist (siehe erneut VwGH 22.10.2020, Ra 2018/11/0126). Ein solches Abweichen zeigt die vorliegende Revision nicht auf.
16 Das Verwaltungsgericht ist in vertretbarer Weise davon ausgegangen, dass das vom Revisionswerber in seinem Wiederaufnahmeantrag erstattete Vorbringen nicht geeignet gewesen sei, mit hoher Wahrscheinlichkeit betreffend die dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 27. Oktober 2020 zugrunde gelegten entscheidungswesentlichen Sachverhaltselemente (Überholmanöver mit „Wheelie“ in Verbindung mit Überfahren einer Sperrlinie und erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitung) abweichende Ermittlungsergebnisse und einen anderen Verfahrensausgang herbeizuführen (siehe dazu auch VwGH 4.3.2021, Ra 2020/11/0229).
17 Das Überholmanöver mit „Wheelie“ sowie das Überfahren einer Sperrlinie wurden im Wiederaufnahmeantrag (und auch in der Zulässigkeitsbegründung) nicht in Abrede gestellt. Hinsichtlich des erheblichen Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung konnte das Verwaltungsgericht in dem rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren (u.a.) auf die eigenen Angaben des Revisionswerbers zurückgreifen, sodass die Zulässigkeitsbegründung auch deshalb nicht darlegt, dass die im Wiederaufnahmeantrag als unzutreffend bezeichneten Angaben der Polizisten für die im Erkenntnis vom 27. Oktober 2020 getroffene Feststellung einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung von ausschlaggebender Bedeutung gewesen wären (vgl. VwGH 4.3.2021, Ra 2020/11/0229, Rn. 11).
18 Vor diesem Hintergrund wird auch hinsichtlich der im Erkenntnis vom 27. Oktober 2020 erfolgten Feststellung einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung nicht aufgezeigt, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, dass das Wiederaufnahmevorbringen die das Erkenntnis vom 27. Oktober 2020 tragenden beweiswürdigenden Erwägungen nicht berührt habe und dieses Vorbringen folglich nicht tauglich gewesen sei, die verwaltungsgerichtliche Beweiswürdigung in Zweifel zu ziehen, gemessen am oben dargestellten Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes zu beanstanden wäre (siehe dazu auch VwGH 19.4.2007, 2004/09/0159).
19 Abgesehen davon gelingt es der Zulässigkeitsbegründung nicht, darzulegen, dass in der vorliegenden Konstellation bei der vom Revisionswerber zugestandenen Geschwindigkeit von 100 km/h im Ortsgebeit im Hinblick auf die im Lichte von § 7 Abs. 3 Z 3 FSG vorzunehmende Beurteilung und in Anbetracht der vorliegenden gravierenden Verstöße gegen mehrere Verkehrsvorschriften ein anderer Verfahrensausgang rechtlich in Betracht zu ziehen gewesen wäre.
20 Da somit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht aufgeworfen wird, war die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 1. März 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021110023.L00Im RIS seit
30.03.2022Zuletzt aktualisiert am
11.04.2022