TE Lvwg Beschluss 2021/10/29 VGW-031/059/14819/2021

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Veröffentlicht am 29.10.2021
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Entscheidungsdatum

29.10.2021

Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

ZustG §6

Text

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Schattauer über die Beschwerde der Frau A. B., vertreten durch Rechtsanwältin Dr. C., gegen den Zurückweisungsbescheid der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat D., vom 23.08.2021, Zl. VStV/.../2019, mit welchem der Einspruch gegen die Strafverfügung vom 28.08.2019 zur selben Zahl als verspätet zurückgewiesen wurde, den

BESCHLUSS

gefasst

I.     Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben und der angefochtene Zurückweisungsbescheid behoben.

II.    Gemäß § 25a VwGG ist eine Revision nicht zulässig.

Begründung

Nach Anzeigelegung eines Polizeibeamten, wonach die nunmehrige Beschwerdeführerin am 22.08.2019, 16.30 h in Wien, E.-Str. im Zuge einer Amtshandlung durch lautes Herumschreien ungebührlicher Weise störenden Lärm erregt habe, wurde die Beschwerdeführerin mit Strafverfügung der belangten Behörde vom 28.08.2019, Zl. VStV/.../2019, deswegen einer Übertretung des § 1 Abs 1 Z 2 WLSG schuldig erkannt.

Die Strafverfügung wurde laut Aktenlage am 30.08.2019 der Post zur Beförderung an die als Empfängerin benannte Beschwerdeführerin übergeben. Nach Versendung einer Ermahnung, datiert 27.11.2019, den offenen Strafbetrag zu begleichen und Aufforderung zum Antritt der Freiheits-/Ersatzfreiheitsstrafe, datiert 21.05.2021, Ausforschung der neuen Wohnanschrift der Beschwerdeführerin und neuerlicher Aufforderung zum Antritt der Freiheits-/Ersatzfreiheitsstrafe, datiert 29.07.2021, gab die Rechtsanwältin Frau Dr. C. mit Schreiben vom 04.08.20121 der nunmehr belangten Behörde unter Hinweis auf den beigelegten Beschluss des BG D. vom 05.11.2019 bekannt, dass sie hiermit zur gerichtlichen Erwachsenenvertreterin der Beschwerdeführerin bestellt worden sei; aus dem Beschluss ergibt sich, dass Frau Dr. C. u.a. mit der Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern betraut wurde. Unter einem ersuchte sie um Übermittlung der gegenständlichen Strafverfügung. Diese wurde der Erwachsenenvertreterin mit behördlichem Schreiben vom 09.08.2021 mit dem Hinweis, dass die Strafverfügung am 25.10.2019 in Rechtskraft erwachen wäre gem. § 6 ZustellG „in Kopie“ übermittelt.

In Vertretung der Beschwerdeführerin hat die Erwachsenenvertreterin unter Berufung auf den gerichtlichen Bestellungsbeschluss am 18.08.2021 Einspruch gegen die Strafverfügung vom 28.08.2019 erhoben. Mit dem Einspruch wurden neuerlich der gerichtliche Bestellungsbeschluss sowie das in diesem Beschluss angesprochene psychiatrische Gutachten Dris. F. vom 08.10.2019 vorgelegt.

Mit dem angefochtenen Bescheid der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat D. vom 23.08.2021, Zl. VStV/.../2019, wurde der Einspruch vom 18.08.2021 gegen die Strafverfügung vom 28.08.2019, gemäß § 49 Abs. 1 VStG 1991 als verspätet zurückgewiesen. In der Begründung wird hierzu ausgeführt, die Strafverfügung sei laut Zustellnachweis am 10.10.2019 zugestellt worden, die zweiwöchige Einspruchsfrist habe demnach am 24.10.2019 geendigt und erweise sich der erst danach erhobene Einspruch als verspätet.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass nach der Aktenlage bezüglich der Zustellung der Strafverfügung zweimalig Zustellversuche ohne Zustellnachweis ausgewiesen sind und die Angaben zur tatsächlichen Zustellung widersprüchlich sind; nach AS 7 wurde das Dokument am 30.08.2019 an die Post zur Beförderung übergeben, nach AS 8 hingegen am 07.10.2019. Die Zustellung wäre demnach unter der Prämisse, dass die Beschwerdeführerin zum Zustellzeitpunkt handlungsfähig war, entweder mit 03.09.2019 oder ansonsten erst mit 10.10.2019 (vgl. insoweit § 26 Abs 2 Zustellgesetz) erfolgt.

Auf Basis des neurologischen und psychiatrischen Fachgutachtens Dris. F. vom 08.10.2019, ergibt sich, dass bei der Beschwerdeführerin, außenanamnestisch bis Frühjahr 2019 zurückreichend, eine psychische Erkrankung im Sinne einer toxischen Demenz mit paranoiden Realitätsverkennungen vorliegt, die es ihr u.a. unmöglich macht, ihre Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern aus eigenem wahrzunehmen. Auch sei sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes gänzlich unfähig, einer allfälligen mündlichen Verhandlung vor Gericht zu folgen. Nach den gutachterlichen Ausführungen ist der Zustand der Beschwerdeführerin auf eine schwerwiegende Abhängigkeit von multiplen psychotropen Substanzen und eine massive Alkoholabhängigkeit, die bereits zu zwei Einweisungen in eine psychiatrische Abteilung geführt hatte, sowie darauf basierende kognitive Abbauerscheinungen im Rahmen einer toxischen Demenz und auch paranoide Verkennungen im Sinne einer toxisch induzierten paranoiden Symptomatik zurückzuführen.

Basierend auf diesem Gutachten wurde mit rechtskräftigem Beschluss des BG D. vom 05.11.2019, GZ … für die Beschwerdeführerin die Rechtsanwältin Frau Dr. C., gemäß § 271 ABGB zur gerichtlichen Erwachsenenvertreterin bestellt, deren Wirkungsbereich u.a. auch die Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern zukommt.

Dies ergibt sich aus den mit dem Einspruch vorgelegten unbedenklichen Urkunden.

Die gutachterlichen Ausführungen indizieren nach Auffassung des erkennenden Gerichts, dass im Zustellzeitpunkt (sohin aus der Aktenlage erschließbar schon am 03.09.2019, ansonsten aber am 10.10.2019; wobei dies im Hinblick auf die gutachterlichen Feststellungen rücksichtlich der Handlungsfähigkeit nicht verschlägt), eine Handlungsfähigkeit der Beschwerdeführerin verneint werden muss. Die Übergabe der Strafverfügung an die Post zur Beförderung an die Beschwerdeführerin bewirkte daher keine rechtswirksame Zustellung (vgl. etwa VwGH 06.07.2015, Ra 2014/02/0095, 20.12.2016, Ra 2015/01/0162).

Aus der Aktenlage ergibt sich jedoch, dass die belangte Behörde mit Schreiben vom 09.08.2021 „eine Kopie der Strafverfügung zur Kenntnis gem. § 6 Zustellgesetz zugestellt“ hat. Ungeachtet der Unklarheit dieser Ausführungen – es bleibt demnach offen, ob tatsächlich nur eine Kopie der Strafverfügung oder eine Ausfertigung selbiger – hierfür spricht der Verweis auf § 6 ZustellG – an die Erwachsenenvertreterin übermittelt bzw. zugestellt wurde, ist hierbei von einer rechtsgültigen Zustellung auszugehen.

Wird nämlich einer am betreffenden Verfahren als Partei zu beteiligenden Person von der Behörde der das Verfahren abschließende Bescheid auf eine im Zustellgesetz vorgesehene Weise übermittelt, so hat dies auch die Rechtswirkungen einer Zustellung. Nach der Rechtsprechung gilt dies auch für die Übermittlung einer Kopie, wenn sie den Kriterien des § 18 Abs. 4 AVG genügt (VwGH 29.8.1996, 95/06/0128). Diese Rechtswirkungen treten unabhängig davon ein, ob die Behörde mit der Übermittlung des Bescheides eine Zustellung im Rechtssinn beabsichtigte. Selbst wenn sie ausdrücklich zum Ausdruck brächte, eine Zustellung nicht bewirken zu wollen (etwa weil eine Absicht auf eine bloße Information gerichtet war), hätte die Übermittlung einer Bescheidausfertigung diese Folge (vgl. VwGH, 21.11.2017, Ro 2015/12/0017; VwGH 27.3.2014, 2010/10/0182; 10.11.2011, 2009/07/0204; 14.5.2003, 2002/08/0206; und 4.2.1992, 92/11/0021).

Insoweit das Schreiben der belangten Behörde vom 09.09.2021 eine neuerliche Zustellung (Übermittlung) der Strafverfügung vermerkt, ist nach der Aktenlage davon auszugehen, dass sich dies auf die im Akt, AS 3f einliegende Strafverfügung bezieht, welche den Kriterien des § 18 Abs 4 AVG entspricht. Dass laut Übermittlungsschreiben eine „Kopie“ übermittelt werde, und insoweit die Zustellung einer Bescheidausfertigung nicht beabsichtigt war, vermag im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes den Rechtswirkungen einer Zustellung keinen Abbruch zu tun.

Nach den Beschwerdeausführungen ist die Strafverfügung vom 28.08.2019 am 13.08.2021 in der Kanzlei der gerichtlichen Erwachsenenvertreterin zugestellt worden. Die zweiwöchige Frist für die Einbringung eines Einspruches begann daher mit 13.08.2021 zu laufen und endigte mit 27.08.2021. Der am 18.08.2021 eingebrachte Einspruch war daher rechtzeitig. Eine verspätete Einbringung liegt nicht vor und erweist sich daher der angefochtene Zurückweisungsbescheid als rechtswidrig. Insoweit war spruchgemäß zu entscheiden.

Für das von der belangten Behörde fortzuführende Verfahren wird bemerkt, dass nach den vom Verwaltungsgericht Wien getroffenen Feststellungen betreffend die Handlungsunfähigkeit der Beschuldigten auch die Zurechnungsfähigkeit iSd § 3 VStG tangiert wird. Vermeint die Behörde, eine Zurechnungsfähigkeit der Beschuldigten ungeachtet ihrer jedenfalls schon vor dem Zeitpunkt der fehlgeschlagenen Zustellung nicht gegebenen Handlungsfähigkeit, für gegeben erachten zu wollen, wäre hierzu vor Erlassung eines Strafbescheides von der Behörde ein entsprechendes fachärztliches Gutachten einzuholen.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Zustellung; Zustellversuch ohne Zustellnachweis; Handlungsfähigkeit; Zurechnungsfähigkeit; Demenz; Erwachsenenvertreter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.031.059.14819.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.03.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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