TE Lvwg Erkenntnis 2021/7/30 LVwG 41.8-2736/2020

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Veröffentlicht am 30.07.2021
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Entscheidungsdatum

30.07.2021

Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

EpidemieG 1950 §32 Abs1 Z5
EpidemieG 1950 §20
EpidemieG 1950 §15
COVID-19-MG §4 Abs3
Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz vom 11.03.2020 über Veranstaltungsverbote nach §15 EpiG 1950, GZ: A7-001892/2016/0041, Amtsblatt Nr. 4

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat durch die Richterin Mag. Schlossar-Schiretz über die Beschwerde der A B GmbH, vertreten durch die C D Rechtsanwälte GmbH, Hgasse, G, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 07.10.2020, GZ: A7-036774/2020-0002,

z u R e c h t e r k a n n t:

I.     Gemäß § 28 Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (im Folgenden VwGVG) wird die Beschwerde als unbegründet

abgewiesen.

II.    Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz (im Folgenden VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs 4 B-VG zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 07.10.2020, GZ: A7-036774/2020-0002, wurde der Antrag der A B GmbH, Splatz, G, vertreten durch die C D Rechtsanwälte GmbH, Hgasse, G, vom 27.04.2020 auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß § 32 Epidemiegesetz (im Folgenden EpiG) abgewiesen. Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass eine Betriebsbeschränkung bzw. Betriebssperre im Sinne des § 20 EpiG weder bescheidmäßig durch die zuständige Behörde angeordnet noch durch Verordnung verfügt worden sei. § 20 EpiG knüpfe die Zulässigkeit der Maßnahme der Schließung oder Beschränkung von Betriebsstätten an strenge Kriterien und könne keine taugliche Rechtsgrundlage für die Anordnung prophylaktischer, flächendeckender Schließungen oder Betriebsbeschränkungen darstellen, wenn von den konkret betroffenen Betrieben keine „besondere Gefahr für die Ausbreitung einer anzeigepflichtigen Erkrankung“ ausgehe. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 11.03.2020 über „Veranstaltungsverbote nach § 15 Epidemiegesetz 1950“ regle vielmehr Veranstaltungen bzw. Zusammenkünfte von Personen und finde ihre Rechtsgrundlage in § 15 EpiG. Die Verordnungen des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz würden ihre rechtliche Grundlage im COVID-19-Maßnahmengesetz finden, wobei in § 4 Abs 2 ausdrücklich geregelt sei, dass die Bestimmungen des EpiG betreffend Betriebsschließungen im Rahmen des Anwendungsbereiches von nach § 1 erlassenen Verordnungen nicht zur Anwendung gelangen.

In ihrer fristgerecht erhobenen Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin durch ihre ausgewiesenen Vertreter vor, dass zu ihrem Unternehmensgegenstand bzw. Geschäftszweig die Verwaltung des E F sowie die Organisation bzw. Abhaltung von Sportveranstaltungen gehöre. Der Beschwerdeführerin gebühre gemäß § 32 Abs 1 Z 5 iVm § 20 Abs 1 und 4 EpiG eine Entschädigung als Vergütung für den Verdienstentgang, welcher ihr dadurch entstanden sei, dass ein Veranstaltungsverbot durch die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 11.03.2020 erlassen worden sei und die Beschwerdeführerin alle ihre geplanten Veranstaltungen bis zum 03.04.2020 habe absagen habe müssen. Für diesen Zeitraum werde eine Vergütung für den Verdienstentgang begehrt. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 11.03.2020, mit welcher ein Veranstaltungsverbot im Zeitraum vom 11.03.2020 bis 03.04.2020 verfügt worden sei, stütze sich auf § 15 EpiG. Im Zusammenhang mit beschränkenden Maßnahmen gemäß § 15 EpiG sei – anders als nach § 20 EpiG verfügten Maßnahmen – in § 32 Abs 1 EpiG keine Verfügung normiert. § 20 EpiG erlaube beim Auftreten von COVID-19 die Schließung von Betriebsstätten, in denen bestimmte Gewerbe ausgeübt werden, deren Betrieb eine besondere Gefahr für die Ausbreitung dieser Krankheit mit sich bringe.

Das mit Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 11.03.2020 verfügte Veranstaltungsverbot bewirke für die Beschwerdeführerin, deren Geschäftszweig die Verwaltung des E F sowie die Organisation bzw. Abhaltung von Sportveranstaltungen sei, de facto und de jure eine Betriebssperre im Sinne des § 20 EpiG. Im Zeitraum vom 11.03.2020 bis 03.04.2020 hätten alle geplanten Veranstaltungen abgesagt werden müssen und habe die Beschwerdeführerin ihren Betrieb nicht (fort-)führen können. Auf andere Unternehmer – etwa im Gastgewerbe, Handel, etc. – hätte die besagte Verordnung keine Auswirkung gehabt. Solcher Art gebühre der Beschwerdeführerin aufgrund verfassungskonformer Auslegung der verfahrensgegenständlich maßgeblichen Bestimmungen auch eine Vergütung für den Verdienstentgang nach § 32 Abs 1 Z 5 EpiG im Zeitraum vom 11.03.2020 bis 03.04.2020. § 20 EpiG sei eine lex specialis gegenüber dem § 15 EpiG. § 15 EpiG erlaube nur Maßnahmen ohne Auswirkung auf den Betrieb von Unternehmen. Habe eine Maßnahme aber auch eine (negative) Auswirkung auf den Betrieb von Unternehmen, indem sie diesen beschränke oder verbiete, so sei ausschließlich § 20 EpiG anwendbar, der diesfalls zwingend eine Entschädigung iVm § 32 EpiG normiere. Dies habe die belangte Behörde in ihrem Bescheid verkannt und diesen mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 11.03.2020 sei in Bezug auf die Beschwerdeführerin verfassungskonform – unter Außerachtlassung des Passus „§ 15“ in der Überschrift bzw. des einleitenden Satzes „aufgrund des § 15 Epidemiegesetz 1950, BGBl. Nr. 186/1950, zuletzt in der Fassung BGBl. I Nr. 37/2018, wird verordnet:“ – zu lesen und stehe solcher Art der von der Beschwerdeführerin beantragten Vergütung für den Verdienstentgang gemäß § 32 EpiG zufolge des Veranstaltungsverbots nichts im Wege.

In eventu werde angeregt, das Gericht wolle einen Antrag auf Normenkontrolle gemäß Art. 139 Abs 1 Z 1 B-VG beim Verfassungsgerichtshof stellen und gemäß Abs 4 leg. cit nach Maßgabe der obigen Korrektur den Ausspruch begehren, dass die bereits außer Kraft getretene Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 11.03.2020 ausschließlich im Umfang der nachstehenden Passagen gesetzes- bzw. verfassungswidrig gewesen sei. Die Erwähnung des „§ 15“ in der Überschrift der Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 11.03.2020 sowie der einleitende Satz seien wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 7 B-VG) sowie der Grundrechte auf Erwerbsfreiheit (Art. 6 StGG) und Eigentumsfreiheit (Art. 5 StGG) verfassungswidrig. Wegen denkunmöglicher Gesetzesanwendung verletze die besagte Verordnung Unternehmen, wie die Beschwerdeführerin, in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.

Die Durchführung einer Verhandlung wurde gemäß § 24 Abs 3 VwGVG beantragt und begehrt, dass das Landesverwaltungsgericht Steiermark der Beschwerde Folge gegeben und den angefochtenen Bescheid dergestalt abändern wolle, dass dem Antrag vom 27.04.2020 Folge gegeben werde und dem Bund aufgetragen werde, der Beschwerdeführerin binnen 14 Tagen ab Erlassung des Erkenntnisses die Vergütung für den Verdienstentgang im Zeitraum vom 11.03.2020 bis 03.04.2020 zu Handen des Rechtsvertreters zu zahlen.

Am 03.02.2021 fand vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark eine öffentlich mündliche Verhandlung statt, anlässlich welcher der Vertreter der Beschwerdeführerin ein rechtliches Vorbringen erstattete.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin hat ihren Sitz in G, Splatz. Zum Unternehmensgegenstand gehört die Verwaltung des E F sowie die Organisation bzw. Abhaltung von Sportveranstaltungen.

Mit Erlass des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz vom 10.03.2020, GZ: 2020-0.172.682 – gerichtet an alle Landeshauptleute – wurden die mit der Vollziehung des EpiG betrauten Bezirksverwaltungsbehörden (Gesundheitsämter) angewiesen, durch Verordnung zu verfügen, dass nach § 15 des EpiG sämtliche Veranstaltungen in ihrem Wirkungsbereich, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen, zu untersagen sind, bei denen mehr als 500 Personen (außerhalb geschlossener Räume oder im Freien) oder mehr als 100 Personen in einem geschlossenen Raum zusammenkommen. Dieser Erlass war den mit der Vollziehung des EpiG befassten Bezirksverwaltungsbehörden zur Kenntnis zu bringen und bis 03.04.2020, 12.00 Uhr, anzuwenden.

Mit Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 11.03.2020, GZ: A7-001892/2016/0041, wurden sämtliche Veranstaltungen mit voraussichtlich mehr als 100 Personen in einem geschlossenen oder mit voraussichtlich mehr als 500 Personen außerhalb geschlossener Räume oder im Freien verboten.

Die Beschwerdeführerin musste die von ihr geplanten Tätigkeiten im Zeitraum vom 11.03.2020 bis 03.04.2020 absagen.

Eine Beschränkung bzw. Schließung des Betriebs der Beschwerdeführerin durch einen Bescheid der belangten Behörde gemäß § 20 EpiG erfolgte weder im obgenannten Zeitraum noch davor oder danach. Auch eine den Betrieb der Beschwerdeführerin betreffende Verkehrsbeschränkung gemäß § 24 EpiG wurde durch die Bezirksverwaltungsbehörde nicht erlassen.

Von der Beschwerdeführerin wurde für den Zeitraum vom 11.03.2020 bis 03.04.2020 ein Verdienstentgang in der Höhe von insgesamt € 143.980,87 brutto geltend gemacht und legte die vom Steuerberater bestätigten Unterlagen betreffend die beantragte Entschädigung für den Zeitraum vom 11.03.2020 bis 03.04.2020 mit Urkundenvorlage vom 04.02.2021 vor.

Beweiswürdigung:

Obige Feststellungen konnten aufgrund des Akteninhaltes, des Beschwerdevorbringens und er im Zuge des Verfahrens vorgelegten Urkunden getroffen werden.

Rechtliche Beurteilung:

1.   Maßgebliche Rechtsgrundlagen:

Die einschlägigen Bestimmungen des EpiG in der zum Zeitpunkt der Entscheidung des LVwG geltenden Fassung lauten auszugsweise wie folgt:

§ 15 EpiG:

„Die Bezirksverwaltungsbehörde hat Veranstaltungen, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen, zu untersagen, sofern und solange dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist.“

§ 20 EpiG:

„(1) Beim Auftreten von Scharlach, Diphtherie, Abdominaltyphus, Paratyphus, bakterieller Lebensmittelvergiftung, Flecktyphus, Blattern, Asiatischer Cholera, Pest oder Milzbrand kann die Schließung von Betriebsstätten, in denen bestimmte Gewerbe ausgeübt werden, deren Betrieb eine besondere Gefahr für die Ausbreitung dieser Krankheit mit sich bringt, für bestimmt zu bezeichnende Gebiete angeordnet werden, wenn und insoweit nach den im Betriebe bestehenden Verhältnissen die Aufrechterhaltung desselben eine dringende und schwere Gefährdung der Betriebsangestellten selbst sowie der Öffentlichkeit überhaupt durch die Weiterverbreitung der Krankheit begründen würde. (BGBl. Nr. 449/1925, Artikel III Abs. 2, und BGBl. Nr. 151/1947, Artikel II Z 5 lit. h.)

(2) Beim Auftreten einer der im ersten Absatz angeführten Krankheiten kann unter den sonstigen dort bezeichneten Bedingungen der Betrieb einzelner gewerbsmäßig betriebener Unternehmungen mit fester Betriebsstätte beschränkt oder die Schließung der Betriebsstätte verfügt sowie auch einzelnen Personen, die mit Kranken in Berührung kommen, das Betreten der Betriebsstätten untersagt werden.

(3) Die Schließung einer Betriebsstätte ist jedoch erst dann zu verfügen, wenn ganz außerordentliche Gefahren sie nötig erscheinen lassen.

(4) Inwieweit die in den Abs. 1 bis 3 bezeichneten Vorkehrungen auch beim Auftreten einer anderen anzeigepflichtigen Krankheit getroffen werden können, wird durch Verordnung bestimmt.“

§ 24 EpiG:

Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften

„Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, hat die Bezirksverwaltungsbehörde für die Bewohner von Epidemiegebieten Verkehrsbeschränkungen zu verfügen. Ebenso können Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen angeordnet werden.“

§ 32 Abs 1, 2 und 4-7 EpiG:

„(1) Natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften des Handelsrechtes ist wegen der durch die Behinderung ihres Erwerbes entstandenen Vermögensnachteile dann eine Vergütung zu leisten, wenn und soweit

1.   sie gemäß §§ 7 oder 17 abgesondert worden sind, oder

2.   ihnen die Abgabe von Lebensmitteln gemäß § 11 untersagt worden ist, oder

3.   ihnen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gemäß § 17 untersagt worden ist, oder

4.   sie in einem gemäß § 20 im Betrieb beschränkten oder geschlossenen Unternehmen beschäftigt sind, oder

5.   sie ein Unternehmen betreiben, das gemäß § 20 in seinem Betrieb beschränkt oder gesperrt worden ist, oder

6.   sie in Wohnungen oder Gebäuden wohnen, deren Räumung gemäß § 22 angeordnet worden ist, oder

7.   sie in einer Ortschaft wohnen oder berufstätig sind, über welche Verkehrsbeschränkungen gemäß § 24 verhängt worden sind,

und dadurch ein Verdienstentgang eingetreten ist.

(2) Die Vergütung ist für jeden Tag zu leisten, der von der in Abs. 1 genannten behördlichen Verfügung umfaßt ist.

(4) Für selbständig erwerbstätige Personen und Unternehmungen ist die Entschädigung nach dem vergleichbaren fortgeschriebenen wirtschaftlichen Einkommen zu bemessen.

(5) Auf den gebührenden Vergütungsbetrag sind Beträge anzurechnen, die dem Vergütungsberechtigten wegen einer solchen Erwerbsbehinderung nach sonstigen Vorschriften oder Vereinbarungen sowie aus einer anderweitigen während der Zeit der Erwerbsbehinderung aufgenommenen Erwerbstätigkeit zukommen.

(6) Der für das Gesundheitswesen zuständige Bundesminister kann, wenn und soweit dies zur Gewährleistung einer einheitlichen Verwaltungsführung erforderlich ist, durch Verordnung nähere Vorgaben zur Berechnung der Höhe der Entschädigung oder Vergütung des Verdienstentgangs erlassen.

(7) Auf Grund dieser Bestimmung erlassene Bescheide, denen unrichtige Angaben eines Antragstellers über anspruchsbegründende Tatsachen zugrunde liegen, leiden an einem mit Nichtigkeit bedrohten Fehler im Sinne des § 68 Abs. 4 Z 4 AVG.“

§ 33 EpiG:

„Der Anspruch auf Entschädigung gemäß § 29 ist binnen sechs Wochen nach erfolgter Desinfektion oder Rückstellung des Gegenstandes oder nach Verständigung von der erfolgten Vernichtung, der Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß § 32 binnen sechs Wochen vom Tage der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, geltend zu machen, widrigenfalls der Anspruch erlischt.“

§ 49 EpiG:

„(1) Abweichend von § 33 ist der Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges, der aufgrund einer wegen des Auftretens von SARS-CoV-2 ergangenen behördlichen Maßnahme besteht, binnen drei Monaten vom Tag der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, geltend zu machen.

(2) Bereits vor Inkrafttreten dieser Bestimmung laufende und abgelaufene Fristen beginnen mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 62/2020 neu zu laufen.“

Die vorzitierten Bestimmungen standen ausgenommen nachstehend angeführte Novellierungen auch bereits am 11.03.2020 in Kraft:

§ 32 Abs 6 EpiG wurde mit BGBl. I Nr. 43/2020 in Kraft ab 15.05.2020 eingefügt, Abs 7 leg. cit. mit BGBl. I 104/2020 am 25.09.2020. § 49 EpiG wurde mit Novelle BGBl. I Nr.62/2020 ab 08.07.2020 eingefügt.

Am 28.02.2020 erließ der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz nachstehende, bis dato weiterhin in Geltung stehende, auf § 20 Abs 4 EpiG gestützte Verordnung BGBl II 74/2020, deren Art 1 wie folgt lautet:

Die in § 20 Abs. 1-3 Epidemiegesetz 1950, in der jeweils geltenden Fassung, bezeichneten Vorkehrungen können auch bei Auftreten einer Infektion mit SARS-CoV-2 („2019 neuartiges Coronavirus“) getroffen werden.

Als Ende Februar 2020 die ersten Infektionen mit COVID-19 in Österreich festgestellt wurden und angesichts der explosionsartigen Verbreitung der Krankheit in Italien die Notwendigkeit raschen Handelns bestand, wurden ab Anfang März 2020 in einem abgekürzten Gesetzgebungsverfahren eine Vielzahl legistischer Maßnahmen gesetzt, von denen nachstehende für den vorliegenden Fall einschlägig sind:

BGBl I Nr. 12/2020 (COVID-19 Gesetz), Art 8(COVID-19-Maßnahmengesetz) in Kraft ab 16.03.2020:

Die dortigen Regelungen lauteten in der Fassung vom 16.03.2020 auszugsweise wie folgt:

„§ 1. Beim Auftreten von COVID-19 kann der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind.

§ 4. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft.

(2) Hat der Bundesminister gemäß § 1 eine Verordnung erlassen, gelangen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950, BGBl. Nr. 186/1950, betreffend die Schließung von Betriebsstätten nicht zur Anwendung.

(3) Die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 bleiben unberührt.

(4) Verordnungen auf Grund dieses Bundesgesetzes können vor seinem Inkrafttreten erlassen werden, dürfen jedoch nicht vor diesem in Kraft treten.“

Mit BGBl. 16/2020 (2. COVID-19-Gesetz) vom 21.03.2020 wurde in Art 26 § 4 des COVID-19-Maßnahmengesetzes rückwirkend ab 16.03.2020 wie folgt präzisiert:

„3. § 4 Abs. 2 lautet:

(2) Hat der Bundesminister gemäß § 1 eine Verordnung erlassen, gelangen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950, BGBl. Nr. 186/1950, betreffend die Schließung von Betriebsstätten im Rahmen des Anwendungsbereichs dieser Verordnung nicht zur Anwendung.“

4. In § 4 wird nach Abs. 1 folgender Abs. 1a eingefügt:

(1a) Abs. 2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 16/2020 tritt rückwirkend mit 16. März 2020 in Kraft.“

Zeitgleich mit der Stammfassung des COVID-19 Gesetzes, BGBl. I Nr. 12/2020, somit ebenfalls mit Wirksamkeit 16.03.2020, erließ der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz eine auf dieses Gesetz gestützte Verordnung BGBl. II Nr. 96/2020 (Vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19) deren § 1 wie folgt lautete:

„Das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben zum Zweck des Erwerbs von Waren oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder der Benutzung von Freizeit- und Sportbetrieben ist untersagt.“

§ 2 dieser Verordnung enthält eine Reihe von sämtlich für den Betrieb der Beschwerdeführerin nicht anwendbaren Ausnahmeregelungen für die sogenannte kritische Infrastruktur (Apotheken, Lebensmittelhandel, Tankstellen, etc.)

Diese Verordnung war zunächst bis 22.03.2020 befristet, wurde jedoch in weiterer Folge durch weitere Verordnungen des Gesundheitsministers verlängert und auch hinsichtlich ihres Geltungsbereichs ausgeweitet.

Mit Verordnung BGBl. II 151/2020 hat der Gesundheitsminister die COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 gegenüber ihrer Stammfassung unter anderem dahingehend abgeändert, dass mit Ablauf des 13.04.2020 nunmehr durch einen in § 2 neu eingefügten Abs 4 sonstige Betriebsstätten des Handels vom Betretungsverbot ausgenommen wurden, wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m² beträgt. Da die Betriebsstätte der Beschwerdeführerin eine Fläche von mehr als 400 m² hat, blieb für diese das Betretungsverbot gemäß § 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 bis zu der ebenfalls auf das COVID-19-MaßnahmenG gestützten Verordnung des Gesundheitsministers vom 30.04.2020, BGBl. II Nr. 197/2020 (COVID-19-Lockerungsverordnung) aufrecht, mit welcher gemäß § 2 das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten bei Einhaltung bestimmter Vorkehrungen (unter anderem Einhaltung eines Mindestabstandes sowie Tragen eines Mund-Nasenschutzes) wieder gestattet wurde.

Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz vom 11.03.2020 über Veranstaltungsverbote nach § 15 Epidemiegesetz 1950.

Aufgrund des § 15 Epidemiegesetz 1950, BGBl. Nr. 186/1950, zuletzt in der Fassung BGBl. I Nr. 37/2018, wird verordnet:

§ 1 Veranstaltungsverbot

„(1) Verboten sind sämtliche Veranstaltungen mit voraussichtlich mehr als 100 Personen in einem geschlossenen Raum oder mit voraussichtlich mehr als 500 Personen außerhalb geschlossener Räume oder im Freien.

(2) Als Veranstaltung gilt jede Zusammenkunft von Personen, die insbesondere in Betrieben, Unternehmen, Schulen (z.B. Schulausflüge), im hochschulischen Bereich, Kindergärten, zu religiösen Zwecken oder in touristischen Einrichtungen und Sehenswürdigkeiten abgehalten werden.“

§ 2 Ausnahmen vom Veranstaltungsverbot

„(1) Das Verbot des § 1 gilt nicht für Zusammenkünfte

?    allgemeiner Vertretungskörper,

?    der Organe von Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts oder im Rahmen der öffentlichen Verwaltung,

?    der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesheers,

?    der Rettungsorganisationen und der Feuerwehr,

?    in Einrichtungen zur Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung,

?    nach völkerrechtlichen Verpflichtungen,

?    aus Anlass von Betriebsversammlungen.

(2) Das Verbot des § 1 gilt weiters nicht für

?    die Arbeitstätigkeit in Unternehmen,

?    die Befriedigung der Grundbedürfnisse des öffentlichen Lebens, das ist insbesondere der Lebensmittelhandel, Einkaufzentren, gastronomische Einrichtungen hauptsächlich zugelassen für die Verabreichung von Speisen,

?    den öffentlichen Personenverkehr sowie die unmittelbar zum Betrieb gehörenden Einrichtungen und Anlagen.“

§ 3 Kundmachung und zeitlicher Geltungsbereich

„Die Verordnung wurde durch Anschlag an der Amtstafel am 11. März 2020 kundgemacht, tritt mit 11. März 2020 in Kraft und mit 3. April 2020 12 Uhr außer Kraft.“

2.   Judikatur

Die obzitierten Bestimmungen des § 4 Abs 2 BGBl. I Nr. 12/2020 idgF BGBl. I Nr. 16/2020 wurden beim Verfassungsgerichtshof im Rahmen mehrfacher Individualanträge mit der Begründung bekämpft, dass daraus ein sachlich nicht gerechtfertigter Ausschluss des Anspruchs auf Vergütung des Verdienstentganges nach § 32 EpiG resultiere.

Mit Grundsatzerkenntnis vom 14.07.2020, G 202/2020 u.a., hat der Verfassungsgerichtshof diese Anträge sämtlich abgewiesen und somit die Verfassungskonformität dieser Regelungen bestätigt und dazu (Rechtsatz) wie folgt ausgeführt:

„Der VfGH hat in diesem Verfahren lediglich die Frage zu beantworten, ob die durch das Betretungsverbot des § 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 (iVm § 1 COVID-19-MaßnahmenG) bewirkte Eigentumsbeschränkung entschädigungslos vorgesehen werden konnte oder ob den davon betroffenen Unternehmen von Verfassungs wegen ein Anspruch auf Entschädigung eingeräumt werden muss. Die Bestimmungen des COVID-19-MaßnahmenG iVm § 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 bewirkten im Ergebnis, dass keine Betriebsschließungen nach § 20 EpidemieG 1950 angeordnet wurden, weshalb insbesondere Ansprüche auf Vergütung des Verdienstentganges nach § 32 Abs1 Z5 EpidemieG 1950 ausgeschlossen sind.

Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz:

Im Hinblick auf Betretungsverbote von Betriebsstätten, die wegen COVID-19 auf Grundlage des § 1 COVID-19-MaßnahmenG angeordnet werden, kommt eine Vergütung des dadurch entstandenen Verdienstentganges nach § 32 EpidemieG 1950 nicht in Betracht. Der Gesetzgeber schloss die Geltung der Regelungen des EpidemieG 1950 über die Schließung von Betriebsstätten betreffend Maßnahmen nach § 1 COVID-19-MaßnahmenG aus. Mit der Schaffung des COVID-19-MaßnahmenG verfolgte der Gesetzgeber offenkundig (auch) das Anliegen, Entschädigungsansprüche im Fall einer Schließung von Betriebsstätten nach dem EpidemieG 1950, konkret nach § 20 iVm § 32 EpidemieG 1950, auszuschließen.

Der Gesetzgeber hat das Betretungsverbot gemäß § 1 COVID-19-Maßnahmen-verordnung-96 nicht bloß als isolierte Maßnahme erlassen, sondern hat dieses in ein umfangreiches Maßnahmenpaket eingebettet. Der VfGH geht davon aus, dass dem Gesetzgeber in der Frage der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt. Wenn sich der Gesetzgeber daher dazu entscheidet, das bestehende Regime des § 20 iVm § 32 EpidemieG 1950 auf Betretungsverbote nach §1 COVID-19-MaßnahmenG iVm § 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 nicht zur Anwendung zu bringen, sondern stattdessen ein alternatives Maßnahmen- und Rettungspaket zu erlassen, so ist ihm aus der Perspektive des Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art 2 StGG sowie Art 7 B-VG nicht entgegenzutreten.

In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die vom Gesetzgeber vorgesehenen Leistungen zwar (teilweise) im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung (Art17 B-VG) erbracht werden. Aus der Fiskalgeltung der Grundrechte folgt aber, dass Betroffene einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch darauf haben, dass ihnen solche Förderungen in gleichheitskonformer Weise und nach sachlichen Kriterien ebenso wie anderen Förderungswerbern gewährt werden.

Eine unsachliche Differenzierung liegt auch deshalb nicht vor, weil das Betretungsverbot alle in § 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 bezeichneten Betriebsstätten gleichermaßen betrifft. Der Umstand, dass auf Grundlage des § 20 EpidemieG 1950 wegen COVID-19 geschlossene Betriebe vor Inkrafttreten des COVID-19-MaßnahmenG allenfalls einen Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß § 32 EpidemieG 1950 hatten, vermag eine unsachliche Differenzierung nicht aufzuzeigen.

Eine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung liegt auch deshalb nicht vor, weil die Maßnahme der Betriebsschließung nach § 20 EpidemieG 1950 den Maßnahmen wegen der COVID-19-Pandemie nicht ohne weiteres gleichzuhalten ist:

§ 20 und § 32 EpidemieG 1950 berücksichtigen nach Auffassung des VfGH nicht die Notwendigkeit einer großflächigen Schließung aller - oder zumindest einer Vielzahl von - Kundenbereiche(n) von Unternehmen infolge einer Pandemie. Der Gesetzgeber des EpidemieG 1950 ging vielmehr davon aus, dass - im Rahmen einer lokal begrenzten Epidemie - einzelne Betriebsstätten, von denen eine besondere Gefahr ausgeht (so ausdrücklich § 20 Abs1 EpidemieG 1950), geschlossen werden müssen, um ein Übergreifen der Krankheit auf andere Landesteile zu verhindern. Der Nachteil, der diesen (vereinzelten) Betrieben durch eine Betriebsschließung entsteht, soll durch einen Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß § 32 EpidemieG 1950 ausgeglichen werden. Eine großflächige Schließung von Betriebsstätten hatte der Gesetzgeber des EpidemieG 1950 demgegenüber nicht vor Augen.

Kein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz:

Die behauptete nachträgliche Beeinträchtigung einer vom verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz umfassten Vertrauensposition liegt bereits deshalb nicht vor, weil es sich bei der in § 32 EpidemieG 1950 vorgesehenen Vergütung für den Verdienstentgang um keine rechtliche Anwartschaft (sogenanntes "wohlerworbenes Recht") handelt; einem allfälligen Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß § 32 EpidemieG 1950 steht keine Beitragszahlung oder sonstige Leistung des Berechtigten gegenüber.

Auch das in § 4 Abs1a COVID-19-MaßnahmenG vorgesehene rückwirkende Inkrafttreten des § 4 Abs2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I 16/2020 mit 16.03.2020 begegnet aus Sicht des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes keinen Bedenken: Der Ausschluss der Anwendbarkeit der Bestimmungen des EpidemieG 1950 betreffend die Schließung von Betriebsstätten war bereits in der - am 16.03.2020 in Kraft getretenen - Stammfassung des § 4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG, BGBl I 12/2020, enthalten. Mit der Novellierung BGBl I 16/2020 wurde die Bestimmung lediglich insofern präzisiert, als die Bestimmungen des EpidemieG 1950 betreffend die Schließung von Betriebsstätten "im Rahmen des Anwendungsbereiches dieser Verordnung" nach § 1 COVID-19-MaßnahmenG nicht gelten. Eine rückwirkende Beeinträchtigung einer Vertrauensposition ist darin nicht zu erblicken.

Im Übrigen haben die antragstellenden Parteien auch kein Vorbringen erstattet, dass vor dem COVID-19-MaßnahmenG eine Rechtslage bestand, bei der bestimmte Dispositionen - etwa "beträchtliche Investitionen" (vgl VfSlg 12.944/1991) oder sonstige (nunmehr frustrierte) Verhaltensweisen (vgl VfSlg 13.655/1993 betreffend die Bildung von Rücklagen oder VfSlg 15.739/2000 betreffend den vorbereitenden Anteilserwerb) - von Betreibern gewerblicher Unternehmungen iSd § 20 EpidemieG 1950 durch den Gesetzgeber geradezu angeregt und gefördert worden seien, die sich durch das Inkrafttreten des COVID-19-MaßnahmenG als nachteilig erwiesen hätten.“

(Hervorhebung durch LVwG)

Mit Beschluss vom 14.07.2020, G 180/2020 u.a., hat der Verfassungsgerichtshof die Behandlung weiterer Individualanträge hinsichtlich des Fehlens einer Regelung betreffend Entschädigung für den Verdienstentgang gemäß § 4 Abs 2 COVID-19-Maßnahmengesetz unter Hinweis auf das Erkenntnis G 202/2020 mit der Begründung abgelehnt, dass diese keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben.

3. Rechtliche Beurteilung im Anlassfall

Im kurzen Zeitfenster zwischen dem Inkrafttreten der Verordnung BGBl. II Nr. 74/2020 am 01.03.2020, welche die Bestimmungen des § 20 Abs 1-3 EpiG auch auf COVID-19 anwendbar macht, und dem Inkrafttreten des COVID-19-Maßnahmengesetzes BGBl. 12/2020 per 16.03.2020 wäre die belangte Behörde prinzipiell berechtigt gewesen, eine auf § 20 EpiG gestützte Betriebsschließung durchzuführen, was sie allerdings im vorliegenden Fall nicht gemacht hat. Ab diesem Zeitpunkt bestand diese Möglichkeit nicht mehr, da der zuständige Bundesminister von der dortigen Verordnungsermächtigung noch am gleichen Tag mit Erlassung der Verordnung BGBl. II Nr. 96/ 2020 Gebrauch gemacht hat und mit diesem Tag ein bis 30.04.2020 in Geltung befindliches bundesweites Betretungsverbot (=Betriebsschließung) anordnete, mit welchem der formell weiter in Geltung befindliche § 20 EpiG materiell derogiert wurde. Die belangte Behörde hat daher völlig zu Recht keine Betriebsschließung gemäß § 20 EpiG verfügt. Rechtsgrundlage für die Schließung des Betriebes der Beschwerdeführerin sind ab dem 16.03.2020 ausschließlich die Regelungen des COVID-19-Maßnahmengesetzes und die darauf gestützten Verordnungen des Bundesministers, insbesondere jene der Verordnung BGBl. II Nr. 96/2020.

Unstrittig ist, dass die Bestimmungen des EpiG einschließlich jener der §§ 20 und 32 leg. cit. weiterhin in Geltung stehen. Nichts anderes ergibt sich im Übrigen auch aus BGBl. I Nr. 12/2020, wenn es dort in § 4 Abs 3 heißt: „Die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 bleiben unberührt.“ Der Beschwerdeführerin ist auch zuzugestehen, dass sich aus dem Wortlaut des § 4 Abs 2 dieses Gesetzes nicht ausdrücklich ergibt, dass im Falle der Erlassung einer Verordnung des Bundesministers gemäß § 1 dieses Gesetzes ein Entschädigungsanspruch gemäß § 32 EpiG ausgeschlossen ist. Diesbezüglich wird auf die aktuellste Judikatur des VfGH verwiesen, mit welcher er die Behandlung von Beschwerden betreffend die Entschädigung des Verdienstentganges abgelehnt und die Verfahren an den VwGH abgetreten hat. Dies mit dem nochmaligen Hinweis, dass gemäß § 4 Abs 2 COVID-19-Maßnahmengesetz idF BGBl. I Nr. 23/2020 an alle gemäß § 1 leg cit mit Verordnung verfügten Maßnahmen angeknüpft wird und für diese das diesbezügliche Entschädigungsrecht des Epidemiegesetzes 1950 (§ 32 Abs 1 Z 4 und 5 leg cit) ausgeschlossen ist (vgl. VfGH 23.02.2021, E87/2021 und E172/2021).

Zum Regelungsgehalt des § 4 Abs 3 COVID-19-Maßnahmengesetz sprach auch der VwGH ausdrücklich aus, dass diese Bestimmung keine Grundlage für Ersatzansprüche begründet (vgl. VwGH 24.02.2021, Ra 2021/03/0018) – dies weder für sich noch im Zusammenhang mit den auf das COVID-19-Maßnahmengesetz gestützten Verordnungen.

Nach dem klaren Wortlaut des § 32 Abs 1 Z 5 EpiG besteht ein Entschädigungsanspruch nur dann, wenn das betroffene Unternehmen gemäß § 20 EpiG in seinem Betrieb beschränkt oder gesperrt wurde. Diese Voraussetzung, nämlich eine auf das EpiG gestützte Betriebsschließung ist vorliegend nicht erfüllt. Ein Entschädigungsanspruch besteht daher schon dem Grunde nach nicht, weshalb auch keine weiteren Feststellungen hinsichtlich der Höhe des Verdienstentganges getroffen wurden.

Die Beschwerdeführerin leitet ihren Anspruch auf Verdienstentgang aus der Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 11.03.2020 ab. Diese Verordnung wurde auf § 15 EpiG gestützt. Dass die Einschränkungen gleichermaßen für sportliche Veranstaltungen gelten und dadurch betriebliche Tätigkeiten beeinträchtigt wurden, mag durchaus zutreffen; jedoch rechtfertigt diese mittelbare Wirkung nicht die materielle Extendierung der Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 11.03.2020 auf den Anwendungsbereich des § 20 EpiG.

Auch die Rechtsansicht der Beschwerdeführerin, § 20 EpiG sei eine lex specialis gegenüber dem § 15 EpiG sowie, dass § 15 EpiG nur Maßnahmen ohne Auswirkungen auf den Betrieb von Unternehmen erlaube, wird nicht geteilt. Eine Verordnung nach § 15 EpiG – wie im vorliegenden Fall – verbietet Veranstaltungen mit einer bestimmten Personengröße, wobei dies aber Auswirkungen auf sämtliche Unternehmungen im Freizeit-, Sport- und Kulturbereich hat. Damit ist aber nicht die Schließung oder Betriebsbeschränkung von nur einzelnen Betrieben gemeint. Dies wird auch dadurch dokumentiert, dass der Erlass des Gesundheitsministers an alle Landeshauptleute erging und die Bezirksverwaltungsbehörden in ganz Österreich angewiesen wurden entsprechende Verordnungen nach § 15 EpiG zu erlassen.

§ 20 Abs 1 EpiG entspricht im Wortlaut bereits der Stammfassung des Gesetzes betreffend die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten aus 1913 (RGBl Nr. 67/1913), im Laufe der Jahre wurden lediglich weitere Krankheiten in die Aufzählung aufgenommen. Betrachtet man den Wortlaut von § 20 Abs 1 EpiG, so ergibt sich daraus, dass die Bestimmung nicht darauf abzielt, den wirtschaftlichen Schaden des von einer Maßnahme nach EpiG betroffenen Unternehmers auszugleichen, der darin besteht, dass er finanziell schlechter steht, als er ohne den Eingriff stünde, sondern darauf, jenen wirtschaftlichen Schaden auszugleichen, der ihn im Verhältnis zu seinen Mitbewerbern trifft, welche nicht von einer Maßnahme nach EpiG betroffen sind (vgl. dazu auch die Materialien zur Vorgängerbestimmung aus 1913, 22 und 33 Blg StenProtHH XXI. GP). Nach § 1043 ABGB hat derjenige, der in einem Notfall, um größeren Schaden von sich und anderen abzuwenden, sein Eigentum aufgeopfert hat, einen Ausgleichsanspruch in Gefahrengemeinschaft gegen alle, die daraus einen Vorteil zogen (Meissel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1043 mwN (Stand 01.05.2017, rdb.at). In § 1043 ABGB findet der bereits im römischen Recht verankerte Grundsatz der lex Rhodia de iactu seinen Ausdruck.

Da von den Maßnahmen im Zuge der COVID-19-Pandemie alle Unternehmer gleichermaßen betroffen waren, liegt kein dem § 20 Abs 1 EpiG ähnlicher Fall vor. Eine analoge Anwendung von § 20 Abs 1 EpiG ist daher ausgeschlossen:

Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof (VwGH 31.07.2020, Ra 2020/11/0086 mwN) die grundsätzliche Zulässigkeit der Analogie auch im öffentlichen Recht wiederholt anerkannt, dazu aber in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass Voraussetzung hiefür freilich das Bestehen einer echten (d.h. planwidrigen) Rechtslücke ist. Sie ist dort anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig, ist, und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Da das öffentliche Recht, im Besonderen das Verwaltungsrecht, schon von der Zielsetzung her nur einzelne Rechtsbeziehungen unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses zu regeln bestimmt ist, muss eine auftretende Rechtslücke in diesem Rechtsbereich im Zweifel als beabsichtigt angesehen werden. Eine durch Analogie zu schließende Lücke kommt nur dann in Betracht, wenn das Gesetz anders nicht vollziehbar ist oder wenn das Gesetz in eine Regelung einen Sachverhalt nicht einbezieht, auf welchen – unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes und gemessen an den mit der Regelung verfolgten Absichten des Gesetzgebers – eben dieselben Wertungsgesichtspunkte zutreffen wie auf die im Gesetz geregelten Fälle und auf den daher – schon zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich bedenklichen Ungleichbehandlung – auch dieselben Rechtsfolgen angewendet werden müssen (VwGH 08.09.1998, Zl. 96/08/0207; 17.10.2012, Zl. 2012/08/0050).

Nur dann kommt eine analoge Anwendung, die – da sie sich über den klaren Gesetzeswortlaut hinwegsetzt – besonders genauer Begründung bedarf, in Betracht. Immer dann, wenn wie hier, der Gesetzgeber ganz bewusst differenziert (arg § 4 Abs 3 COVID-19-MaßnahmenG), kommt die Anwendung einer Norm per analogiam nicht in Betracht.

Maßnahmen nach § 15 EpiG werden in der taxativen Aufzählung des § 32 Abs 1 leg. cit nicht angeführt, weshalb kein Anwendungsfall des EpiG für einen Verdienstentgang vorliegt. Die Rechtslage bietet jedenfalls keinen Raum für einen analogen Anspruch auf Verdienstentgangersatz gemäß § 32 EpiG. Daran vermag auch die in der Beschwerde vorgenommene Uminterpretierung der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz vom 11.03.2020 nichts zu ändern. Somit besteht auch für den Zeitraum vom 11.03.2020 bis zum Inkrafttreten des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl. Nr. 12/2020 per 16.03.2020 kein Entschädigungsanspruch der Beschwerdeführerin.

Das Verwaltungsgericht hegt auch keine Zweifel daran, dass der Bürgermeister der Stadt Graz mit seiner Verordnung eine solche nach § 15 EpiG erlassen wollte und nicht eine Verordnung nach § 20 Abs 1 EpiG erlassen hat, wodurch gewisse Unternehmungen eingeschränkt bzw. geschlossen worden wären. Die in der Beschwerde vorgenommene, inhaltliche Änderung der Verordnung vom 11.03.2020 (laut Beschwerde „verfassungskonforme Auslegung“) negiert den eindeutigen Wortlaut der Verordnung und stellt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes nur eine der Rechtsansicht der Beschwerdeführerin genehme Uminterpretierung dar. Das Verwaltungsgericht sieht keine Veranlassung die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 11.03.2020 beim Verfassungsgerichtshof anzufechten und wird zu den diesbezüglich vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken auf die zwischenzeitig ergangene Judikatur des Verfassungsgerichtshofes hinsichtlich eines behaupteten Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz, der Grundrechte auf Erwerbsfreiheit sowie Eigentumsfreiheit verwiesen.

Zusammenfassend ist aufgrund der klaren höchstgerichtlichen Judikatur festzuhalten, dass kein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Vergütung für den Verdienstentgang gemäß § 32 EpiG besteht und die von der Beschwerdeführerin dargelegten (verfassungsrechtlichen) Bedenken bzw. Argumente nicht geteilt werden. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark sieht daher keine Veranlassung, der Anregung in der Beschwerde nachzukommen, eine Verordnungsanfechtung beim Verfassungsgerichtshof einzubringen (LVwG Steiermark, 04.05.2021, LVwG 41.18-2738/2020-7).

Die vorliegende Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen. Da der Anspruch bereits dem Grunde nach nicht besteht, war es nicht erforderlich, auf die Höhe der beantragten Entschädigung näher einzugehen.

Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil es bisher keine einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Veranstaltungsverboten nach, § 15 EpiG iVm geltend gemachten Entschädigungsansprüchen gibt.

Schlagworte

Vergütung des Verdienstentganges, Entschädigung, Betriebsbeschränkung, Betriebssperre, Veranstaltungsverbot, Organisation bzw Abhaltung von Veranstaltungen, Zusammenströmen größerer Menschenmengen, bundesweites Betretungsverbot, kein analoger Anspruch

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGST:2021:LVwG.41.8.2736.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.03.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Steiermark LVwg Steiermark, http://www.lvwg-stmk.gv.at
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