Entscheidungsdatum
20.12.2021Norm
KFG 1967 §2 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch MMag. Fally als Einzelrichterin über die Beschwerde des A in ***, ***, vertreten durch B, Rechtsanwalt in ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 27. Jänner 2021, Zl. ***, betreffend Bestrafung nach dem Kraftfahrgesetz 1967 – KFG 1967 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.
2. Die Revision ist nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
zu 1. § 45 Abs. 1 Z 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG
zu 2. Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz – B-VG
§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG
Entscheidungsgründe
1. Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling (in der Folge: belangte Behörde) vom 27. Jänner 2021, Zl. ***, wurde A (in der Folge: Beschwerdeführer) für schuldig erkannt, am 6. Oktober 2020 um 14:00 Uhr im Gemeindegebiet ***, ***,
1. ein näher bezeichnetes Fahrzeug gelenkt zu haben, obwohl dieses nicht zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassen gewesen sei;
2. sich als Lenker, obwohl es ihm zumutbar gewesen sei, vor Antritt der Fahrt nicht davon überzeugt zu haben, dass das von ihm verwendete Fahrzeug den Vorschriften des KFG 1967 entspricht, weil festgestellt wurde, dass für die selbstfahrende Arbeitsmaschine keine vorgeschriebene Haftpflichtversicherung bestanden habe, und
3. ein Kraftfahrzeug, welches mit einem näher bezeichneten Probefahrtkennzeichen versehen war, verwendet zu haben, obwohl es sich um keine Probefahrt gehandelt habe, weil die Probefahrtkennzeichen nicht für die Fahrzeugart bewilligt gewesen seien.
Über den Beschwerdeführer wurden daher Geldstrafen verhängt, und zwar zu den Spruchpunkten 1. und 2. in Höhe von jeweils 70 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: jeweils 14 Stunden) und zu Spruchpunkt 3. in Höhe von 150 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 30 Stunden). Darüber hinaus wurde ihm ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens in Höhe von 35 Euro vorgeschrieben.
In ihrer Begründung zitierte die belangte Behörde die im Verfahren abgegebenen Stellungnahmen und führte aus, dass sie die Verwaltungsübertretung aufgrund der Angaben des Meldungslegers und der Tatsache, dass es sich „um keinen Kraftwagen im Sinne der Geschäftsausübung“ gehandelt habe, sondern dieser für rein private Zwecke genutzt worden sei und es sich um keine erlaubte Probefahrt oder Überstellung im Rahmen des Betriebes gehandelt habe, als erwiesen ansehe. Zum Verschulden verwies sie auf § 5 Abs. 1 VStG. Der Entlastungsbeweis sei nicht gelungen. Mildernd oder erschwerend wurde kein Umstand gewertet.
2. Zum Beschwerdevorbringen
In seiner rechtzeitigen Beschwerde brachte der Beschwerdeführer vor, die ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht verwirklicht zu haben.
Zu Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides führte er aus, dass keine rechtswidrige Verwendung eines nicht zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassenen Fahrzeugs vorliege. Das Fahrzeug sei mit einem näher bezeichneten Probefahrtkennzeichen ausgestattet gewesen und habe daher für Probefahrten auf öffentlichen Straßen verwendet werden dürfen. Die gegenständliche selbstfahrende Arbeitsmaschine sei ein nicht zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassenes Kraftfahrzeug, das unter den gesetzlichen Voraussetzungen Probe gefahren werden dürfe. In der Zulassung zum gegenständlichen Kennzeichen seien Probefahrten mit Kraftwagen bewilligt. Eine selbstfahrende Arbeitsmaschine sei ein Kraftwagen, weil es sich um ein mehrspuriges Kraftfahrzeug mit mindestens vier Rädern handle. Die Fahrt mit der Arbeitsmaschine sei daher von der Bewilligung im Zulassungsschein umfasst gewesen. Der Beschwerdeführer sei vom Haus des Geschäftsführers in *** zum Firmensitz in *** gefahren. Durch diese Fahrt sei das Fahrzeug zur unternehmenseigenen Betriebsstätte überführt worden, was jedenfalls als Probefahrt anzusehen sei. § 36 lit. a KFG 1967 knüpfe an die Voraussetzungen der Bestimmung nach § 54 KFG 1967 an, wonach Kraftfahrzeuge auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet werden dürften, wenn mit ihnen behördlich bewilligte Probefahrten durchgeführt würden. Bereits aus diesen Gründen liege keine der vorgeworfenen Übertretungen vor, weshalb das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen sei.
Zu Spruchpunkt 2. brachte der Beschwerdeführer vor, dass für die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung keine objektivierbaren Beweisergebnisse vorgelegt worden seien. Die selbstfahrende Arbeitsmaschine sei durch Anbringung der Probefahrtkennzeichen, welche für dieses Fahrzeug im Zulassungsschein behördlich bewilligt seien, ordnungsgemäß bei der C AG (in der Folge: C) haftpflichtversichert gewesen. Er verwies diesbezüglich auf das Abfrageergebnis der vom Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs geführten Datenbank der Kfz-Haftpflichtversicherer für den Tatzeitpunkt. Da der Beschwerdeführer den objektiven Tatbestand nicht verwirklicht habe, sei das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.
Zu Spruchpunkt 3. verwies der Beschwerdeführer auf seine Darstellung, wonach es sich um eine Probefahrt gehandelt habe.
Im Übrigen führte der Beschwerdeführer unter Darlegung der Bestimmung des § 33a VStG aus, dass im konkreten Fall ein geringes Verschulden und eine geringfügige Beeinträchtigung des geschützten Rechtsgutes vorliege und daher gemäß § 33a Abs. 1 VStG vorzugehen und von der Verhängung einer Strafe abzusehen gewesen wäre. Sollte das Verwaltungsstrafverfahren nicht schon aufgrund der bisher genannten Gründe eingestellt werden, sei nach § 45 Abs. 1 Z 4 VStG eine Ermahnung auszusprechen.
3. Zum durchgeführten Ermittlungsverfahren
Die C teilte dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit E-Mail vom 15. November 2021 mit, dass für Probefahrtkennzeichen Art. 21 Punkt 3 der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung – AKHB gilt.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat am 16. November 2021 in Abwesenheit eines Vertreters der belangten Behörde eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt und Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in den Verwaltungsstrafakt der belangten Behörde zur Zahl ***, den Verwaltungsgerichtsakt und die im Zuge der Verhandlung vorgelegten Unterlagen (*** der E vom 4. Dezember 2020, 20. Ergänzung zur Polizzennummer ***; Strafverfügung der belangten Behörde vom 10. Oktober 2020, Zl. ***, sowie Verständigung von der Einstellung des Strafverfahrens betreffend Herrn D; Niederschrift über die Zeugeneinvernahme des Beschwerdeführers vom 16. April 2021 durch die Landespolizeidirektion Wien; zwei Kontoauszüge Nr. 1 der C vom 1. Jänner 2020, Kundenkonto-Nr. ***) sowie durch Befragung der Zeugen F und D und der Zeugin G.
Mit E-Mail vom 23. November 2021 übermittelte der Zeuge D dem Landesverwaltungsgericht vereinbarungsgemäß diverse Versicherungsunterlagen betreffend das gegenständliche Probefahrtkennzeichen.
Mit Fax vom 6. Dezember 2021 äußerte sich der Beschwerdeführer dahingehend zu den Versicherungsunterlagen, dass die Rechtsschutzversicherung der C zu *** das Vorliegen des Versicherungsschutzes zum Zeitpunkt der Anhaltung zweifelsfrei bestätige. Der Beschwerdeführer habe den objektiven Tatbestand des unter Spruchpunkt 2 angezeigten Tatvorwurfs nicht verwirklicht. Das Verwaltungsstrafverfahren sei daher einzustellen und das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben.
Die belangte Behörde gab zu den Versicherungsunterlagen keine Stellungnahme ab.
4. Feststellungen
Der Beschwerdeführer lenkte am 6. Oktober 2020 um 14:00 Uhr das Fahrzeug der Marke J. C. Bamford (JCB), Type 3CX-4, mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer (FIN) *** im Gemeindegebiet von *** auf Höhe der ***. Das gegenständliche mehrspurige Fahrzeug wird auf Straßen verwendet, durch technische Energie angetrieben und ist nicht an Gleise gebunden. Es hat vier Rädern und ist nach seiner Bauart und Ausrüstung ausschließlich oder vorwiegend zur Durchführung von nicht in der Beförderung von Personen oder Gütern auf Straßen bestehenden Arbeitsvorgängen bestimmt. Das Fahrzeug ist nicht zum Verkehr zugelassen.
Am 6. Oktober 2020 war das Probefahrtkennzeichen *** am gegenständlichen Fahrzeug montiert, welches der H Gesellschaft m.b.H. zugewiesen wurde.
Der (mittlerweile pensionierte) Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt des gegenständlichen Vorfalls der dienstälteste Mechaniker der H Gesellschaft m.b.H. Der Zeuge D ist einer der handelsrechtlichen Geschäftsführer dieser Firma. Das gegenständliche Fahrzeug befindet sich normalerweise am Firmenstandort in ***, ***, und wird dort sowie am gegenüberliegenden Firmenareal der H Gesellschaft m.b.H. hauptsächlich für den Winterdienst verwendet. Seit Sommer 2020 stand die Arbeitsmaschine jedoch auf dem Grundstück des Zeugen D, weil er sie für diverse private Arbeiten benötigte. Der Zeuge D beauftragte den Beschwerdeführer, das Fahrzeug zurück zum Firmenstandort zu bringen, um es in der firmeneigenen Werkstatt zu überprüfen und auf den Winterdienst vorzubereiten. Die Arbeitsmaschine wurde dort in der Folge auch instandgesetzt (Reparatur des Radlagers).
Die H Gesellschaft m.b.H. verfügt über eine größere Anzahl an Fahrzeugen und über folgende Gewerbeberechtigungen:
- Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen, beschränkt auf die Verwendungen von 80 Kraftfahrzeugen
- Speditionsgewerbe
- Personenbeförderungsgewerbe mit Pkw – Taxi, mit 2 Pkw und
- Personenbeförderungsgewerbe mit Pkw – Taxi, mit 1 Pkw.
Für die gegenständliche Fahrt bestand der erforderliche Versicherungsschutz durch eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung der C.
5. Beweiswürdigung
Die Feststellungen zur Lenkeigenschaft des Beschwerdeführers, zu Zeit und Ort des Vorfalls, zum Probefahrtkennzeichen und zur fehlenden Zulassung zum Verkehr beruhen auf der Anzeige der Landespolizeidirektion Niederösterreich (in der Folge: LPD NÖ) vom 6. Oktober 2020, Zl. ***, und sind nicht strittig. Unstrittig sind weiters Marke, Type und FIN des gegenständlichen Fahrzeugs, welche auf dem Foto auf S. 8 der Lichtbildbeilage der LPD NÖ vom 6. Oktober 2020, Zl. ***, dokumentiert sind. Die Verwendung des Fahrzeugs auf Straßen ist durch die gegenständliche Anhaltung des Fahrzeugs auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr belegt. Die Beschreibung des Fahrzeugs beruht auf dem Foto auf S. 6 der genannten Lichtbildbeilage, das einen großen Bagger, Reifen und die für Arbeitsmaschinen typische Bauart erkennen lässt. Das hinter der Windschutzschreibe angebrachte gegenständliche Probefahrtkennzeichen ist auf diesem sowie auf dem Foto auf S. 7 der gegenständlichen Lichtbildbeilage sichtbar.
Die „Zulassungsbescheinigung“ des Probefahrtkennzeichens weist die H Gesellschaft m.b.H. als Bewilligungsinhaberin aus.
Dass der Beschwerdeführer mittlerweile in Pension ist, wurde von seinem Vertreter vorgebracht und deckt sich auch mit den Angaben des Zeugen D im Anschluss an seine Vernehmung. Auf den glaubwürdigen Ausführungen dieses Zeugen beruhen die Ausführungen zur Stellung des Beschwerdeführers in der H Gesellschaft m.b.H., zum üblichen Standort und zur gewöhnlichen Verwendung des gegenständlichen Fahrzeugs. Der Zeuge hat auch freimütig angegeben, dass (und warum) sich das Fahrzeug bei ihm zu Hause befand und er dem Beschwerdeführer den Auftrag gegeben hat, das Fahrzeug in die firmeneigene Werkstatt zu überführen, wo es repariert wurde. Auch der Beschwerdeführer hat bei seiner zeugenschaftlichen Einvernahme durch die LPD NÖ am 16. April 2021 angegeben, dass das Fahrzeug bei seinem Chef stand und in der Firma komplett begutachtet werden sollte. Nicht erwähnt hat er allerdings, und zwar weder in seiner Rechtfertigung vom 20. November 2020 noch in seiner Beschwerde vom 26. Februar 2021 oder bei seiner Einvernahme am 16. April 2021, dass bereits die Fahrt in die Firma der technischen Überprüfung des Fahrzeugs dienen sollte, weshalb auch keine entsprechenden Feststellungen getroffen wurden.
Die Aussagen von F und G stehen nicht in Widerspruch zu dem als erwiesen angenommen Sachverhalt. Beide haben übereinstimmend angegeben, dass der Beschwerdeführer mit dem Fahrzeug vom Privatgrundstück seines Chefs kam und das Fahrzeug nun zur Firma zurückbringen wollte. Was er dort damit vorhatte, wurde nicht erhoben bzw. war bei der Vernehmung nicht mehr erinnerlich.
Die Stellung des Zeugen D in der H Gesellschaft m.b.H. ist im Firmenbuch eingetragen. Die Gewerbeberechtigungen dieser Firma sind im GISA aufgelistet (GISA-Zahlen ***, ***, ***, *** und ***). Dass die H Gesellschaft m.b.H. über eine größere Anzahl an Fahrzeugen verfügt, ergibt sich schon allein daraus, dass in den vorgelegten Kontoauszügen der C vom 1. Jänner 2020 Dutzende Kennzeichen aufscheinen. Darüber hinaus hat der Zeuge D glaubwürdig und in Hinblick auf die zahlreichen Gewerbeberechtigungen nachvollziehbar dargelegt, dass die Firma drei Mechaniker angestellt hat.
Das Vorliegen des erforderlichen Versicherungsschutzes ist zum einen durch den Auszug auf der Datenbank der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer für den 6. Oktober 2020 (S. 6 der Beschwerde), zum anderen durch die Versicherungsurkunde Nr. *** der C vom 1. Februar 2016 und den Kontoauszug Nr. *** der C vom 1. Jänner 2020, Kundenkonto-Nr. ***, Beilage D zur Verhandlungsschrift, nachgewiesen.
6. Erwägungen
6.1 Zu den Spruchpunkten 1. und 3. des angefochtenen Bescheides
Gemäß § 36 lit. a KFG 1967 dürfen Kraftfahrzeuge auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nur verwendet werden, wenn sie zum Verkehr zugelassen sind oder mit ihnen behördlich bewilligte Probe- oder Überstellungsfahrten durchgeführt werden.
Nach den Feststellungen war das gegenständliche Fahrzeug nicht zum Verkehr zugelassen und führte Probefahrtkennzeichen.
Die Durchführung von Probefahrten mit nicht zum Verkehr zugelassenen Kraftfahrzeugen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr bedarf einer behördlichen Bewilligung (vgl. § 45 Abs. 1 erster Satz KFG 1967).
Gemäß § 45 Abs. 1 zweiter Satz KFG 1967 sind Probefahrten Fahrten zur Feststellung der Gebrauchsfähigkeit oder der Leistungsfähigkeit von Fahrzeugen oder ihrer Teile oder Ausrüstungsgegenstände oder Fahrten, um Fahrzeuge vorzuführen. Darüber hinaus gelten unter anderem auch Fahrten zur Überführung eines Fahrzeuges an einen anderen Ort im Rahmen des Geschäftsbetriebes (§ 45 Abs. 1 dritter Satz Z 1 KFG 1967) als Probefahrten.
Gemäß § 45 Abs. 4 KFG 1967 ist bei der Erteilung der im Abs. 1 angeführten Bewilligung auch auszusprechen, welche Kennzeichen bei den Probefahrten zu führen sind. Diese Kennzeichen sind Probefahrtkennzeichen (§ 48 Abs. 3) und dürfen nur bei Probefahrten geführt werden. Über die Erteilung der im Abs. 1 angeführten Bewilligung ist dem Antragsteller eine Bescheinigung, der Probefahrtschein, auszustellen.
Aus dem systematischen Zusammenhang zwischen dem ersten und dem zweiten Satz des § 45 Abs. 4 KFG 1967 ergibt sich, dass die Durchführung von Fahrten mit Probefahrtkennzeichen nicht nur voraussetzt, dass die Merkmale des zweiten oder dritten Satzes des § 45 Abs. 1 KFG 1967 (Legaldefinition des Begriffs „Probefahrt“) vorliegen, sondern darüber hinaus auch, dass es sich um eine zulässige Probefahrt handelt, d.h. dass einer den Merkmalen des zweiten oder dritten Satzes des § 45 Abs. 1 KFG 1967 entsprechenden Fahrt eine Bewilligung nach § 45 Abs. 1 KFG 1967 zugrunde liegt, was seinerseits voraussetzt, dass es sich um eine Fahrt im Rahmen des gewerblichen Betriebes des Besitzers der Bewilligung nach § 45 Abs. 1 KFG 1967 handelt (VwGH vom 27. September 1989, Zl. 88/03/0158).
Da eine Bewilligung zur Durchführung von Probefahrten unter anderem dann zu erteilen ist, wenn sich der Antragsteller zur Versorgung einer größeren Anzahl von Fahrzeugen des eigenen Betriebes mit der Instandsetzung von Kraftfahrzeugen befasst (vgl. § 45 Abs. 3 Z 1 Unterpunkt 1.1. KFG 1967), ist davon auszugehen, dass auch jene Fahrten im Rahmen des Geschäftsbetriebes des Inhabers der Probefahrtbewilligung erfolgen, die dazu dienen, im Rahmen der Geschäftstätigkeit des Inhabers der Probefahrtbewilligung verwendete, nicht zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassene, sondern für die Verwendung auf dem Betriebsgelände bestimmte Fahrzeuge des Inhabers der Probefahrtbewilligung zu einer betriebsinternen Werkstätte zur Instandsetzung zu bringen.
Dies war nach den Feststellungen gegenständlich der Fall.
Die Fahrt wurde zudem vom Geschäftsführer der H Gesellschaft m.b.H., die Inhaberin der Probefahrtbewilligung und Dienstgeberin des Beschwerdeführers ist, in Auftrag gegeben. Die Fahrt in die Firma diente auch nicht privaten Zwecken. Der Beschwerdeführer hat das Fahrzeug zwar von der Privatadresse des Zeugen D abgeholt, wo es von diesem für private Zwecke verwendet wurde. § 45 Abs. 1 Z 1 KFG 1967 stellt jedoch auf die „Überführung eines Fahrzeugs an einen anderen Ort im Rahmen des Geschäftsbetriebes“ ab. Ziel der Überführung war die Verbringung des gegenständlichen Fahrzeugs an den Firmensitz, sohin „an einen anderen Ort“, und zwar, um das Fahrzeug dort zu überprüfen und instand zu setzen. Dies ist, wie oben dargelegt, im gegenständlichen Fall dem Geschäftsbetrieb der Inhaberin der Probefahrtbewilligung zuzurechnen.
Bei der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Fahrt handelt es sich zwar um keine Probefahrt im engeren Sinn. Sie galt jedoch aufgrund von § 45 Abs. 1 Z 1 erster Fall KFG 1967 als Probefahrt. Die Probefahrtkennzeichen wurden daher zu Recht geführt. Es liegt weder eine Verletzung des § 36 lit. a KFG 1967 noch des § 45 Abs. 4 zweiter Satz leg. cit. vor.
6.2 Zu Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides
Gemäß § 36 lit. d KFG 1967 dürfen Kraftfahrzeuge auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nur verwendet werden, wenn für sie die vorgeschriebene Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (§ 59) oder Haftung (§ 62) besteht.
Laut Datenbank der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer war das gegenständliche Fahrzeug am 6. Oktober 2020 bei der C versichert. Die Versicherungsurkunde vom 1. Februar 2016 wurde vorgelegt. Das gegenständliche Kennzeichen scheint im Kontoauszug vom 1. Jänner 2020 auf, sodass davon auszugehen ist, dass die Prämie für 2020 entrichtet wurde. Gemäß Art. 21 Punkt 3 der AKHB besteht Versicherungsschutz für das Fahrzeug, an dem jeweils die Kennzeichentafeln mit dem Probefahrtkennzeichen angebracht sind, wenn sich der Versicherungsvertrag auf Probefahrtkennzeichen bezieht. Auf Probefahrten ist Artikel 9.1.1. – Vereinbarungen über die Verwendung des Fahrzeuges sind einzuhalten – sinngemäß, Artikel 10 – als Erhöhung der Gefahr anzusehende Umstände – hingegen nicht anzuwenden. Da, wie zu Punkt 6.1 dargelegt, eine Probefahrt vorlag, war auch von einem entsprechenden Versicherungsschutz auszugehen.
Auch die Auflage bzw. behördliche Eintragung in der „Zulassungsbescheinigung“ des gegenständlichen Probefahrtkennzeichens steht dem nicht entgegen. Dieser ist zu entnehmen, dass der Probefahrtschein „für Probefahrten mit Kraftwagen und Anhängern“ bewilligt ist.
Beim gegenständlichen Fahrzeug handelt es sich um einen Kraftwagen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 3 KFG 1967.
§ 2 Abs. 1 Z 3 KFG 1967 definiert einen Kraftwagen als „ein mehrspuriges Kraftfahrzeug mit mindestens vier Rädern“. Aus den Feststellungen ergibt sich, dass es sich beim gegenständlichen Fahrzeug um ein Kraftfahrzeug handelt, schließlich wird es auf Straßen verwendet, durch technisch freigemachte Energie angetrieben und ist nicht an Gleise gebunden. Auf dem Foto auf S. 6 der Lichtbildbeilage der LPD NÖ ist eindeutig erkennbar, dass es sich um ein mehrspuriges Kraftfahrzeug mit vier Rädern handelt. Auch wenn die einzelnen Begriffsbestimmungen des § 2 Abs. 1 KFG 1967 immer wieder auf Begriffe dieser Bestimmung Bezug nehmen, sind die einzelnen Definitionen nicht systematisch im Sinne eines „Stufenbaus“ zu lesen, sondern stehen – im Kontext der verwendeten und definierten Begriffe – für sich. Dass das gegenständliche Fahrzeug aufgrund der Feststellungen als selbstfahrende Arbeitsmaschine im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 21 KFG 1967 einzustufen ist („Kraftfahrzeug, das nach seiner Bauart und Ausrüstung ausschließlich oder vorwiegend zur Durchführung von nicht in der Beförderung von Personen oder Gütern auf Straßen bestehenden Arbeitsvorgängen bestimmt ist“), bedeutet daher nicht, dass es sich um keinen Kraftwagen handeln kann.
Als mehrspuriges Kraftfahrzeug mit mindestens vier Rädern ist die gegenständliche Arbeitsmaschine als Kraftwagen zu qualifizieren. Die Auflage bzw. behördliche Eintragung in der „Zulassungsbescheinigung“ wurde daher eingehalten. Es liegt somit keine Verletzung des § 36 lit. d KFG 1967 vor.
7. Zur nicht erfolgten Verkündung der Entscheidung
Eine Verkündung im Anschluss an die mündliche Verhandlung am 16. November 2021 war nicht möglich, weil der Zeuge D wichtige Versicherungsunterlagen nachreichen musste. Die belangte Behörde verzichtete bereits mit Schreiben vom 26. Februar 2021 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Der Beschwerdeführervertreter verzichtete ausdrücklich auf die Erörterung der Polizze im Rahmen einer fortgesetzten mündlichen Verhandlung sowie auf die mündliche Verkündung des Erkenntnisses. Dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde wurde die Möglichkeit eingeräumt, sich zu den Versicherungsunterlagen binnen angemessener Frist zu äußern, wovon der Beschwerdeführer auch Gebrauch machte.
Der Beschwerdeführer kann daher durch die Unterlassung der mündlichen Verkündung in seinen Rechten nicht verletzt sein (vgl. z.B. VwGH vom 3. Mai 2021, Zl. Ra 2020/03/0146, m.w.N.).
Es ist gewährleistet, dass jedermann in das Erkenntnis Einsicht nehmen kann.
8. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Entscheidung stützt sich auf die zitierte einheitliche Rechtsprechung bzw. die klare und eindeutige Rechtslage (zur Unzulässigkeit der Revision bei klarer Rechtslage vgl. z.B. VwGH vom 15. Mai 2019, Zl. Ro 2019/01/0006).
Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. z.B. VwGH vom 11. März 2021, Zl. Ra 2021/18/0059) und sohin eine krasse Fehlbeurteilung vorliegt (vgl. z.B. VwGH vom 16. Juni 2021, Zl. Ra 2021/01/0106). Dies ist im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.
Schlagworte
Verkehrsrecht; Kraftfahrrecht; Verwaltungsstrafe; Zulassung; Probefahrt; Kraftwagen; selbstfahrende Arbeitsmaschine;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.S.442.001.2021Zuletzt aktualisiert am
28.03.2022