TE Vfgh Erkenntnis 2022/3/7 V260/2021 (V260/2021-13)

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Veröffentlicht am 07.03.2022
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Index

L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art139 Abs1 Z2
StGG Art2
Nö ROG 2014 §29, §30, §31, §33, §34
Bebauungsplan des Gemeinderats der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 25.09.2019
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch unterschiedliche Festlegung der hinteren Baufluchtlinie für ein Grundstück; Bebauungsmöglichkeit an der hinteren Grundstücksgrenze im Gegensatz zur straßenseitigen Bebaubarkeit von in gleicher Lage befindlichen Grundstücken bevorzugt den Liegenschaftseigentümer; keine dem Verordnungsakt entnehmbare Grundlagenforschung hinsichtlich der dadurch entstehenden Einschränkung der unbebauten (Garten-)Fläche

Spruch

I. Die 28. Änderung des Bebauungsplanes und digitale Neugestaltung idF der 9.A Änderung des digitalen Bebauungsplanes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf, beschlossen vom Gemeinderat der Marktgemeinde Perchtoldsdorf am 25. September 2019 und kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel von 26. September 2019 bis 10. Oktober 2019, soweit dieser für das Grundstück Nr 1019/66, EZ 4038, KG 16121 Perchtoldsdorf, die Festsetzung der hinteren Baufluchtlinie vorsah, war gesetzwidrig.

II. Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Niederösterreich verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E4418/2020 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Die im Anlassfall beschwerdeführende Partei ist Eigentümerin des Grundstückes Nr 1019/55, EZ 6297, KG 16121 Perchtoldsdorf, und Nachbarin des im Anlassfall zu bebauenden Grundstückes Nr 1019/66, EZ 4038, KG 16121 Perchtoldsdorf, das südlich direkt an das Grundstück der im Anlassfall beschwerdeführenden Partei angrenzt.

1.2. Die im Anlassfall beteiligten Parteien stellten am 5. August 2019 beim Bürgermeister der Marktgemeinde Perchtoldsdorf einen Antrag auf Erteilung einer baubehördlichen Bewilligung zur Errichtung von zwei Wohngebäuden samt Nebengebäuden (Garage, Abstellraum und Gerätehütte) und von baulichen Anlagen (Carport, Terrassenüberdachungen sowie straßenseitige Einfriedung). Die im Anlassfall beschwerdeführende Partei hat dagegen am 6. Dezember 2019 Einwendungen erhoben. Es wurde vorgebracht, dass das geplante Hauptgebäude mit lediglich 2,6 m Abstand zur Grundstücksgrenze der im Anlassverfahren beschwerdeführenden Partei errichtet werden solle. Die benachbarten Grundstücke hätten – im Unterschied zu dem zu bebauenden Grundstück – eine hintere Baufluchtlinie von ca. 13 m zur jeweiligen hinteren Grundstücksgrenze.

1.3. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 23. Jänner 2020 wurde den im Anlassfall beteiligten Parteien die begehrte Baubewilligung erteilt. Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass für das verfahrensgegenständliche Grundstück die hintere Baufluchtlinie im Bereich der hinteren Grundstücksgrenze verlaufe. Diese Baufluchtlinie sei seit der Erlassung des ersten Bebauungsplanes im Jahr 1981 unverändert festgelegt. Die Tatsache, dass auf den seitlich angrenzenden Nachbargrundstücken östlich und westlich die hintere Baufluchtlinie anders festgelegt sei, habe nichts mit dem verfahrensgegenständlichen Grundstück zu tun.

1.4. Gegen diesen Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Perchtoldsdorf hat die im Anlassfall beschwerdeführende Partei mit Eingabe vom 6. Februar 2020 Berufung erhoben. Auf Grund dieser Berufung wurde das Bauvorhaben abgeändert. Der neue durchschnittliche Grenzabstand zur hinteren Grundstücksgrenze betrug nunmehr 3,63 m. Mit Schreiben vom 28. April 2020 wurde die im Anlassfall beschwerdeführende Partei über die Projektänderungen informiert und ihr wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

1.5. Mit Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 10. Juni 2020 wurde in Spruchpunkt I. die Berufung der im Ausgangsverfahren beschwerdeführenden Partei zurückgewiesen und in Spruchpunkt II. die beantragte Baubewilligung unter Vorschreibung von Auflagen erteilt.

1.6. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit Erkenntnis vom 19. November 2020 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Begründend führte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich aus, dass nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung der Berufung Gegenstand des Erkenntnisses sei. Die im Anlassfall beschwerdeführende Partei habe keine zulässigen Einwendungen im Sinne des Gesetzes (§6 Abs1 und 2 NÖ BO 2014) erhoben, weshalb sie ihre Parteistellung verloren habe. Auf das übrige Beschwerdevorbringen sei deshalb nicht mehr einzugehen.

2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des im Spruch genannten Bebauungsplanes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf, soweit dieser für das Grundstück Nr 1019/66, EZ 4038, KG 16121 Perchtoldsdorf, die Festsetzung der hinteren Baufluchtlinie vorsah, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 29. September 2021 beschlossen, diese Verordnungsbestimmung von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"3.1.2. Der im Spruch genannte Bebauungsplan der Marktgemeinde Perchtoldsdorf scheint für das Grundstück Nr 1019/66, KG 16121 Perchtoldsdorf, den Verlauf der hinteren Baufluchtlinie entlang der hinteren Grundstücksgrenze vorzusehen, wohingegen für die an das verfahrensgegenständliche Grundstück angrenzenden Grundstücke eine hintere Baufluchtlinie im Abstand von ca. 13 m zur hinteren Grundstücksgrenze vorgesehen ist.

3.1.3. Der Verordnungsgeber scheint bezüglich der Bebaubarkeit von in grundsätzlich gleicher Lage befindlichen Grundstücken einen Liegenschaftseigentümer ohne konkrete, bei der Planung offengelegte zwingende Gründe gegenüber anderen bevorzugt zu haben. Er scheint einem eine besonders günstige Bebauung (Möglichkeit des Anbaues an die hintere Grundstücksgrenze) ermöglicht, anderen hingegen – als Folge dieser Bevorzugung – den Umfang der Bebaubarkeit beschränkt zu haben (vgl zur Festlegung unterschiedlicher Bauklassen zB VfSlg 13.570/1993).

3.1.4. Im Verordnungsprüfungsverfahren wird zu klären sein, ob die in der Gegenschrift des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vorgebrachte Begründung, die abweichende Festsetzung der hinteren Baufluchtlinie am Grund-stück Nr 1019/66, KG 16121 Perchtoldsdorf, sei der Sache nach gerechtfertigt, weil die Festlegung der hinteren Baufluchtlinie auf den ersten Bebauungsplan der Marktgemeinde Perchtoldsdorf aus dem Jahr 1981 zurückgehe und entsprechend des bewilligten Bestandes festgesetzt und in der Folge beibehalten worden sei.

3.2. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass eine hinreichende sachliche Begründung im vorliegenden Fall nicht verwirklicht ist:

3.2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat der Erstellung und der Änderung eines Bebauungsplanes eine ordnungsgemäße Grundlagenforschung sowie Interessenabwägung voranzugehen (vgl zB VfSlg 19.007/2010, 19.980/2015; VfGH 1.3.2021, V47/2019). Die Grundlagenforschung trägt dabei auch dem Charakter des Raumordnungsrechtes als planmäßige und vorausschauende Gesamtgestaltung eines bestimmten Gebietes Rechnung (vgl zB VfSlg 2674/1954).

3.2.2. Der Verordnungsgeber hat im Rahmen dessen bei seiner Planung den bisherigen Bestand zu berücksichtigen (vgl zB VfSlg 13.180/1992). In der Raumplanung, die sich naturgemäß auf die zukünftige Ausgestaltung richtet, liegt es jedoch auch innerhalb des dem Verordnungsgeber zukommenden Planungsermessens, die Planung in einem gewissen Widerspruch zu den bestehenden Gegebenheiten vorzunehmen (vgl zB VfGH 24.6.2021, V18/2019 ua, insb. mit Hinweis auf VfSlg 13.502/1993).

3.2.3. Ob bei der Erlassung des Bebauungsplanes eine ausreichende Grundlagenforschung und Interessenabwägung, welche den bestehenden Baubestand sowie zukünftige Planungsinteressen berücksichtigt, stattgefunden hat, wird im Verordnungsprüfungsverfahren zu klären sein. Den vorliegenden Verordnungsakten kann bisher weder entnommen werden, dass dies bei Erlassung des Bebauungsplanes noch bei einer in Folge vorgenommenen Änderung des Flächenwidmungsplanes berücksichtigt wurde.

3.2.4. Damit im Zusammenhang stehend wird im Verordnungsprüfungsverfahren ebenso zu klären sein, ob der Verordnungsgeber, um dem Gleichheitsgrundsatz zu entsprechen, die Festsetzung der hinteren Baufluchtlinie auf dem Grundstück Nr 1019/66, KG 16121 Perchtoldsdorf, im Bebauungsplan unter Berücksichtigung einer zukünftigen Bebauung auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück – trotz zum Zeitpunkt der Erlassung des Bebauungsplanes vorhandenen Baubestandes – entsprechend den an das verfahrensgegenständliche Grundstück angrenzenden Grundstücken hätte festsetzen müssen.

3.2.5. Die Festsetzung der hinteren Baufluchtlinie auf dem Grundstück Nr 1019/66, KG 16121 Perchtoldsdorf, wurde – wie in der Gegenschrift des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde ausgeführt wird – beibehalten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes dürfte daher die Gesetzwidrigkeit des ersten Bebauungsplanes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf aus dem Jahr 1981 auch zur Gesetzwidrigkeit der im Spruch genannten Fassung des Bebauungsplanes führen (vgl zB VfSlg 17.743/2005, 20.357/2019; VfGH 10.12.2020, V338/2020)."

4. Die verordnungserlassende Behörde hat die Akten betreffend das Zustandekommen der in Prüfung gezogenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken zusammengefasst wie folgt entgegengetreten wird:

Die verordnungserlassende Behörde führt der Sache nach aus, dass im Rahmen der Grundlagenforschung auch die tatsächlichen Gegebenheiten – damit auch der zum Zeitpunkt der Erlassung des Bebauungsplanes bestehende Baubestand – zu berücksichtigen sei. Dementsprechend habe die verordnungserlassende Behörde bei der Erlassung des ersten Bebauungsplanes im Jahr 1981 den auf dem Grundstück im Jahr 1971 bewilligten und zum Zeitpunkt der Erlassung des Bebauungsplanes bestehenden Baubestand berücksichtigt und dementsprechend die Festsetzung der hinteren Baufluchtlinie vorgenommen. Diese Vorgehensweise habe man auch bei anderen Grundstücken gewählt, weshalb auch diese keine hintere Baufluchtlinie aufweisen würden. Die gegenständliche Festsetzung sei bis zur 10. Änderung des Bebauungsplanes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf, abgesehen von der Kenntlichmachung von Entfernungsangaben durch die 8. Änderung des Bebauungsplanes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf, beibehalten worden. Die Festsetzung am bestehenden Baubestand auszurichten, sei sinnvoll, weil dadurch der Schutz rechtmäßig bewilligter Gebäude sowie deren mögliche Veränderungen auch zukünftig sichergestellt werden könne. Die verordnungserlassende Behörde habe damit nicht willkürlich gehandelt bzw könne jedenfalls davon ausgegangen werden, dass die Festsetzung der hinteren Baufluchtlinie auf dem Grundstück Nr 1019/66, EZ 4038, KG 16121 Perchtoldsdorf, sachlich gerechtfertigt sei.

Ungeachtet dessen sei zu berücksichtigen, dass es durch die Festsetzung der hinteren Baufluchtlinie auf dem Grundstück Nr 1019/66, EZ 4038, KG 16121 Perchtoldsdorf, zu keiner Begünstigung der im Anlassfall beteiligten Parteien komme, weil unabhängig von der Festsetzung der Baufluchtlinie im gesamten Gebiet der zu bebauenden Liegenschaft eine einheitliche Baudichte (25 %) vorgesehen sei, sodass auch den im Anlassfall beteiligten Parteien keine Bebauung in anderem bzw größerem Umfang gestattet werde, sondern nur die Situierung des Gebäudes in Frage stehe.

Weiters sei darauf hinzuweisen, dass aus §34 NÖ ROG 2014 auch keine Verpflichtung zur Änderung des Bebauungsplanes bei Veränderung der tatsächlichen Gegebenheiten folge, sodass eine Anpassung des Bebauungsplanes nicht habe erfolgen müssen.

Zudem sei auch darauf aufmerksam zu machen, dass der aus dem Gleichheitsgrundsatz erfließende Vertrauensschutz im gegenständlichen Verordnungsprüfungsverfahren zu berücksichtigen sei. Die im Anlassfall beteiligten Parteien, welche die Liegenschaft im Jahr 2018 erworben hätten, hätten gutgläubig auf einen ordnungsgemäß bestehenden Bestand des Bebauungsplanes vertraut, weshalb von einer Aufhebung des Bebauungsplanes Abstand zu nehmen sei.

Abschließend sei darauf hinzuweisen, dass es ohnehin durch die mittlerweile beschlossene und in Kraft getretene 10. Änderung des Bebauungsplanes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf zu einer Anpassung der hinteren Baufluchtlinie auf dem Grundstück Nr 1019/66, EZ 4038, KG 16121 Perchtoldsdorf, gekommen sei.

5. Die Niederösterreichische Landesregierung hat als Aufsichtsbehörde ebenfalls Verordnungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Äußerung aber verzichtet.

6. Die im Anlassfall beschwerdeführende Partei hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie im Wesentlichen die im Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes dargelegten Bedenken betreffend die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnung, soweit diese für das Grundstück Nr 1019/66, EZ4038, KG 16121 Perchtoldsdorf, die Festsetzung der hinteren Baufluchtlinie vorsah, aufgreift.

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des NÖ Raumordnungsgesetzes 2014 (NÖ ROG 2014), LGBl 3/2015, idF LGBl 71/2018 lauteten auszugsweise:

"IV. Abschnitt

Bebauungsplan

§29

Erlassung des Bebauungsplans

(1) Von den Ergebnissen der Grundlagenforschung ausgehend und auf Grund des örtlichen Raumordnungsprogrammes, insbesonders seiner Zielsetzung, hat der Bebauungsplan die Regeln für

- die Bebauung und

- die Verkehrserschließung

festzulegen.

Dabei ist auf die Ortsbildgestaltung und die Umwelt Rücksicht zu nehmen.

(2) Ein Bebauungsplan darf für

- den gesamten Gemeindebereich

- einzelne Ortschaften oder

- abgrenzbare Teilbereiche

erlassen werden.

Abgrenzbare Teilbereiche sind z. B. Altstadt- und andere Stadtviertel, die durch überörtliche Verkehrsflächen, Flussläufe u. dgl. augenscheinlich getrennt sind, aber auch neu aufgeschlossene Baulandbereiche und Aufschließungszonen.

(3) Der Bebauungsplan besteht aus dem Wortlaut der Verordnung (Bebauungsvorschriften) und den dazugehörigen Plandarstellungen.

(4) Die näheren Bestimmungen über die Ausführung und die äußere Form der Plandarstellungen, die Maßstäbe, das Material und die Planzeichen werden mit Verordnung der Landesregierung festgelegt.

(5) Die Eigentümer haben das Betreten ihrer Liegenschaften durch den Verfasser des Bebauungsplans oder dessen Beauftragten sowie die erforderlichen Vermessungen und sonstigen Feststellungen zu gestatten. Für einen allfälligen Schaden steht dem Geschädigten eine Entschädigung durch die Gemeinde zu.

§30

Inhalt des Bebauungsplans

(1) Im Bebauungsplan sind für das Bauland festzulegen:

1. die Straßenfluchtlinien,

2. die Bebauungsweise und

3. die Bebauungshöhe oder die höchstzulässige Gebäudehöhe.

Weiters ist entlang des Baulandes das Straßenniveau in der Straßenfluchtlinie von neuen Verkehrsflächen festzulegen. Bei Grundstücken, deren gesamte Bebauung unter Denkmalschutz steht, genügt die Festlegung der Straßenfluchtlinie.

(2) Im Bebauungsplan dürfen neben den in Abs1 vorgesehenen Regelungen für das Bauland festgelegt werden:

1. Schutzzonen für einen baukünstlerisch oder historisch erhaltungswürdigen Baubestand,

2. sonstige erhaltungswürdige Altortgebiete,

3. die harmonische Gestaltung (§56 NÖ BO 2014, LGBl Nr 1/2015) der Bauwerke in Ortsbereichen,

4. Baufluchtlinien,

5. Mindestmaße von Bauplätzen,

6. Bebauungsdichte oder höchstzulässige Geschoßflächenzahl (§4 Z17 NÖ BO 2014, LGBl Nr 1/2015),

7. Freiflächen und deren Ausgestaltung,

8. Anbaupflicht an Straßen- oder Baufluchtlinien sowie an Grundstücksgrenzen,

9. Straßenfluchtlinien, an denen Ein- und Ausfahrten aus Gründen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs nicht zugelassen oder an besondere Vorkehrungen gebunden werden,

10. die Lage und das Ausmaß von privaten Abstellanlagen, eine von §63 Abs1 NÖ BO 2014, LGBl Nr 1/2015 in der geltenden Fassung, abweichende Anzahl von Stellplätzen für Kraftfahrzeuge, eine Regelung der Anzahl und Breite der Ein- und Ausfahrten im Wohnbauland gemäß §63 Abs2 NÖ Bauordnung 2014, LGBl Nr 1/2015 in der geltenden Fassung, sowie eine Abweichung von der nach §65 Abs1 NÖ BO 2014, LGBl Nr 1/2015 in der geltenden Fassung, festgelegten Anzahl von Fahrrad-Stellplätzen,

11. das Verbot der Errichtung von Tankstellen und Abstellanlagen für Kraftfahrzeuge in Schutzzonen und erhaltungswürdigen Altortgebieten, sowie der regelmäßigen Verwendung von Grundstücken oder Grundstücksteilen als Stellplätze für Fahrzeuge und Anhänger,

12. die Anordnung und Ausgestaltung von Fußgängerzonen und dazugehörigen Abstellanlagen für Kraftfahrzeuge,

13. die Gestaltung der Einfriedung von Grundstücken gegen öffentliche Verkehrsflächen oder Parks, die Verpflichtung zum Bau solcher Einfriedungen oder deren Verbot, die Festlegung einer Mindestgeschoßhöhe für das Erdgeschoß und das Verbot eines unterirdischen Geschoßes (§4 Z16 NÖ BO 2014, LGBl Nr 1/2015 in der geltenden Fassung),

14. das Gebot der Herstellung von Arkaden für Durchgänge oder von Durchfahrten, wenn dies zur Ortsbildgestaltung erforderlich ist,

15. die Anordnung und Gestaltung oder das Verbot von Nebengebäuden und von Anlagen, deren Verwendung der von Gebäuden gleicht,

16. die Anordnung und Gestaltung oder das Verbot von Werbeanlagen,

17. das Bezugsniveau gemäß §4 Z11a der NÖ Bauordnung 2014, LGBl Nr 1/2015 in der geltenden Fassung, ein Gebot zur verpflichtenden Herstellung des Bezugsniveaus, die Beschränkung oder das Verbot der Veränderung der Höhenlage des Geländes,

18. ein erhöhter baulicher Schallschutz der Außenbauteile,

19. Zonen, in denen eine Versickerung von Niederschlagswässern von versiegelten Flächen oder Dachflächen in einem anzugebenden Ausmaß eingeschränkt oder untersagt wird,

20. Zonen, in denen die Ableitung von Niederschlagswässern von versiegelten Flächen oder Dachflächen in einem dafür vorgesehenen Kanal oder in einem Vorfluter untersagt oder in einem anzugebenden Ausmaß eingeschränkt wird,

21. Maßnahmen zur Sicherung von Altlasten oder Verdachtsflächen, welche sowohl vor als auch im Zuge der späteren Bebauung des Grundstückes durchzuführen sind.

(3) Der Bebauungsplan darf die in den Absätzen 1 und 2 angeführten Regelungen, soweit dies zur Erreichung der Zielsetzung des örtlichen Raumordnungsprogrammes erforderlich ist, auch für das Grünland und für Bauwerke auf Verkehrsflächen treffen. Auch die Ausgestaltung der bestehenden und der geplanten Verkehrsflächen darf im Bebauungsplan geregelt werden.

(4) Im Bebauungsplan sind kenntlich zu machen:

- die Widmungsarten laut Flächenwidmungsplan,

- die von rechtswirksamen überörtlichen Planungen erfassten und die nutzungsbeschränkten Flächen,

- die Aufschließungszonen und Vorbehaltsflächen,

- die Lage zentraler Anlagen bestehender öffentlicher Einrichtungen zur Versorgung oder Entsorgung im Bauland (Hochbehälter, Kläranlage, Umspannanlage, Müllbeseitigungsanlage, Deponie und dgl.),

- Grundstücksgrenzen und -nummern nach dem Stand der Katastralmappe sowie - der Baubestand mit einer für den Bebauungsplan ausreichenden Genauigkeit. Das Niveau bestehender Verkehrsflächen darf kenntlich gemacht werden.

§31

Regelung der Bebauung

(1) – (4) […]

(5) Im Bebauungsplan darf festgelegt werden, dass bestimmte Baufluchtlinien auch als Abgrenzungen innerhalb eines Planungsbereiches gelten, über die ausnahmslos nicht hinausgebaut werden darf (absolute Baufluchtlinie).

(6) Die vorderen Baufluchtlinien sind an Straßenseiten, an denen bereits die Mehrzahl der Bauplätze bebaut ist, entsprechend dem Abstand dieser Bebauung von der Straßenfluchtlinie festzulegen. Ist die Mehrzahl der Bauplätze noch nicht bebaut, muss die Entfernung der vorderen Baufluchtlinien voneinander soviel betragen, dass die ausreichende Belichtung (§4 Z3 NÖ BO 2014, LGBl Nr 1/2015) der Hauptfenster gegenüberliegender zulässiger Gebäude und der Brandschutz gewährleistet ist. Erfordert die Verkehrssicherheit besondere Sichtverhältnisse, ist dies bei der Festlegung der vorderen Baufluchtlinie zu beachten.

(7) – (9) […]"

"§33

Verfahren zur Erlassung des Bebauungsplans

(1) Der Entwurf des Bebauungsplans ist vor dem Gemeinderatsbeschluss durch 6 Wochen im Gemeindeamt (Magistrat) zur allgemeinen Einsicht aufzulegen. Die Auflegung ist öffentlich kundzumachen. Jedermann ist berechtigt, innerhalb der Auflegungsfrist zum Entwurf schriftlich Stellung zu nehmen. In der Kundmachung ist auf diese Möglichkeit ausdrücklich hinzuweisen. Mit Beginn der Auflage sind eine Ausfertigung des Entwurfs des Bebauungsplans und die Ergebnisse der Grundlagenforschung der Landesregierung vorzulegen.

(2) Die Eigentümer der vom Bebauungsplan betroffenen Grundstücke sind über die Auflage zu verständigen. Die fehlende Verständigung der Grundstückseigentümer hat keinen Einfluss auf das gesetzmäßige Zustandekommen des Bebauungsplans. Die Landesregierung hat der Gemeinde binnen 12 Wochen allfällige Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit des Entwurfs mitzuteilen.

(3) Der Bebauungsplan ist vom Gemeinderat zu beschließen. Rechtzeitig abgegebene Stellungnahmen sind hiebei in Erwägung zu ziehen.

(4) Eine mit der Kundmachungsklausel versehene Ausfertigung des Bebauungsplans ist dem Amt der Landesregierung zu übermitteln.

(5) Der Bebauungsplan ist im Gemeindeamt (Magistrat) während der Amtsstunden der allgemeinen Einsicht zugänglich zu halten.

(6) Durch die Bestimmungen des Abs1 vierter Satz und des Abs5 wird das Verordnungsprüfungsverfahren im Sinne §88 NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl 1000 in der geltenden Fassung, und §70 NÖ Stadtrechtsorganisationsgesetz, LGBl 1026 in der geltenden Fassung, nicht ersetzt.

§34

Änderung des Bebauungsplans

(1) Der Bebauungsplan ist dem geänderten örtlichen Raumordnungsprogramm anzupassen, wenn seine Festlegungen von der Änderung berührt werden. Der Bebauungsplan darf abgeändert oder durch einen neuen ersetzt werden

1. wegen wesentlicher Änderung der Planungsgrundlagen in Folge struktureller Entwicklung oder

2. zur Abwehr schwerwiegender wirtschaftlicher Nachteile für die in der Gemeinde verkörperte Gemeinschaft oder

3. wenn sich eine Festlegung als gesetzwidrig herausstellt oder

4. wenn die gesetzlichen Bestimmungen über den Regelungsinhalt geändert wurden. Regulierungspläne, die nach §5 der Bauordnung für NÖ, LGBl Nr 36/1883, erlassen wurden, dürfen ersatzlos behoben werden.

(2) Für das Verfahren gelten die Bestimmungen des §33 sinngemäß.

(3) Bauverfahren, die im Zeitpunkt der Kundmachung der Auflegung des Entwurfs (§33 Abs1) bereits anhängig waren, werden durch die Änderung des Bebauungsplans nicht berührt."

III. Erwägungen

1. Das Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art139 Abs1 Z2 B-VG ist zulässig:

1.1. Die Marktgemeinde Perchtoldsdorf äußert Bedenken bezüglich der Präjudizialität des in Prüfung gezogenen Bebauungsplanes. Zum einen führt sie aus, dass nicht die 9.A Änderung, sondern die 9. Änderung des Bebauungsplanes, die bei Einleitung des Bauverfahrens in Kraft stand, anzuwenden sei. Zum anderen, dass die Verordnung vom Verfassungsgerichtshof ohnehin nicht anzuwenden sei, weil sie für das gegenständliche Bauverfahren keine Relevanz besitze. Ausführlich begründet dies der Gemeinderat der Marktgemeinde Perchtoldsdorf der Sache nach damit, dass die subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte gemäß §6 Abs2 NÖ BO 2014 abschließend aufgezählt seien und der im Anlassfall beschwerdeführenden Partei nach dieser Bestimmung kein Recht zukomme, wonach sie die Festsetzung der Baufluchtlinie im Bebauungsplan beanstanden könne.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof erkennt über die Gesetzmäßigkeit von Rechtsvorschriften von Amts wegen, wenn er die Vorschrift in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte (Art139 Abs1 Z2 B-VG). Bei einer auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde sind grundsätzlich Normen präjudiziell, die im Anlassfall denkmöglich angewendet wurden (vgl VfSlg 4625/1963, 5373/1966, 8999/1980), die im Anlassfall – unabhängig davon, ob das Verwaltungsgericht dieser Verpflichtung nachgekommen ist – anzuwenden waren (vgl zB VfSlg 3307/1958, 4571/1963, 5598/1967, 8647/1979, zuletzt VfSlg 16.116/2001 mwN) oder Normen, die im zweiten Rechtsgang anzuwenden wären (vgl VfSlg 10.617/1985).

1.3. Dem Anlassfall liegt eine Nachbarbeschwerde zugrunde. Die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich erging am 19. November 2020. Zu diesem Zeitpunkt stand die 28. Änderung des Bebauungsplanes und digitale Neugestaltung idF der 9.A Änderung des digitalen Bebauungsplanes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf in Kraft (Auflagebeschluss: 15.5.2019, Auflage: 16.5.2019 bis 27.6.2019, Gemeinderatsbeschluss: 25.9.2019, Kundmachung: 26.9.2019 bis 10.10.2019; vgl hingegen zur 9. Änderung: Auflagebeschluss: 5.10.2017 und 7.3.2018, Auflage: 6.10.2017 bis 17.11.2017 und 1.2.2018 bis 15.3.2018, Gemeinderatsbeschluss: 21.3.2018, Kundmachung: 27.8.2018 bis 10.9.2018).

Die im Anlassfall beschwerdeführende Partei erhob im Beschwerdeverfahren Einwendungen gegen die Situierung des Bauprojektes an der hinteren Baufluchtlinie. Bereits im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Einwendungen der beschwerdeführenden Partei ist der im Spruch genannte Bebauungsplan der Marktgemeinde Perchtoldsdorf anzuwenden gewesen, ungeachtet dessen, dass das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Zurückweisung der Berufung bestätigt hat.

2. Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes konnten im Verordnungsprüfungsverfahren nicht zerstreut werden:

2.1. Der Gleichheitsgrundsatz bindet den Verordnungsgeber (vgl dazu zB VfSlg 12.171/1989 mwN, 17.960/2006, 19.033/2010) und setzt ihm insofern Schranken, als er es verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl zum Sachlichkeitsgebot bei Gesetzen zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt ein solcher Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ua dann vor, wenn die verordnungserlassende Behörde bezüglich der Bebaubarkeit von in grundsätzlich gleicher Lage befindlichen Grundstücken einen Liegenschaftseigentümer ohne konkrete, bei der Planung offengelegte zwingende Gründe gegenüber anderen bevorzugt oder einem eine besonders günstige Bebauung ermöglicht, dem anderen hingegen die Bebauung überhaupt versagt wird (vgl zur Festlegung unterschiedlicher Bauklassen VfSlg 13.570/1993; zudem VfSlg 14.629/1996, 17.571/2005, 20.081/2016).

2.2. Der im Spruch genannte Bebauungsplan der Marktgemeinde Perchtoldsdorf sieht für das Grundstück Nr 1019/66, EZ 4038, KG 16121 Perchtoldsdorf, den Verlauf der hinteren Baufluchtlinie entlang der hinteren Grundstücksgrenze vor, wohingegen für die an das verfahrensgegenständliche Grundstück angrenzenden Grundstücke eine hintere Baufluchtlinie im Abstand von ca. 13 m zur hinteren Grundstücksgrenze vorgesehen ist. Eine solche Situierung der hinteren Baufluchtlinie ist auf den meisten Grundstücken des umgebenden Baugebietes vorgesehen. Es handelt sich um ein durch rasterförmig angelegte Straßen aufgeschlossenes Wohngebiet mit offener Bauweise, bei dem im Allgemeinen durch die Festlegung der hinteren Baufluchtlinie eine Bebauung jeweils im vorderen, der Straße zugewandten Grundstücksbereich vorgesehen ist.

2.3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat der Erstellung und der Änderung eines Bebauungsplanes eine ordnungsgemäße Grundlagenforschung sowie Interessenabwägung voranzugehen (vgl zB VfSlg 19.007/2010, 19.980/2015; VfGH 1.3.2021, V47/2019). Die Grundlagenforschung trägt dabei auch dem Charakter des Raumordnungsrechtes als planmäßige und vorausschauende Gesamtgestaltung eines bestimmten Gebietes Rechnung (vgl zB VfSlg 2674/1954).

Der Verordnungsgeber hat im Rahmen dessen bei seiner Planung zwar den bisherigen Bestand zu berücksichtigen (vgl zB VfSlg 13.180/1992). Die Raumplanung richtet sich naturgemäß aber auf die zukünftige Ausgestaltung, weswegen es zu den Aufgaben des Verordnungsgebers gehört, auch Veränderungen des Bestandes, solange er nicht von rechtskräftigen Bewilligungen gesichert ist, für die Zukunft vorzusehen, wenn dies im Interesse der Planungsziele liegt (vgl zB VfGH 24.6.2021, V18/2019 ua, insb. mit Hinweis auf VfSlg 13.502/1993).

2.4. Der Bebauungsplan sieht im fraglichen Bebauungsgeviert – das aus rechteckigen, straßenparallelen Grundstücken besteht, die an der straßenabgewandten Seite jeweils aneinandergrenzen – generell eine einige Meter vor der hinteren Grundstücksgrenze verlaufende Baufluchtlinie vor, sodass hinter den Häusern beidseits der Grundstücksgrenze, also in der Mitte der Straßengevierte, eine unbebaute (Garten-)Fläche entsteht. Lediglich bei jenen Grundstücken, bei denen dieser Raum zum Zeitpunkt der Planung bebaut war, wurde die hintere Baufluchtlinie mit der Grundstücksgrenze (im Ergebnis) zusammengelegt. Daraus ist die grundsätzliche Planungsabsicht zu erkennen, dass die Gebäudesituierung im straßenzugewandten, vorderen Grundstücksteil stattfinden soll, um so einen größeren Abstand zu dem Gebäude auf dem hinten angrenzenden, zur nächsten Parallelstraße gerichteten Grundstück sowie eine größere unbebaute Fläche, die gartenmäßig gestaltbar ist, und eine geringere wechselseitige Beeinträchtigung der Wohngebäude zu erreichen.

2.5. Diese Anordnung der Bebauung entspricht zweifellos den für die Bebauungsplanung geltenden Zielen, die zu verfolgen der Verordnungsgeber im Rahmen seines Ermessens frei ist.

Allerdings kann den Verordnungsakten nicht entnommen werden, aus welchen übergeordneten Gründen dieses Planungsziel hinsichtlich einzelner, zum Zeitpunkt der Planung bestehender Häuser durchbrochen wurde. Deren Bestand ist durch die Rechtskraft bestehender Bewilligungen gesichert. Es bedürfte aber einer besonderen Begründung, aus welchen Gründen die für die umliegenden Grundstücke geltenden Situierungsvorschriften von Gebäuden für eine neue Bebauung nicht gelten sollen, kommt es dadurch doch zu einer ungleichen Behandlung von Grundeigentümern im Falle der Neubebauung der Grundstücke. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass die Freihaltung des inneren Bereiches des Straßengeviertes gleicherweise im Interesse aller Eigentümer liegt und sie umgekehrt in gleicher Weise in ihren Interessen im Falle einer neuen oder Erweiterung einer bestehenden Bebauung beschränkt sind.

Dies betrifft nicht nur die Situierung des Bauwerkes, sondern die insgesamt mögliche Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Grundfläche. Soweit die verordnungserlassende Behörde darauf verweist, dass diese Ausnutzbarkeit durch die für alle Grundstücke gleiche Bebauungsdichte von 0,25 geregelt sei, lässt dies außer Acht, dass im Ergebnis eine durch die hintere Baufluchtlinie begrenzte Bebaubarkeit zu einer geringeren Bebaubarkeit als diese Höchstbaudichte führen kann, wie im Anlassfall dargelegt wird.

Soweit die verordnungserlassende Behörde darauf verweist, dass in der Umgebung auch in anderen Bebauungsgevierten ein hinter der neu festgelegten hinteren Baufluchtlinie existierender Bestand berücksichtigt worden sei, vermag dies nichts daran zu ändern, dass nicht erkennbar ist, welche Planungsziele – abgesehen vom Interesse der insofern begünstigten Grundeigentümer – diese Durchbrechung der Baufluchtlinie rechtfertigen.

2.6. Der Verordnungsgeber hat damit bezüglich der Bebaubarkeit von in grundsätzlich gleicher Lage befindlichen Grundstücken einen Liegenschaftseigentümer gegenüber anderen bevorzugt. Er ermöglicht einem eine besonders günstige Bebauung (Möglichkeit des Anbaues an die hintere Grundstücksgrenze), anderen hingegen hat er – als Folge dieser Bevorzugung – den Umfang der Bebaubarkeit beschränkt (vgl zur Festlegung unterschiedlicher Bauklassen zB VfSlg 13.570/1993, zudem VfSlg 14.629/1996, 17.571/2005, 20.081/2016).

2.7. Die Festsetzung der hinteren Baufluchtlinie auf dem Grundstück Nr 1019/66, EZ 4038, KG 16121 Perchtoldsdorf, wurde – wie auch die verordnungserlassende Behörde selbst ausführt – in den folgenden Bebauungsplänen beibehalten, mit Ausnahme dessen, dass nach Erteilung der Baubewilligung im Anlassverfahren die hintere Baufluchtlinie entsprechend dem Verlauf auf den Nachbargrundstücken festgesetzt wurde. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes führt die Gesetzwidrigkeit des ersten Bebauungsplanes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf aus dem Jahr 1981 auch zur Gesetzwidrigkeit der im Spruch genannten Fassung des Bebauungsplanes (vgl zB VfSlg 17.743/2005, 20.357/2019; VfGH 10.12.2020, V338/2020).

Der im Spruch genannte Bebauungsplan der Marktgemeinde Perchtoldsdorf war deshalb gesetzwidrig.

Der Verfassungsgerichtshof verkennt jedoch nicht, dass durch die – nicht präjudizielle – 10. Änderung des digitalen Bebauungsplanes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf, mittlerweile eine Anpassung der hinteren Baufluchtlinie auf dem Grundstück Nr 1019/66, EZ 4038, KG 16121 Perchtoldsdorf, erfolgt ist, was sich im fortgesetzten Anlassverfahren auswirkt.

IV. Ergebnis

1. Der im Spruch genannte Bebauungsplan, soweit dieser für das Grundstück Nr 1019/66, EZ 4038, KG 16121 Perchtoldsdorf, die Festsetzung der hinteren Baufluchtlinie vorsah, war gesetzwidrig.

2. Die Verpflichtung der Niederösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches erfließt aus Art139 Abs5 zweiter Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 Z6 NÖ Verlautbarungsgesetz 2015, LGBl 0700-0, idF LGBl 69/2021.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Bebauungsplan, Grundlagenforschung, Bebauungsvorschriften, Verordnung, Raumplanung örtliche, Baurecht, Nachbarrechte, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:V260.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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