RS Vfgh 2022/3/7 V260/2021 (V260/2021-13)

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Veröffentlicht am 07.03.2022
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Index

L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art139 Abs1 Z2
StGG Art2
Nö ROG 2014 §29, §30, §31, §33, §34
Bebauungsplan des Gemeinderats der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 25.09.2019
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch unterschiedliche Festlegung der hinteren Baufluchtlinie für ein Grundstück; Bebauungsmöglichkeit an der hinteren Grundstücksgrenze im Gegensatz zur straßenseitigen Bebaubarkeit von in gleicher Lage befindlichen Grundstücken bevorzugt den Liegenschaftseigentümer; keine dem Verordnungsakt entnehmbare Grundlagenforschung hinsichtlich der dadurch entstehenden Einschränkung der unbebauten (Garten-)Fläche

Rechtssatz

Gesetzwidrigkeit der 28. Änderung des Bebauungsplanes und digitale Neugestaltung idF der 9.A Änderung des digitalen Bebauungsplanes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf, Gemeinderatsbeschluss vom 25.09.2019, soweit dieser für das Grundstück Nr 1019/66, EZ4038, KG 16121 Perchtoldsdorf, die Festsetzung der hinteren Baufluchtlinie vorsah.

Der Bebauungsplan sieht im fraglichen Bebauungsgeviert - das aus rechteckigen, straßenparallelen Grundstücken besteht, die an der straßenabgewandten Seite jeweils aneinandergrenzen - generell eine einige Meter vor der hinteren Grundstücksgrenze verlaufende Baufluchtlinie vor, sodass hinter den Häusern beidseits der Grundstücksgrenze, also in der Mitte der Straßengevierte, eine unbebaute (Garten-)Fläche entsteht. Lediglich bei jenen Grundstücken, bei denen dieser Raum zum Zeitpunkt der Planung bebaut war, wurde die hintere Baufluchtlinie mit der Grundstücksgrenze (im Ergebnis) zusammengelegt. Daraus ist die grundsätzliche Planungsabsicht zu erkennen, dass die Gebäudesituierung im straßenzugewandten, vorderen Grundstücksteil stattfinden soll, um so einen größeren Abstand zu dem Gebäude auf dem hinten angrenzenden, zur nächsten Parallelstraße gerichteten Grundstück sowie eine größere unbebaute Fläche, die gartenmäßig gestaltbar ist, und eine geringere wechselseitige Beeinträchtigung der Wohngebäude zu erreichen.

Diese Anordnung der Bebauung entspricht zweifellos den für die Bebauungsplanung geltenden Zielen, die zu verfolgen der Verordnungsgeber im Rahmen seines Ermessens frei ist.

Den Verordnungsakten kann nicht entnommen werden, aus welchen übergeordneten Gründen dieses Planungsziel hinsichtlich einzelner, zum Zeitpunkt der Planung bestehender Häuser durchbrochen wurde. Deren Bestand ist durch die Rechtskraft bestehender Bewilligungen gesichert. Es bedürfte aber einer besonderen Begründung, aus welchen Gründen die für die umliegenden Grundstücke geltenden Situierungsvorschriften von Gebäuden für eine neue Bebauung nicht gelten sollen, kommt es dadurch doch zu einer ungleichen Behandlung von Grundeigentümern im Falle der Neubebauung der Grundstücke. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass die Freihaltung des inneren Bereiches des Straßengeviertes gleicherweise im Interesse aller Eigentümer liegt und sie umgekehrt in gleicher Weise in ihren Interessen im Falle einer neuen oder Erweiterung einer bestehenden Bebauung beschränkt sind.

Dies betrifft nicht nur die Situierung des Bauwerkes, sondern die insgesamt mögliche Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Grundfläche. Soweit die verordnungserlassende Behörde darauf verweist, dass diese Ausnutzbarkeit durch die für alle Grundstücke gleiche Bebauungsdichte von 0,25 geregelt sei, lässt dies außer Acht, dass im Ergebnis eine durch die hintere Baufluchtlinie begrenzte Bebaubarkeit zu einer geringeren Bebaubarkeit als diese Höchstbaudichte führen kann, wie im Anlassfall dargelegt wird.

Soweit die verordnungserlassende Behörde darauf verweist, dass in der Umgebung auch in anderen Bebauungsgevierten ein hinter der neu festgelegten hinteren Baufluchtlinie existierender Bestand berücksichtigt worden sei, vermag dies nichts daran zu ändern, dass nicht erkennbar ist, welche Planungsziele - abgesehen vom Interesse der insofern begünstigten Grundeigentümer - diese Durchbrechung der Baufluchtlinie rechtfertigen.

Der Verordnungsgeber hat damit bezüglich der Bebaubarkeit von in grundsätzlich gleicher Lage befindlichen Grundstücken einen Liegenschaftseigentümer gegenüber anderen bevorzugt. Er ermöglicht einem eine besonders günstige Bebauung (Möglichkeit des Anbaues an die hintere Grundstücksgrenze), anderen hingegen hat er - als Folge dieser Bevorzugung - den Umfang der Bebaubarkeit beschränkt.

Die Festsetzung der hinteren Baufluchtlinie auf dem Grundstück Nr 1019/66, EZ4038, KG 16121 Perchtoldsdorf, wurde - wie auch die verordnungserlassende Behörde selbst ausführt - in den folgenden Bebauungsplänen beibehalten, mit Ausnahme dessen, dass nach Erteilung der Baubewilligung im Anlassverfahren die hintere Baufluchtlinie entsprechend dem Verlauf auf den Nachbargrundstücken festgesetzt wurde. Nach der stRsp des VfGH führt die Gesetzwidrigkeit des ersten Bebauungsplanes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf aus dem Jahr 1981 auch zur Gesetzwidrigkeit der im Spruch genannten Fassung des Bebauungsplanes (vgl VfGH 10.12.2020, V338/2020).

(Anlassfall E4418/2020, E v 18.03.2022; Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Bebauungsplan, Grundlagenforschung, Bebauungsvorschriften, Verordnung, Raumplanung örtliche, Baurecht, Nachbarrechte, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:V260.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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