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Baurecht - WienNorm
AVG §45 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden, Senatspräsidenten Dr. Werner, und die Hofräte Dr. Hrdlitzka, Dr. Krzizek, Dr. Striebl und Dr. Skorjanec als Richter, im Beisein des Schriftführers, Bezirksrichters Dr. Gottlich, über die Beschwerde des LM und der MM, beide in W, gegen die Bauoberbehörde für Wien (Bescheid des Wiener Magistrates im selbständigen Wirkungsbereich vom 4. Dezember 1961, Zl. M.Abt. 64 - B - XIV - 13/61), betreffend Erteilung baupolizeilicher Aufträge, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Am 10. Februar 1960 legte der Verwalter des im Eigentum der Beschwerdeführer stehenden Hauses Wien XIV, L-Straße - eines zweigeschossigen Vordergebäudes mit einem linken Seitengebäude - dem Wiener Magistrat Abteilung 37, Außenstelle für den XIII. und XIV. Bezirk, ein Gutachten der A Gesellschaft m.b.H. vom 9. Februar 1960 über den Bauzustand dieses Hauses vor, in dem es heißt, nach der durchgeführten Deckenuntersuchung sei eine Pölzung der gesamten Decke des Obergeschosses und der Decke über dem Erdgeschoß erforderlich. Auch das Fundamentmauerwerk der hofseitigen Außenmauer weise Risse bis 1,5 cm auf und sei in der Tiefe von 1,20 m sehr schadhaft. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, daß der Zustand des gesamten Objektes schlecht, eine Gesamtrenovierung aus „Kostengründen“ abzulehnen sei. Am 20. Mai 1960 legte der Vertreter der Beschwerdeführer einen Kostenvoranschlag der gleichen Baugesellschaft vom 16. Mai 1960 über die Höhe der Kosten der Unterfangungsarbeiten an dem genannten Hause vor, wonach sich die Kosten auf S 43.853,50 belaufen. Beide Unterlagen wurden von der Baupolizeibehörde einer fachtechnischen Abteilung des Wiener Magistrates (Abteilung 25) zur Stellungnahme zur Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit der Behebung der Setzungserscheinungen und der Auswechslung der Dippelbäume zugeleitet. Diese Abteilung äußerte sich nach Schilderung des baulichen Zustandes hiezu am 21. September 1960 wie folgt: Die Kosten einer Instandsetzung, welche keine Verschönerung des Gebäudes, sondern die Sicherung des derzeitigen Bestandes in konstruktiver Hinsicht auf weitere zehn Jahre zum Ziele hat, werden einschließlich der notwendigen Unterfangungsarbeiten auf rund S 75.000,-- geschätzt. Dies bedinge bei einem jährlichen Hauptmietzins von S 2.232,-- 6 % Geldbeschaffungskosten, 7 % Verzinsung und Rückzählung innerhalb von zehn Jahren zusätzlich je 10 g für laufende kleinere Instandhaltungsarbeiten und für die Hausverwaltung eine Erhöhung des Hauptmietzinses auf das rund 5,1-fache, bei Inanspruchnahme eines zinsenfreien Darlehens aus dem Hausreparaturfonds der Stadt Wien eine Erhöhung auf das 3,9-fache. In Anbetracht der noch immer angespannten Lage auf dem Wiener Wohnungsmarkt und bei Bedachtnahme auf den Bedarf an billigen Kleinwohnungen erscheine die Vermietbarkeit innerhalb der folgenden zehn Jahre nicht in Frage gestellt. Eine Instandsetzung des Vordergebäudes und des anschließenden linken Seitengebäudes erscheine daher als noch wirtschaftlich zumutbar. Ein weiteres Gutachten über den Zustand des Vordergebäudes, das vom Architekten Dipl. Ing. RS im Zusammenhang mit einem von den Hauseigentümern eingebrachten Ansuchen um Erteilung einer Demolierungsbewilligung vom 8. November 1960 erstattet wurde, wurde am 15. November 1960 vom Hausverwalter vorgelegt. Dieses kommt zu dem Ergebnis, daß die aufscheinenden Setzungen, die Grundfeuchtigkeit sowie der allgemeine Bauzustand auf Grund des hohen Alters des Gebäudes in Kürze dahin führen werden, daß die Benützbarkeit des Hauses nicht mehr gegeben sei. Von einer Generalreparatur sei vernünftigerweise Abstand zu nehmen, da die erforderlichen Aufwendungen in keinem günstigen Verhältnis zu der erreichten Wirkung stehen würden. Auch dieses Gutachten wurde der Magistratsabteilung 25 zur Stellungnahme übermittelt. Diese gab hiezu am 22. März 1961 bekannt, daß dieses Gutachten keine Anhaltspunkte liefere, die eine maßgebende Änderung jener Sachverhaltsdarstellung rechtfertigen würden, die der Stellungnahme vom 21. September 1960 zugrunde liege. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, bei welcher die Beschwerdeführer das Vorhandensein von Baugebrechen nicht bestritten, erging der Bescheid des Wiener Magistrates, M.Abt. 37, Außenstelle, für den XIII. und XIV. Bezirk, vom 20. April 1961, mit dem den Beschwerdeführern gemäß § 129 Abs. 2 und 4 der Bauordnung für Wien bezüglich der gegenständlichen Liegenschaft nachstehende Aufträge erteilt wurden:
1.) Die Fundamente der hofseitigen Hauptmauer sind im Bereiche der Abortgruppe und der Waschküche zu unterfangen bzw. instandzusetzen.
2.) Der schadhafte Aufgang zur Wohnung Nr. 3 ist zu erneuern.
3.) Die schadhaften Dippelbäume der Abschlußdecke sind auszuwechseln oder, wenn möglich, aufhängen zu lassen.
4.) Die Schäden an der Dachhaut sind zu beheben.
5.) Die hofseitige Hauptmauer des linken Seitentraktes ist horizontal zu isolieren.
6.) Die Schäden an den Rauchfangköpfen sowie an der Hoffassade und den Feuermauerteilen sind beheben zu lassen.
7.) Allenfalls erforderliche Sicherungsmaßnahmen, wie Entfernen loser Verputzteile oder loser Mauerwerksteile der Rauchfangköpfe, sind unverzüglich durchführen zu lassen.
Für die Erfüllung der Aufträge nach den Punkten 1 - 6 wurde. eine Frist von sechs Monaten nach Rechtskraft dieses Bescheides festgesetzt. Zur Begründung dieses Auftrages wurde auf die beim Ortsaugenschein vom 19. April 1961 festgestellten, als Baugebrechen zu qualifizierenden Schäden an der Baulichkeit verwiesen. Die wirtschaftliche Zumutbarkeit der Instandsetzung wurde mit den Gutachten der Magistratsabteilung 25 vom 21. September 1960 und vom 22. März 1961 begründet. Gegen diesen Bescheid brachten die Beschwerdeführer Berufung ein, in der sie die Annahme der wirtschaftlichen Zumutbarkeit des Instandsetzungsauftrages bestritten. Sie brachten hiezu vor, die Gutachten der Magistratsabteilung 25 stünden im Widerspruch zu den Privatgutachten des Architekten Dipl. Ing. RS vom 8. November 1960 und des Dipl. Ing. KM vom 18. November 1959 sowie zu dem Gutachten der gleichen Magistratsabteilung, das diese in einem Verfahren nach § 7 Mietengesetz vor dem Bezirksgericht Hietzing abgegeben habe. In diesem Gutachten habe die Magistratsabteilung 25 die Kosten für die unbedingt notwendigen Instandhaltungsarbeiten mit S 221.819,98 angegeben. Ferner wurde geltend gemacht, daß die Wiener Stadtwerke-Elektrizitätswerke die Durchführung verschiedener unbedingt notwendiger und in dem Gutachten der Magistratsabteilung 25 nicht enthaltenen Arbeiten aufgetragen haben. Mit dem auf einem Beschluß der Bauoberbehörde für Wien beruhenden Bescheid des Wiener Magistrates, Abteilung 64 wurde dieser Berufung nach neuerlicher Befragung der Magistratsabteilung 25 gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge gegeben. In der Begründung dieses Bescheides heißt es: Die Kosten der Behebung der Baugebrechen, welche an den gegenständlichen Baulichkeiten festgestellt wurden, wichen vor allem deswegen von jenen Kosten ab, die im Verfahren gemäß § 7 Mietengesetz festgestellt wurden, weil sich nunmehr herausgestellt habe, daß es sich im Bereiche der Waschküche um unbedeutende Setzungserscheinungen handle, welchen bereits durch eine Untermauerung vor wenigen Jahren wirksam begegnet worden sei und weil die Unterfangung des Abortanbaues lediglich Kosten in Höhe von S 12.000,-- erfordere. Die Differenz zwischen dem Kostenvoranschlag der A-Gesellschaft und der von der Magistratsabteilung 25 geschätzten Summe sei darauf zurückzuführen, daß von der Baufirma eine keineswegs notwendige und kostspielige Tiefergründung (Brunnenfundierung) für Waschküche und Abortanbau mit überhöhten Ausmaßen und Preisen angeboten worden sei. Diesen Feststellungen habe von den Beschwerdeführern nur mit der auf keinerlei konkrete Anhaltspunkte gestützten Behauptung und unter Berufung auf eine - nicht präjudizielle - Entscheidung der Bauoberbehörde für Wien begegnet werden können, daß die von der Magistratsabteilung 25 getroffenen Feststellungen nicht richtig seien. Eine Erhöhung des Hauptmietzinses auf das rund 5,1-fache (bei Inanspruchnahme eines zinsenfreien Darlehens aus dem Hausreparaturfonds der Stadt Wien auf das 3,9-fache) würde nach Ansicht der belangten Behörde die Unvermietbarkeit der Wohnungen während der Amortisationsdauer des aufzunehmenden Darlehens nicht zur Folge haben. Dies deshalb, weil unter Bedachtnahme auf die derzeitige Lage des Wohnungsmarktes in Wien und dessen vorausschaubare Entwicklung in den nächsten zehn Jahren eine Nachfrage nach bescheiden ausgestatteten Kleinwohnungen auch weiterhin bestehen werde und sich in den von der Bevölkerung an Wohnungen gestellten Anforderungen kein solcher Wandel ergeben werde, der eine Leerstehung der Wohnungen zur Folge hätte.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführer machen zunächst geltend, die belangte Behörde habe dem Gutachten der Magistratsabteilung 25, wonach zur Durchführung der aufgetragenen Instandsetzungsarbeiten lediglich S 75.000,-- erforderlich seien, den Vorzug gegeben, trotzdem in zwei Privatgutachten festgestellt worden sei, daß die aufscheinenden Setzungen, die Grundfeuchtigkeit sowie der allgemeine Bauzustand auf Grund des hohen Alters der Gebäude in Kürze dahin führen werde, daß die Benutzbarkeit des Hauses nicht mehr gegeben sei. Im Gutachten des Dipl. Ing. RS vom 8. November 1960 sei überdies ausgeführt worden, daß von einer Generalreparatur vernünftigerweise Abstand zu nehmen sei, weil der erforderliche Aufwand in keinem günstigen Verhältnis zu der zu erreichenden Wirkung stünde. Auch das Gutachten des Dipl. Ing. KM vom 18. November 1959 spreche klar und deutlich aus, daß eine Generalreparatur unwirtschaftlich sei, da die Reparaturkosten das wirtschaftliche Maß überschritten. Durch einen Abbruch und die Errichtung eines Neubaues sei sowohl in städtebaulicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht mehr Erfolg zu erzielen. Hiezu ist folgendes zu sagen:
Das Vorbringen der Beschwerdeführer läuft darauf hinaus, darzutun, der angefochtene Bescheid sei deswegen rechtswidrig, weil die belangte Behörde die Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit unrichtig beurteilt habe. Ob nun ein Instandsetzungsauftrag wirtschaftlich zumutbar ist, hat die Behörde auf Grund des festgestellten Sachverhaltes zu beurteilen. Sie muß sich hiebei der Mitwirkung von Sachverständigen bedienen. Gemäß § 52 AVG 1950 sind, wenn die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig wird, die der Behörde beigegebenen oder zur Verfügung stehenden amtlichen Sachverständigen (Amtssachverständigen) beizuziehen. Diese Vorgangsweise hatte die Behörde in dem vorliegenden Fall eingehalten und ein Gutachten der zuständigen technischen Abteilung des Magistrates eingeholt. Die Richtigkeit des Gutachtens der amtlichen Sachverständigen hatten die Beschwerdeführer in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid bestritten und sich hiebe auf die von ihnen beigebrachten Gutachten der privaten Sachverständigen Dipl. Ing. RS und Dipl. Ing. KM berufen. Liegen nun der Behörde mehrere Sachverständigengutachten vor, die einander widersprechen, dann ist die Behörde nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) auch befugt, sich für das eine oder das andere Gutachten zu entscheiden. Sie ist nur im Hinblick auf die ihr obliegende Begründungspflicht (§ 60 AVG) verpflichtet, die Erwägungen darzulegen, von denen sie sich bei der Würdigung der Beweise leiten ließ, d.h. sie muß die Gedankengänge aufdecken, die dafür maßgebend waren, das eine Beweismittel dem anderen vorzuziehen (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 17. Mai 1950, Slg. N.F.Nr. 1450/A, und vom 4. Februar 1959, Zl. 1842/58). Zu dem Vorbringen in der Berufung hatte die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides zwar dargelegt, aus welchen Gründen die Magistratsabteilung 25 in ihrem im Zuge des Bauverfahrens abgegebenen Gutachten von dem im Verfahren nach § 7 des Mietengesetzes abgegebenen Gutachten abgewichen war und warum dieses Gutachten mit dem Kostenvoranschlag der A-Baugesellschaft nicht übereinstimme. Aus welchen Gründen aber die von den Beschwerdeführern beigebrachten Gutachten der privaten Sachverständigen Dipl. Ing. RS und Dipl. Ing. KM der Entscheidung nicht zugrunde gelegt worden waren, hatte die belangte Behörde nicht aufgezeigt. Darin ist ein Begründungsmangel gelegen, der im vorliegenden Fall deswegen wesentlich ist, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei seiner Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Bei der Erlassung des Ersatzbescheides wird die belangte Behörde überdies zu beachten haben, daß sie nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1955, Slg.N.F.Nr. 3795/A) bei der Prüfung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit auch auf Aufwendungen Bedacht zu nehmen hat, die sich - gemessen an dem Bauzustand des Hauses - über die in dem baupolizeilichen Auftrag angeordneten Instandsetzungsarbeiten hinaus noch als notwendig erweisen.
Der angefochtene Bescheid mußte daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 3 VwGG 1952 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden. Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.
Wien, am 21. September 1962
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1962:1962000233.X00Im RIS seit
28.03.2022Zuletzt aktualisiert am
28.03.2022