Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
VwGG §47 Abs5Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofrätinnen Mag.a Merl sowie Mag. Liebhart-Mutzl als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision 1. der E S in K und 2. des F S in W, beide vertreten durch die Tautschnig Rechtsanwälte GmbH in 9020 Klagenfurt, Villacher Straße 1A/7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 9. Juni 2020, KLVwG-2263-2304/9/2019, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevorstand der Marktgemeinde Velden am Wörther See; weitere Partei: Kärntner Landesregierung; mitbeteiligte Partei: M S in V, vertreten durch die Alix Frank Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottengasse 10), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Kostenersatzbegehren der revisionswerbenden Parteien wird abgewiesen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte beantragte mit Schriftsatz vom 8. August 2018 die Erteilung einer Baubewilligung für die Erweiterung eines bestehenden Hotelbetriebes durch zwei Neubauten mit insgesamt 19 Suiten, Therapieräumen, einem Mehrzweckraum, Nebenflächen, zwei Tiefgaragen, Änderungen der Außenanlagen etc. auf einem näher bezeichneten Grundstück in V. Das Bauvorhaben ist auch genehmigungspflichtig nach der Gewerbeordnung 1994.
2 Die revisionswerbenden Parteien erhoben als Anrainer im Sinn des § 23 Abs. 2 Kärntner Bauordnung (K-BO) in der Verhandlung am 5. März 2019 (Schriftsatz vom 4. März 2019) Einwendungen gegen das Bauvorhaben.
3 Der Bürgermeister der Marktgemeinde V. erteilte dem Mitbeteiligten mit Bescheid vom 22. Mai 2019 die beantragte Baubewilligung mit zahlreichen Auflagen.
4 Die von den revisionswerbenden Parteien eingebrachte Berufung wurde vom Gemeindevorstand der Marktgemeinde V. (Behörde) mit Bescheid vom 10. September 2019 teilweise infolge Teilpräklusion abgewiesen, teilweise als unzulässig zurückgewiesen.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Kärnten (LVwG) die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien als unbegründet ab und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.
Begründend führte das LVwG - soweit für das vorliegende Verfahren relevant - aus, das verfahrensgegenständliche Grundstück sei im Flächenwidmungsplan als „Bauland - reines Kurgebiet und Grünland - Sportanlagen - Tennisplatz“ ausgewiesen. Zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Baubescheides vom 22. Mai 2019 habe sich das Baugrundstück im Bereich einer befristeten Bausperre (Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde V. vom 9. November 2016, verlängert am 12. September 2018; [aufgehoben mit Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde V. vom 17. Juli 2019]) befunden; den Ausführungen der Baubehörde erster Instanz zufolge widerspreche das Bauvorhaben jedoch nicht der Bausperre.
Die revisionswerbenden Parteien hätten bis zum Schluss der Bauverhandlung vor der Baubehörde erster Instanz keine Einwendungen betreffend einen Widerspruch des Bauvorhabens zum Teilbebauungsplan gemäß § 23 Abs. 5 K-BO erhoben und erst nach Schluss der Bauverhandlung ein betriebstypologisches Gutachten vorgelegt. Die Behörde habe daher zu Recht dieses Gutachten nicht mehr berücksichtigt und die Einwendungen der revisionswerbenden Parteien betreffend den Flächenwidmungs- bzw. Bebauungsplan wegen eingetretener Präklusion als unzulässig zurückgewiesen. Dem Vorbringen, dass die Einwendungen gegen die befristete Bausperre „sinnvollerweise wohl nur so verstanden werden können, dass sie sich auch gegen die Flächenwidmung bzw. den Teilbebauungsplan richten, war nicht zu folgen, zumal es [...] erforderlich ist, innerhalb der den Anrainern zustehenden Fristen (gegenständlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung) konkrete Einwendungen betreffend die widmungswidrige Verwendung des Baugrundstückes (§ 23 Abs. 3 lit. a K-BO 1996) zu erheben.“ Einwendungen gegen eine befristete Bausperre stellten kein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht dar.
6 In der außerordentlichen Revision beantragten die revisionswerbenden Parteien die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
7 Die Behörde sowie der Mitbeteiligte beantragten in ihren Revisionsbeantwortungen jeweils die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist zulässig, weil das LVwG mit einer unvertretbaren Rechtsansicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 28.1.2009, 2008/05/0166) abwich; sie ist daher auch begründet.
9 Strittig ist im vorliegenden Verfahren, ob die - fristgerechten - Einwendungen der revisionswerbenden Parteien am 5. März 2019, in denen sie unter anderem vorbrachten, das Bauvorhaben verstoße gegen die Bausperre, als solche gemäß § 23 Abs. 5 K-BO betreffend die Frage der Zulässigkeit der Betriebstype in der betreffenden Flächenwidmungskategorie zu interpretieren sind.
10 § 23 Kärntner Bauordnung 1996 (K-BO 1996), LGBl. Nr. 62/1996 in der hier anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 31/2015, lautet auszugsweise:
„§ 23
Parteien, Einwendungen
(1) Parteien des Baubewilligungsverfahrens sind:
a) der Antragsteller;
b) der Grundeigentümer;
c) die Miteigentümer des Baugrundstückes, deren Zustimmung nach § 10 Abs. 1 lit. b erforderlich ist;
d) der Eigentümer eines Superädifikates bei Bauführungen an diesem;
e) die Anrainer (Abs. 2).
(2) Anrainer sind:
a) die Eigentümer (Miteigentümer) der an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücke und aller weiteren im Einflussbereich des Vorhabens liegenden Grundstücke;
b) die Wohnungseigentümer gemäß § 2 Abs. 5 WEG 2002, deren Zustimmung gemäß § 10 Abs. 1 lit. b nicht erforderlich ist, sofern ihr Wohnungseigentums- oder Zubehörobjekt gemäß § 2 Abs. 2 und 3 WEG 2002 an jenes Wohnungseigentums- oder Zubehörobjekt gemäß § 2 Abs. 2 und 3 WEG 2002 angrenzt, in dem das Vorhaben ausgeführt werden soll;
(3) Anrainer gemäß Abs. 2 lit. a und b sind berechtigt, gegen die Erteilung der Baubewilligung nur begründete Einwendungen dahingehend zu erheben, dass sie durch das Vorhaben in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt werden, die ihnen durch die Bestimmungen dieses Gesetzes, der Kärntner Bauvorschriften, des Flächenwidmungsplanes oder des Bebauungsplanes eingeräumt werden, welche nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Schutz der Anrainer dienen. Einwendungen der Anrainer im Sinn des ersten Satzes können - vorbehaltlich des Abs. 3a - insbesondere gestützt werden auf Bestimmungen über
a) die widmungsgemäße Verwendung des Baugrundstückes;
b) ...
(4) ...
(5) Bei einem Vorhaben, das auch einer gewerbebehördlichen Genehmigung bedarf, sind Einwendungen der Anrainer gemäß Abs. 2 lit. a und b, mit denen der Schutz der Gesundheit gemäß Abs. 3 lit. h oder der Immissionsschutz gemäß Abs. 3 lit. i geltend gemacht wird, nur soweit berechtigt, als diese Einwendungen die Frage der Zulässigkeit der Betriebstype in der gegebenen Flächenwidmungskategorie betreffen.
(6) ...“
Gemäß § 8 Abs. 1 Kärntner Gemeindeplanungsgesetz 1995 (K-GplG 1995, LGBl. Nr. 23/1995 aufgehoben durch LGBl. Nr. 59/2021) mussten Flächen für Apartmenthäuser und für sonstige Freizeitwohnsitze, das sind Wohngebäude oder Wohnungen, die zur Deckung eines lediglich zeitweilig gegebenen Wohnbedarfes bestimmt sind, als Sonderwidmung festgelegt werden. § 23 Abs. 4 K-GplG 1995 sehe vor, dass während der Geltung der befristeten Bausperre Baubewilligungen nicht erteilt werden dürfen, wenn dadurch die Umsetzung konkreter Planungsabsichten der Gemeinde im Rahmen der Bebauungs- oder Flächenwidmungsplanung wesentlich erschwert oder ihre beabsichtigten Wirkungen wesentlich beeinträchtigt würden.
11 Eine Einwendung im Rechtssinn gemäß § 42 Abs. 1 AVG liegt dann vor, wenn das Vorbringen wenigstens die Behauptung der Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts durch das den Gegenstand des Bewilligungsverfahrens bildenden Vorhaben erkennen lässt. Das bedeutet, dass aus dem Vorbringen des Nachbarn zu erkennen sein muss, in welchem vom Gesetz geschützten Recht er sich durch die beabsichtigte Bauführung verletzt erachtet. Für die Erhebung von tauglichen Einwendungen reicht es aus, dass die Verletzung von Bestimmungen behauptet wird. Der Nachbar muss das Recht, in dem er sich verletzt erachtet, nicht ausdrücklich bezeichnen und auch nicht angeben, auf welche Gesetzesstelle sich seine Einwendung stützt; er muss seine Einwendung auch nicht begründen; es muss aus seinem Vorbringen nur erkennbar sein, welche Rechtsverletzung von ihm behauptet wird (vgl. etwa VwGH 15.12.2009, 2008/05/0130, mwH).
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann die in vertretbarer Weise vorgenommene fallbezogene Auslegung von Parteierklärungen nicht erfolgreich mit Revision bekämpft werden. Einer vertretbaren Auslegung kommt keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Die Auslegung einer Erklärung im Einzelfall ist nur dann erfolgreich mit Revision bekämpfbar, wenn dem Verwaltungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung im Sinn einer unvertretbaren Rechtsansicht unterlief (vgl. etwa VwGH 3.12.2021, Ra 2021/07/0071, Rn. 12, mwN).
13 Eine solche Fehlbeurteilung liegt hier vor. Die revisionswerbenden Parteien brachten in ihren Einwendungen am 5. März 2019 unter anderem gemäß § 23 Abs. 3 K-BO 1996 die Befürchtung unzulässiger Lärmimmissionen sowie weiters vor, es liege eine „Hotel-Suitenanlage bzw eine servicierte Apartmentanlage“ mit zahlreichen „voll ausgestatteten Apartments (Schlafzimmer/Wohnzimmer/Küche[nblock])“ vor, die es den Gästen ermögliche, ihren Aufenthalt wie in einer (Zweitwohnsitz-)Wohnung, somit unabhängig von einem Hotelbetrieb, als Eigenversorger zu verbringen. In den Einwendungen wird auf (den mit 31. Dezember 2021 außer Kraft getretenen) § 23 Abs. 4 K-GplG 1995 verwiesen, wonach während der Geltung einer befristeten Bausperre Baubewilligungen nicht erteilt werden dürfen, wenn dadurch die Umsetzung konkreter Planungsabsichten der Gemeinde im Rahmen der Bebauungs- oder Flächenwidmungsplanung wesentlich erschwert oder ihre beabsichtigten Wirkungen wesentlich beeinträchtigt würden. Auch wenn das Vorbringen in den Einwendungen zur Bausperre erstattet wurde und die Termini dieser Verordnung verwendet wurden, ist doch klar erkennbar, dass es sich auf die Frage der Zulässigkeit des - nach Ansicht der revisionswerbenden Parteien - geplanten Betriebstyps „Hotel-Suitenanlage“ bzw. „servicierte Apartmentanlage“ aus raumordnungsrechtlicher Sicht bezieht. Die Ausführungen sind weder allgemein gehalten, noch unsubstantiiert; eine Bezugnahme auf eine bestimmte Gesetzesstelle ist der ständigen hg. Rechtsprechung zufolge nicht erforderlich (vgl. dazu die Ausführungen bei W. Pallitsch/Ph. Pallitsch/W. Kleewein, Kärntner Baurecht5 [2015] Seite 282).
14 Die revisionswerbenden Parteien sind daher in Hinblick auf § 23 Abs. 5 K-BO nicht präkludiert; das erst nach Ablauf der Einwendungsfrist vorgelegte betriebstypologische Gutachten zur näheren Konkretisierung der bereits am 5. März 2019 erhobenen Einwendungen ist somit nicht verspätet. Das LVwG hätte sich mit diesem Vorbringen inhaltlich auseinandersetzen müssen. Sollten die Argumente in den Einwendungen zutreffen, sodass die verfahrensgegenständlichen Neubauten Apartmenthäuser oder sonstige Freizeitwohnsitze darstellten, wäre im Hinblick auf den Antragszeitpunkt 8. August 2018 eine Sonderwidmung gemäß § 8 K-GplG 1995 erforderlich gewesen.
15 Indem es das LVwG - ausgehend von seiner unzutreffenden Rechtsansicht in Bezug auf die Präklusion der revisionswerbenden Parteien - verabsäumte, sich mit deren Einwendungen betreffend die Frage der Zulässigkeit des geplanten Betriebstyps „Hotel-Suitenanlage“ bzw. „servicierte Apartmentanlage“ in der gegebenen Flächenwidmungskategorie auseinanderzusetzen und dazu auch keinerlei Feststellungen traf, belastete es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
17 Gemäß § 47 Abs. 5 VwGG ist der einem Revisionswerber zu leistende Aufwandersatz von jenem Rechtsträger zu tragen, in dessen Namen die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verwaltungsverfahren gehandelt hat. Fallbezogen handelt es sich um eine im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu vollziehende Bauangelegenheit. Kostenersatzpflichtiger Rechtsträger im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG wäre daher im vorliegenden Fall die Marktgemeinde Velden am Wörther See. Da daneben keine Kostenersatzpflicht eines anderen Rechtsträgers vorgesehen ist, war der an das „Land Kärnten als Rechtsträger des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten“ gerichtete Antrag der revisionswerbenden Parteien abzuweisen (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2017/05/0268, Rn. 25, mwN).
Wien, am 25. Februar 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021060133.L00Im RIS seit
28.03.2022Zuletzt aktualisiert am
28.03.2022