TE Vwgh Beschluss 2022/2/28 Ra 2022/14/0038

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Veröffentlicht am 28.02.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache der T D, vertreten durch Mag. Dr. Martin Mahrer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 19/5. Stock, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Dezember 2020, W129 2221656-1/32E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, stellte am 26. März 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Zu seiner Begründung brachte die Revisionswerberin vor, dass sie am ganzen Körper Metastasen habe; sie sei stressbedingt aufgrund von Problemen mit Behörden krank geworden. Ihr Sohn lebe seit 16 Jahren asylberechtigt in Österreich, sie wolle bei ihm sein und sich behandeln lassen.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 17. Juni 2019 ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Es wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt VI.) und einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.).

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 29. Juli 2019 als unbegründet ab.

4        Mit Erkenntnis vom Erkenntnis vom 8. Juni 2020, E 3377/2019-13, hob der Verfassungsgerichtshof das angefochtene Erkenntnis insoweit, als damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigen in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, gegen den Ausspruch, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe und die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde abgewiesen wurde, wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander auf.

5        Im Übrigen - somit hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten - lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab.

6        Mit dem nun in Revision gezogenen Erkenntnis vom 21. Dezember 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - hinsichtlich Spruchpunkt II. und III. als unbegründet ab. Bezugnehmend auf die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wurde ausgesprochen, dass die Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG bis zum 30.6.2021 vorübergehend unzulässig sei. Die Spruchpunkte V. bis VII. des angefochtenen Bescheides wurden behoben. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7        Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin erneut Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 29. November 2021, E 388/2021-12, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

8        In der Folge brachte die Revisionswerberin vorliegende außerordentliche Revision ein.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit ihrer Revision vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Beschluss vom 21.12.2020, Ra 2020/14/0532) insofern ab, „als nämlich - anders als bei der Tatbestandswirkung aus einer bescheidmäßigen Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft - bei Fehlen jeglichen Verleihungsbescheids eine aus einem Bescheid resultierbare Tatbestandswirkung als Basis für die betreffende Verortung der Frage der (vielleicht) fehlenden österreichischen Staatsbürgerschaft im Sachverhaltsbereich a priori ausscheide und folglich die Frage des Fehlens der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht in den Feststellungen zu verorten sei, sondern sich solche vielmehr als erforderlich erweisen, um im juristischen Syllogismus die Qualifikation ‚Fremder‘ iSd § 2 Abs 1 Z 20a AsylG im Rechtsfolgenbereich zu bewirken, wobei, das sei bemerkt, vor dem Hintergrund des Unterschieds zwischen Staatsbürgerschaft und Staatsangehörigkeit aus der, wenngleich ohnedies rechtswidrig im Sachverhaltsbereich getroffenen, ‚Feststellung‘ der russischen Staatsbürgerschaft der Revisionswerberin (Erkenntnis, S. 3) nichts über eine österreichische Staatsbürgerschaft oder deren Fehlen in Bezug auf die Revisionswerberin zwingend ausgesagt sei, sodass sich gesamthaft die diesbezügliche Abweisung als daneben erweise“.

13       Zu diesem - schwer verständlichen - Vorbringen genügt es darauf hinzuweisen, dass im auch von der Revision zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes klar dargelegt wurde, dass für die Qualifikation als Fremder im Sinn des AsylG 2005 allein das Nichtvorliegen der österreichischen Staatsbürgerschaft entscheidend ist. Die Revision bringt weder vor, dass die Revisionswerberin österreichische Staatsbürgerin sei, noch legt sie konkret dar, welche entscheidungswesentliche Feststellung das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang unterlassen habe.

14       Soweit sich die Zulässigkeitsbegründung der Revision, die sich erkennbar gegen den nicht dauerhaften Ausschluss einer Rückkehrentscheidung richtet, gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG richtet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. aus vielen VwGH 16.12.2021, Ra 2021/14/0374, mwN).

15       Die Revision übersieht bei ihren Ausführungen die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof, wonach einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt und in Fällen, in denen eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vorliegt, regelmäßig erwartet wird, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. VwGH 3.9.2021, Ra 2020/14/0282, mwN).

16       Weiters hängt die Frage, ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK ein Familienleben vorliegt, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jeweils von den konkreten Umständen ab, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 26.05.2021, Ra 2021/01/0174, mwN). Abgesehen davon, dass die Revisionswerberin nicht darlegt, welche zusätzlichen Merkmale der Abhängigkeit zu ihrem Sohn vorlägen, wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht aufgezeigt, dass die Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts anhand der dargestellten Kriterien unvertretbar ist.

17       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 28. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140038.L00

Im RIS seit

28.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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