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90/01 Straßenverkehrsordnung;Norm
StVO 1960 §16 Abs2 litb;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Gruber und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde des Dr. M in R, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 18. Juli 1995, Zl. 12/85-7/1995, betreffend Übertretungen der StVO 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird - im Umfang seines Spruchpunktes I. - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 3. April 1995 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 19. Juni 1994 um 21.45 Uhr auf der B 177 "von Zirl kommend den Pkw, Kennzeichen X, in Fahrtrichtung Leithen gelenkt und dabei 1. ein Fahrzeug bei km 4,1 trotz starken Regens und einer unübersichtlichen Kurve überholt" und "ein weiteres Fzg. bei km 4,2 im Bereich einer unübersichtlichen Kurve überholt". Er habe dadurch (zu 1. und 2.) § 16 Abs. 2 lit. b StVO 1960 verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe von jeweils S 600,-- (Ersatzfreiheitsstrafe je 15 Stunden) verhängt wurde.
Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wurde mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid - und zwar in Spruchpunkt I. - mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, daß "bei den als erwiesen angenommenen Taten folgende Berichtigungen bzw. Präzisierungen" vorgenommen würden:
"1.
bei Spruchpunkt 1 hat die Wortfolge "starken Regens und" zu entfallen
2.
bei beiden Spruchpunkten wird vor dem Wort bei "ca."
eingefügt."
Gegen diesen Bescheid - und zwar nur gegen den Spruchpunkt I. - wendet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde ging in sachverhaltsmäßiger Hinsicht - unter Bezugnahme auf das Gutachten eines Amtssachverständigen - davon aus, daß an den fraglichen Straßenstellen Überholvorgänge ohne Behinderungen oder Gefährdung anderer "unmöglich" (gemeint offenbar: nur möglich) gewesen wären, wenn der Überholte nicht schneller als 30 km/h gefahren sei. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen. Nach den Angaben der Meldungsleger an Ort und Stelle (anläßlich des durchgeführten Lokalaugenscheines) und den dabei gemessenen Sichtweiten "hätte bei Gegenverkehr jedenfalls eine Behinderung der unmittelbar beteiligten Verkehrsteilnehmer eintreten müssen". Es sei also davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer an einer unübersichtlichen Straßenstelle überholt habe.
Der Beschwerdeführer wendet sich (u.a.) gegen die Annahme des Amtssachverständigen, ein allfälliger Gegenverkehr fahre eine Geschwindigkeit zwischen 70 und 80 km/h, was an dieser Verkehrsstelle völlig unrealistisch sei. Der Beschwerdeführer bezieht sich dabei auf die Aussage des Sachverständigen, daß Überholvorgänge ohne Behinderung oder Gefährdung anderer (Straßenbenützer) lediglich möglich seien, wenn der Überholte nicht schneller als 30 km/h und ein allfälliger Gegenverkehr nicht schneller als 70 km/h bzw. 80 km/h fahre.
Schon damit ist der Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht:
Die Rechtsfrage, ob der vom Beschwerdeführer vorgenommene Überholvorgang im Sinne des § 16 Abs. 2 lit. b StVO 1960 unzulässig war, ist - wie die belangte Behörde an sich richtig erkannt hat - vom Beginn dieser Maßnahme aus zu beurteilen.
Es trifft weiters zu, daß es im Einzelfall bei Beurteilung der Frage, ob der Bestimmung des § 16 Abs. 2 lit. b StVO 1960 zuwidergehandelt wurde, auch auf die Fahrgeschwindigkeit der an einem Überholvorgang beteiligten Fahrzeuge ankommt, wenn fraglich ist, ob die Überholstrecke, deren Länge u.a. von den jeweiligen Fahrgeschwindigkeiten abhängig ist, im Bereich einer "unübersichtlichen Straßenstelle" gelegen ist oder nicht (vgl. zum Gesamten etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Mai 1981, Zl. 02/3161/80).
Es ist aber nicht entscheidend, ob im Zeitpunkt des Überholvorganges Gegenverkehr herrschte oder nicht (vgl. etwa schon das hg. Erkenntnis vom 29. Mai 1974, Slg. N.F. Nr. 8626/A), sowie ob allenfalls durch einen im Zuge des Überholmanövers - möglicherweise, mit einer hypothetischen Geschwindigkeit - auftretenden Gegenverkehr andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert werden könnten.
Die von der belangten Behörde herangezogene Begründung vermag - ohne eine Aussage über die Beweiswürdigung der belangten Behörde zu treffen - einen Schuldspruch wegen Verstoßes des § 16 Abs. 2 lit. b StVO 1960 nicht zu tragen. Ist der überholende Kraftfahrzeuglenker in der Lage, das Straßenstück zu Beginn des Überholvorganges zur Gänze zu überblicken, das er für diese Maßnahme einschließlich des ordnungsgemäßen Wiedereinordnens seines Fahrzeuges auf dem rechten Fahrstreifen benötigt, so kann von einer unübersichtlichen Straßenstelle nicht gesprochen werden, sodaß in einem derartigen Fall ein Überholverbot nach dieser Gesetzesstelle jedenfalls nicht besteht (vgl. das
hg. Erkenntnis vom 10. Juli 1981, Zl. 81/02/0017, sowie das dort zitierte hg. Erkenntnis vom 15. Mai 1981, Zl. 02/3161/80).
Da die belangte Behörde schon aus diesem Grund den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet hat, war dieser im bezeichneten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen gewesen wäre.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995030297.X00Im RIS seit
12.06.2001Zuletzt aktualisiert am
18.06.2009