Index
L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag SteiermarkNorm
AVG §8Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofrätin Mag. Rehak sowie den Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision 1. des H H und 2. der D H, beide in K, beide vertreten durch Dr. Christian Purkarthofer, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Radetzkystraße 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 14. Februar 2018, LVwG 50.25-137/2018-9, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Marktgemeinde Kumberg; mitbeteiligte Partei: W S in S, vertreten durch Mag. Klaus Mayer, Rechtsanwalt in 8141 Premstätten, Hauptstraße 131, EG; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Antrag der revisionswerbenden Parteien auf Aufwandersatz wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Eingabe vom 14. September 2016 beantragte der Mitbeteiligte die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung eines Um- und Zubaues beim bestehenden Wohnhaus auf seinem Grundstück Nr. X, KG G.
2 Die revisionswerbenden Parteien, die Einwendungen in Bezug auf die Nichteinhaltung des Grenzabstandes nach § 13 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG) erhoben, sind Eigentümer des Grundstücks Nr. Y, KG G.
3 Zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Bauverhandlung am 20. Oktober 2016 grenzte das Grundstück Nr. Y noch an das vom Bauvorhaben erfasste Grundstück Nr. X an. In der Folge kam es durch Abtrennung eines Grundstücksstreifens (mit einer Breite von 2,52 m bis 2,99 m und einer Fläche von 81 m2) vom Baugrundstück Nr. X zur Schaffung eines dazwischenliegenden neuen Grundstücks Nr. Z, das ebenfalls im Eigentum des Mitbeteiligten steht, und zur Änderung des Antrags in Bezug auf die Verkleinerung des Baugrundstücks um diesen Streifen.
4 Das Grundstück Nr. Y der revisionswerbenden Parteien grenzt nun an das Grundstück Nr. Z, nicht mehr jedoch an das Baugrundstück Nr. X.
5 Das Bauvorhaben auf Grundstück Nr. X weist projektgemäß einen Abstand von 1 m zur Grenze zum Grundstück Nr. Z auf. Zum Grundstück Nr. Y der revisionswerbenden Parteien tritt das Bauvorhaben zweigeschossig in Erscheinung, wobei der Abstand von der Gebäudefront des Bauvorhabens über das neu geschaffene Grundstück Nr. Z hinweg zur Grenze des Grundstücks Nr. Y laut Plan zwischen ca. 3,5 m und ca. 3,7 m beträgt.
6 Nach Fortführung der mündlichen Verhandlung am 21. September 2017 erteilte der Bürgermeister der Marktgemeinde Kumberg mit Bescheid vom 25. September 2017 dem Mitbeteiligten die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung eines Um- und Zubaues beim bestehenden Wohnhaus und die Nutzungsänderung von einem nicht ausgebauten Dachgeschoß in ein ausgebautes Dachgeschoß mit Wohnnutzung auf dem Grundstück Nr. X unter Vorschreibung von Auflagen. Der von den revisionswerbenden Parteien erhobene Einwand der Verletzung des Grenzabstandes wurde abgewiesen.
7 Die gegen diesen Bescheid von den revisionswerbenden Parteien erhobene Berufung wurde mit dem Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde Kumberg (belangte Behörde) vom 11. Dezember 2017 abgewiesen.
8 Der dagegen von den revisionswerbenden Parteien erhobenen Beschwerde wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark (LVwG) keine Folge gegeben. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.
9 In seinen Erwägungen hielt das LVwG im Wesentlichen fest, die revisionswerbenden Parteien hätten vor Abtrennung des Grundstücksstreifens Nr. Z vom Baugrundstück Nr. X das Nichteinhalten des Grenzabstandes moniert und daher als Nachbarn im Sinne des § 4 Z 44 Stmk. BauG damals - im Lichte der zu dieser Zeit vorgelegenen gemeinsamen Nachbargrenze zwischen dem ursprünglichen Bauplatz auf Grundstück Nr. X und ihrem Grundstück Nr. Y - auch wirksam Einwendungen nach § 26 Abs. 1 Z 2 in Verbindung mit § 13 Stmk. BauG erhoben.
10 Aufgrund der in der Folge vorgenommenen Abtrennung des Grundstücksstreifens Nr. Z vom Baugrundstück Nr. X habe - da laut § 4 Z 45 Stmk. BauG die Nachbargrenze eine „Grenze zwischen Grundstücken verschiedener Eigentümer“ sei - bereits im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung keine Nachbargrenze zwischen dem Baugrundstück Nr. X und dem Grundstück Nr. Z bestanden, zumal das letztgenannte Grundstück ebenfalls im Eigentum des Mitbeteiligten stehe. Dieses Grundstück sei jedoch antragsgemäß vom Bauvorhaben nicht umfasst. Der „Grenze“ zwischen dem Grundstück der revisionswerbenden Parteien und dem Grundstück Nr. Z komme im Bauverfahren keine Relevanz zu. Demnach sei eine Verletzung in Rechten der revisionswerbenden Parteien als Eigentümer des nicht mehr (an das Baugrundstück) angrenzenden Grundstücks Nr. Y nicht ersichtlich (Verweis auf VwGH 11.3.2016, 2013/06/0194). Gegenstand des Baubewilligungsverfahrens sei ausschließlich das vorgelegte Bauprojekt. Was nicht Gegenstand des Baubewilligungsverfahrens sei, könne auch nicht Gegenstand der Verletzung eines Rechts des Nachbarn im baurechtlichen Bewilligungsverfahren sein.
11 Es liege auch kein „Umgehungsgeschäft“ vor, vielmehr sei bereits im erstinstanzlichen Verfahren das neue Grundstück Nr. Z durch eine Vermessungsurkunde sowie den dazugehörigen Grundbuchsbeschluss dargetan und der Bauplatz im Rahmen des sich auf das Grundstück Nr. X beziehenden Antrags projektgemäß verkleinert worden, wodurch dieser nicht mehr unmittelbar an das Grundstück Nr. Y der revisionswerbenden Parteien angrenze. Da auch die Grenze zwischen dem Baugrundstück Nr. X und dem Grundstück Nr. Z keine Nachbargrenze darstelle, sei diesbezüglich § 13 Abs. 2 Stmk. BauG nicht anzuwenden.
12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
13 Nach Einleitung des Vorverfahrens erstattete die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Abweisung der Revision beantragt.
14 Die mitbeteiligte Partei äußerte sich zur Revision nicht.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
16 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, § 4 Z 45 Stmk. BauG definiere eine Nachbargrenze als Grenze zwischen Grundstücken verschiedener Eigentümer, sodass es sich bei der Grenze zwischen den beiden im Eigentum des Mitbeteiligten stehenden Grundstücken Nr. Z und Nr. X um keine Nachbargrundstücksgrenze handle. § 4 Z 44 Stmk. BauG verstehe jedoch unter Nachbarn nicht nur (unter anderem) Eigentümer der an den Bauplatz angrenzenden Grundflächen, sondern auch Eigentümer jener Grundflächen, die zum vorgesehenen Bauplatz in einem solchen räumlichen Naheverhältnis stünden, dass vom geplanten Bau oder dessen konsensgemäßer Benützung Einwirkungen auf diese Grundflächen ausgehen könnten, gegen welche die Bestimmungen dieses Gesetzes Schutz gewährten.
17 Der in § 13 Abs. 2 Stmk. BauG vorgesehene Grenzabstand werde vom geplanten Bauvorhaben gegenüber der Grenze der revisionswerbenden Parteien unbestritten nicht eingehalten. Es sei daher davon auszugehen, dass sich der Bauplatz in einem solchen räumlichen Naheverhältnis zum Grundstück der revisionswerbenden Parteien befinde, „dass der geplante Bau bzw. durch dessen konsensgemäße Benützung nicht Einwirkungen“ (gemeint wohl: Einwirkungen) auf die Grundfläche der revisionswerbenden Parteien ausgehen könnten. Gerade um solche Auswirkungen so gut wie möglich zu verhindern, gebe es diese Mindestabstandsbestimmungen, sie seien als „subjektiv öffentliche Nachbargrenze“ konzipiert. Das angefochtene Erkenntnis weiche von der bestehenden Rechtsprechung ab.
18 Die Revision ist aus den genannten Gründen zulässig. Sie erweist sich auch als berechtigt.
19 Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Steiermärkischen Baugesetzes, LGBl. Nr. 59/1995 in der Fassung LGBl. Nr. 61/2017, lauten:
„§ 4
Begriffsbestimmungen
Die nachstehenden Begriffe haben in diesem Gesetz folgende Bedeutung:
(...)
44. Nachbar: Eigentümer oder Inhaber eines Baurechtes (Bauberechtigter) der an den Bauplatz angrenzenden Grundflächen sowie jener Grundflächen, die zum vorgesehenen Bauplatz in einem solchen räumlichen Naheverhältnis stehen, dass vom geplanten Bau oder dessen konsensgemäßer Benützung Einwirkungen auf diese Grundflächen ausgehen können, gegen welche die Bestimmungen dieses Gesetzes Schutz gewähren, oder dass von seiner genehmigten gewerblichen oder landwirtschaftlichen oder forstwirtschaftlichen Betriebsanlage Einwirkungen auf den Bauplatz ausgehen können;
45. Nachbargrenze: Grenze zwischen Grundstücken verschiedener Eigentümer;
(...)
§ 13
Abstände
(...)
(2) Jede Gebäudefront, die nicht unmittelbar an einer Nachbargrenze errichtet wird, muss von dieser mindestens so viele Meter entfernt sein, wie die Anzahl der Geschosse, vermehrt um 2, ergibt (Grenzabstand).
(...)
§ 26
Nachbarrechte
(1) Der Nachbar kann gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv-öffentlichrechtliche Einwendungen). Das sind Bestimmungen über
(...)
2. die Abstände (§ 13);
(...)“
20 Aufgrund des nunmehr dazwischenliegenden schmalen Grundstücks Nr. Z grenzt das Grundstück Nr. Y der revisionswerbenden Parteien nicht mehr unmittelbar an das Baugrundstück Nr. X.
21 Unstrittig tritt das Bauvorhaben zum Grundstück Nr. Y der revisionswerbenden Parteien zweigeschossig in Erscheinung. Der Abstand der Gebäudefront des Bauvorhabens (über das Grundstück Nr. Z hinweg) zur Grenze des Grundstücks Nr. Y beträgt - wie dargestellt - zwischen 3,5 m und 3,7 m. Sofern § 13 Abs. 2 Stmk. BauG auf diesen Sachverhalt anzuwenden ist, wäre der dort normierte Mindestgrenzabstand (hier des Bauvorhabens des Mitbeteiligten zum Grundstück der revisionswerbenden Parteien) nicht eingehalten.
22 Das LVwG verneinte eine Verletzung von Rechten der revisionswerbenden Parteien mit der Begründung, dass das an das Grundstück Nr. Y angrenzende Grundstück Nr. Z nicht projektgegenständlich sei, und mit dem Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 11. März 2016, 2013/06/0194.
23 Auf das zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes konnte das LVwG seine Rechtsansicht jedoch nicht mängelfrei stützen. In dem diesem Erkenntnis zugrundeliegenden Fall war nämlich § 13 Abs. 2 Stmk. BauG deshalb nicht anzuwenden (und war eine entsprechende Verletzung in Rechten des dort Mitbeteiligten als Eigentümer eines im Projektbereich nicht an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücks nicht ersichtlich), weil das Gebäude des Bauvorhabens unmittelbar an der Nachbargrenze zum dazwischenliegenden Grundstück (das als öffentliches Gut ausgewiesen war) projektiert war.
24 Im vorliegenden Fall ist die Gebäudefront des Bauvorhabens hingegen nicht unmittelbar an einer Nachbargrenze projektiert und somit diese Voraussetzung des § 13 Abs. 2 Stmk. BauG erfüllt.
25 Zutreffend verweisen nun die revisionswerbenden Parteien auf § 4 Z 44 Stmk. BauG, wonach als Nachbarn nicht nur (unter anderem) Eigentümer der an den Bauplatz angrenzenden Grundflächen anzusehen sind, sondern auch die Eigentümer jener Grundflächen, die zum vorgesehenen Bauplatz in einem solchen räumlichen Naheverhältnis stehen, dass vom geplanten Bau oder dessen konsensgemäßer Benützung Einwirkungen auf diese Grundflächen ausgehen können, gegen welche die Bestimmungen dieses Gesetzes Schutz gewähren.
26 Diese Definition entspricht dem Begriff „Nachbar“ nach allgemeinen Grundsätzen (vgl. dazu VwGH 15.6.2004, 2003/05/0103). Das Grundstück eines „Nachbarn“ nach dem Stmk. BauG muss daher nicht in jedem Fall eine gemeinsame Grundgrenze zum Baugrundstück aufweisen (vgl. auch VwGH 31.3.2004, 2002/06/0060).
27 Die hier in Rede stehenden Bestimmungen über die Abstände (§ 13) dienen auch dem Interesse der Nachbarn (vgl. § 26 Abs. 1 Z 2 Stmk. BauG).
28 Als „Nachbargrenze“ im Sinne des § 13 Abs. 2 Stmk. BauG (als Grenze zur Grundfläche eines „Nachbarn“ gemäß dessen Definition gemäß § 4 Z 44 Stmk. BauG) kommt gegenständlich somit auch die Grenze zwischen den im Eigentum verschiedener Personen stehenden Grundstücken Nr. Z und Nr. Y in Betracht, obwohl es sich beim erstgenannten Grundstück nicht um das Baugrundstück handelt.
29 Ausgehend von der unrichtigen Rechtsansicht, dass - trotz des sogar den in § 13 Abs. 2 Stmk. BauG normierten Mindestgrenzabstand unstrittig unterschreitenden Abstands zwischen der Gebäudefront des Bauvorhabens des Mitbeteiligten (über das Grundstück Nr. Z hinweg) zur Grenze des Grundstücks Nr. Y - Rechte der revisionswerbenden Parteien keinesfalls verletzt würden, hat das LVwG eine Begründung dazu unterlassen, weshalb es trotz der beschriebenen räumlichen Nähe davon ausging, dass vom geplanten Bau oder dessen konsensgemäßer Benützung keine Einwirkungen auf die Grundflächen der revisionswerbenden Parteien ausgehen könnten und die von diesen geltend gemachte Verletzung der Abstandsregelung des § 13 Abs. 2 Stmk. BauG nicht vorliege.
30 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
31 Der Antrag, das Land Steiermark zum Kostenersatz zu verpflichten, war abzuweisen, weil kostenersatzpflichtiger Rechtsträger im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG im vorliegenden Verfahren die Marktgemeinde Kumberg wäre (vgl. etwa VwGH 19.12.2017, Ra 2017/08/0126).
Wien, am 2. März 2022
Schlagworte
Baurecht Nachbar Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Abstandsvorschriften BauRallg5/1/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2018060059.L00Im RIS seit
28.03.2022Zuletzt aktualisiert am
28.03.2022