TE Vwgh Beschluss 2022/3/3 Ra 2022/14/0042

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.03.2022
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des M D, vertreten durch Mag.rer.soc.oec. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. September 2021, L512 2205676-1/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 16. September 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er im Iran zum Christentum konvertiert sei und er deshalb vom iranischen Geheimdienst verhaftet und verhört worden sei. Bei einer Rückkehr in die Heimat befürchte er die Todesstrafe.

2        Mit Bescheid vom 23. August 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei, und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 30. September 2021 als unbegründet ab. Weiters sprach es aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf das Vorbringen zur Konversion zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe aus näher genannten Gründen nicht glaubhaft darlegen können, dass er aufgrund eines inneren Entschlusses zum Christentum konvertiert sei. Es handle sich um eine Scheinkonversion. Unter Berücksichtigung des Privatlebens des Revisionswerbers überwiege das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung.

5        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 29. November 2021, E 4089/2021-5, die Behandlung derselben ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit näher begründet aus, das Bundesverwaltungsgericht habe die Scheinkonversion nicht entsprechend der höchstgerichtlichen Rechtsprechung beurteilt, weil es keine Gesamtbetrachtung jener Umstände, die die Konversion konkret beträfen, vorgenommen habe. Zudem sei im Rahmen der Beweiswürdigung weder die Aussage der einvernommenen Zeugin noch der Umstand, dass der Revisionswerber seinen Glauben in den sozialen Medien öffentlich gemacht habe, berücksichtigt worden.

10       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung der vorliegenden Beweismittel, etwa von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten, zu ermitteln ist. In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist nicht entscheidend, ob der Religionswechsel durch die Taufe erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. VwGH 5.3.2021, Ra 2021/14/0038, mwN).

11       Weiters entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa VwGH 20.1.2022, Ra 2021/14/0287, mwN).

12       An diesen Leitlinien hat sich das Bundesverwaltungsgericht orientiert. Es hat sich nach Durchführung einer Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschafft und ein Mitglied einer österreichischen Freikirche, der auch der Revisionswerber angehört, als Zeugin zu seinen religiösen Aktivitäten befragt hat, im Rahmen einer umfassenden Beweiswürdigung mit sämtlichen Beweismitteln auseinandergesetzt und dabei unter anderem auf Widersprüche und teils nicht nachvollziehbare oder unglaubwürdige Angaben hingewiesen. Entgegen dem Revisionsvorbringen hat sich das Bundesverwaltungsgericht auch mit dem Umstand der Veröffentlichung seines Glaubens in sozialen Netzwerken eingehend auseinandergesetzt und ist abschließend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Revisionswerber nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei und ihm auch aufgrund der vorliegenden Scheinkonversion keine Verfolgung im Herkunftsstaat drohe. Der Revision gelingt es nicht darzulegen, dass die dieser Beurteilung zugrundeliegende Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre.

13       Schließlich wendet sich die Revision zu ihrer Zulässigkeit gegen die Interessenabwägung in Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung und bringt dazu vor, das Bundesverwaltungsgericht habe dem Revisionswerber trotz seiner herausragenden und gelungenen Integration die Zuerkennung eines humanitären Aufenthaltstitels versagt. Es fehle Rechtsprechung dazu, wann die Kriterien für eine Aufenthaltsberechtigung als erfüllt angenommen werden können.

14       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 16.12.2021, Ra 2021/14/0374, mwN).

15       Dieses Vertretbarkeitskalkül ist vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu sehen, wonach der Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nicht dazu berufen ist, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten. Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0189 bis 191, mwN).

16       Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. zum Ganzen VwGH 13.12.2021, Ra 2021/14/0370 bis 0372, mwN).

17       Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht bei der Interessenabwägung alle für und gegen den Revisionswerber sprechenden Umstände berücksichtigt und es wird auch im Zulässigkeitsvorbringen der Revision eine Unvertretbarkeit im gegenständlichen Fall nicht dargestellt (vgl. VwGH 16.12.2021, Ra 2021/14/0374, mwN).

18       Sofern die Revision fehlende Rechtsprechung dahingehend vermissen lässt, bei Erfüllung welcher Kriterien von einer herausragenden Integration auszugehen sei, wird darauf verwiesen, dass es sich hierbei stets um eine Frage des Einzelfalles handelt und nicht allgemein beantwortet werden kann (vgl. VwGH 25.3.2021, Ra 2020/21/0480; erneut Ra 2020/20/0189 bis 0191).

19       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 3. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140042.L00

Im RIS seit

28.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten