TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/8 Ra 2020/15/0010

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Veröffentlicht am 08.03.2022
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
39/03 Doppelbesteuerung

Norm

BAO §115 Abs1
BAO §115 Abs2
BAO §166
BAO §169
BAO §183
BAO §183 Abs4
BAO §26
BAO §303
BAO §93 Abs3 lita
DBAbk Liechtenstein 1971
DBAbk Schweiz 1975
DBAbk Schweiz 1975 Art15
DBAbk Schweiz 1975 Art23 Z2

Beachte


Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ra 2020/15/0011 E 16.03.2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des M S in B, vertreten durch Dr. Felix Karl Vogl, Rechtsanwalt und Steuerberater in 6780 Schruns, Gerichtsweg 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 19. Juni 2018, Zl. RV/1100415/2017, betreffend Einkommensteuer 2013 bis 2015 und Festsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen 2017, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein österreichischer Staatsbürger, war in den Streitjahren bei einem liechtensteinischen Unternehmen als Dienstnehmer beschäftigt und bezog daraus Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

2        Am 25. November 2014 langte beim Finanzamt ein an die Finanzpolizei gerichtetes, den Revisionswerber betreffendes anonymes Schreiben ein. Darin wird ausgeführt, der Revisionswerber wohne seit vielen Jahren mit seiner langjährigen Lebensgefährtin in der Gemeinde X. Er habe sich vor zwei Jahren in X amtlich abgemeldet und in der Schweiz in Y angemeldet. Tatsächlich wohne er aber wie vorher bei seiner Lebensgefährtin in X. Er fahre jeden Morgen mit seinem Auto von X zur Arbeit nach Liechtenstein und komme jeden Abend mit seinem Auto nach X zurück. Er wohne dort werktags, wochenends, sonntags wie feiertags. Der Revisionswerber benutze seit ca. zwei Jahren einen Pkw, silbermetallic, der Marke Z mit einem Schweizer Kennzeichen. Demnächst würden er und seine Lebensgefährtin in eine andere Wohnanlage in X umziehen.

3        Die Finanzpolizei führte daraufhin Ermittlungen durch. Dabei befragte sie den Revisionswerber und seine Lebensgefährtin und nahm Erhebungen betreffend Trinkwasserverbrauch und Post-Nachsendeaufträge vor.

4        Das Finanzamt ging in der Folge davon aus, dass der Revisionswerber in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig und ansässig sei, und erließ im Juni 2017 Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2013 bis 2015, mit denen es die liechtensteinischen nichtselbständigen Einkünfte erfasste. Zur Begründung führte es aus, der Revisionswerber habe zwar ab September 2012 eine Wohnung in der Schweiz angemietet, sodann den österreichischen Wohnsitz (bisher Hauptwohnsitz) zum Nebenwohnsitz umgemeldet und, nachdem das Finanzamt Ermittlungen bezüglich der Steuerpflicht vorgenommen hatte, auch diesen Nebenwohnsitz abgemeldet. Er halte sich aber weiterhin an den Wochenenden am Wohnsitz seiner Lebensgefährtin auf, mit welcher er bereits vierzehn Jahre in einer Beziehung lebe. Das Finanzamt gehe davon aus, dass die gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin benutzte Wohnung einen Wohnsitz iSd BAO darstelle. Mangels persönlicher und wirtschaftlicher Beziehungen zur Schweiz und weil persönliche Beziehungen lediglich zur Lebensgefährtin in Österreich bestünden, könne davon ausgegangen werden, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Revisionswerbers und somit seine Ansässigkeit gemäß Art. 4 DBA-Schweiz in Österreich befinde. Daher seien die in Liechtenstein erzielten Einkünfte nach Art. 15 DBA-Liechtenstein in Österreich zu erfassen; eine allenfalls in Liechtenstein bezahlte Steuer könne auf die österreichische Steuer angerechnet werden. Das Finanzamt setzte auch Einkommensteuervorauszahlungen für 2017 fest.

5        Der Revisionswerber erhob Beschwerde. Darin brachte er im Wesentlichen vor, er sei am 1. September 2012 in die benachbarte Schweiz verzogen und verfüge dort über eine aufrechte Aufenthaltsbewilligung. In der Schweiz habe er seit 1. September 2012 eine Ein-Zimmer-Wohnung angemietet, wofür er eine monatliche Miete (inkl. Betriebskosten) von 850 CHF bezahlt habe. Mit 1. Juli 2017 sei er in der Schweiz in eine andere Wohnung umgezogen, für die der monatliche Mietzins (inkl. Betriebskosten) 760 CHF betrage. Er habe seine Einkünfte als Arbeitnehmer seit seinem Umzug in die Schweiz ordnungsgemäß in der Schweiz versteuert. Ein Wohnsitz in Österreich bestehe nicht.

6        Das Finanzamt erließ eine abweisende Beschwerdevorentscheidung und ging auch in dieser davon aus, dass der Revisionswerber in Österreich ansässig sei und daher die in Liechtenstein erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Österreich zu versteuern habe. Auch verweigerte es die vom Revisionswerber begehrte Anrechnung der in der Schweiz entrichteten Steuern (Kantons- und Gemeindesteuer sowie direkte Bundessteuer) auf die österreichische Einkommensteuer.

7        Im Vorlageantrag vom 13. September 2017 beantragte der Revisionswerber, die Einkommensteuerbescheide 2013 bis 2015 sowie den Vorauszahlungsbescheid 2017 ersatzlos aufzuheben. In eventu begehrte er, die in der Schweiz entrichteten Steuern auf die Steuerschuld anzurechnen. Begründend führte er u.a. aus, auf der vorgelegten Schweizer Wohnsitzbestätigung vom 8. Juni 2017 sei als Datum des Zuzugs in die Schweiz der 1. September 2012 angeführt, woraus sich wohl unzweifelhaft ergebe, dass der Revisionswerber seither polizeilich in der Schweiz gemeldet sei. Der Revisionswerber halte sich manchmal von Freitag bis Sonntag und manchmal von Samstag bis Sonntag bei seiner Lebensgefährtin in Österreich auf. Das Finanzamt schließe aus dem Trinkwasserverbrauch in der Wohnung der Lebensgefährtin, der von der Firma T festgestellt worden sei, auf einen dortigen Wohnsitz des Revisionswerbers. Die Firma T sei allerdings nicht in der Lage, den täglichen Wasserverbrauch festzustellen; vielmehr habe das Finanzamt aus einem periodisch, in der Regel jährlich, abgelesenen Wasserverbrauch einen Tagesschnitt ermittelt, woraus sich aber keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen Aufenthaltszeiten des Revisionswerbers bei seiner Lebensgefährtin ziehen ließen. Zudem sei der Wasserverbrauch seit dem Wegzug, wie das Finanzamt selbst festgestellt habe, rückläufig. Was die anonyme Anzeige vom 25. November 2014 anlange, so seien darin die Umstände beschrieben, wie sie bis zum Wegzug des Revisionswerbers in die Schweiz zutreffend gewesen seien. Da der Anzeiger offenbar auch Informationen über den (damals) bevorstehenden Wohnungswechsel der Lebensgefährtin gehabt habe, vermute der Revisionswerber den Anzeiger im persönlichen Umfeld der Lebensgefährtin. Jedenfalls seien die Angaben des Anzeigers unsubstantiiert und daher für die vorliegende Entscheidung unwesentlich. Der Revisionswerber halte jedenfalls fest, aus den genannten Umständen ergebe sich, dass er seit der Anmietung der Wohnung in der Schweiz über keinen Wohnsitz in Österreich verfügt habe und mit den Einkünften aus seinem Arbeitsverhältnis in Lichtenstein nicht in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig sei.

8        Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, entschied das Bundesfinanzgericht über die Beschwerde und ging dabei - wie das Finanzamt - davon aus, dass der Revisionswerber in Österreich ansässig sei und im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht die Einkünfte aus der in Liechtenstein ausgeübten nichtselbständigen Arbeit versteuern müsse.

9        Der Wohnsitz iSd § 26 BAO erfordere das Innehaben einer Wohnung unter Umständen, die darauf schließen ließen, dass der Steuerpflichtige die Wohnung beibehalten und benutzen werde. Der Tatbestand sei nicht nur dann erfüllt, wenn man über eine „eigene Wohnung“ verfüge. Auch eine abgeleitete Verfügungsmacht über eine Wohnung werde als ausreichend angesehen. Zum abgeleiteten Wohnsitz eines Lebensgefährten sei die Literatur geteilter Meinung. Nach Fuchs in Hofstätter/Reichel, Einkommensteuerkommentar, § 1 Tz 7, und Loukota, Internationale Steuerfälle, Tz 36, sei auch bei Lebensgefährten (wie bei Ehepartnern) ein abgeleiteter Wohnsitz anzunehmen. Es stehe der Annahme eines inländischen Wohnsitzes und damit auch der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nicht entgegen, wenn sich der Steuerpflichtige beruflich häufig im Ausland aufhalte, über eine Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz verfüge und sogar dort polizeilich gemeldet sei.

10       In diesem Sinne gehe das Bundesfinanzgericht von folgendem Sachverhalt aus: Der Revisionswerber sei österreichischer Staatsbürger und lebe seit 1990 in Österreich. Er sei geschieden und habe keine Kinder. Er sei in Österreich in X - gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin - vom 15.Mai 2002 bis zum 20. September 2012 mit Hauptwohnsitz und vom 20. September 2012 bis zum 24. Jänner 2013 mit Nebenwohnsitz (ohne Neuanmeldung eines anderen österreichischen Hauptwohnsitzes) polizeilich gemeldet gewesen.

11       Ab 15. Dezember 2014 sei die Lebensgefährtin des Revisionswerbers in ihre neue (ca. 100 m2 große) Eigentumswohnung (mit zwei Tiefgaragenplätzen) umgezogen. Den Revisionswerber und seine Lebensgefährtin verbinde unbestrittenermaßen eine Geschlechtsgemeinschaft. Das Bundesfinanzgericht gelange zu dem Schluss, dass in den Streitjahren (und auch vorher) eine aufrechte Lebensgemeinschaft bestanden habe. Auch die Lebensgefährtin habe in der Befragung vom 9. Dezember 2015 die Beziehung zum Revisionswerber bestätigt.

12       Der Revisionswerber habe über eine aufrechte (Dauer-) Aufenthaltsbewilligung (fünf Jahre gültig) in der Schweiz verfügt; er habe unstrittig in den Streitjahren einen weiteren Wohnsitz in der Schweiz gehabt.

13       Im Hinblick auf die Frage, ob und wie oft der Revisionswerber die Schweizer Wohnung tatsächlich genutzt habe, werde zunächst auf die detaillierte anonyme Anzeige verwiesen. Demnach habe der Revisionswerber auch nach seiner polizeilichen Abmeldung in Österreich die Wohnung seiner Lebensgefährtin täglich bewohnt. Dieser Umstand werde durch eine entsprechende Erhebung des Wasserverbrauches an der inländischen Adresse in X, wonach sich der Wasserverbrauch in den Streitjahren nicht wesentlich verringert habe, und durch einen (zunächst) fehlenden Nachsendeauftrag bei der österreichischen Post AG bestätigt (ein diesbezüglicher Nachsendeauftrag sei erst am 14. Jänner 2015 anlässlich des Umzuges der Lebensgefährtin in die neue Wohnung gestellt worden). In diesem Zusammenhang seien gerade auch die glaubwürdigen Angaben von (dem Revisionswerber fremd gegenüber stehenden) Auskunftspersonen in die Einschätzung des gegenständlichen Sachverhaltes einzubeziehen (Hinweis auf die finanzpolizeiliche Zusammenstellung der Ermittlungen vom 20. Jänner 2016): Einerseits die Angaben eines Nachbarn betreffend die Wohnung in X, wonach der Revisionswerber viele Jahre zusammen mit seiner Lebensgefährtin eben dort gewohnt habe und die beiden kurz vor Weihnachten 2014 zusammen in eine neue Wohnung in X gezogen seien, und andererseits die Angaben einer Nachbarin der neuen Wohnung, wonach die Lebensgefährtin nicht allein lebe, sondern die Wohnung mit einem Herrn teile; dieser würde dort definitiv wohnen und fahre einen silbernen Pkw mit Schweizer Kennzeichen; der Revisionswerber und seine Lebensgefährtin würden die beiden - zur neuen Wohnung gehörenden - Tiefgaragenplätze benutzen.

14       Diesem Ermittlungsergebnis stünde die unbewiesene Behauptung des Revisionswerbers gegenüber, wonach er ab September 2012 nur noch ein bis eineinhalb Tage pro Woche bei seiner Lebensgefährtin gewesen sei. Diese Behauptung, die allein durch die Angaben seiner (nahestehenden und damit wohl befangenen) Lebensgefährtin im Rahmen ihrer finanzpolizeilichen Befragung am 9. Dezember 2015 Bestätigung gefunden habe, wie auch die allenfalls als Indiz zu beurteilende polizeiliche Abmeldung von der langjährigen inländischen Adresse und die Schweizer Wohnsitzbescheinigung könnten nicht den Beweis dafür erbringen, dass sich der Revisionswerber auch tatsächlich in der Schweiz niedergelassen bzw. aufgehalten habe.

15       Der Revisionswerber habe seinen Schweizer Wohnsitz, also die längerfristige rechtliche und tatsächliche Verfügbarkeit einer Schweizer Wohnung, belegt. Allerdings habe er es trotz entsprechender Vorhaltung der Ausführungen in der anonymen Anzeige unterlassen, einen konkreten Nachweis dafür zu erbringen, dass er tatsächlich nur maximal eineinhalb Tage in Österreich und die übrige Zeit an seinem Schweizer Wohnsitz verbracht habe.

16       Das Bundesfinanzgericht gehe angesichts dieser Überlegungen davon aus, dass der Revisionswerber und seine Lebensgefährtin in den Streitjahren im Wesentlichen unverändert eine intensive, von regelmäßiger und immer wiederkehrender Präsenz geprägte und gelebte partnerschaftliche Beziehung unterhielten, aufgrund derer der Schluss zulässig sei, dass der Revisionswerber die Möglichkeit der jederzeitigen und uneingeschränkten Benutzung der (jeweiligen) Eigentumswohnung der Lebensgefährtin gehabt und die in Rede stehenden Wohnungen in X auch tatsächlich regelmäßig benutzt habe. Das tatsächliche Benutzen von zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten spreche jedenfalls für das Vorliegen eines Wohnsitzes. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei es wenig wahrscheinlich, dass der Revisionswerber seine Besuche mit der Lebensgefährtin abzustimmen gehabt habe und er damit nicht frei über deren Wohnung habe verfügen können. Bestätigung finde diese Einschätzung auch darin, dass der Revisionswerber im Rahmen seiner Befragung durch die Finanzpolizei selbst angegeben habe, den Wohnsitz in X aus steuerlichen Gründen (gänzlich) abgemeldet zu haben. Wie die Abgabenbehörde in diesem Zusammenhang richtig ausführe, indiziere im Übrigen auch die Ummeldung in einen Nebenwohnsitz die tatsächliche Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes in X.

17       Wenn das Finanzamt davon ausgegangen sei, dass der Revisionswerber im Streitzeitraum im Inland einen Wohnsitz gehabt habe (bzw. subsidiär seinen gewöhnlichen Aufenthalt), so könne dem nicht entgegengetreten werden. Der Annahme eines inländischen Wohnsitzes bzw. des gewöhnlichen Aufenthaltes und damit der unbeschränkten Steuerpflicht stehe weder entgegen, dass der Revisionswerber in den Streitjahren im Inland polizeilich nicht gemeldet gewesen sei, noch, dass er im strittigen Zeitraum in der Schweiz über einen (weiteren) Wohnsitz verfügt habe und dort polizeilich gemeldet gewesen sei.

18       Da sachverhaltsmäßig davon auszugehen sei, dass der Revisionswerber in den Streitjahren im Inland einen Wohnsitz (gewöhnlichen Aufenthalt) gehabt habe, sei er folglich in Österreich unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen. Er habe im Inland über eine ständige Wohnstätte verfügt. In einem nächsten Schritt sei (aufgrund des weiteren Wohnsitzes bzw. der weiteren ständigen Wohnstätte in der Schweiz) zu klären, in welchem Staat sich im fraglichen Zeitraum der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Revisionswerbers iSd Art. 4 Abs. 2 DBA-Schweiz befunden habe.

19       Bei der Bestimmung des Mittelpunktes der Lebensinteressen komme es auf persönliche und wirtschaftliche Beziehungen an. Als wirtschaftliche Beziehung zum Ausland seien im konkreten Fall die Berufstätigkeit in Liechtenstein, die Anmeldung von Fahrzeugen in der Schweiz, eine Versicherung in der Schweiz und die Entrichtung von Steuern in der Schweiz zu berücksichtigen. Wirtschaftliche Beziehungen in der Schweiz habe der Revisionswerber auch insofern unterhalten, als er dort ab September 2012 eine Wohnung angemietet habe. Über ein allfälliges Vermögen in Österreich oder in der Schweiz sei dem Bundesfinanzgericht nichts bekannt. Der Revisionswerber habe damit zu den beiden Staaten Österreich und Schweiz keine derart engen wirtschaftlichen Beziehungen, welchen in einer Gesamtbetrachtung ausschlaggebendes Gewicht beizumessen sei. Die Berufstätigkeit habe in Liechtenstein stattgefunden.

20       Unzweifelhaft seien aber die gewichtigeren engeren persönlichen Beziehungen zu Österreich gegeben. Da im Inland die (österreichische) Lebensgefährtin des Revisionswerbers als wesentliche Bezugsperson (mit persönlichem Umfeld, Eigentumswohnung, Arbeitsplatz in Österreich) gelebt habe und diese langjährige Lebensgemeinschaft nach wie vor aufrecht sei, habe jedenfalls eine enge (starke) persönliche Bindung in Österreich bestanden. In der Schweiz habe der Revisionswerber keine derart engen persönlichen Beziehungen gehabt. Eine entsprechende Verlagerung seiner Lebensinteressen in die Schweiz sei demnach nicht erkennbar.

21       Dem Vorbringen im Vorlageantrag zufolge erschöpften sich die persönlichen Beziehungen des Revisionswerbers in der Schweiz in Kontakten zu Wohnungsnachbarn (wobei allerdings der Revisionswerber im Rahmen der Befragung durch die Finanzpolizei noch angegeben habe, dass er in der Schweiz niemanden kenne) sowie bei Einkäufen. Dem stünden in Österreich die aufrechte Lebensgemeinschaft, der erfahrungsgemäß langjährig (gemeinsam) aufgebaute inländische Freundes- bzw. Bekanntenkreis, die vorwiegend wohl in Österreich entfaltete private Freizeitgestaltung (die Annehmlichkeiten einer ca. 50 m2 kleinen Mietwohnung seien im Verhältnis zur ca. 78 bzw. 100 m2 großen Eigentumswohnung der Lebensgefährtin wohl bescheidener), die Betätigung im Männerchor in X und die österreichische Staatsbürgerschaft gegenüber. Dass der Revisionswerber in den Streitjahren engere persönliche Beziehungen zu Österreich als zu der Schweiz gehabt habe, werde angesichts dieser Umstände sehr deutlich. Zudem scheine die Wohnungsanmietung in der Schweiz weniger auf eine persönliche oder wirtschaftliche Verwurzelung als auf den Umstand zurückzuführen zu sein, der österreichischen Besteuerung zu entgehen.

22       Nach Auffassung des Bundesfinanzgerichts habe sich somit der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Revisionswerbers nicht von Österreich in die Schweiz verlagert, sondern sei in den Streitjahren in Österreich verblieben. Damit sei der Revisionswerber weiterhin in Österreich ansässig (iSd Art. 4 DBA-Schweiz). Seine aus der nichtselbständigen Tätigkeit in Liechtenstein bezogenen Einkünfte dürften gemäß Art. 15 DBA-Liechtenstein in Österreich besteuert werden.

23       Selbst wenn die Grenzgängerregelung des Art. 15 Abs. 4 DBA-Liechtenstein nicht zur Anwendung gelange, also der Revisionswerber nicht täglich von Österreich, sondern zum Teil auch von der Schweiz aus seinen Arbeitsort in Liechtenstein aufsuche, ändere sich dadurch nichts an der Steuerpflicht in Österreich. Diesfalls habe Liechtenstein zwar gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA-Liechtenstein das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit, da gemäß Art. 23 Abs. 2 DBA-Liechtenstein die Anrechnungsmethode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zur Anwendung komme, rechne Österreich lediglich die in Liechtenstein bezahlte Steuer an. Die vom Revisionswerber vorgelegten, die Streitjahre betreffenden Lohnausweise wiesen indessen keine in Liechtenstein bezahlte Steuer aus, die angerechnet werden könne.

24       Die Anrechnung der in der Schweiz entrichteten Kantons- und Gemeindesteuer sowie der direkten Bundessteuer komme nach dem DBA-Schweiz nicht in Betracht. Eine Anrechnung der in einem anderen Staat bezahlten Steuern auf die im Inland zu entrichtende Einkommensteuer sei nur möglich, soweit in den zur Anwendung gelangenden Doppelbesteuerungsabkommen eine solche Anrechnung vorgesehen sei. Eine solche Anrechnung sei im Revisionsfall nur nach dem DBA-Liechtenstein und nur für in Liechtenstein bezahlte Steuern möglich.

25       Die Revisionswerber erhob Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 23. September 2019, E 3092/2018, abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

26       Der Verwaltungsgerichtshof hat über die sodann erhobene Revision nach Aktenvorlage und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die belangte Behörde erwogen:

27       Die Revision ist zulässig und begründet.

28       Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das Bundesfinanzgericht habe seine Sachverhaltsfeststellungen auf eine anonyme Anzeige gestützt, was einen Verstoß gegen den Grundsatz des Verbotes geheimer Beweismittel darstelle.

29       Dem ist entgegen zu halten, dass es sich bei der in Rede stehenden anonymen Anzeige nicht um ein „geheimes Beweismittel“ handelt. Der Revisionswerber wurde am 8. Jänner 2016 von der Finanzpolizei zu den Angaben in dieser Anzeige befragt. Das Finanzamt hat diese anonyme Anzeige in der Begründung zur Beschwerdevorentscheidung vom 17. August 2017 angesprochen. Mit Eingabe vom 24. August 2017 hat die steuerliche Vertreterin um Akteneinsicht in Form der Übermittlung der anonymen Anzeige (sowie des Protokolls über die Befragung des Revisionswerbers durch die Finanzpolizei) ersucht. Die Übermittlung dieser Unterlagen ist erfolgt. Im Vorlageantrag geht der Revisionswerber sodann konkret auf die Ausführungen in der anonymen Anzeige ein. Der Revisionswerber hatte somit über den Inhalt der anonymen Anzeige den gleichen Wissensstand wie das Finanzamt und das Bundesfinanzgericht.

30       Die Revision zeigt zwar zutreffend auf, dass der anonymen Anzeige keine relevante Beweiskraft zukommt. Die Anzeige löste allerdings entsprechende Ermittlungsschritte der Behörde aus. Auf das Ergebnis dieser Ermittlungen stützt das Bundesfinanzgericht seine Beweiswürdigung. Wenn das Bundesfinanzgericht in der Beschwerdeentscheidung in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung und Sachverhaltsfeststellung auch die anonyme Anzeige, aufgrund derer das Verfahren in Gang gesetzt worden ist, erwähnt, kann das nicht als rechtswidrig beurteilt werden.

31       Die Revision bringt weiters vor, das Bundesfinanzgericht habe seine Beweiswürdigung auf die Aussagen anonymer Auskunftspersonen gestützt. Diese Aussagen seien dem Revisionswerber im gesamten Verfahren niemals zur Kenntnis gebracht worden. Erstmals im angefochtenen Erkenntnis würden diese Aussagen erwähnt und zugleich für die Beweiswürdigung herangezogen. Auch die Namen der „angeblichen Auskunftspersonen“ seien dem Revisionswerber zu keinem Zeitpunkt bekannt geworden. Mit dieser Vorgangsweise habe das Bundesfinanzgericht gegen die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verstoßen, wonach es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar sei, eine Entscheidung auf der Partei nicht zugängliche Beweismittel zu stützen.

32       Mit diesem Vorbringen ist die Revision im Recht. Das Bundesfinanzgericht stützt seine Beweiswürdigung auch auf die Aussagen eines „Nachbarn“, der angegeben habe, der Revisionswerber habe viele Jahre zusammen mit seiner Lebensgefährtin in X gewohnt und beide seien kurz vor Weihnachten 2014 in eine neue - ebenfalls in X gelegene - Wohnung umgezogen. Es stützt die Beweiswürdigung weiters auf die Aussage einer „Nachbarin“, die angegeben habe, dass die Lebensgefährtin in der neuen Wohnung nicht allein lebe, sondern diese mit einem Herrn teile, der definitiv dort wohne und einen silbernen Pkw mit Schweizer Kennzeichen fahre, und wonach die Lebensgefährtin und der Revisionswerber die zur neuen Wohnung gehörenden Tiefgaragenplätze benutzten.

33       Weder dem angefochtenen Erkenntnis noch der Aktenlage ist ein Hinweis darauf zu entnehmen, dass der Revisionswerber in irgendeiner Weise über die in Rede stehenden Aussagen der Auskunftspersonen informiert worden wäre. Das Finanzamt führt in der Revisionsbeantwortung ausdrücklich an, es habe sich nie auf die Aussagen dieser Auskunftspersonen bezogen.

34       § 183 Abs. 4 BAO lautet:

„Den Parteien ist vor Erlassung des abschließenden Sachbescheides Gelegenheit zu geben, von den durchgeführten Beweisen und vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern.“

35       Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 17. Februar 1999, 98/14/0105, ausgesprochen: „Als Beweismittel kommen nur Umstände in Betracht, die der Partei bekannt gegeben werden dürfen. Das Parteiengehör erstreckt sich auch auf die Identität von Auskunftspersonen und Zeugen. Aussagen von Auskunftspersonen oder Zeugen, deren Namen der Partei gegenüber geheim gehalten werden, können zwar einen zu entsprechenden Ermittlungen und Nachforschungen Anlass gebenden Verdacht begründen, dürfen aber nicht verwendet werden, d.h. sie dürfen nicht zur Begründung von Feststellungen im Bescheid herangezogen werden (siehe dazu Stoll, BAO-Kommentar, 1764; Ritz, BAO-Kommentar, § 166 Tz 7, sowie die dort jeweils zitierte hg. Rechtsprechung).“

36       Es ist mit rechtsstaatlichen Prinzipien grundsätzlich nicht vereinbar, eine Entscheidung auf der Partei nicht zugängliche Beweismittel zu stützen (vgl. die bei Ritz/Koran, BAO7, § 166 Tz 7 und § 303 Tz 28 zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes; sowie aaO § 183 Tz 9; vgl. auch VfGH 10.10.2019, E 1025/2018; VwGH 14.1.2022, Ra 2021/13/0083, und 31.1.2022, Ra 2022/13/0001).

37       Verfahrensfehler führen dann zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof, wenn auch deren Relevanz aufgezeigt wird. Dazu führt die Revision aus, ohne die Aussagen der Auskunftspersonen hätte das Bundesfinanzgericht der Verantwortung des Revisionswerbers, er habe nur sporadisch Besuche bei seiner Lebensgefährtin absolviert, Glauben geschenkt. Entgegen dem Vorbringen des Finanzamtes in der Revisionsbeantwortung kann fallbezogen nicht beurteilt werden, ob die vom Bundesfinanzgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen auch unter Ausblendung der Aussagen der Auskunftspersonen hätten getroffen werden können. Im Hinblick darauf, dass dem Revisionswerber der exakte Inhalt der Aussagen der Auskunftspersonen sowie deren Identität nicht bekannt gegeben worden sind, kann eine nähere Darlegung der Relevanz des Verfahrensfehlers, insbesondere hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Aussagen der Auskunftspersonen nicht verlangt werden. Der Verfahrensmangel erweist sich somit als wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Bundesfinanzgericht bei dessen Vermeidung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.

38       Nicht berechtigt ist hingegen der Einwand des Revisionswerbers, aus Art. 23 Z 2 DBA-Schweiz ergebe sich ein Anspruch auf Anrechnung der in der Schweiz entrichteten Steuern (Bundes-, Kantons- und Gemeindesteuer).

39       Artikel 15 Z 1 DBA-Schweiz lautet:

„1. Vorbehaltlich der Artikel 16, 18 und 19 dürfen Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, sei denn, dass die Arbeit in dem anderen Vertragstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden.“

40       Artikel 23 Z 2 DBA-Schweiz lautet:

„2. Ungeachtet des Absatzes 1 darf Österreich Einkünfte im Sinne des Artikels 15 Absatz 1 sowie Einkünfte im Sinne des Artikels 19 (ausgenommen Ruhegehälter), die eine in Österreich ansässige Person aus ihrer in der Schweiz ausgeübten Arbeit aus öffentlichen Kassen der Schweiz bezieht, besteuern. Bezieht eine in Österreich ansässige Person unter Artikel 10, 15 und 19 fallende Einkünfte, die nach diesem Abkommen in der Schweiz und in Österreich besteuert werden dürfen, so rechnet Österreich auf die vom Einkommen dieser Person zu erhebende Steuer den Betrag an, der der in der Schweiz gezahlten Steuer entspricht; der anzurechnende Betrag darf jedoch den Teil der vor der Anrechnung ermittelten Steuer nicht übersteigen, der auf die aus der Schweiz bezogenen Einkünfte entfällt.“

41       Die in § 23 Z 2 zweiter Satz DBA-Schweiz vorgesehene Anrechnung hat - im gegebenen Kontext - zur Voraussetzung, dass eine in Österreich ansässige Person Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, die in der Schweiz ausgeübt wird. Nur solche fallen unter Art. 15 DBA-Schweiz und dürfen damit nach dem DBA-Schweiz (auch) in der Schweiz besteuert werden. Sollte sich daher im fortzusetzenden Verfahren bestätigen, dass der Revisionswerber als in Österreich ansässig anzusehen ist, entspräche die Besteuerung der Einkünfte aus der in Liechtenstein ausgeübten nichtselbständigen Tätigkeit durch die Schweiz nicht dem Abkommen, was allenfalls im Rahmen des Art. 25 DBA-Schweiz geltend zu machen wäre.

42       Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass das angefochtene Erkenntnis wegen Verstoßes gegen § 183 Abs. 4 BAO mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet ist. Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben. Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

43       Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 8. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020150010.L00

Im RIS seit

28.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

02.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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