TE OGH 2022/1/27 2Ob130/21p

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Veröffentlicht am 27.01.2022
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T* Ges.m.b.H., *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei G* G*, vertreten durch Mag. Sigrun List, Rechtsanwältin in Eugendorf, wegen 5.078,30 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 30. April 2021, GZ 53 R 48/21x-13, womit das Urteil des Bezirksgerichts Hallein vom 28. Jänner 2021, GZ 1 C 1133/20h-9, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,01 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die Klägerin betreibt ein Busunternehmen. Der Beklagte war am 12. 9. 2019 Fahrgast in einem Reisebus der Klägerin. Anlass der Busfahrt war eine Firmenfeier, die von der Stadt Salzburg in den Lungau und wieder zurück führte. Als sich der Bus während der Rückfahrt bereits wieder im Stadtgebiet von Salzburg befand, verließ der Beklagte seinen Sitzplatz und fiel bei einem Bremsvorgang gegen die Windschutzscheibe des Busses, die dadurch beschädigt wurde und ausgetauscht werden musste.

[2]       Die Klägerin begehrt den resultierenden Schaden von 5.078,30 EUR. Der Buslenker habe sämtliche Fahrgäste vor Reiseantritt auf die Verpflichtung hingewiesen, während der Fahrt angeschnallt sitzen zu bleiben. Der alkoholisierte Beklagte habe entgegen dieser Weisung während der Fahrt seinen Sitzplatz verlassen. Diese Vorgangsweise verstoße auch gegen das bestehende Vertragsverhältnis.

[3]       Der Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde nach. Es fehle der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen einer allfälligen Verletzung der Anschnallpflicht und der Beschädigung des Fahrzeugs. Im Übrigen sei das kurzzeitige Verlassen des Sitzplatzes Fahrgästen eines Omnibusses ausdrücklich gestattet. Der Buslenker habe eine Vollbremsung unternommen, weil er zwei Fußgänger übersehen habe. Es fehle daher auch am Verschulden des Beklagten.

[4]       Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. § 106 KFG richte sich zwar nicht nur an den Fahrzeuglenker, sondern auch an die im Fahrzeug mitbeförderten Personen und solle die Beeinträchtigung des Fahrers und der beförderten Personen vermeiden. Die Beschädigung des Fahrzeugs sei aber vom Schutzzweck der Anschnall- sowie Festhaltepflicht ausgenommen. Ein Hinweis auf die Anschnallpflicht mache die Verpflichtung zum Anlegen des Sicherheitsgurtes nicht zum Vertragsinhalt. Auch sei das kurzzeitige Verlassen des Sitzplatzes nach § 106 Abs 3 Z 6 KFG zulässig. Damit sei das Verhalten des Beklagten weder rechtswidrig noch schuldhaft.

[5]       Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Ein Schutzzweck der Anschnallpflicht, durch unvorhergesehene Bremsvorgänge entstehende Sachschäden zu vermeiden, sei aus § 106 KFG nicht abzuleiten, und zwar auch dann nicht, wenn der Beklagte den Sitzplatz nicht bloß kurzzeitig verlassen haben sollte. Der insoweit geltend gemachte sekundäre Feststellungsmangel liege daher nicht vor.

[6]       Auch eine Haftung aus dem Beförderungsvertrag sei nicht erkennbar. Die Klägerin habe nicht einmal dargetan, wer ihn abgeschlossen habe. Angesichts der festgestellten Firmenfeier sei es unwahrscheinlich, dass der Beklagte Vertragspartei gewesen sei. Soweit die Vertragsverletzung auf die behauptete ausdrückliche Weisung des Buslenkers, während der gesamten Fahrt angeschnallt zu bleiben und die Sitzplätze nicht zu verlassen, gestützt werde, könne daraus keine vertragliche Vereinbarung in Zusammenhang mit dem Beförderungsvertrag abgeleitet werden. Zwar treffe den Lenker eines Omnibusses eine Verpflichtung nach § 106 Abs 4 Z 1 KFG auf die Anschnallpflicht hinzuweisen. Daraus resultiere aber keine Vollmacht, Bedingungen für die Beförderung als Vertragsbestandteil auszuhandeln. Ansonsten fehle es an ausreichendem erstinstanzlichen Vorbringen zum Vorliegen einer Vollmacht.

[7]       Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil zur Frage, inwiefern die Anschnallpflicht nach § 106 KFG den Schutz vor Vermögensschäden am Fahrzeug bezwecke, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.

[8]       Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Ziel der Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9]       Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

[10]     Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[11]     1. Grundvoraussetzung der hier geltend gemachten Verschuldenshaftung des Beklagen ist eine rechtswidrige und schuldhafte Handlung seinerseits. Nach modernem Verständnis ist eine Handlung jedes menschliche Tun, das vom Willen beherrschbar ist und deshalb einem Menschen zugerechnet werden kann, im Gegensatz etwa zu unkontrollierbaren Reflexbewegungen oder solchen im Schlaf (Karner in KBB6 § 1294 Rz 1).

[12]     Hier fiel der Beklagte bei einem Bremsvorgang gegen die Windschutzscheibe des Busses. Insofern kann daher nicht von einer vom Willen beherrschbaren Handlung iSd § 1294 ABGB gesprochen werden. Die Klägerin stützt sich aber ohnehin auf die vorgelagerte Verletzung der – deliktischen oder vertraglichen – Pflicht, angeschnallt auf dem Sitzplatz zu verweilen.

2. Zur vertraglichen Haftung:

[13]     Die Klägerin schließt aus ihrem Vorbringen über eine vom Busfahrer erteilte Anweisung, während der gesamten Fahrt angeschnallt sitzen zu bleiben, dass dies Vertragsinhalt zwischen den Streitteilen geworden sei.

[14]      Selbst wenn man unterstellt, dass zwischen den Vertragsteilen ein Vertragsverhältnis bestand und weiters, dass die behauptete Äußerung des Buslenkers als ein über die Hinweispflicht des § 106 Abs 4 KFG hinausgehendes Anbot zur Änderung des Beförderungsvertrags gemeint gewesen sein sollte, fehlte es an der weiter erforderlichen Behauptung der Erkennbarkeit dieses Anbots nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont als solches und wurde weiters die Annahme durch den Beklagten weder behauptet noch nachgewiesen.

[15]     Schon deshalb kommt eine Haftung auf vertraglicher Basis nicht in Frage. Damit sind auch alle weiteren in der Revision behandelten Fragen, wie insbesondere jene, ob der Buslenker ausreichende Vertretungsmacht besaß, nicht mehr zu klären.

3. Zur deliktischen Haftung:

[16]     3.1. § 106 Abs 2 KFG gebietet dem Lenker und beförderten Personen – außer im hier nicht anwendbaren Fall des Abs 5 leg cit – bei einem mit einem Sicherheitsgurt ausgerüsteten Sitzplatz die Verwendung des Sicherheitsgurts, wobei die Verletzung der Pflicht (im Fall der Tötung oder Verletzung des Benützers) ein Mitverschulden nur in Bezug auf einen allfälligen Schmerzengeldanspruch begründet.

[17]     Diese Bestimmung wurde ursprünglich mit Art III der 3. KFG-Novelle, BGBl 1976/352, eingeführt und war damals, abgesehen von der Regelung über die (eingeschränkte) Berücksichtigung des Mitverschuldens, ohne Sanktion. Die Differenzierung zwischen Schmerzengeld und anderen Ansprüchen wurde zwar in der Literatur kritisiert (vgl Bydlinski, Der immaterielle Schaden in der österreichischen Rechtsentwicklung, in FS Caemmerer [1978], 785 [787]), aber dennoch mit der Novelle BGBl 253/1984, die die verwaltungsbehördliche Strafbarkeit der Verletzung der „Gurtenpflicht“ brachte, unverändert beibehalten. Dies führte zu literarischen Überlegungen zur allfällig änderungsbedürftigen Auslegung der weiterhin als unbefriedigend erachteten zivilrechtlichen Regelung (vgl Apathy, Zivilrechtliche Folgen der Nichtverwendung von Sicherheitsgurten, JBl 1985, 641). Sie wurde zuletzt mit der 26. KFG-Novelle, BGBl I 2005/117, übernommen.

[18]     3.2. Bei § 106 KFG handelt es sich grundsätzlich um eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB, die sich nicht nur an den Fahrzeuglenker, sondern auch an die in bzw auf einem Fahrzeug mitbeförderten Personen richtet (RS0065835; Grubmann, KFG4 § 106 Anm 1). Ihr Zweck besteht nicht nur darin, eine Beeinträchtigung des Lenkers zu vermeiden, sondern auch darin, die beförderte Person nicht zu gefährden (RS0026785).

[19]     3.3. Dass dagegen auch die Verhinderung von Sachschäden am Fahrzeug vom Schutzzweck der Norm über die Pflicht zur Verwendung des Sicherheitsgurts umfasst wäre, ergibt sich aus dem Gesetz nicht. Vielmehr spricht der Wortlaut des § 106 Abs 2 Satz 2 KFG, der bei Verletzung der Pflicht ein Mitverschulden ausdrücklich nur in Bezug auf einen allfälligen Schmerzengeldanspruch anordnet, für eine Privilegierung der diese Pflicht vernachlässigende Person als Geschädigte in allen anderen Anspruchsbereichen. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass auch im Fall einer die Pflicht zur Verwendung des Sicherheitsgurts verletzenden Person, die nicht Geschädigte sondern Schädigerin ist, der Schutzzweck der Norm nicht über die darin (noch dazu nur im Umfang des Schmerzengeldes) angesprochenen Personenschäden hinaus auch auf Sachschäden auszudehnen ist.

[20]     3.4. Dies ergibt sich auch aus dem Bericht des Verkehrsausschusses AB 295 BlgNR 14. GP, 30, zur ursprünglichen Bestimmung des Art III der 3. KFG-Novelle, der – entgegen der damaligen Regierungsvorlage, die ein Mitverschulden des die Pflicht zur Verwendung des Sicherheitsgurts Verletzenden für sämtliche Schäden vorsah – ausdrücklich nur das Schmerzengeld betroffen sehen wollte, weil er den in der Unterlassung der Benützung des Sicherheitsgurts liegenden Schuldgehalt zu gering erachtete, um auch andere Ansprüche zu kürzen. Auch die nachfolgenden Gesetzgeber haben Jahre bzw Jahrzehnte später insofern keinen Änderungsbedarf gesehen. Weder der Gesetzeswortlaut noch der Wille des Gesetzgebers indizieren somit eine auf Sachschäden ausgedehnte Auslegung.

[21]     3.5. Dass, wie die Revision ausführt, mit dieser Bestimmung ein allgemeines Ziel der Schadensvermeidung verfolgt würde, das eine Differenzierung zwischen Personen- und Sachschäden unsachgemäß mache, ergibt sich somit nicht. Die von der Revisionswerberin zitierten Entscheidungen betrafen Personenschäden (Dritter) und sind in Bezug auf die Haftung für Sachschäden nicht einschlägig.

[22]     3.6. Auch die deutsche Rechtsprechung schließt – bei vergleichbarer Rechtslage – die Beschädigung eines Fahrzeugs explizit aus dem Schutzzweck der Anschnall- sowie Festhaltepflicht aus. Für Schäden am Kfz oder an mitgeführten Sachen ist demnach die Ursächlichkeit des Nichtanschnallens regelmäßig zu verneinen (BGH NJW 1981, 287 mwN). Diese Pflichten wurden nicht eingeführt, um Sachschäden an Kraftfahrzeugen durch herumgeschleuderte Insassen zu vermeiden. Es geht danach auch nicht um die Gefahr, die der stehende oder nicht angeschnallte Fahrgast für das Fahrzeug darstellt (LG Mainz, 4 O 497/02 BeckRS 2003, 17426; LG Frankfurt aM, 2/1 S 327/93 NJW-RR 1994, 924; Freymann in Geigel, Haftpflichtprozess28 Rn 554 ff).

[23]     3.7. Ergebnis: Der Schutzzweck der in § 106 Abs 2 KFG normierten Pflicht zum bestimmungsgemäßen Gebrauch des Sicherheitsgurts umfasst nicht die Verhinderung von aus der Verletzung dieser Pflicht resultierenden Sachschäden durch beförderte Personen am Fahrzeug.

[24]     3.8. Die in Zusammenhang mit der Ausnahme von der Pflicht zum Gebrauch des Sicherheitsgurts für Fahrgäste in Omnibussen bei kurzzeitigem Verlassen des Sitzplatzes nach § 106 Abs 3 Z 6 KFG aufgeworfenen Rechtsfragen sind infolge des zu verneinenden Rechtswidrigkeitszusammenhangs nicht entscheidungsrelevant.

[25]     4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E134231

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00130.21P.0127.000

Im RIS seit

29.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

29.03.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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