TE OGH 2022/1/27 2Ob186/21y

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Veröffentlicht am 27.01.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* W*, vertreten durch Dr. Dieter Brandstätter, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. B* S*, und 2. H* Versicherung AG, *, beide vertreten durch Dr. Wallnöfer ua, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 46.269,91 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 5. August 2021, GZ 1 R 86/21p-62, womit infolge Berufungen aller Streitteile das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 18. März 2021, GZ 8 Cg 24/19h-54, abgeändert wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Der Schriftsatz der klagenden Partei vom 13. 9. 2021 wird zurückgewiesen.

II. Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahingehend abgeändert, dass sie einschließlich der rechtskräftigen Teile folgendermaßen zu lauten hat:

„1. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 43.269,91 EUR samt 4 % Zinsen aus 15.211,41 EUR von 10. 11. 2018 bis 19. 8. 2019, aus 25.469,91 EUR von 20. 8. 2019 bis 3. 6. 2020 und aus 43.269,91 EUR seit 2. 12. 2020 sowie die mit 30.392,37 EUR (darin 3.806,83 EUR USt und 7.551,40 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten erster und zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu bezahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die beklagten Parteien der klagenden Partei zur ungeteilten Hand für alle zukünftigen Schäden und Folgen aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 11. 9. 2018 im Gemeindegebiet von Thaur haften, wobei die Haftung der erstbeklagten Partei auf die Haftungshöchstbeträge der §§ 15 und 16 EKHG und die Haftung der zweitbeklagten Partei mit der Versicherungssumme für das Fahrzeug mit dem Kennzeichen * betraglich beschränkt ist.

3. Die Mehrbegehren,

a) die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei weitere 3.000 EUR samt 4 % Zinsen aus 1.000 EUR von 20. 8. 2019 bis 3. 6. 2020, aus 39.469,91 EUR von 4. 6. 2020 bis 1. 12. 2020 und aus 3.000 EUR seit 2. 12. 2020 zu bezahlen, sowie

b) es werde festgestellt, dass die erstbeklagte Partei der klagenden Partei zur ungeteilten Hand für alle zukünftigen Schäden und Folgen aus Anlass des unter Punkt 2 genannten Verkehrsunfalls über die Haftungsbeschränkungen der §§ 15 und 16 EKHG hinaus zu haften habe,

werden abgewiesen.“

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 3.314,67 EUR (darin enthalten 272,68 EUR USt und 1.678,60 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]            Am 11. 9. 2018 ereignete sich in Thaur am Almweg zur Thaurer Alm ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Radfahrerin und ein von der Erstbeklagten gehaltener, von R* S* gelenkter und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherter Pkw beteiligt waren und bei dem die Klägerin verletzt wurde.

[2]       Der Thaurer Almweg war im Zeitpunkt des Unfalls ein Interessentenweg nach dem Tiroler Straßengesetz.

[3]            Die Fahrbahn des Thaurer Almwegs in nordöstlicher Annäherung an die Unfallstelle verläuft annähernd geradlinig mit einem Gefälle in Richtung Nordosten von ca 11 bis 12 % und geht in weiterer Folge in eine Linkskurve über. Im Bereich der Unfallstelle grenzt südlich an die Fahrbahn eine abfallende Böschung und nordwestlich eine ansteigende Böschung. Im Bereich der Unfallstelle beträgt die Fahrbahnbreite ca 3,5 bis 4 m.

[4]       Die Fahrzeugbreite des Klagsfahrzeugs betrug ca 0,6 m, jene des Beklagtenfahrzeugs inklusive Außenspiegel ca 2,0 m.

[5]       Unmittelbar vor dem Unfall fuhren die Klägerin und eine Freundin den Thaurer Almweg mit ihren Fahrrädern talwärts. Der Abstand zwischen der Klägerin und ihrer vorausfahrenden Freundin betrug ca 5 bis 7 m. Die Klägerin fuhr mit einem Abstand von ca 0,7 m zum rechten Fahrbahnrand mit einer Geschwindigkeit von ca 10 km/h. In Fahrtrichtung der Klägerin talwärts gesehen beschreibt die Straße eine Linkskurve. In Annäherung an diese Linkskurve hörte die Klägerin ein Fahrzeug. Sie bremste, nahm ihren linken Fuß aus dem Klickpedal des Fahrrads heraus und war gerade davor abzusteigen. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich weiterhin am – aus ihrer Sicht gesehen – rechten Fahrbahnrand. Das Fahrrad der Klägerin stellte sich vor der Kollision wegen eines von ihr eingeleiteten starken Bremsmanövers nicht quer zur Fahrbahn.

[6]       R* S* näherte sich mit dem Beklagtenfahrzeug bergwärts fahrend der Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von ca 15 bis 20 km/h an. Er nahm die Klägerin erstmals wahr, als sie sich ca 8,7 m von der Kollisionsposition und ca 14,2 m von ihm entfernt befand. Er leitete vor der Kollision, nachdem er die Klägerin wahrgenommen hatte, noch ein Bremsmanöver, aber keine Vollbremsung ein.

[7]       Schließlich kam es zur Kollision zwischen dem linken vorderen Eckbereich des Beklagtenfahrzeugs und der linken Seite des Fahrrads der Klägerin bzw der Klägerin selbst, wobei die genaue Kollisionsstelle insbesondere in Fahrbahnquerrichtung, somit die Abstände zu den Fahrbahnrändern, nicht feststellbar ist.

[8]       Die gegenseitige freie Sichtweite der Klägerin und des Lenkers des Beklagtenfahrzeugs jeweils im Bereich der Fahrbahnmitte und in ungefähr gleichen Abständen zur Kollisionsstelle betrug ca 25,5 m.

[9]       Bei einer Fahrgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs von 15 bis 20 km/h ergibt sich unter Berücksichtigung einer Reaktionszeit von 0,8 s und einer Bremsschwellzeit von 0,2 s im Rahmen einer Vollbremsung mit einer mittleren Vollbremsverzögerung von 6 bis 7 m/s² ein Anhalteweg von ca 5 bis 7,5 m und eine Anhaltezeit von 1,5 bis 1,8 s.

[10]     Die maximale Bremsausgangsgeschwindigkeit, um das Beklagtenfahrzeug gerade noch innerhalb der halben Sichtstrecke anzuhalten, betrug unter Zugrundelegung einer Reaktions- und Bremsschwellzeit von zusammen ca 1 Sekunde ca 27 bis 28 km/h.

[11]     Die relative Kollisionsgeschwindigkeit (Summenkollisionsgeschwindigkeit) betrug zwischen ca 15–25 km/h. Eine nähere Eingrenzung der Kollisionsgeschwindigkeit ist nicht möglich.

[12]     Nicht festgestellt werden kann, ob sich die Klägerin mit ihrem Fahrrad zum Kollisionszeitpunkt bereits im Stillstand befand oder noch fuhr. Das Beklagtenfahrzeug befand sich zum Kollisionszeitpunkt nicht im Stillstand. Sofern sich sowohl die Klägerin als auch das Beklagtenfahrzeug in Bewegung befanden, kann nicht festgestellt werden, welches der Fahrzeuge welchen Anteil an der Summenkollisionsgeschwindigkeit beisteuerte.

[13]     Unter Berücksichtigung der Fahrbahnbreite sowie der Fahrzeugbreiten ist für zwei durchschnittlich geübte Fahrzeuglenker im Bereich der gegenständlichen Unfallstelle bei jeweils äußerst rechts gelegenen Fahrlinien im unteren Geschwindigkeitsbereich von beispielsweise 5–10 km/h ein gefahrloser und kollisionsfreier Passiervorgang von Klags- und Beklagtenfahrzeug möglich.

[14]           Die Klägerin begehrte zuletzt die Zahlung von 46.269,91 EUR sA (darunter ua 27.000 EUR Schmerzengeld, 5.000 EUR Verunstaltungsentschädigung und 8.800 EUR Kosten für Narbenkorrektur) sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen, für die Zweitbeklagte beschränkt mit der für das Beklagtenfahrzeug bestehenden Haftpflichtversicherungssumme. Sie brachte vor, der Beklagtenlenker sei zu schnell und nicht rechts fahrend entgegengekommen. Sie habe sofort reagiert, den Unfall jedoch nicht mehr verhindern können. Der Lenker des Beklagtenfahrzeugs habe verspätet reagiert und sei nicht auf Sicht gefahren.

[15]     Die Beklagten wendeten ein, der Lenker des Beklagtenfahrzeugs habe das Fahrzeug mit rund 10 km/h bergwärts gelenkt und sofort gebremst, als er die ihm entgegenkommenden Radfahrerinnen wahrgenommen habe. Die Klägerin und eine weitere Radfahrerin seien jedoch weder mit angepasster, langsamer Geschwindigkeit, sondern zu schnell und nicht ganz rechts, sondern mit einem seitlichen Abstand von einem Meter zueinander talwärts gefahren. Hätte die Klägerin ihre Geschwindigkeit reduziert und wäre sie nicht neben, sondern hinter der anderen Radfahrerin gefahren, wäre es nicht zur Kollision gekommen. Das Alleinverschulden treffe die Klägerin. Für den Lenker des Beklagtenfahrzeugs habe es sich um ein unabwendbares Ereignis gehandelt. Es liege auch keine außergewöhnliche Betriebsgefahr vor, weshalb eine Haftung der Beklagten ausgeschlossen sei.

[16]     Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren mit 37.269,91 EUR sA sowie dem Feststellungsbegehren statt, wobei es jedoch aussprach, dass die Erstbeklagte nur bis zu den Haftungshöchstbeträgen der §§ 15 f EKHG hafte. Das Zahlungsmehrbegehren von 9.000 EUR sA sowie das Feststellungsmehrbegehren (dass die Erstbeklagte über die Haftungshöchstbeträge der §§ 15 f EKHG hinaus hafte) wies es ab. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, die Klägerin treffe kein Verschulden. Dem Lenker des Beklagtenfahrzeugs sei jedoch insofern ein Fehlverhalten zur Last zu legen, als er die Kollision verhindern hätte können, wenn er sofort eine Vollbremsung eingeleitet hätte. Sollte ein Verschulden des Lenkers des Beklagtenfahrzeugs nicht gegeben sein, treffe die Beklagten eine Haftung nach EKHG, weil ihnen der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKGH nicht gelungen sei. Die Beklagten hafteten der Klägerin dem Grunde nach. Von den eingeklagten Schadenspositionen stehe jedoch Schmerzengeld nur in Höhe von 19.000 EUR, Verunstaltungsentschädigung nur in Höhe von 4.000 EUR zu.

[17]     Das von allen Seiten angerufene Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts dahingehend ab, dass es dem Klagebegehren im Betrag von 21.634,95 EUR sA sowie dem Feststellungsbegehren (hinsichtlich der Erstbeklagten beschränkt auf die Haftungshöchstbeträge der §§ 15 f EKHG) zur Hälfte stattgab und das Mehrbegehren abwies. Rechtlich vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, zu Gunsten der Beklagten sei zu unterstellen, dass die Fahrbahnbreite im Unfallbereich 3,5 m betragen und der Lenker des Beklagtenfahrzeugs eine Bremsausgangsgeschwindigkeit von 15 km/h eingehalten habe. Unter Berücksichtigung der Fahrzeugbreite des Beklagtenfahrzeugs (inklusive Außenspiegel) von 2,0 m und des Klagsfahrzeugs von 0,6 m sowie des von der Klägerin eingehaltenen Abstands von 0,7 m zum rechten Fahrbahnrand ergebe sich, dass der Lenker des Beklagtenfahrzeugs äußerst rechts gefahren sei. Er habe auch keine absolut überhöhte Geschwindigkeit eingehalten. Ihn treffe daher kein Verschulden. Die Klägerin sei nicht äußerst rechts, sondern mit einem Seitenabstand zum rechten Fahrbahnrand von 0,7 m talwärts gefahren, was ein Verschulden begründe. Den Beklagten sei der Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG nicht gelungen. Bei der Gewichtung nach § 11 Abs 1 EKHG führe die gewöhnliche Betriebsgefahr auf Beklagtenseite und das Verschulden der Klägerin zur Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1. Das (ungekürzte) Schmerzengeld sei jedoch mit 25.000 EUR (statt mit 19.000 EUR laut Erstgericht) zu bemessen.

[18]           Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung dahingehend, dem Zahlungsbegehren mit weiteren 21.634,95 EUR sA stattzugeben und hinsichtlich des Feststellungsbegehrens das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[19]           Die Beklagten beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[20]           I. Der ergänzende Rechtsmittelschriftsatz der Klägerin vom 13. 9. 2021 ist aufgrund des Einmaligkeitsgrundsatzes (RS0036673) zurückzuweisen.

[21]           II. Die Revision ist wegen einer Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zulässig; sie ist auch berechtigt.

[22]     Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Schadensteilung strittig.

[23]     Die Revisionswerberin bringt vor, es sei nicht festgestellt worden, welchen Seitenabstand (nach rechts) sie unmittelbar vor der Kollision gehabt habe. Selbst bei Annahme eines Seitenabstands von 70 cm nach rechts (wobei nicht feststehe, ob der Seitenabstand vom rechten Lenkerende des Fahrrads oder von der Sitzposition der Klägerin zu rechnen sei) weiche das Berufungsgericht von oberstgerichtlicher Rechtsprechung ab, wonach in vergleichbaren Fällen kein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot gemäß § 7 Abs 2 StVO angenommen worden sei. Die Klägerin treffe daher kein Verschulden.

[24]     Die Revisionsgegner machen geltend, die Klägerin habe gegen § 7 Abs 2 StVO verstoßen. Beim Thaurer Almweg handle es sich um einen Interessentenweg iSd Tiroler Straßengesetzes, den die Klägerin nicht benützen hätte dürfen.

Hierzu wurde erwogen:

[25]           1. Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung trifft die Behauptungs- und Beweislast für Tatumstände, aus denen ein die Haftung für die Unfallfolgen begründendes Verschulden des Gegners abgeleitet wird, denjenigen, der sich auf solch ein Verschulden beruft. Jede in dieser Richtung verbleibende Unklarheit in tatsächlicher Hinsicht geht zu Lasten dessen, der ein Verschulden des Gegners behauptet (RS0027310).

[26]     Für ein Verschulden der Klägerin sind somit die Beklagten beweispflichtig.

2. Verschulden der Klägerin

[27]           2.1. Soweit das Verschulden der Klägerin auf einen Verstoß gegen das in § 7 Abs 2 StVO normierte Gebot, am rechten Fahrbahnrand zu fahren, gestützt wird, scheitern die berufungsgerichtlichen Überlegungen zum eingehaltenen Seitenabstand der Klägerin nach rechts schon daran, dass die genaue Kollisionsstelle insbesondere in Fahrbahnquerrichtung, somit die Abstände zu den Fahrbahnrändern, und somit zwangsläufig auch der im entscheidenden Zeitpunkt der Kollision von der Klägerin zum rechten Fahrbahnrand eingehaltene Seitenabstand, nicht feststellbar war. Somit ist allein aufgrund dieser Negativfeststellung den Beklagten der Beweis eines Verstoßes der Klägerin gegen § 7 Abs 2 StVO nicht gelungen.

[28]           2.2. Den Revisionsgegnern ist zuzugestehen, dass sie sich – wie jetzt in der Revisionsbeantwortung – bereits in erster Instanz und auch in ihrer Berufung darauf gestützt haben, die Klägerin hätte den Almweg als „Interessentenweg“ nicht benützen dürfen.

[29]           Den Revisionsgegnern ist zu erwidern: Nach § 79 Abs 2 Satz 1 Tiroler StraßenG gelten die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehenden öffentlichen Interessentenwege als öffentliche Interessentenstraßen im Sinn dieses Gesetzes. Wird eine private Straße zur öffentlichen Interessentenstraße erklärt, so steht gemäß § 16 Abs 5 erster Satz Tiroler StraßenG der Gemeingebrauch erst ab dem Erwerb des Eigentums oder eines entsprechenden sonstigen Verfügungsrechts am Straßengrund durch die Straßeninteressentschaft offen.

[30]           Aus diesen Gesetzesbestimmungen ergibt sich, dass an öffentlichen Interessentenwegen grundsätzlich Gemeingebrauch besteht. Dass die Straßeninteressentschaft das Eigentum oder ein entsprechendes sonstiges Verfügungsrecht am Straßengrund noch nicht erworben gehabt hätte, haben die Beklagten nicht behauptet.

[31]           Auf die Eigenschaft des Almwegs als Interessentenweg kann daher ein die Klägerin treffendes Fahrverbot und somit ein allfälliges Verschulden ihrerseits nicht gestützt werden. Insoweit bedarf es auch keiner Überlegungen zum Schutzzweck eines allfälligen Fahrverbots.

[32]           2.3. Die Klägerin trifft daher kein Verschulden.

[33]           3. Auf der Seite der Beklagten ist die die erstbeklagte Halterin treffende gewöhnliche Betriebsgefahr des Pkw nach EKHG haftungsbegründend.

[34]           4. Da die Klägerin kein Verschulden trifft, ist nach § 7 EKHG die Schadensteilung 1 : 0 zugunsten der Klägerin vorzunehmen. Demgemäß war das angefochtene Urteil spruchgemäß abzuändern.

5. Kosten

[35]           5.1. Die Kostenentscheidung für die erste Instanz gründet auf § 43 Abs 2 ZPO. Die Klägerin drang in allen Verfahrensabschnitten mit jeweils mehr als 90 % ihrer Ansprüche durch, sodass ihr die gesamten Kosten auf Basis des ersiegten Betrags zustehen.

[36]           Das Berufungsgericht musste sich aufgrund seiner abändernden Entscheidung mit den in beiden Berufungen enthaltenen Kostenrügen nicht befassen, sodass bei der nunmehr zu treffenden Kostenentscheidung darauf Bedacht zu nehmen ist (RS0036069 [T1]). Hier war mit folgenden Modifikationen den Erwägungen des Erstgerichts in seiner die Kosteneinwendungen der Beklagten berücksichtigenden Begründung der Kostenentscheidung zu folgen: Der Senat hält die Einwendungen der Beklagten für ausreichend substanziiert; sie sind daher zu berücksichtigen. Die Gutachtenserörterungsanträge (ON 12, 20, 39) sind, weil jeweils vom Gericht aufgetragen, nach TP 3A zu honorieren (vgl 2 Ob 162/10b). Dass das Ermittlungsverfahren gegen den Lenker des Beklagtenfahrzeugs wegen § 88 StGB gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt wurde, ist kein Grund für die Versagung der Honorierung der Kosten des Privatbeteiligtenanschlusses (vgl RS0035880; RS0036070 [T2, T4]; vgl Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.414).

[37]           5.2. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin gemäß § 43 Abs 2, § 50 ZPO Anspruch auf die gesamten Kosten der Berufung auf Basis des ersiegten Betrags. Die Berufungsbeantwortung der Klägerin ist nach den §§ 41, 50 ZPO zur Gänze zu honorieren. Die Kosten erster und zweiter Instanz wurden im Spruch zusammengerechnet.

[38]     5.3. Für das Revisionsverfahren gründet sich die Kostenentscheidung auf die §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E134235

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00186.21Y.0127.000

Im RIS seit

29.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

29.03.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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