Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Socher, BA, in der Strafsache gegen * M* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten * M* und * D* gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 21. Oktober 2021, GZ 33 Hv 91/21m-181, sowie über die Beschwerde des Angeklagten * M* gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Aus ihrem Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Einziehungserkenntnis und im Ausspruch über den Verfall aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Salzburg verwiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Den Angeklagten * M* und * D* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * M* jeweils eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (I), des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (II A) und der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB (IV) sowie * D* jeweils eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (I) und des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (II B) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III) schuldig erkannt.
[2] Danach haben – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung –
(II) am 17. März 2021 in S*
A) * M* mit Gewalt gegen eine Person einem anderen eine fremde bewegliche Sache mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz wegzunehmen versucht, indem er einer älteren Frau zu einer Bankfiliale folgte und auf einen geeigneten Augenblick wartete, um sie von hinten zu Boden zu stoßen und ihr die Handtasche samt 25.000 Euro zu entreißen, wobei er die Tatausführung aufgab, weil er zuvor eine Polizeistreife und mehrere Polizeifahrzeuge wahrnahm, und
B) * D* und * Mi* zur Ausführung dieser strafbaren Handlung beigetragen (§ 12 dritter Fall StGB), indem sie * M* in der Nähe des Tatorts absetzten, im Fluchtfahrzeug auf ihn warteten und währenddessen in telefonischem Kontakt mit ihm standen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richten sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a und 9 lit b StPO gestützten (inhaltlich im Wesentlichen identen) Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten * M* und * D*.
[4] Nach den Feststellungen des Erstgerichts folgte * M* einer älteren Dame bis zur Filiale einer Bank, um sie von hinten zu Boden zu stoßen und ihr die Handtasche samt dem darin vermuteten Bargeldbetrag zu entreißen, wobei die Ausführung der Tat nur deshalb unterblieb, weil just in dem Moment, als er zur Tatausführung schreiten wollte, eine Polizeistreife vorbeifuhr und * M* sodann in der Nähe des in Aussicht genommenen Tatorts mehrere Polizeifahrzeuge sah (US 7).
[5] Weshalb diese Konstatierungen den für die Ausführungsnähe vorausgesetzten engen zeitlich-örtlichen und aktionsmäßigen Konnex zur Tat (RIS-Justiz RS0124906 und RS0089740) nicht zur Darstellung bringen sollten, legen die Rechtsrügen (Z 9 lit a) nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar (RIS-Justiz RS0116565).
[6] Nach dem Urteilssachverhalt erschien * M* eine (von der Polizei) unbemerkte – und damit tatplanentsprechende – Tatausführung und Flucht aufgrund der hohen Polizeipräsenz aussichtslos, sodass er sein Vorhaben abbrach „und damit auch der Zweit- und Drittangeklagte“ (US 7, 12, 16).
[7] Soweit die Rechtsrügen (Z 9 lit b) den Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) reklamieren, leiten sie nicht aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116565), weshalb dessen Nichtannahme voraussetzen sollte, dass die Vollendung der Tat schlechthin unmöglich geworden ist.
[8] Indem sie nicht auf der Basis des Urteilssachverhalts zum Tatplan (US 7) argumentieren, bringen sie den herangezogenen (materiellen) Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung (RIS-Justiz RS0099810).
[9] Weshalb das Verhalten des unmittelbaren Täters zur Straflosigkeit des an der strafbaren Handlung Beteiligten führen sollte, lässt die Rechtsrüge des Angeklagten * D* auch offen (siehe dazu im Übrigen RIS-Justiz RS0090269 und RS0090513).
[10] Hinzugefügt sei, dass die Freiwilligkeit des Rücktritts fehlt, wenn der Täter nicht aus (allgemeiner) Furcht vor Entdeckung und Strafe die Ausführung der Tat aufgibt, sondern weil er sich infolge der konkreten Befürchtung, entdeckt zu werden, auf Grund der Tatsituation außerstande fühlt, den Tatplan zu Ende zu führen (RIS-Justiz RS0089862). Unfreiwillig ist der Rücktritt nicht nur, wenn die Vollendung der Tat schlechthin unmöglich geworden ist, sondern schon dann, wenn der Täter sich zur Erreichung seines deliktischen Zieles außerstande glaubt (RIS-Justiz RS0089866).
[11] Auf die handschriftliche, vom Beschwerdeführer M* direkt beim Obersten Gerichtshof eingebrachte Eingabe war nicht Bedacht zu nehmen, weil das Gesetz nur eine Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde zulässt (RIS-Justiz RS0100152).
[12] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[13] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil, worauf auch die Generalprokuratur zutreffend hinweist, im Einziehungserkenntnis und im Ausspruch über den Verfall den Angeklagten allenfalls zum Nachteil gereichende, nicht geltend gemachte, von Amts wegen aufzugreifende Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 StPO anhaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), weil das Erstgericht Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 20 Abs 1 StGB, des § 26 StGB und des § 34 SMG unterließ. Der bloße Hinweis auf die Gesetzesstellen vermag das Erfordernis, auf der Sachverhaltsebene die gesetzlichen Grundlagen dafür abzuklären, nicht zu ersetzen.
[14] Da weder das Einziehungserkenntnis noch der Verfallsausspruch mit Berufung bekämpft werden, waren die Aussprüche bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO [RIS-Justiz RS0130617]).
[15] Hingegen erblickte der Oberste Gerichtshof, insoweit in Abweichung von der Stellungnahme der Generalprokuratur, in der Annahme eines erweiterten Strafrahmens in Ansehung des Angeklagten * D* (US 3) keine Nichtigkeit im Sinn des § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO, weil sich die (durch den Verweis auf die Strafregisterauskunft ON 157 getroffenen) Feststellungen zu den Voraussetzungen der Strafschärfung nach § 39 StGB auf US 5 finden.
[16] Vorerst hat das Oberlandesgericht über die Berufungen gegen den Ausspruch über die Strafe und die Beschwerde (§ 498 Abs 3 dritter Satz StPO) zu entscheiden (§§ 285i; 498 Abs 3 letzter Satz StPO).
[17] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E134244European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00002.22A.0316.000Im RIS seit
29.03.2022Zuletzt aktualisiert am
29.03.2022