TE Lvwg Erkenntnis 2022/1/20 VGW-102/013/12818/2021

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.01.2022
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Entscheidungsdatum

20.01.2022

Index

41/01 Sicherheitsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)

Norm

SPG 1991 §38a Abs1
B-VG Art. 130 Abs1 Z2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

gekürzte Ausfertigung

gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Helm über die Maßnahmenbeschwerde der Frau A. B., vertreten durch C. D. LLM, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 20.01.2022 zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und das Betretungsverbot für rechtswidrig erklärt.

II. Der Rechtsträger der belangten Behörde hat der Beschwerdeführerin

EUR 737,60 für Schriftsatzaufwand und EUR 922,00 für Verhandlungsaufwand, insgesamt sohin EUR 1.659,60 an Aufwandersatz, binnen 14 Tagen nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung bei sonstigem Zwang zu leisten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

Mit am 27.08.2021 beim Verwaltungsgericht Wien eingelangten Schriftsatz erhob die Beschwerdeführerin eine Maßnahmenbeschwerde wegen Verletzung ihres Rechts auf ein faires Verfahren sowie ihrer körperlichen Unversehrtheit aufgrund der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 16.08.2021 durch Organe der Landespolizeidirektion Wien.

In dieser Angelegenheit fand am 20.01.2022 eine öffentliche mündliche Verhand-lung statt, in welcher die Beschwerdeführerin im Beisein ihres ausgewiesenen Rechtsvertreters einvernommen wurde. Die belangte Behörde wurde durch Frau Mag. E. vertreten. Frau F. B., Frau G. H., Frau Insp. J. und Herr CI K. L. sind ladungsgemäß erschienen und wurden zeugenschaftlich einvernommen. Ohne Ladung erschienen Frau Mag. M. und Herr Insp. N., welche ebenfalls zeugenschaftlich einvernommen wurden. Der Zeuge O. P. ist unentschuldigt nicht zur Verhandlung erschienen. Auf die Einvernahme der Zeugin R. B. wurde verzichtet.

Der Umstand, dass zwei verschiedene Beamte an zwei aufeinanderfolgenden Tagen mit dem Lebensgefährten der Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführerin selbst gesprochen haben, und bereits nach dem Gespräch mit dem Lebensgefährten aufgrund dessen leichter Verletzung davon ausgegangen wurde, dass er die gefährdete Person sei, und dass schon deshalb vom ersteinschreitenden Beamten ein Betretungsverbot angeregt worden ist, hatte dazu geführt, dass die Beschwerdeführerin gleich bei ihrer Erkundigung auf der Polizeiinspektion, was denn gegen sie vorliege, mit dem Betretungsverbot in welcher Form auch immer konfrontiert wurde und entsprechend emotional reagiert hat. Diese emotionale Reaktion wurde von der zweiteinschreitenden Beamtin voreilig als Bestätigung für angenommene Affekthandlungen der Beschwerdeführerin aufgefasst, ohne näher ins Detail der vorangegangenen Streitigkeiten einzugehen. Bereits der Umstand, dass zunächst aufgrund der Aussage des Lebensgefährten von Alkoholismus der Beschwerdeführerin ausgegangen worden ist, und dieser Vorwurf von der Beschwerdeführerin bei ihrer Befragung mehrfach vehement bestritten worden ist, wie die Zeugin Insp. J. selbst ausgesagt hat, hätte auch zu Zweifeln an den sonstigen Angaben des Lebensgefährten führen müssen. Eine einfache allgemeine Frage nach der Beziehung ersetzt nicht die Nachforschung, ob und wie oft es bisher zu Gewaltvorfällen in der Beziehung gekommen sei, insbesondere dann nicht, wenn sich die angenommene Gefährderin aufgrund der unerwarteten Vorwürfe in einer emotionalen Ausnahmesituation befindet und es keinen Beamten gibt, der sich persönlich ein Bild von beiden Personen gemacht hat.

Dazu kommt, dass die Verletzung des Lebensgefährten geringfügig war und mit einer Haarbürste erfolgt sein soll in einer Situation, in der er von seinen Vorwürfen gegen die Beschwerdeführerin nicht abgelassen habe und eine Gefährdung eines doch deutlich stärker gebauten Mannes durch seine Lebensgefährtin rein aufgrund so eines Vorfalles nur unter besonderen Umständen zu befürchten wäre, welche gegebenenfalls näher zu erforschen wären. In der verbleibenden Zeit hätte auch die Möglichkeit bestanden, Strafregisterauszüge beider Beteiligter einzuholen, aus denen sich ergeben hätte, dass wohl eher die Beschwerdeführerin durch ihren Lebensgefährten gefährdet war als umgekehrt. Mag das auch gegenüber dem präsumtiven Opfer unüblich sein, so ist doch eine Gefährdung des männlichen Partners durch eine Frau erfahrungsgemäß weit seltener als umgekehrt und war der anlassgebende Vorfall, selbst wenn man ihn isoliert betrachtet, so geringfügig, dass es jedenfalls weiterer Nachforschungen bedurft hätte, bevor man ein Betretungsverbot gegen die Beschwerdeführerin verhängen könnte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 35 VwGVG und die VwG-Aufwandersatzverordnung.

Da binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Verhandlungsschrift (§ 29 Abs. 2a VwGVG) eine Ausfertigung der Entscheidung nicht beantragt wurde, erfolgte die Ausfertigung gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG in gekürzter Form.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof oder eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist damit gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG nicht mehr zulässig.

Schlagworte

Betretungsverbot; weitere Nachforschungen; geringfügige Verletzung; körperliche Überlegenheit; Vorstrafenregister

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2022:VGW.102.013.12818.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.03.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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