Entscheidungsdatum
07.03.2022Index
41/02 Passrecht FremdenrechtNorm
NAG §63 Abs1 Z1Text
Das Verwaltungsgericht Wien fasst durch seinen Richter Mag. Chmielewski über die Beschwerde der Frau A. B. (geb.: …, StA: C.) gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 13. September 2021, Zl. MA35-…-04, betreffend Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV) und Universitätsgesetz (UG) den
BESCHLUSS
I. Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos behoben.
II. Der nunmehrige Erstantrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung Schüler nach § 63 NAG wird gemäß § 6 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG an den Landeshauptmann von Wien, Magistratsabteilung 35, weitergeleitet.
II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Begründung
Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin stellte am 2. Mai 2017 einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung als Student. Ihr wurde eine solche Aufenthaltsbewilligung mit Gültigkeit von 1. März 2019 bis 1. März 2020 erteilt.
2. In der Folge wurde ihr eine weitere Aufenthaltsbewilligung als Student mit Gültigkeitsdauer 2. März 2020 bis 2. März 2021 erteilt.
3. Am 16. Februar 2021 stellte die Beschwerdeführerin einen weiteren Verlängerungsantrag.
4. Mit E-Mail vom 10. September 2021 legte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde einen Studiennachweis vom 9. September 2021 für ein Abendkolleg für Berufstätige der Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule, in Wien vor. Diesem zufolge werde für die Beschwerdeführerin als ordentliche Studierende der regelmäßige Besuch des Unterrichtes für das Studienjahr 2021/22 bestätigt. Die Beschwerdeführerin absolviere ein Abendkolleg „D. für Berufstätige.“
5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 13. September 2021, Zl. MA35-…-04, wurde ihr Antrag vom 16. Februar 2021 auf Erteilung einer weiteren Aufenthaltsbewilligung als Student abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe im Studienjahr Oktober 2019 bis September 2020 keinen Studienerfolg nachgewiesen. Weiters habe sie kein Studienblatt sowie keine Studienbestätigung für das Sommersemester 2021 nachgereicht. Die Beschwerdeführerin sei in der Zeit von 29. November 2019 bis 18. Juli 2021 als Arbeiterin erwerbstätig gewesen. Es sei darauf hinzuweisen, dass diese Erwerbstätigkeit das Erfordernis des Studiums als ausschließlichen Aufenthaltszweck nicht beeinträchtigen darf. Daher stehe fest, dass sie für das Studienjahr 2019/2020 keinen ausreichenden Studienerfolgsnachweis im Sinne des § 64 Abs. 2 NAG vorlegen habe können. Sie erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung einer weiteren Aufenthaltsbewilligung als Student.
6. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde und führte in dieser zusammengefasst aus, sie habe der belangten Behörde am 16. Februar 2021 ihr Sammelzeugnis übermittelt. Sie habe im ersten und letzten Semester keine Prüfung bestanden, wobei hierfür gravierende Umstände ursächlich seien. Sie sei am Ende des Semesters krank geworden und habe sich vier Mal stationär im KH befunden. Im letzten Semester sei sie aufgrund von gesundheitlichen Problemen ihrer Mutter in die C. gereist und habe daher keine Prüfungen absolvieren können. Sie besuche ab dem Studienjahr 2021/22 ein Kolleg beim BHAK. Ihr sei bewusst, dass sie sich in Zukunft anstrengen müsse.
7. Mit E-Mail vom 2. März 2022 bestätigte die Leiterin der Abendschule der Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule in Wien, dass die Beschwerdeführerin seit 6. September 2021 in dieser Bildungseinrichtung Studierende im Abendkolleg ist und sich derzeit im 2. Semester ihrer Ausbildung befindet. Mit einer weiteren E-Mail vom 4. März 2022 bestätigte die Leiterin, dass das Abendkolleg dem SchUG-BKV unterliegt.
Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin hat der belangten Behörde vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides einen Studiennachweis für ein Abendkolleg für Berufstätige der Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule in Wien vorgelegt. Sie ist ordentliche Studierende der Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule in Wien und absolviert dort ein Abendkolleg für „D. für Berufstätige.“
Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt des Aktes der belangten Behörde sowie aus der Beantwortung einer E-Mailanfrage des Verwaltungsgerichtes Wien an die Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule in Wien vom 2. März 2022.
Rechtliche Beurteilung:
§ 6 Abs. 1 AVG lautet:
„Die Behörde hat ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen; langen bei ihr Anbringen ein, zu deren Behandlung sie nicht zuständig ist, so hat sie diese ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu weisen.“
§ 17 VwGVG lautet:
„Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, […] und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.“
§ 64 Abs. 1 NAG lautet:
„Drittstaatsangehörigen ist eine Aufenthaltsbewilligung als Student auszustellen, wenn sie
1. die Voraussetzungen des 1. Teiles mit Ausnahme des § 11 Abs. 2 Z 2 erfüllen und
2. ein ordentliches Studium an einer Universität, Fachhochschule, akkreditierten Privatuniversität, öffentlichen oder privaten Pädagogischen Hochschule gemäß dem Hochschulgesetz 2005, BGBl. I Nr. 30/2006, absolvieren,
3. ein außerordentliches Studium im Rahmen eines Universitätslehrganges gemäß § 56 Universitätsgesetz 2002, eines Lehrganges zur Weiterbildung gemäß § 9 Fachhochschul-Studiengesetz, eines Universitätslehrganges gemäß § 3 Abs. 4 Privatuniversitätengesetz, BGBl. I Nr. 74/2011, oder eines Hochschullehrganges gemäß § 39 Hochschulgesetz 2005 absolvieren, dieses mindestens 40 ECTS-Anrechnungspunkte umfasst und nicht ausschließlich der Vermittlung einer Sprache dient,
4. ein außerordentliches Studium im Rahmen eines Universitätslehrganges gemäß § 56 Universitätsgesetz 2002, eines Lehrganges zur Weiterbildung gemäß § 9 Fachhochschul-Studiengesetz, eines Universitätslehrganges gemäß § 3 Abs. 4 Privatuniversitätengesetz oder eines Hochschullehrganges gemäß § 39 Hochschulgesetz 2005 absolvieren, welches auf die in der Zulassungsentscheidung vorgeschriebene Ergänzungsprüfung vorbereitet,
5. ein außerordentliches Studium zur Herstellung der Gleichwertigkeit ihres ausländischen Studienabschlusses gemäß § 90 Abs. 4 Universitätsgesetz 2002, § 6 Abs. 6 Fachhochschul-Studiengesetz oder § 68 Abs. 4 Hochschulgesetz 2005 absolvieren,
6. ein außerordentliches Studium zum Besuch einzelner Lehrveranstaltungen aus wissenschaftlichen Fächern, sofern das in Z 4 genannte außerordentliche Studium erfolgreich abgeschlossen wurde und das Aufnahme- oder Eignungsverfahren aus nicht vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen erst im darauffolgenden Semester absolviert werden kann, oder
7. ein in Z 2 angeführtes Studium abgeschlossen haben und im Anschluss daran eine für die Berufsausübung gesetzlich verpflichtende fachliche Ausbildung absolvieren.“
§ 63 Abs. 1 Z 1 NAG lautet:
„Drittstaatsangehörigen kann eine Aufenthaltsbewilligung für Schüler ausgestellt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
1. ordentliche Schüler einer öffentlichen Schule sind;“
Gemäß § 5 Abs. 1 ist als ordentlicher Studierender ist aufzunehmen, wer
1. die gesetzlichen Aufnahmsvoraussetzungen erfüllt,
2. die Eignung für die betreffende Schulart besitzt, zu deren Feststellung im Zweifelsfalle ein Gutachten des Schularztes oder des Amtsarztes einzuholen ist, und 3. nicht den Besuch einer gleichen Ausbildung gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 und 3 bis 7 dieses Bundesgesetzes beendet hat.
Dies bedeutet im konkreten Fall folgendes:
Zu I.:
Die Beschwerdeführerin besucht ein Abendkolleg an einer Bundeshandelsakademie bzw. Bundeshandelsschule. Bei der Bundeshandelsakademie bzw. Bundeshandelsschule handelt es sich um eine öffentliche Schule im Sinne des § 63 NAG.
Diese Ausbildungsform ist im Schulunterrichtsgesetz für Berufstätige, Kollegs und Vorbereitungslehrgänge (SchUG-BKV) geregelt.
Wie sich aus dem Wortlaut des § 64 Abs. 1 NAG ergibt, handelt es sich hier um eine taxative Aufzählung. Dies ist daraus zu ersehen, dass der Gesetzgeber es unterlassen hat, etwa eine Wendung wie „jedenfalls“ in die Wortfolge „Drittstaatsangehörigen ist eine Aufenthaltsbewilligung als Student auszustellen, wenn sie […] einzufügen.
Damit ist nur in den in § 64 Abs. 1 genannten Fällen eine Aufenthaltsbewilligung als Student auszustellen.
Auch wenn in § 5 Abs. 1 SchUG-BKV der Begriff „ordentlicher Studierender“ verwendet wird (und die Beschwerdeführerin dementsprechend eine Bestätigung des Unterrichtsbesuches als „ordentliche Studierende für das Studienjahr 2021/22“ vorgelegt hat, ist aufgrund der Eigenschaft einer Bundeshandelsakademie bzw. Bundeshandelsschule als öffentliche Schule im Sinne des § 63 Abs. 1 Z 1 NAG nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes Wien für die Ausbildung der Beschwerdeführerin an einem Abendkolleg „D. für Berufstätige“ ausschließlich ein Anknüpfungspunkt zu § 63 NAG gegeben, weshalb für die Beschwerdeführerin nur die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung Schüler gemäß § 63 NAG infrage kommt.
Ein Anknüpfungspunkt zu § 64 NAG lässt sich nicht herstellen. Denn die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung als Student kommt wegen der taxativen Aufzählung in § 64 Abs. 1 NAG, unter die sich der Besuch einer Bundeshandelsakademie bzw. Bundeshandelsschule – auch im Rahmen eines Abendkollegs für Studierende – nicht subsumieren lässt, nicht infrage.
Daraus folgt, dass mit Vorlage des Studiennachweises eines Abendkollegs für Berufstätige im Rahmen der Bundeshandelsakademie bzw. Bundeshandelsschule durch die Beschwerdeführerin mit E-Mail vom 10. September 2021 (somit noch drei Tage vor Erlassung des angefochtenen Bescheides) eine konkludente Antragszurückziehung hinsichtlich des Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung als Student erfolgt ist.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Behörde somit einen Antrag erledigt für den eine konkludente Zurückziehung vorlag.
Die Sache des Verwaltungsverfahrens wird, weil sie durch die jeweils anzuwendende Rechtsnorm bestimmt wird, jedenfalls durch Antragsänderungen verlassen, welche die Anwendbarkeit einer anderen Norm zur Folge haben (vgl. VwGH 16. 2. 2017, Ra 2016/05/0026). Im vorliegenden Fall hätte die belangte Behörde nach der Vorlage des Studiennachweises eines Abendkollegs für Berufstätige im Rahmen der Bundeshandelsakademie bzw. Bundeshandelsschule durch die Beschwerdeführerin mit E-Mail vom 10. September 2021 aufgrund der damit erfolgten konkludenten Antragszurückziehung gemäß § 23 Abs. 1 NAG vorgehen müssen und in der Folge § 63 NAG, nicht § 64 NAG anzuwenden gehabt.
Da dies nicht erfolgt ist, war der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben.
Zu II.:
Von der eben erfolgten rechtlichen Beurteilung ausgehend, liegt nunmehr ein Erstantrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung Schüler nach § 63 NAG vor.
Der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens wird durch den Inhalt des Spruches des angefochtenen Bescheides begrenzt. Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid den (zuvor konkludent zurückgezogenen) Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer weiteren Aufenthaltsbewilligung als Student abgewiesen. Damit ist der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens durch den Inhalt des Spruches des angefochtenen Bescheides auf Abweisung des Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung gemäß § 64 NAG begrenzt.
Da das Verwaltungsgericht Wien den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nicht verlassen kann, jedoch rechtlich ein Erstantrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung Schüler nach § 63 NAG vorliegt, über den nunmehr abzusprechen ist, wird dieser Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 6 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG an den Landeshauptmann von Wien, Magistratsabteilung 35, weitergeleitet.
Zur Zulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist zulässig, weil im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil eine Rechtsprechung fehlt, unter welche Norm (§ 63 oder § 64 NAG) der Besuch eines Abendkollegs im Rahmen einer Bundeshandelsakademie bzw. Bundeshandelsschule zu subsumieren ist. Dabei ist zu beachten, dass der hier zur Anwendung kommende § 5 Abs. 1 SchUG-BKV den Begriff „ordentlicher Studierender“ verwendet, was sich nicht mit dem Wortlaut des § 63 Abs. 1 Z 1 NAG „ordentliche Schüler“ einer öffentlichen Schule in Einklang bringen lässt.
Schlagworte
Aufenthaltsbewilligung Student; Aufenthaltsbewilligung Schüler; Bundeshandelsakademie; Bundeshandelsschule; öffentliche Schule; ordentlicher StudierenderEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2022:VGW.151.090.16116.2021Zuletzt aktualisiert am
25.03.2022