TE Lvwg Erkenntnis 2022/3/14 LVwG-2019/25/1773-19

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Veröffentlicht am 14.03.2022
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Entscheidungsdatum

14.03.2022

Index

50/01 Gewerbeordnung

Norm

GewO 1994 §113 Abs5

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Dr. Hohenhorst über die Beschwerde der AA, Adresse 1, **** Z, vertreten durch Rechtsanwälte BB und CC, Adresse 2, **** Z, vom 09.08.2019 gegen den Bescheid der Stadt Z vom 12.07.2019, Zahl ***, betreffend Verfahren gemäß § 113 Abs 5 Gewerbeordnung, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung,

zu Recht:

1.       Der Beschwerde wird Folge gegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Gewerbeinhaberin AA gestützt auf § 113 Abs 5 GewO 1994 iVm § 1 Abs 2 lit c der Sperrzeitenverordnung 1995 für den von dieser betriebenen Gastgewerbebetrieb in der Betriebsart „Diskothek“ am Standort Adresse 3, **** Z, aufgrund von sicherheitspolizeilichen Bedenken abweichend von der mit 06:00 Uhr festgesetzten Sperrstunde eine frühere Sperrstunde, nämlich 04:00 Uhr sowie abweichend von der mit 06:00 Uhr festgesetzten Aufsperrstunde eine spätere Aufsperrstunde, nämlich 08:00 Uhr vorgeschrieben. In der Begründung verweist die belangte Behörde auf zahlreiche, im unmittelbaren Zusammenhang mit dem gegenständlichen Lokal stehende Vorfälle, beginnend mit Delikten aus dem Jahr 2017 bis 14.04.2019. Auf den Seiten 10 und 11 des angefochtenen Bescheides zählt die belangte Behörde jene Vorfälle auf, die aus ihrer Sicht sicherheitspolizeilich relevant sind. 28 der 46 stattgefundenen und dem Lokal EE eindeutig zuordenbare Vorfälle ereigneten sich demnach nach 04:00 Uhr.

Dagegen richtet sich die fristgerechte und zulässige Beschwerde, in welcher die Lokalbetreiberin durch ihre Rechtsvertretung im Wesentlichen ausführt, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als wesentliches Kriterium darauf abstelle, ob die getroffenen Maßnahmen angesichts der festgestellten Vorfälle als (un)verhältnismäßig anzusehen sind. Es werde ein Beobachtungs- bzw Prüfzeitraum von 01.05.2017 bis 21.05.2019 herangezogen. Die tatsächliche Aufnahme des Betriebs durch die Beschwerdeführerin sei im Februar 2019 erfolgt. Wie sich aus der im Bescheid wiedergegebenen Auflistung ergebe, habe sich die gesamtheitliche Situation seit der Betriebsübernahme der Beschwerdeführerin sukzessive und vor allem auch drastisch verbessert; dies einerseits gemessen an der Zahl der zählbaren Vorfälle, andererseits aber auch im Hinblick auf die Schwere der einzelnen sicherheitspolizeilich relevanten Vorfälle. Die Beschwerdeführerin erhebe teils zusammen mit den Sicherheitsbehörden die aktuellen Ereignisse und Entwicklungen der sicherheitspolizeilichen Situation im Bereich der FF und ihres Lokales und würden laufend neue Maßnahmen und Konzepte zur Verbesserung der Gesamtsituation entwickelt und umgesetzt. Seit dem Betreiberwechsel habe es kaum relevante Vorfälle mehr gegeben. Es habe regelmäßige „FF-Treffen“ gegeben, in deren Rahmen Sicherheitskonzepte erarbeitet worden seien, die offenbar fruchteten. So habe es bauliche Umgestaltungen gegeben und sei die Präsenz der Polizei erhöht worden. Die belangte Behörde habe es unterlassen, die nach dem Betreiberwechsel verzeichnete Entwicklung entsprechend zu berücksichtigen. So sei verkannt worden, dass die Beschwerdeführerin an der Initiative „GG“ teilnehme, eine Erweiterung vom Managementteam und eine Einführung eines Nachtmanagers sowie Mitarbeiterschulungen erfolgt und Hinweistafeln angebracht worden seien. In weiterer Folge wird in der Beschwerde auf die einzelnen Vorfälle eingegangen. Daraus ergebe sich, dass in den meisten Fällen entweder kein relevanter Bezug zum Lokal bestehe, der geltend gemachte Vorfall tatsächlich nicht sicherheitspolizeilich relevant sei oder aufgrund der zeitlichen Einordnung der Vorfälle diese auch mit der Vorschreibung einer früheren Sperrstunde nicht verhindert werden hätten können. Sicherheitspolizeiliche Bedenken im Sinn des § 113 Abs 5 zweiter Fall GewO lägen somit nicht vor. Die Mehrzahl der angezeigten Diebstähle sei darauf zurückzuführen, dass die Gegenstände nicht gestohlen, sondern verloren wurden. Gegenstände könnten an der Garderobe zur sicheren Verwahrung abgegeben werden. Die Probleme mit einem früheren Türsteher seien beigelegt. Die belangte Behörde habe der Beschwerdeführerin kein Parteiengehör zum Ergänzungsbericht der LPD Tirol eingeräumt, worin eine Verletzung von Verfahrensvorschriften liege.

Im Hinblick auf den im Februar 2019 erfolgten Betreiberwechsel zur Beschwerdeführerin holte das Landesverwaltungsgericht einen Bericht der Landespolizeidirektion Tirol über die seither registrierten Meldungen bzw Anzeigen ein. Der diesbezügliche Bericht vom 17.02.2020 weist im Zeitblock von 17:00 Uhr bis 04:00 Uhr drei Vorfälle zwischen 19.10.2019 und 26.01.2020 aus, der Zeitblock zwischen 04:00 Uhr und 09:00 Uhr weist elf Vorfälle zwischen 03.02.2019 und 12.01.2020 auf.

Dazu gab die Lokalbetreiberin ihre Stellungnahme vom 16.03.2020 ab, in welcher auf die einzelnen Vorfälle eingegangen wird. Darin wird auch ausgeführt, dass erst durch eine nähere Beschreibung der Vorfälle beurteilt werden könne, ob es sich tatsächlich um sicherheitspolizeilich relevante Vorfälle handelt und wie deren Schwere zu werten ist.

Daraufhin ersuchte das Landesverwaltungsgericht die Landespolizeidirektion Tirol um Erstattung eines detaillierteren Berichts für den Zeitraum 04:00 Uhr bis 09:00 Uhr zu den Vorkommnissen ab 14.07.2019.

Dazu erstattete die Landespolizeidirektion Tirol ihren Bericht vom 10.05.2020, in welchem acht Vorfälle zwischen 14.07.2019 und 29.02.2020 auf Grundlage der polizeiinternen Aufzeichnungen detailliert beschrieben werden.

Im Zuge des Parteiengehörs gaben dazu die belangte Behörde und die Beschwerdeführerin Stellungnahmen ab.

In der mündlichen Verhandlung am 11.09.2020 wurden mit Beschwerdeführerin und belangter Behörde die Vorfälle seit Februar 2019 (Betreiberwechsel) erörtert. Im Zuge dieser Verhandlung berichteten die Vertreter der Beschwerdeführerin die Beobachtung, dass seit der Schließung der Bogenlokale „JJ“ und „KK“ es am Gehsteig vor dem Lokal EE wesentlich ruhiger geworden ist und weniger Betrunkene diesen Bereich frequentieren. Seitens der belangten Behörde wurde die aktuelle Entwicklung auf die beschränkten Öffnungszeiten aufgrund der COVID-19-Bestimmungen zurückgeführt.

Das Landesverwaltungsgericht Tirol wies mit seinem Erkenntnis vom 22.09.2020, 2019/25/1773-13, die Beschwerde als unbegründet ab.

Dagegen erhob die AA Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher deren Behandlung mit seinem Beschluss vom 10.03.2021, ***, ablehnte und an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Der Verwaltungsgerichtshof erkannte über die Revision der AA in seinem Erkenntnis vom 08.02.2022, ***, dahingehend, indem das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben und der Revisionswerberin Kostenersatz zugesprochen wurde.

II.      Sachverhalt:

Die AA mit der Geschäftsanschrift Adresse 1, **** Z, ist eine mit Gesellschaftsvertrag vom 18.12.2018 beim Landesgericht Z mit Eintragung vom 08.01.2019 zu FN *** protokollierte Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Als Geschäftszweig ist der Betrieb einer Diskothek angeführt. Handelsrechtlicher Geschäftsführer ist LL, geboren **.**.****. Er ist auch Gesellschafter, ebenso wie MM, geboren am **.**.****, NN, geboren am **.**.****, OO, geboren am **.**.****, und PP, geboren am **.**.****. Die AA ist seit 10.01.2019 Inhaberin des reglementierten Gewerbes „Gastgewerbe in der Betriebsart Diskothek“ mit dem Standort **** Z, Adresse 3. Gewerberechtlicher Geschäftsführer ist PP, geboren am **.**.****. Mit Februar 2019 erfolgte die Übernahme der Betriebsanlage am Standort **** Z, Adresse 3.

Im Zusammenhang mit dieser Betriebsanlage sind folgende polizeilich registrierte Vorfälle aktenkundig:

25.05.2017, 07:00 Uhr: Telefondiebstahl im Lokal

27.05.2017, 05:20 Uhr: Körperverletzung vor Lokal, keine Lokalgäste

11.06.2017, 05:30 Uhr: Geldtaschendiebstahl vor Lokal

25.06.2017, 05:21 Uhr: Auseinandersetzung zwischen renitentem Gast und Türsteher; Körperverletzung, Sachbeschädigung. Türsteher entlassen.

02.07.2017, 05:30 Uhr: Geldtaschendiebstahl in Lokal

06.08.2017, 06:50 Uhr: Körperverletzung

03.12.2017, 06:10 Uhr: Geldtaschendiebstahl in Lokal

17.12.2017, 06:15 Uhr: Person vor Lokal niedergestochen

01.01.2018, 05:00 Uhr: Geldtaschendiebstahl in Lokal

06.01.2018, 05:30 Uhr: Geldtaschendiebstahl in Lokal

21.01.2018, 04:30 Uhr: Vergewaltigung in Lokaltoilette

13.06.2018, 04:30 Uhr: sexuelle Belästigung in Lokal. Hausverbot für Täter.

24.06.2018, 06:30 Uhr: Glasfenster der Lokaltür eingeschlagen

24.06.2018, 07:30 Uhr: Faustschlag ins Gesicht vor Lokal. Betrunkenem Zutritt verweigert; Körperverletzung und Sachbeschädigung durch Türsteher, Türsteher ausgetauscht.

08.07.2018, 05:40 Uhr: Körperverletzung durch Türsteher vor Lokal

22.07.2018, 05:00 Uhr: Raub auf Lokaltoilette

12.08.2018, 04:36 Uhr: Rauferei vor Lokal

30.09.2018, 04:50 Uhr: Betrunkenem von Türsteher Zutritt zum Lokal verweigert. Körperverletzung, Türsteher ausgetauscht.

11.11.2018, 05:41 Uhr: Streiterei vor Lokal bahnte sich an.

11.11.2018, 06:15 Uhr: Telefondiebstahl in Lokal

06.01.2019, 06:27 Uhr: Ungebührliche Lärmerregung und Anstandsverletzung durch das Lokal verlassenden Gast.

13.01.2019, 07:45 Uhr: Gast, der Lokal verließ, geriet mit Person, die nicht ins Lokal eingelassen wurde in aufgeregte Diskussion. Vorsorgliche Verständigung der Polizei.

Betreiberwechsel

03.02.2019, 05:32 Uhr: Körperverletzung im Eingangsbereich des Lokals.

16.02.2019, 05:41 Uhr: Person wurde Eintritt ins Lokal verweigert, dieser Betrunkene wollte den Eingangsbereich nicht verlassen, deshalb Verständigung der Polizei.

16.02.2019, 06:35 Uhr: Stark alkoholisierter Person wurde Eintritt verweigert, heftiges Klopfen gegen Eingangstür. Verständigung der Polizei zwecks Beruhigung der Situation.

17.02.2019, 06:12 Uhr: Für stark betrunkene Person vor dem Lokal musste Rettung gerufen werden; kein Lokalgast.

07.04.2019, 03:00 Uhr bis 05:30 Uhr: Telefondiebstahl in Lokal.

14.04.2019, 04:00 Uhr bis 08:30 Uhr: Kreditkartendiebstahl und deren missbräuchliche Verwendung.

14.07.2019, 04:18 Uhr: Körperverletzung zwischen Gast und Türsteher im Eingangsbereich.

06.10.2019, 05:35 Uhr: Schwere Körperverletzung vor Eingang zwischen Lokalgästen.

30.11.2019, 06:45 Uhr: Notruf durch Security über äußerst aggressive Person vor Lokal. Kein strafrechtlich relevanter Tatbestand.

07.12.2019, 07:08 Uhr: Alkoholisierter behauptet, im Lokal Geldtasche bzw Wertgegenstände verloren zu haben.

21.12.2019, 06:00 Uhr: Körperverletzung durch Faustschlag im Lokal.

05.01.2020, 05:45 Uhr: Diebstahl von Jacke mit darin befindlichen Firmenschlüsseln im Lokal.

12.01.2020, 06:16 Uhr: Körperverletzung gegen zwei Personen vor Lokaleingang.

26.01.2020, 03:00 Uhr: bis 04:30 Uhr Diebstahl eines QQ im Lokal.

29.02.2020, 04:00 Uhr: bis 06:00 Uhr Diebstahl eines Mobiltelefons im Lokal.

Die gesamten von der Polizei damit im Zusammenhang stehenden Dokumentationen wurden dem Landesverwaltungsgericht übermittelt und sind aktenkundig.

III.     Beweiswürdigung:

Dieser Sachverhalt ergibt sich aus den Akten des Stadtmagistrates Z und des Landesverwaltungsgerichtes Tirol.

In der öffentlichen mündlichen Verhandlung konnten die Vertreter der Beschwerdeführerin zu den seit dem Betreiberwechsel im Februar 2019 polizeilich registrierten Vorfällen mit unterschiedlicher Genauigkeit Stellung nehmen.

Der Vorfall vom 03.02.2019 wurde so geschildert, dass sich eine kleine Rauferei entwickelt hatte, da Personen der Eintritt ins Lokal verwehrt wurde.

Auch bei den beiden Vorfällen am 16.02.2019 wurde stark betrunkenen Personen der Einlass ins Lokal verweigert, woraufhin diese sich aggressiv verhielten. Zur Beruhigung der Situation sei die Polizei verständigt worden.

Am 17.02.2019 wurde von einer Mitarbeiterin der Diskothek EE die Rettung verständigt, da eine stark betrunkene Person, bei der es sich um keinen Lokalgast gehandelt hat, vor dem Lokal in gesundheitliche Probleme geraten war.

Am 07.04.2019 wurde ein Telefondiebstahl im Lokal angezeigt; im selben Zeitraum wurden zwei verlorene QQ im Lokal gefunden, wovon eines in den Tagen darauf abgeholt und das andere von den Lokalbetreibern zum Fundamt gebracht wurde.

Am 14.04.2019 wurde ein Kreditkartendiebstahl angezeigt und deren missbräuchliche Verwendung. Ob die Kreditkarte gestohlen oder verloren wurde und wo dies der Fall war, konnte aufgrund der starken Alkoholisierung des Verlustträgers nicht geklärt werden.

Am 14.07.2019 wollten drei Gäste das Lokal betreten, wovon zweien vom Türsteher der Einlass gewährt wurde und der dritten Person aufgrund deren Alkoholisierung vom Türsteher der Zutritt verwehrt wurde. Diese Person wollte sich daraufhin ins Lokal hineindrängen, woraufhin diese vom Türsteher wieder aus dem Lokal hinausgedrängt wurde. Dem Betrunkenen war die Brille zu Boden gefallen und offenbar beschädigt worden, der Türsteher erlitt einen Kratzer am Arm.

Beim Vorfall am 06.10.2019 handelte es sich um keine Lokalgäste, sondern um Passanten der FF. Die junge Frau, über der der Inhalt des Plastikbechers ausgeschüttet wurde, war im Lokal EE. Der tatsächliche Angreifer war ein betrunkener Passant auf der FF und kein Gast des Lokals EE.

Am 30.11.2019 wurde die Polizei vom Türsteher über eine äußerst aggressive Person vor dem Lokal in Kenntnis gesetzt. Beim Eintreffen der Polizeistreife war diese nicht mehr anwesend. Es handelte sich dabei um keinen Lokalgast, diese Person wollte auch gar nicht das Lokal betreten.

Am 07.12.2019 behauptete ein Alkoholisierter, im Lokal die Geldtasche bzw Wertgegenstände verloren zu haben. Es handelte sich dabei um keinen Lokalgast, der Alkoholisierte wusste dann gar nicht mehr, ob ihm überhaupt etwas gestohlen wurde.

Am 21.12.2019 wurde eine Körperverletzung durch einen Faustschlag im Lokal angezeigt. Es handelte sich dabei um Personen, die davor schon eine Auseinandersetzung hatten und danach zufällig im Lokal wieder aufeinandergetroffen sind.

Betreffend den angezeigten Diebstahl einer Jacke mit darin befindlichen Firmenschlüssel am 05.01.2019 bescheinigten die Gesellschafter mit einem Screenshot ihrer RR-Seite, dass an diesem Tag das Lokal gar nicht geöffnet war.

Bei der Körperverletzung von zwei Personen am 12.01.2020 vor dem Lokaleingang handelte es sich um keine Lokalgäste.

Der angezeigte Diebstahl eines QQ am 26.01.2020 stellte sich als verloren gegangener Gegenstand heraus, da das Telefon im Lokal gefunden wurde, wie sich aus der Fundliste entnehmen lässt.

Bezüglich des angeblichen Diebstahls eines Mobiltelefons am 29.02.2020 war sich der Verlustträger laut Polizeibericht gar nicht mehr sicher, ob er das Telefon beim Betreten des Lokal überhaupt bei sich gehabt hatte.

Da in Ermangelung von über den im Akt bereits befindlichen darüber hinausgehenden Dokumentationen keine weiteren Feststellungen zu den Geschehensabläufen getroffen werden können, war eine nähere beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den Vorfällen nicht möglich.

IV.      Rechtslage:

Die hier maßgebliche Bestimmung der Gewerbeordnung 1994, BGBl 194 idF BGBl I 2017/96 lautet wie folgt (Hervorhebungen durch den Gefertigten):

„Sperrstunde und Aufsperrstunde

§ 113. (1) Der Landeshauptmann hat den Zeitpunkt, zu dem gastgewerbliche Betriebe geschlossen werden müssen (Sperrstunde), und den Zeitpunkt, zu dem sie geöffnet werden dürfen (Aufsperrstunde), für die einzelnen Betriebsarten der Gastgewerbe durch Verordnung festzulegen; er hat hiebei auf die Bedürfnisse der ortsansässigen Bevölkerung und der Touristen Bedacht zu nehmen und erforderlichenfalls von der Festlegung einer Sperrzeit abzusehen. Bei den in Bahnhöfen, auf Flugplätzen und an Schiffslandeplätzen gelegenen Gastgewerbebetrieben hat der Landeshauptmann insbesondere den Verpflegungsbedarf der Reisenden zu berücksichtigen; zu dieser Frage sind auch die in Betracht kommenden Verkehrsunternehmen zu hören.

(…)

(5) Wenn die Nachbarschaft wiederholt durch ein nicht strafbares Verhalten von Gästen vor der Betriebsanlage des Gastgewerbebetriebes unzumutbar belästigt wurde oder wenn sicherheitspolizeiliche Bedenken bestehen, kann die Gemeinde eine spätere Aufsperrstunde oder eine frühere Sperrstunde vorschreiben. Vor der Beurteilung, ob eine unzumutbare Belästigung im Sinne des ersten Satzes vorliegt, ist Beweis durch Sachverständige aufzunehmen. Diese Vorschreibung ist zu widerrufen, wenn angenommen werden kann, dass der für die Vorschreibung maßgebende Grund nicht mehr gegeben sein wird. In Gebieten von Gemeinden, für die Landespolizeidirektionen zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz sind, haben die Gemeinden vor einer Entscheidung diese Behörden zu hören. Nachbarn, die eine Verkürzung der Betriebszeit des Gastgewerbebetriebes bei der Gemeinde angeregt haben, sind Beteiligte im Sinne des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991.

(…).“

Ebenfalls von Belang ist die Verordnung des Landeshauptmannes vom 11. Mai 1995 über die Regelung der Sperrzeiten in den Gastgewerbebetrieben (Sperrzeitenverordnung 1995), LGBl 46 idF LGBl 2000/39:

„§ 1

Sperrstunde

(1) Gastgewerbebetriebe sind, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist, spätestens um 2 Uhr zu schließen.

(2) Abweichend von der Bestimmung des Abs. 1 sind Gastgewerbebetriebe

         (…)

         c)       in der Betriebsart „Bar“ oder „Diskothek“ spätestens um 06.00 Uhr.

zu schließen.

(3) Wenn in einem Gebäude ein Gastgewerbe in mehreren Betriebsarten, für die verschiedene Sperrstunden festgesetzt sind, ausgeübt wird und die den einzelnen Betriebsarten zugeordneten Gastlokale räumlich nicht völlig getrennt sind, gilt für den gesamten Gastgewerbebetrieb die zuerst eintretende Sperrstunde. Dies gilt auch dann, wenn ein Gastgewerbe in mehreren Betriebsarten zeitlich hintereinander ausgeübt wird.

§ 2

Gastgewerbebetriebe dürfen frühestens um 6.00 Uhr geöffnet werden.“

V.       Erwägungen:

Wie schon die Behörde im angefochtenen Bescheid eingehend und rechtsrichtig angeführt hat, müssen zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmales „sicherheitspolizeiliche Bedenken“ durch entsprechende Sachverhaltsfeststellungen gedeckte konkrete Bedenken bestehen (sinngemäß VwGH 28.1.1992, 88/04/0022), aus deren Art sich schlüssig erkennen lässt, dass ihnen wirksam durch die Vorschreibung einer – durch die jeweiligen Sachverhaltsumstände bestimmten – früheren Sperrstunde begegnet werden kann. Es ist nicht wesentlich, inwiefern durch derartige erforderliche Maßnahmen eine wirtschaftliche Beeinträchtigung des Gastgewerbetreibenden eintritt bzw dass die sicherheitspolizeilichen Bedenken jedenfalls auf Vorkommnisse in der gastgewerblichen Betriebsanlage selbst zurückzuführen sein müssen. Weiters ist es auch nicht entscheidungsrelevant, inwiefern dem Gastgewerbetreibenden etwa ein Verschulden am Eintritt von Sachverhaltsumständen anzulasten ist, welche die Annahme sicherheitsbehördlicher Bedenken rechtfertigen (VwGH 19.5.1992, 92/04/0036, 29. 6. 2005, 2003/04/0080, 20.12.2005, 2004/04/0187). Sowohl die Zahl als auch die Beschaffenheit von angezeigten Vorfällen können sicherheitspolizeiliche Missstände zum Ausdruck bringen, die der Annahme sicherheitspolizeilicher Bedenken im Sinne des § 113 GewO eine ausreichende Grundlage geben (VwGH 12.9.2007, 2007/04/0138, 3.9.2008, 2008/04/0094). Sicherheitspolizeiliche Bedenken sind nicht erst dann gerechtfertigt, wenn es zu Verurteilungen oder Vorerhebungen gekommen ist (vgl zu alledem Gruber/Paliege-Barfuß, GewO7 § 113 [Stand 1.10.2017, rdb.at] sowie Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur Gewerbeordnung 19943 (2011) § 113 Rz 32ff jeweils unter Hinweis auf die Judikatur des VwGH).

Gemäß § 113 GewO ist die Vorverlegung der Sperrstunde aufgrund sicherheitspolizeilicher Bedenken nicht davon abhängig, wie hoch der Prozentsatz der durch diese Maßnahme verhinderten Delikte ist (VwGH 02.09.2007, 2007/04/0138).

Die Vorschreibung einer späteren Aufsperrstunde oder einer früheren Sperrstunde gemäß § 113 Abs 5 GewO 1994 hat ihren Grund in Umständen, die nicht in der Person des Gastgewerbetreibenden liegen, sondern knüpft an die Eigenschaften der Betriebsanlage des Gastgewerbebetriebes bzw das Verhalten der diese Betriebsanlage aufsuchenden Gäste an. Einer derartigen Vorschreibung kommt daher dingliche Wirkung zu (VwGH 15.09.2011, 2009/04/0112). Eine Interessenabwägung ist in § 113 Abs 5 GewO nicht normiert. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Gesetzesstelle erfüllt, so ist die spätere Aufsperrstunde oder die frühere Sperrstunde ohne weitere Befristung vorzuschreiben (VwGH 22.12.1999, 99/04/0168).

Nach der Rechtsprechung kommt es bei der Beurteilung sicherheitspolizeilicher Bedenken nicht darauf an, ob es sich bei den Tätern um Lokalgäste handelte oder nicht bzw ob dem Gastgewerbetreibenden ein Verschulden am Eintritt der Sachverhaltsumstände anzulasten ist oder nicht.

In diesem Zusammenhang sind als jedenfalls sicherheitspolizeilich bedenklich ab dem Betreiberwechsel ab Feber 2019 die Vorkommnisse am 03.02.2019, 14.07.2019, 06.10.2019, 21.12.2019 und 12.01.2020 einzustufen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 20.05.2010, 2009/04/0300, ausgeführt, dass eine Häufigkeit von einem Vorfall in zwei Monaten nicht per se für das Vorliegen sicherheitspolizeilicher Bedenken spreche und dementsprechend nähere Feststellungen zu den einzelnen Vorfällen (Zeitpunkt, Art und Schwere der Taten) als erforderlich angesehen, um die Rechtmäßigkeit der Annahme sicherheitspolizeilicher Bedenken zu überprüfen.

Daran anlehnend führt der Verwaltungsgerichtshof in seiner diesen Fall betreffenden Entscheidung vom 08.02.2022 ua aus, dass es zwar nicht ausgeschlossen wäre, die Annahme sicherheitspolizeilicher Bedenken auf fünf Vorfälle innerhalb von 13 Monaten zu stützen. Allerdings wären in so einem Fall ausreichende Feststellungen zur Beschaffenheit und Schwere der Vorfälle zur Zurechenbarkeit der Vorfälle zur Betriebsanlage der Revisionswerberin erforderlich gewesen. Es bedeute auch nicht, dass jegliche Vorkommnisse in einem örtlichen Nahebereich zur Betriebsanlage dieser zuzurechnen sind. Es müssten immerhin die Vorkommnisse mit dem Betrieb des Gastgewerbes im Zusammenhang stehen. Diesbezüglich sei eine nähere beweiswürdigende Auseinandersetzung der aufgehobenen Entscheidung nicht zu entnehmen. Nähere Ausführungen dazu wären fallbezogen angesichts der hier zu Grunde gelegten Anzahl an Vorfällen, die für sich allein die Annahme sicherheitspolizeilicher Bedenken nicht jedenfalls zu rechtfertigen vermögen, geboten gewesen.

Da – wie bereits festgestellt wurde – sämtliche vorhandene Dokumentationen der Polizei bereits zum Zeitpunkt der Erlassung der aufgehobenen Entscheidung aktenkundig waren und daher nähere Feststellungen zu den Vorfällen nicht getroffen werden können, ist aufgrund der in diesem Fall vom Verwaltungsgerichtshof getroffenen Aussage, dass die Anzahl von fünf Vorfällen in 13 (richtig 12) Monaten die Annahme sicherheitspolizeilicher Bedenken nicht zu rechtfertigen vermögen, der Beschwerde Folge zu geben und der bekämpfte Bescheid zu beheben.

Die Lokalbetreiber müssen allerdings davon ausgehen, dass im Fall von künftigen sicherheitsrelevanten Vorfällen die Polizei eine noch genauere Dokumentation anlegen wird und in so einem Fall die neuerliche Durchführung eines derartigen Verfahrens nicht ausgeschlossen wäre.

VI.      Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr. Hohenhorst

(Richter)

Schlagworte

Vorverlegung
Sperrstunde
Aufsperrstunde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2022:LVwG.2019.25.1773.19

Zuletzt aktualisiert am

25.03.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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