TE Vwgh Erkenntnis 2022/2/22 Ra 2020/15/0001

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Veröffentlicht am 22.02.2022
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Index

000
001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

BAO §115 Abs1
BAO §269
BAO §279 Abs1
EStG 1988 §30 Abs2 Z2
EStG 1988 §30 Abs2 Z2 idF 2012/I/022
StabG 01te 2012
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamtes Österreich, Dienststelle Feldkirch in 6800 Feldkirch, Reichsstraße 154, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 17. September 2019, Zl. RV/1100389/2014, betreffend Einkommensteuer 2012 (mitbeteiligte Partei: G S in R), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1        Im Kaufvertrag vom 10./24. Mai 2012 wird unter Punkt I. ausgeführt, der Verkäufer - das ist die mitbeteiligte Partei - sei „aufgrund des Einbringungsvertrages vom 24.09.1999 zu 832/3928 Anteilen, B-LNR 4, mit welchen Anteilen Wohnungseigentum an Top 2 untrennbar verbunden ist, Miteigentümer der Liegenschaften [...]. Diese Liegenschaftsanteile beinhalten Wohnräumlichkeiten im 1. und 2. Obergeschoss sowie Dachgeschoss des Gebäudebereichs [...]. Die Käuferin [eine Bank] ist aufgrund des Kaufvertrages vom 02.06.2008 zu 3096/3928 Anteilen, B-LNR 5, mit welchen Wohnungseigentum an Top 1 untrennbar verbunden ist, Miteigentümerin der Liegenschaften [...].“

2        In Punkt II dieses Kaufvertrages wird vereinbart, dass der Mitbeteiligte die Eigentumswohnung Top 2 an die Käuferin verkauft und übergibt. Der Kaufpreis wurde mit 240.000 € festgelegt und auf offene Verbindlichkeiten des Mitbeteiligten bei der Käuferin angerechnet (Punkt IV des Kaufvertrages).

3        Mit Einkommensteuerbescheid 2012 vom 30. April 2014 setzte das Finanzamt die Steuer aus der privaten Grundstücksveräußerung gegenüber dem Mitbeteiligten unter Anwendung des besonderen Steuersatzes von 25% mit 8.400 € fest. Begründend führte es aus, der Mitbeteiligte habe im Rahmen eines Vorhalteverfahrens mitgeteilt, dass er die „Herstellerbefreiung“ in Anspruch nehmen wolle, doch habe er der Aufforderung des Finanzamtes auf Vorlage entsprechender Unterlagen nicht Folge geleistet.

4        In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Mitbeteiligte vor, auf den gegenständlichen Liegenschaftsanteilen befinde sich seine Wohnung, die er in den Jahren 1975 und 1976 errichtet habe. Er habe in diesen Jahren für seine Wohnung einen Zubau an das Betriebsgebäude der Firma X geschaffen. Diesen selbst hergestellten Gebäudeteil habe er unter Tragung des finanziellen Baurisikos errichtet und seit der Fertigstellung als Hauptwohnsitz genutzt. Als Nachweis werde eine Kopie des Baubescheides aus dem Jahr 1975 übermittelt. Somit stehe die Steuerbefreiung für selbst hergestellte Gebäude nach § 30 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 zu.

5        In der abweisenden Beschwerdevorentscheidung führte das Finanzamt unter anderem aus, dem Baubescheid sei zwar die Befugnis zum Bau eines Objektes zu entnehmen, nicht aber ergebe sich daraus, dass der Mitbeteiligte das finanzielle Baurisiko getragen habe.

6        Im Vorlageantrag brachte der Mitbeteiligte vor, er habe in den Jahren 1975 und 1976 das Gebäude gemäß dem von der Gemeinde ausgestellten Baubescheid errichtet und dazu einen Kredit aufgenommen. Weder er noch die ?nanzierende Bank verfügten über fast 40 Jahre alte Unterlagen, die beweisen könnten, dass er auch das ?nanzielle Risiko getragen habe. Auf Anfrage habe er von der Bank lediglich Mikrover?lmungen aus dem Jahr 1991 über den damaligen Baukredit bekommen, die er nunmehr vorlege.

7        Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge. Es schätzte den auf das Gebäude entfallenden Anteil mit 80 % des Gesamtkaufpreises und brachte für diesen Anteil die Befreiung für selbst hergestellte Gebäude nach § 30 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 zur Anwendung.

8        Der Mitbeteiligte habe den Bescheid der Gemeinde vom 17. März 1975 über die Baubewilligung übermittelt. Mit diesem Bescheid sei dem Mitbeteiligten der „Zubau einer Wohnung auf [...]“ bewilligt worden. Mit dem Baubescheid sei ihm „für das beschriebene Bauvorhaben“ die baubehördliche Bewilligung erteilt worden.

9        Dem Baubescheid sei zu entnehmen, dass der „Zubau“ über Ansuchen des Mitbeteiligten erfolgt bzw. er als Bauwerber gegenüber der Baubehörde aufgetreten sei. Wenn er nunmehr behaupte, dass er das finanzielle Risiko hinsichtlich der „Herstellungsaufwendungen“ getragen habe, sei dies nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts durchaus nachvollziehbar; es bestünden dagegen keine Bedenken. Angaben dahingehend, dass jemand anderer als der Mitbeteiligte das finanzielle Baurisiko getragen hätte, seien auch seitens des Finanzamtes nicht gemacht worden; dazu lägen auch keine Anhaltspunkte vor. Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Mitbeteiligten und des vorgelegten Baubescheids gelange das Bundesfinanzgericht zur Überzeugung, dass der Mitbeteiligte hinsichtlich der streitgegenständlichen Gebäudeteile als Bauherr anzusehen sei und das finanzielle Baurisiko getragen habe, weshalb die Voraussetzungen für die Herstellerbefreiung gegeben seien.

10       In der gegen dieses Erkenntnis gerichteten außerordentlichen Revision des Finanzamts wird im Zulässigkeitsvorbringen die Nichtbeachtung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof zu den Voraussetzungen der Steuerbefreiung für „selbst hergestellte Gebäude“ (Hinweis auf VwGH 24.9.2014, 2010/13/0154; 2.6.2004, 99/13/0133) und damit das Unterbleiben der relevanten Sachverhaltsfeststellungen gerügt.

11       Der Mitbeteiligte hat trotz Aufforderung hierzu keine Revisionsbeantwortung erstattet.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13       Die Revision ist zulässig und begründet.

14       Gemäß § 30 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 idF des 1. Stabilitätsgesetzes 2012 (1. StabG 2012), BGBl. I Nr. 22/2012, sind von der Besteuerung ausgenommen Einkünfte:

„Aus der Veräußerung von selbst hergestellten Gebäuden, soweit sie innerhalb der letzten zehn Jahre nicht zur Erzielung von Einkünften gedient haben.“

15       Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage führen hierzu aus (vgl. 1680 BlgNR XXIV. GP 8):

„Auch selbst hergestellte Gebäude sollen wie bisher von der Besteuerung befreit sein. Ein selbst hergestelltes Gebäude liegt vor, wenn der Steuerpflichtige hinsichtlich der Errichtung das (finanzielle) Baurisiko trägt; er also selbst oder auch durch einen Bauunternehmer das Gebäude errichtet. Anders als nach der bisherigen Rechtslage, soll die Befreiung allerdings insoweit nicht greifen, als das Gebäude innerhalb der letzten 10 Jahre zur Erzielung von Einkünften gedient hat. Im Falle einer teilweisen Nutzung zur Erzielung von Einkünften steht die Befreiung nur anteilig zu.“

16       Bereits nach der Bestimmung des § 30 EStG 1988 idF vor dem 1. StabG 2012 („Spekulationsgeschäfte“) waren von der Steuerpflicht (als Spekulationsgeschäft) die Einkünfte aus der Veräußerung „von selbst hergestellten Gebäuden“ gemäß § 30 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 befreit. Zu dieser Bestimmung hat der Verwaltungsgerichtshof schon im Erkenntnis vom 20. September 2001, 98/15/0071, mit näherer Begründung ausgeführt, dass Baumaßnahmen, die - als Herstellungsaufwendungen - zur Änderung der Wesensart des Gebäudes führen, im Allgemeinen noch nicht den Tatbestand des „selbst hergestellten Gebäudes“ erfüllen. Ein selbst „hergestelltes Gebäude“ im Sinne des § 30 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 liegt nur dann vor, wenn Baumaßnahmen nach der Verkehrsauffassung als Errichtung eines Gebäudes, somit als „Hausbau“ angesehen werden.

17       Grundsätzlich erfasst die Befreiungsbestimmung damit nur die erstmalige Errichtung eines Objektes (vgl. VwGH 25.4.2012, 2008/13/0128; 25.2.2003, 2000/14/0017).

18       Im Erkenntnis vom 2. Juni 2004, 99/13/0133, ist der Verwaltungsgerichtshof bei Baumaßnahmen, mit denen durch den Ausbau des Dachgeschosses zwei neue Wohneinheiten errichtet und auch in den Untergeschossen durch Anbauten neue Wohneinheiten geschaffen wurden, wobei die im Zuge der Umbauarbeiten geschaffenen Wohnungen als Eigentumswohnungen verkauft wurden, nicht von der Erfüllung der Voraussetzungen der Steuerbefreiung für selbst hergestellte Gebäuden ausgegangen. Die Erhöhung des Ausmaßes der zu Wohnzwecken nutzbaren Fläche des Gebäudes begründet nämlich seine (neue) Herstellung im Sinne des § 30 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 idF vor dem 1. StabG 2012 noch nicht. Revitalisierung und Ausbau eines bestehenden Gebäudes machen aus diesem kein anderes Wirtschaftsgut.

19       Einen „Hausbau“ im Sinne der erstmaligen Errichtung eines Gebäudeobjektes stellt der Dachbodenausbau bzw. die Herstellung der Dachgeschosswohnungen auch dann nicht dar, wenn dazu die „gesamte Dachhaut“ und der Dachstuhl des bisherigen Gebäudes entfernt werden mussten (vgl. nochmals VwGH 25.4.2012, 2008/13/0128; sowie VwGH 24.9.2014, 2010/13/0154).

20       Wenn Baumaßnahmen einschließlich eines Zubaus und eines Dachgeschossausbaus (auch unter Entfernung der Dachhaut), die eine wesentliche Erweiterung der Nutzflächen mit sich bringen, nach der Verkehrsauffassung nicht als Herstellung eines Gebäudes und damit nicht als „Hausbau“ beurteilt werden, liegt, wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis 24. September 2014, 2010/13/0154, ausgesprochen hat, bei Vorliegen derartiger Immobilien noch kein selbst hergestelltes Gebäude im Sinne des § 30 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 idF vor dem 1. StabG 2012 vor.

21       Dem Begriff des „selbst hergestellten Gebäudes“ in § 30 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 idF des 1. StabG 2012 kommt die gleiche Bedeutung zu wie dem gleichlautenden Begriff des § 30 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 idF vor dem 1. StabG 2012. Dies ergibt sich bereits aus den oben wiedergegebenen Erläuterungen zum 1. StabG 2012.

22       Im gegenständlichen Fall hat der Mitbeteiligte eine Eigentumswohnung verkauft, die Wohnräume im ersten und zweiten Obergeschoss und im Dachgeschoss eines Gebäudes umfassten. Der Baubescheid vom 17. März 1975, auf den sich das angefochtene Erkenntnis stützt, bewilligt den Zubau einer Wohnung.

23       Das angefochtene Erkenntnis geht von auf der Grundlage des Baubescheides vom 17. März 1975 getätigten „Herstellungsaufwendungen“ aus. Aus der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich jedoch, dass das Tätigen von Herstellungsaufwendungen noch nicht ausreicht, um von einem „selbst hergestellten Gebäude“ auszugehen.

24       Dem angefochtenen Erkenntnis ist nicht zu entnehmen, ob der mit Baubescheid vom 17. März 1975 bewilligte „Zubau“ im Verhältnis zum schon vorhandenen Altbestand als „Hausbau“, also als Errichtung eines (neuen) Gebäudes im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung beurteilt werden kann. Dem Erkenntnis ist nicht einmal zu entnehmen, ob alle bzw. welche Räume der verkauften Eigentumswohnung (im ersten und zweiten Obergeschoss und im Dachgeschoss) auf die mit dem Baubescheid vom 17. März 1975 bewilligten Baumaßnahmen zurückzuführen sind, oder ob es sich (ganz oder teilweise) um einen bereits 1975 vorhandenen Altbestand handelt.

25       Soweit im angefochtenen Erkenntnis im Zusammenhang mit dem Baubescheid von einem „beschriebene[n] Bauvorhaben entsprechend der bewilligten Planunterlagen“ die Rede ist, lassen das Erkenntnis und auch der Akt des Bundesfinanzgerichtes nicht einmal ansatzweise eine Beschreibung der gesetzten baulichen Maßnahmen erkennen.

26       Der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt darauf hingewiesen, dass nicht nur die Abgabenbehörde der amtswegigen Ermittlungspflicht unterliegt, sondern auch das Bundesfinanzgericht (vgl. für viele VwGH 5.3.2020, Ro 2018/15/0004). Dass das Finanzamt die abweisende Beschwerdevorentscheidung lediglich damit begründete, dass der Mitbeteiligte das Tragen des „finanziellen Baurisikos“ nicht nachgewiesen habe, entband das Bundesfinanzgericht daher nicht davon, selbst all jene Feststellungen zu treffen, die die rechtliche Beurteilung ermöglichen, ob im Revisionsfall die Tatbestandsvoraussetzungen der strittigen Befreiungsbestimmung erfüllt sind.

27       Das Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

Wien, am 22. Februar 2022

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020150001.L00

Im RIS seit

25.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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