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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
ABGB §1332Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des F in L, vertreten durch Mag. Maria Navarro-Frischenschlager, Rechtsanwältin in 4020 Linz, Landstraße 15, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 7. Jänner 2019, LVwG-680034/11/ZO/KA, betreffend Maßnahmenbeschwerde i.A. der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Landeshauptstadt Linz), den Beschluss gefasst:
Spruch
I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
II. Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Land Oberösterreich Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die Maßnahmenbeschwerde des Revisionswerbers wegen behaupteter Rechtswidrigkeit einer Anordnung zur Entfernung eines näher bezeichneten Kraftfahrzeuges durch ein Organ der Landespolizeidirektion Oberösterreich als unbegründet ab und erklärte die außerordentliche Revision für nicht zulässig.
2 Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit Beschluss vom 25. Februar 2020, E 552/2019-8, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten worden ist. Dieser Beschluss wurde der Vertreterin des Revisionswerbers am 13. März 2020 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs bereitgestellt und somit gemäß § 14a Abs. 3 VfGG am 16. März 2020 rechtswirksam zugestellt.
3 Die vorliegende außerordentliche Revision wurde am 10. Juni 2020 eingebracht.
4 Darin wird zu deren Rechtzeitigkeit ausgeführt, dass die gegenständliche Revision „unter Berücksichtigung der durch das zweite COVID-19-Gesetz verfügten Fristunterbrechung und der ab 01.05.2020 neu laufenden Beschwerdefrist“ rechtzeitig sei.
5 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof erstattete die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragte.
6 Mit hg. Verfügung vom 3. Februar 2022 wurde dem Revisionswerber unter Einräumung der Möglichkeit zur Stellungnahme die Verspätung seiner Revision vorgehalten, wobei darauf hingewiesen wurde, dass ausgehend vom genannten Zustelldatum des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes die sechswöchige Revisionsfrist unter Hinzurechnung der 40-tägigen Fristhemmung im Zeitraum 22. März 2020 bis 30. April 2020 mit Ablauf des 8. Juni 2020 und sohin vor der Einbringung der Revision mit 10. Juni 2020 abgelaufen sei.
7 Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2022 nahm der Revisionswerber zu diesem Verspätungsvorhalt Stellung und stellte gleichzeitig einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Revision, den er zusammengefasst damit begründete, dass der Revisionswerber und seine Rechtsvertreterin der Ansicht gewesen seien, es liege gegenständlich keine verfahrenseinleitende, sondern eine verfahrensfortsetzende Handlung vor. Die Rechtsauslegung des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom 17. März 2021, Ra 2020/11/0098, sei zum Zeitpunkt der Einbringung der gegenständlichen Revision weder erkennbar noch vorhersehbar gewesen, sodass der Revisionswerber und seine Rechtsvertreterin wegen einer zumindest vertretbaren Rechtsansicht einem unverschuldeten Rechtsirrtum unterlegen seien. Die Vertretbarkeit der Rechtsansicht des Revisionswerbers werde durch einen näher bezeichneten Fachartikel unterstrichen, in dem die Revisionsfrist ausdrücklich als Anwendungsfall der Fristenunterbrechung nach § 1 Abs. 1 Verwaltungsrechtliches COVID-19-Begleitgesetz (in der Folge: COVID-19-VwBG) genannt werde.
I. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:
8 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat eine Partei, die einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist stellt, den behaupteten Wiedereinsetzungsgrund im Wiedereinsetzungsantrag glaubhaftzumachen. Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur im Rahmen der Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers zu untersuchen (vgl. VwGH 11.10.2019, Ra 2019/01/0095, mwN).
10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen, welches eine Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann. Wird ein solcher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die Partei an der Unkenntnis der Rechtslage bzw. am Rechtsirrtum ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden trifft (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2019/19/0199, mwN).
11 Der Begriff des minderen Grads des Versehens ist dabei als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben. Das Verschulden des Parteienvertreters trifft nach ständiger Rechtsprechung die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. etwa VwGH 17.3.2021, Ra 2021/14/0054, mwN).
12 Unkenntnis einer neuen Gesetzeslage durch einen beruflichen Parteienvertreter stellt in der Regel keinen minderen Grad des Versehens dar, weil vor allem eine rezente Änderung der Rechtslage besondere Aufmerksamkeit verdient (vgl. VwGH 18.1.2022, Ra 2020/18/0049, mwN).
13 Wie der Verwaltungsgerichtshof nunmehr bereits wiederholt ausgesprochen hat, lässt der Umstand, dass zum Zeitpunkt der Revisionserhebung noch keine hg. Rechtsprechung dazu vorlag, ob die Frist zur Einbringung einer Revision im Sinn des § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG „unterbrochen“ oder im Sinn des § 2 Abs. 1 leg. cit. „gehemmt“ ist, auf dem Boden der dargestellten Rechtsprechung für sich noch nicht auf einen bloß minderen Grad des Versehens schließen; ein Parteienvertreter, der sich in der Revision zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit ohne nähere Begründung auf § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG gestützt hat, hätte § 2 Abs. 1 leg. cit. nicht außer Acht lassen dürfen (vgl. VwGH 1.6.2021, Ra 2020/05/0149 bis 0150; 14.6.2021, Ra 2020/07/0062; 25.8.2021, Ro 2020/05/0024, 0025).
14 Der Umstand, dass in der Literatur von einer Anwendbarkeit des § 1 COVID-19-VwBG auf Revisionen an den Verwaltungsgerichtshof ausgegangen wird, lässt keine Rückschlüsse auf das allein maßgebliche Verschulden der im hier zu beurteilenden Verfahren tätigen Parteienvertreterin zu (vgl. in diesem Sinne erneut VwGH 14.6.2021, Ra 2020/07/0062 und 25.8.2021, Ro 2020/05/0024, 0025).
15 Da das dem Antragsteller zuzurechnende Verschulden seiner Parteienvertreterin somit den minderen Grad des Versehens übersteigt, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
II. Zur Rechtzeitigkeit der Revision:
16 Gemäß § 26 Abs. 1 VwGG beträgt die Frist zur Erhebung einer Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes sechs Wochen. Nach Abs. 4 leg. cit. beginnt die Revisionsfrist bei einer nach Art. 144 Abs. 3 B-VG erfolgten Abtretung der Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof an den Verwaltungsgerichtshof mit der Zustellung des Erkenntnisses oder Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes.
17 Das am 21. März 2020 kundgemachte COVID-19-VwBG, BGBl. I Nr. 16/2020 in der Fassung zum Zeitpunkt der Revisionseinbringung, BGBl. I Nr. 42/2020, lautet auszugweise wie folgt:
„Unterbrechung von Fristen
§ 1. (1) In anhängigen behördlichen Verfahren der Verwaltungsbehörden, auf die die Verwaltungsverfahrensgesetze (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991, Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, BGBl. Nr. 52/1991, und Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 - VVG, BGBl. Nr. 53/1991) anzuwenden sind, werden alle Fristen, deren fristauslösendes Ereignis in die Zeit nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes fällt, sowie Fristen, die bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes noch nicht abgelaufen sind, bis zum Ablauf des 30. April 2020 unterbrochen. Sie beginnen neu zu laufen. Bei der Berechnung einer Frist nach § 32 Abs. 1 AVG gilt der 1. Mai 2020 als Tag, in den der Zeitpunkt oder das Ereignis fällt, wonach sich der Anfang der Frist richten soll. Bei der Berechnung einer Frist nach § 32 Abs. 2 AVG gilt der 1. Mai 2020 als Tag, an dem die Frist begonnen hat. Die vorstehenden Sätze gelten nicht für Fristen in Verfahren nach dem Epidemiegesetz 1950, BGBl. Nr. 186/1950.
[...]
Sonderregelungen für bestimmte Fristen
§ 2. (1) Die Zeit vom 22. März 2020 bis zum Ablauf des 30. April 2020 wird nicht eingerechnet:
1. in die Zeit, in der ein verfahrenseinleitender Antrag (§ 13 Abs. 8 AVG) zu stellen ist,
[...]
Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes
§ 6. [...]
(2) Auf das Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes sind die §§ 1 bis 3 und 5 sinngemäß anzuwenden. [...]
Inkrafttreten und Außerkrafttreten
§ 9. (1) Dieses Bundesgesetz mit Ausnahme des § 6 Abs. 1 tritt mit Ablauf des Tages seiner Kundmachung in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft.
[...]
(3) Der Titel, § 1 Abs. 1 zweiter bis letzter Satz und Abs. 1a und § 2 samt Überschrift in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2020 treten mit 22. März 2020 in Kraft.
[...]“
18 Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die Revisionsfrist als Frist für einen „verfahrenseinleitenden“ Antrag im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 2 COVID-19-VwBG anzusehen und nach dieser Bestimmung daher für die dort genannte Dauer nur gehemmt worden (vgl. VwGH 17.3.2021, Ra 2020/11/0098; 20.4.2021, Ra 2020/07/0062; 1.6.2021, Ra 2020/05/0149 bis 0150; 13.12.2021, Ra 2020/03/0063). Damit ist klargestellt worden, dass die Frist entgegen der Ansicht des Revisionswerbers nicht neu zu laufen begonnen hat.
19 Für den vorliegenden Revisionsfall folgt daraus, dass die Revisionsfrist am 16. März 2020, somit noch vor Inkrafttreten des COVID-19-VwBG am 22. März 2020, zu laufen begonnen hat und für die Zeit vom 22. März 2020 bis 30. April 2020 gehemmt war.
20 Ausgehend vom Beginn der Revisionsfrist hätte die sechswöchige Frist des § 26 Abs. 1 VwGG mit 27. April 2020 geendet. Unter Hinzurechnung der 40-tägigen Fristhemmung vom 22. März 2020 bis 30. April 2020 hat die Revisionsfrist im vorliegenden Fall aber erst mit Ablauf des 8. Juni 2020 geendet.
21 Die am 10. Juni 2020 zur Post gegebene Revision erweist sich daher als verspätet und war somit bereits gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist zurückzuweisen.
22 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 1. März 2022
Schlagworte
Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020020169.L00Im RIS seit
25.03.2022Zuletzt aktualisiert am
28.03.2022