Index
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960Norm
B-VG Art89 Abs1, Art139 Abs1 Z1Leitsatz
Gesetzwidrigkeit einer Fahrverbotsverordnung einer Niederösterreichischen Bezirkshauptmannschaft für einen Streckenabschnitt auf der Landesstraße B1 betreffend Lastkraftfahrzeuge sowie mitgeführte Anhänger; mangelhafte Kundmachung der Verordnung durch signifikante Abweichung des Aufstellungsortes der Verkehrszeichen vom räumlichen Geltungsbereich der VerordnungSpruch
I. Die Wort- und Zeichenfolgen ", - Fahrzeuge aus Richtung Westen kommend mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach" und ", bei km 119,864 Zusatz: 'Mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach'" sowie das Wort "jeweils" in der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 28. April 2004, Z ME-S1-V-04266, in der Fassung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 3. Juli 2008, Z MES1-V-0643/005, waren gesetzwidrig.
II. Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.
III. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anträge
Mit mehreren, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Anträgen begehrt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich, "die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 28. April 2004, Zl ME-S1-V-04266, in der Fassung der Verordnung vom 3. Juli 2008, Zl MES1-V-0643/005, dem ganzen Inhalt nach" als gesetzwidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
1. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 28. April 2004, Z ME-S1-V-04266, lautet (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"Verordnung
Für die Landesstraße B 1 zwischen km 111,900 (das ist unmittelbar westlich der Kreuzung mit der Anschlussrampe der Landesstraße B 25 in Fahrtrichtung Amstetten) und km 119,864 (das ist unmittelbar östlich der Autobahnanschlussstelle Amstetten-Ost) wird ein Fahrverbot für Lastkraftfahrzeuge mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t sowie für mitgeführte Anhänger mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t erlassen.
Dieses Verbot gilt für
- Fahrzeuge aus Richtung Osten kommend mit dem Fahrziel westlich von Neumarkt an der Ybbs,
- Fahrzeuge aus Richtung Westen kommend mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach.
Diese Verkehrsbeschränkung ist durch das Verkehrszeichen gemäß §52 lita Z7a 2. Bild StVO 1960 und die entsprechenden Zusatztafeln (bei km 111,900 Zusatz: 'Mit dem Fahrziel westlich von Neumarkt/Ybbs', bei km 119,864 Zusatz: 'Mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach') sowie jeweils mit dem Zusatz 'Gilt nicht zu den Verbotszeiten laut Ferienreiseverordnung' kundzumachen.
Rechtsgrundlage für diese Verordnung:
§43 Abs1 und 2 StVO 1960.
Ergeht an:
[…]
Der Bezirkshauptmann
[…]"
2. Mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 3. Juli 2008, Z MES1-V-0643/005, erfolgte eine Änderung des Kundmachungsstandortes. Diese Verordnung lautet wie folgt (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"Verordnung
Mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 28.4.2004, ME-S1-V-04266 wurde für die Landesstraße B 1 zwischen km 111,900 (das ist unmittelbar westlich der Kreuzung mit der Anschlussrampe der Landesstraße B 25 in Fahrtrichtung Amstetten) und km 119,864 (das ist unmittelbar östlich der Autobahnanschlussstelle Amstetten-Ost) ein Fahrverbot für Lastkraftfahrzeuge mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t sowie für mitgeführte Anhänger mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t erlassen.
Dieses Verbot gilt für
- Fahrzeuge aus Richtung Osten kommend mit dem Fahrziel westlich von Neumarkt an der Ybbs,
- Fahrzeuge aus Richtung Westen kommend mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach.
Diese Verkehrsmaßnahme wurde laut oben angeführter Verordnung durch das Verkehrszeichen gemäß §52 lita Z7a 2. Bild StVO 1960 und die entsprechenden Zusatztafeln (bei km 111,900 Zusatz: 'Mit dem Fahrziel westlich von Neumarkt/Ybbs', bei km 119,864 Zusatz: 'Mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach') sowie jeweils mit dem Zusatz 'Gilt nicht zu den Verbotszeiten laut Ferienreiseverordnung' kundgemacht.
Die oben angeführte Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Melk wird nunmehr aus Gründen der Leichtigkeit, Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs dahingehend abgeändert, dass der Standort des Fahrverbotes von km 111,900 nach km 111,740 der Landesstraße B 1 versetzt wird.
Der Verordnungstext lautet aufgrund dieser Änderung daher wie folgt:
Für die Landesstraße B 1 zwischen km 111,740 und km 119,864 (das ist unmittelbar östlich der Autobahnanschlussstelle Amstetten-Ost) wird ein Fahrverbot für Lastkraftfahrzeuge mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5t sowie für mitgeführte Anhänger mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t erlassen.
Dieses Verbot gilt für
- Fahrzeuge aus Richtung Osten kommend mit dem Fahrziel westlich von Neumarkt an der Ybbs,
- Fahrzeuge aus Richtung Westen kommend mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach.
Diese Verkehrsbeschränkung ist durch das Verkehrszeichen gemäß §52 lita Z7a 2. Bild StVO 1960 und die entsprechenden Zusatztafeln (bei km 111,740 Zusatz: 'Mit dem Fahrziel westlich von Neumarkt/Ybbs', bei km 119,864 Zusatz: 'Mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach') sowie jeweils mit dem Zusatz 'Gilt nicht zu den Verbotszeiten laut Ferienreiseverordnung' kundzumachen.
Rechtsgrundlage:
§43 Abs1 und 2 StVO 1960
Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 tritt diese Verordnung mit der Aufstellung der Verkehrszeichen in Kraft.
Der mit dieser Verordnung im Widerspruch stehende Passus der Verordnung vom 28.4.2004, ME-S1-V-04266 wird aufgehoben und tritt mit der Versetzung des Verkehrszeichens außer Kraft.
Ergeht an:
[…]
Der Bezirkshauptmann:
[…]"
3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960), BGBl 159/1960, lauten in der jeweils geltenden Fassung auszugsweise wie folgt:
§2. Begriffsbestimmungen.
(1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes gilt als
1.-14. […]
15. Ortsgebiet: das Straßennetz innerhalb der Hinweiszeichen 'Ortstafel' (§53 Z17a) und 'Ortsende' (§53 Z17b);
16.-30. […]
(2)-(3) […]
[…]
§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.
(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung
a) […]
b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,
1. […]
2. den Straßenbenützern ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben, insbesondere bestimmte Gruppen von der Benützung einer Straße oder eines Straßenteiles auszuschließen oder sie auf besonders bezeichnete Straßenteile zu verweisen;
c)-d) […].
(1a) […]
(2) Zur Fernhaltung von Gefahren oder Belästigungen, insbesondere durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe, hat die Behörde, wenn und insoweit es zum Schutz der Bevölkerung oder der Umwelt oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist, durch Verordnung
a) für bestimmte Gebiete, Straßen oder Straßenstrecken für alle oder für bestimmte Fahrzeugarten oder für Fahrzeuge mit bestimmten Ladungen dauernde oder zeitweise Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote zu erlassen,
b)-c) […].
Bei der Erlassung solcher Verordnungen ist einerseits auf den angestrebten Zweck und andererseits auf die Bedeutung der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse Bedacht zu nehmen.
(2a)-(11) […]
§44. Kundmachung der Verordnungen.
(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. […]
(1a)-(5) […]
[…]
§48. Anbringung der Straßenverkehrszeichen.
(1) Die Straßenverkehrszeichen (§§50, 52 und 53) sind als Schilder aus festem Material unter Bedachtnahme auf die Art der Straße und unter Berücksichtigung der auf ihr üblichen Verkehrsverhältnisse, namentlich der darauf üblichen Geschwindigkeit von Fahrzeugen, in einer solchen Art und Größe anzubringen, daß sie von den Lenkern herannahender Fahrzeuge leicht und rechtzeitig erkannt werden können. Im Verlauf derselben Straße sind womöglich Straßenverkehrszeichen mit gleichen Abmessungen zu verwenden.
(1a) […]
(2) Die Straßenverkehrszeichen sind auf der rechten Straßenseite oder oberhalb der Fahrbahn anzubringen, sofern sich aus diesem Bundesgesetz nichts anderes ergibt. Die zusätzliche Anbringung an anderen Stellen ist zulässig. Auf Autobahnen sind Gefahrenzeichen und Vorschriftszeichen auf beiden Seiten oder oberhalb der Fahrbahn anzubringen, ausgenommen auf Streckenteilen, die in der jeweiligen Fahrtrichtung nur einen Fahrstreifen aufweisen, oder in Gegenverkehrsbereichen.
(3)-(6) […]
[…]
§52. Die Vorschriftszeichen
Die Vorschriftszeichen sind
a) Verbots- oder Beschränkungszeichen,
b) Gebotszeichen oder
c) Vorrangzeichen.
a) Verbots- oder Beschränkungszeichen
1.-6d. […]
7a. 'FAHRVERBOT FÜR LASTKRAFTFAHRZEUGE'
[Zeichen]
Diese Zeichen zeigen an, dass das Fahren mit Lastkraftfahrzeugen verboten ist.
Eine Gewichtsangabe bedeutet, dass das Verbot nur für ein Lastkraftfahrzeug gilt, wenn das höchste zulässige Gesamtgewicht des Lastkraftfahrzeuges oder das höchste zulässige Gesamtgewicht eines mitgeführten Anhängers das im Zeichen angegebene Gewicht überschreitet.
Eine Längenangabe bedeutet, dass das Verbot nur gilt, wenn die Länge des Lastkraftfahrzeuges oder die Länge eines mitgeführten Anhängers oder die Länge des Lastkraftfahrzeuges samt Anhänger die im Zeichen angegebene Länge überschreitet.
7b.-14b. […]
b) Gebotszeichen.
15.-22a […]
c) Vorrangzeichen
23.-25b. […]
[…]
§54. Zusatztafeln.
(1) Unter den in den §§50, 52 und 53 genannten Straßenverkehrszeichen sowie unter den in §38 genannten Lichtzeichen können auf Zusatztafeln weitere, das Straßenverkehrszeichen oder Lichtzeichen erläuternde oder wichtige, sich auf das Straßenverkehrszeichen oder Lichtzeichen beziehende, dieses erweiternde oder einschränkende oder der Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs dienliche Angaben gemacht werden.
(2) Die Angaben und Zeichen auf Zusatztafeln müssen leicht verständlich sein. Insbesondere kann auch durch Pfeile in die Richtung der Gefahr oder des verkehrswichtigen Umstandes gewiesen werden.
(3) Die Zusatztafeln sind Straßenverkehrszeichen. Sie sind, sofern sich aus den Bestimmungen des §53 Z6 nichts anderes ergibt, rechteckige, weiße Tafeln; sie dürfen das darüber befindliche Straßenverkehrszeichen seitlich nicht überragen.
(4)-(5) […]
[…]
§94b. Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde
(1) Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, sofern der Akt der Vollziehung nur für den betreffenden politischen Bezirk wirksam werden soll und sich nicht die Zuständigkeit der Gemeinde oder – im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist – der Landespolizeidirektion ergibt, die Bezirksverwaltungsbehörde
a) […]
b) für die Erlassung von Verordnungen und Bescheiden,
c)-h) […].
(2) […]"
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich sind mehrere Verfahren über Straferkenntnisse der Bezirkshauptmannschaft Melk anhängig, mit denen den Beschwerdeführern jeweils eine Übertretung des §52 lita Z7a sowie §99 Abs3 lita StVO 1960 iVm der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 3. Juli 2008, MES1-V-0643/005, zur Last gelegt wird. Den Beschwerdeführern wird jeweils vorgeworfen, sie hätten zu einem näher bestimmten Zeitpunkt im Gemeindegebiet Neumarkt an der Ybbs auf der Landesstraße B 1, Kreuzung LB1 – Gewerbepark, Straßenkilometer 117,0, bis zum östlichen Ende des Ortsgebietes von Kemmelbach als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten, einen Anhänger mitführenden Lastkraftwagens das deutlich sichtbar aufgestellte Verbotszeichen "Fahrverbot für Lastkraftfahrzeuge mit einem höchst zulässigen Gesamtgewicht von über 3,5 Tonnen sowie für mitgeführte Anhänger mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t mit der Zusatztafel 'mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach'" nicht beachtet und seien unter Missachtung des Fahrverbotes bei der Kreuzung LB1 – Gewerbepark auf der LB 25 Richtung Ybbs weitergefahren, anstatt auf die A1 West Autobahn aufzufahren. Über die Beschwerdeführer wurden daher jeweils eine Geld- bzw Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und ihnen die Zahlung eines Verfahrenskostenbeitrages aufgetragen. Gegen diese Straferkenntnisse erhoben die Beschwerdeführer Beschwerde.
2. Aus Anlass dieser Beschwerdeverfahren stellt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ua den hg. zu V223/2021 protokollierten, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag, "die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 28. April 2004, Zl ME-S1-V-04266, in der Fassung der Verordnung vom 3. Juli 2008, Zl MES1-V-0643/005, dem ganzen Inhalt nach" als gesetzwidrig aufzuheben.
2.1. Das antragstellende Landesverwaltungsgericht verweist zur Zulässigkeit dieses Antrages auf zwei bei ihm anhängige Beschwerdeverfahren, in denen das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich über die Bestrafungen der Beschwerdeführer nach §99 Abs3 lita StVO 1960 iVm mit der angefochtenen Verordnung zu entscheiden habe. Die angefochtene Verordnung habe durch Aufstellung von Straßenverkehrszeichen ein Mindestmaß an Publizität erlangt und sei daher vom antragstellenden Landesverwaltungsgericht anzuwenden.
2.2. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich legt sodann seine Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof veranlasst haben, folgendermaßen dar:
2.2.1. Die in §43 StVO 1960 bezeichneten Verordnungen seien gemäß §44 StVO 1960 grundsätzlich durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen. Der Vorschrift des §44 Abs1 StVO 1960 sei immanent, dass die Straßenverkehrszeichen dort anzubringen seien, wo der räumliche Geltungsbereich der Verordnung beginne und ende. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergebe sich daraus zwar keine Verpflichtung zur "zentimetergenauen" Einhaltung des in einer Verordnung verfügten räumlichen Geltungsbereiches, differiere der Aufstellungsort eines Verkehrszeichens von der getroffenen Verkehrsregelung allerdings um fünf Meter, sei nicht mehr von einer gesetzmäßigen Kundmachung auszugehen.
Das Verkehrszeichen von Westen kommend Richtung Kemmelbach befinde sich laut den vom antragstellenden Landesverwaltungsgericht vor Ort durchgeführten Messungen mittels Lasermessgerät ungefähr bei Straßenkilometer 119,883 und damit 19 Meter von dem in der angefochtenen Verordnung vorgeschriebenen Beginn des örtlichen Geltungsbereiches entfernt. Das Verkehrszeichen von Osten kommend Richtung Neumarkt an der Ybbs befinde sich laut den vom antragstellenden Landesverwaltungsgericht vor Ort durchgeführten Messungen ungefähr bei Straßenkilometer 111,756 und damit erst 16 Meter nach dem in der angefochtenen Verordnung vorgeschriebenen Beginn des örtlichen Geltungsbereiches. Schon auf Grund dieser – erheblichen – Abweichungen der Aufstellungsorte könne nicht von einer gesetzmäßigen Kundmachung der angefochtenen Verordnung ausgegangen werden.
2.2.2. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erblickt eine weitere Gesetzwidrigkeit der Kundmachung der angefochtenen Verordnung darin, dass das Straßenverkehrszeichen von Westen kommend Richtung Kemmelbach nicht mit der nach der angefochtenen Verordnung vorgeschriebenen Zusatztafel mit dem Text "Gilt nicht zu den Verbotszeiten laut Ferienreiseverordnung" versehen worden sei.
2.2.3. Das antragstellende Landesverwaltungsgericht macht ferner einen Verstoß gegen das aus §48 Abs1 StVO 1960 (bzw für Zusatztafeln aus §54 Abs2 StVO 1960) ableitbare Gebot der leichten und rechtzeitigen Erkennbarkeit von Straßenverkehrszeichen geltend: Ein Straßenverkehrszeichen müsse in seiner Gesamtheit (einschließlich der Zusatztafel) von einem herannahenden Fahrzeuglenker leicht und rechtzeitig erkannt werden können, sodass sein Inhalt vollständig erfasst werden könne. Sei dies nicht gewährleistet, fehle es an der gehörigen Kundmachung der zugrundeliegenden Verordnung.
2.2.3.1. Das angefochtene Fahrverbot sei laut Verordnungstext mit einer Zusatztafel mit dem Text "Gilt nicht zu den Verbotszeiten laut Ferienreiseverordnung" kundzumachen. Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich bestünden Bedenken dahingehend, ob der Verweis auf eine bloß mit dem Kurztitel bezeichnete Verordnung (gemeint sei die Ferienreiseverordnung, BGBl 259/1993 idF BGBl II 139/2000) auf einer Zusatztafel dem Gebot der leichten und rechtzeitigen Erkennbarkeit iSd §48 Abs1 StVO 1960 genüge. Durch einen bloßen Verweis sei dem Lenker der Inhalt der (verwiesenen) Verordnung, die den zeitlichen Geltungsbereich der angefochtenen (verweisenden) Verordnung beschränke, nicht bekannt.
2.2.3.2. Ähnliche Bedenken würden sich im Hinblick auf die Zusatztafeln "Mit dem Fahrziel westlich von Neumarkt/Ybbs" und "Mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach" ergeben: So habe sich im Rahmen der Beschwerdeverfahren gezeigt, dass selbst bei den vollziehenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes keine Klarheit darüber herrsche, ob mit den beiden Ortsbezeichnungen das Gemeindegebiet der jeweiligen Gemeinde oder das kundgemachte Ortsgebiet iSd §2 Abs1 Z15 StVO 1960 gemeint sei. Es scheine daher einem Lkw-Fahrer ohne Nachfrage bei der belangten Behörde nicht möglich und auch nicht zumutbar, den Inhalt der durch das Verkehrszeichen samt Zusatztafeln kundgemachten Verordnung zu erkennen.
2.2.4. Das antragstellende Landesverwaltungsgericht bemängelt ferner eine bei Straßenkilometer 117,026 erfolgte zusätzliche, im Verordnungstext nicht angeordnete Kundmachung: Durch diese Kundmachung werde das mit der angefochtenen Verordnung angeordnete Durchfahrverbot für einen näher bezeichneten Streckenabschnitt um weitere – in der angefochtenen Verordnung nicht vorgesehene – Streckenabschnitte erweitert.
2.2.5. Schließlich erblickt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich eine Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnung darin, dass sich den Bezug habenden Verordnungsakten weder eine Grundlagenforschung (Untersuchung der Verkehrsbeziehungen und -erfordernisse) noch eine Interessenabwägung entnehmen lasse.
3. Die verordnungserlassende Behörde hat weder Akten vorgelegt noch eine Äußerung erstattet. Mit Schreiben vom 16. Februar 2022 teilte die Bezirkshauptmannschaft Melk mit, dass die angefochtene Verordnung aufgehoben wurde.
4. Die Landesregierung hat die Akten betreffend das Zustandekommen der zur Prüfung gestellten Verordnung vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung jedoch abgesehen.
5. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich stellte zu den Zahlen V238/2021 und V240/2021 weitere, dem Inhalt nach gleichlautende Anträge. Der Verfassungsgerichtshof führte zu diesen Anträgen (im Hinblick auf §19 Abs3 Z4 VfGG) kein weiteres Verfahren durch (vgl VfSlg 20.244/2018).
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt zu Art89 Abs1 B-VG beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (VfSlg 20.182/2017 mwN). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B-VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl VfSlg 20.251/2018).
Die Kundmachung der von der Bezirkshauptmannschaft Melk mit der angefochtenen Verordnung verfügten Verkehrsbeschränkungen ist ausweislich der vorgelegten Verordnungsakten durch Aufstellung von Straßenverkehrszeichen erfolgt. Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 ist die Verordnung damit jedenfalls kundgemacht worden, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist und in Geltung steht.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
Ein von Amts wegen oder auf Antrag eines Gerichtes eingeleitetes Normenprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren (vgl VfSlg 11.506/1987, 13.701/1994).
Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Normenprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Teil der Bestimmung nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Stelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 6.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).
Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Verordnungsstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Gesetzwidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Verordnung dieser ein völlig veränderter, dem Verordnungsgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).
Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Verordnungsbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).
Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Zunächst ist ein Antrag nicht zu weit gefasst, soweit das Gericht solche Normen anficht, die denkmöglich eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bilden und damit präjudiziell sind; dabei darf aber nach §57 Abs1 VfGG nicht offen bleiben, welche Vorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes aus welchem Grund aufgehoben werden soll (siehe mwN VfGH 2.3.2015, G140/2014 ua; vgl auch VfGH 10.12.2015, G639/2015; 15.10.2016, G103-104/2016 ua). Ist ein solcher Antrag in der Sache begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof aber nur einen Teil der angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig auf, so führt dies — wenn die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen — im Übrigen zur teilweisen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013; VfGH 5.3.2014, G79/2013 ua).
Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die für das antragstellende Gericht offenkundig keine Voraussetzung seiner Entscheidung im Anlassfall bilden und die somit nicht präjudiziell sind (insofern ist der Antrag zu weit gefasst), die mit den präjudiziellen (und nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes den Sitz der Verfassungswidrigkeit bildenden) Bestimmungen aber vor dem Hintergrund der Bedenken in einem Regelungszusammenhang stehen, so ist zu differenzieren: Sind diese Bestimmungen von den den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden präjudiziellen Bestimmungen offensichtlich trennbar, so führt dies zur teilweisen Zurückweisung des Antrages. Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die mit den präjudiziellen, den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung im Fall des Zutreffens der Bedenken erforderlich sein könnte (sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar), so ist der Antrag insgesamt zulässig (VfSlg 20.111/2016). Dies gilt nach dem vorhin Gesagten aber keinesfalls dann, wenn Bestimmungen mitangefochten werden (etwa alle einer ganzen Verordnung), gegen die gar keine konkreten Bedenken vorgebracht werden und zu denen auch kein konkreter Regelungszusammenhang dargelegt wird (VfSlg 19.894/2014; VfGH 29.9.2015, G324/2015; 15.10.2016, G183/2016 ua).
Der Verfassungsgerichtshof entscheidet daher – vor dem Hintergrund der Bedenken und der Erforderlichkeit, die den Sitz der Bedenken bildenden Bestimmungen (bei geringstmöglichem Eingriff in den Gehalt der Rechtsordnung) zu ermitteln – über die Frage, ob gegebenenfalls auch Bestimmungen aufzuheben sind, die nicht präjudiziell sind, aber mit präjudiziellen Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (vgl zB VfSlg 19.939/2014, 20.086/2016), nicht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrages, sondern im Einzelnen erst dann, wenn der Verfassungsgerichtshof, erweist sich der Antrag als begründet, den Umfang der aufzuhebenden Bestimmungen abzugrenzen hat.
Die angefochtene Verordnung enthält zwei Verkehrsbeschränkungen für unterschiedliche Fahrtrichtungen auf derselben Wegstrecke. Den beiden Beschwerdeverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich liegt jeweils ein Straferkenntnis zugrunde, in dem den Beschwerdeführern zur Last gelegt wird, auf einem näher bezeichneten Streckenabschnitt der Landesstraße B1 das deutlich sichtbar aufgestellte Verbotszeichen "Fahrverbot für Lastkraftfahrzeuge mit einem höchst zulässigen Gesamtgewicht von über 3,5 Tonnen sowie für mitgeführte Anhänger mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t mit der Zusatztafel 'mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach'" nicht beachtet zu haben.
Soweit sich der Antrag auf Aufhebung des Fahrverbotes für "Fahrzeuge aus Richtung Osten kommend mit dem Fahrziel westlich von Neumarkt an der Ybbs" richtet, betrifft er zwar Bestimmungen, die angesichts der Formulierung des Verordnungstextes in einem Regelungszusammenhang stehen (das Fahrverbot ist "zwischen" km 111,740 und km 119,864 angeordnet), die aber in den Anlassfällen offensichtlich nicht präjudiziell und auch trennbar sind (vgl VfSlg 20.251/2018). Die angefochtene Verordnung ist nur insoweit präjudiziell, als sie Fahrzeuge aus Richtung Westen kommend mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach betrifft, weil den Beschwerdeführern in den Anlassverfahren vor dem antragstellenden Landesverwaltungsgericht die Übertretung des Fahrverbotes (nur) in diese Fahrtrichtung zur Last gelegt wird. Da die Bestimmungen auch trennbar sind, erweist sich der Antrag nur insoweit als zulässig, als er sich auf Aufhebung des Fahrverbotes für Fahrzeuge aus Richtung Westen kommend mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach richtet.
1.3. Da auch im Übrigen keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag, soweit er sich auf die Aufhebung des "Fahrverbotes für Fahrzeuge aus Richtung Westen kommend mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach" bezieht, als zulässig; im Übrigen ist der Antrag zurückzuweisen.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Der Antrag ist – soweit zulässig – begründet.
2.2.1. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich macht zunächst geltend, dass die Kundmachung des angefochtenen Fahrverbotes von dem in der angefochtenen Verordnung vorgesehenen Geltungsbereich erheblich abweiche.
2.2.2. Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 sind die in §43 StVO 1960 bezeichneten Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft (vgl VfGH 25.2.2019, V68/2018 mwN).
Der Vorschrift des §44 Abs1 StVO 1960 ist immanent, dass die bezüglichen Straßenverkehrszeichen dort angebracht sind, wo der räumliche Geltungsbereich der Verordnung beginnt und endet. Zwar ist zur Kundmachung von Verkehrsbeschränkungen keine "zentimetergenaue" Aufstellung der Verkehrszeichen erforderlich (vgl dazu VwGH 13.2.1985, 85/18/0024; 25.1.2002, 99/02/0014; 10.10.2014, 2013/02/0276), jedoch wird dieser Vorschrift nicht Genüge getan und liegt ein Kundmachungsmangel vor, wenn der Aufstellungsort vom Ort des Beginns bzw Endes des verordneten Geltungsbereiches einer Verkehrsbeschränkung signifikant abweicht (vgl VfSlg 15.749/200 mwN; zu den in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien vgl VwGH 3.7.1986, 86/02/0038; 16.2.1999, 98/02/0338; 22.2.2006, 2003/17/0138; 24.11.2006, 2006/02/0232; 5.9.2008, 2008/02/0011; 21.11.2008, 2008/02/0231; 25.11.2009, 2009/02/0095; 25.6.2014, 2013/07/0294; vgl auch VfSlg 20.251/2018).
2.2.3. Mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 28. April 2004, ME-S1-V-04266, wurde für die Landesstraße B 1 zwischen Straßenkilometer 111,900 und Straßenkilometer 119,864 ein Fahrverbot für Lastkraftfahrzeuge mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen sowie für mitgeführte Anhänger mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen erlassen. Dieses Fahrverbot gilt für Fahrzeuge aus Richtung Osten kommend mit dem Fahrziel westlich von Neumarkt an der Ybbs sowie für Fahrzeuge aus Richtung Westen kommend mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach. Die Verkehrsbeschränkung ist laut Verordnungstext durch das entsprechende Verkehrszeichen samt Zusatztafel (bei Straßenkilometer 111,900 mit dem Zusatz "Mit dem Fahrziel westlich von Neumarkt/Ybbs", bei Straßenkilometer 119,864 mit dem Zusatz "Mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach") sowie jeweils mit dem Zusatz "Gilt nicht zu den Verbotszeiten laut Ferienreiseverordnung" kundzumachen.
Mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 3. Juli 2008, MES1-V-0643/005, erfolgte eine Änderung des Geltungsbereiches der oben genannten Verordnung. Das Fahrverbot für Lastkraftfahrzeuge mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen sowie für mitgeführte Anhänger mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen auf der Landesstraße B 1 wurde nunmehr zwischen Straßenkilometer 111,740 (vormals 111,900) und Straßenkilometer 119,864 verordnet. Dementsprechend erfolgte auch eine Änderung des Kundmachungsstandortes (bei Straßenkilometer 111,740 mit dem Zusatz "Mit dem Fahrziel westlich von Neumarkt/Ybbs"). Der mit dieser Verordnung im Widerspruch stehende Passus der Verordnung vom 28. April 2004 wurde aufgehoben.
Laut den vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich im Rahmen eines Ortsaugenscheins mit einem Laserentfernungsmessgerät durchgeführten Messungen befindet sich das Verkehrszeichen von Westen kommend in Richtung Kemmelbach "etwa bei Straßenkilometer 119,883" und damit 19 Meter von dem verordneten Geltungsbereich entfernt.
Im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof wurde diesem Messergebnis nicht entgegengetreten; vielmehr räumt die verordnungserlassende Behörde in einer im vorgelegten Verordnungsakt einliegenden Stellungnahme ein, dass bei der Kundmachung der angefochtenen Verordnung in natura "erhebliche Mängel" vorlägen und die Erhebungen des antragstellenden Landesverwaltungsgerichtes nicht in Zweifel gezogen würden. Der Verfassungsgerichtshof geht daher davon aus, dass das Straßenverkehrszeichen 19 Meter von dem in der angefochtenen Verordnung verordneten Geltungsbereich entfernt aufgestellt wurde.
2.2.4. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu §44 Abs1 StVO 1960 führt eine signifikante Abweichung zu einer nicht ordnungsgemäßen Kundmachung (VfSlg 20.251/2018 mwN). Auch wenn die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Kundmachung von Verordnungen iSd §44 Abs1 StVO 1960 je nach örtlichen Verkehrsverhältnissen eine bestimmte Fehlertoleranz vorsieht – die Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen hat nicht "zentimetergenau" zu erfolgen –, bewirkt die festgestellte Abweichung von 19 Metern im vorliegenden Fall eine nicht ordnungsgemäße Kundmachung.
2.3. Da die angefochtene Verordnung, soweit diese ein Fahrverbot für Fahrzeuge aus Richtung Westen kommend mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach verordnet, schon aus diesem Grund gesetzwidrig ist, erübrigt sich ein Eingehen auf weitere Bedenken des antragstellenden Landesverwaltungsgerichtes.
2.4. Mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 28. Jänner 2022, MES1-V-0643/005, wurde die angefochtene Verordnung aufgehoben und das Fahrverbot neu erlassen.
Der Verfassungsgerichtshof hat daher festzustellen, dass die angefochtene Verordnung, soweit diese ein Fahrverbot für Fahrzeuge aus Richtung Westen kommend mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach verordnet, gesetzwidrig war (Art139 Abs4 B-VG).
2.5. Gemäß Art139 Abs3 Z3 B-VG hat der Verfassungsgerichtshof nicht nur die präjudiziellen Teile einer Verordnung, sondern die ganze Verordnung aufzuheben (vgl zB VfSlg 18.068/2007), wenn er zur Auffassung gelangt, dass die ganze Verordnung gesetzwidrig kundgemacht wurde. Dies gilt sinngemäß für den Fall, dass die angefochtene Verordnung zum Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten ist und der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs4 B-VG ausspricht, dass die Verordnung gesetzwidrig war. Diese Bestimmung ist von dem Gedanken getragen, den Verfassungsgerichtshof in die Lage zu versetzen, in all jenen Fällen, in denen die festgestellte Gesetzwidrigkeit der präjudiziellen Verordnungsstelle offenkundig auch alle übrigen Verordnungsbestimmungen erfasst, die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben bzw deren Gesetzwidrigkeit festzustellen (vgl VfSlg 19.128/2010). Der festgestellte Kundmachungsmangel betrifft ausschließlich die – im Ausgangsverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich präjudiziellen – im Spruch genannten Teile der angefochtenen Verordnung. Da die angefochtene Verordnung eine davon trennbare weitere Verkehrsbeschränkung (ein Fahrverbot in der entgegengesetzten Fahrtrichtung auf derselben Wegstrecke) beinhaltet, die auf andere Weise, nämlich an einem anderen, näher bezeichneten Ort durch ein Verkehrszeichen mit einer anderslautenden Zusatztafel kundzumachen war, kommt eine Feststellung der Gesetzwidrigkeit der ganzen Verordnung gemäß Art139 Abs4 letzter Satz iVm Abs3 Z3 B-VG im vorliegenden Verfahren nicht in Betracht (vgl VfSlg 19.127/2010, 19.128/2010).
2.6. Entscheidung über die Anträge zu V238/2021 und V240/2021:
Da diese Anträge des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich dem zu V223/2021 protokollierten Antrag im Wesentlichen gleichen, hat der Verfassungsgerichtshof gemäß §19 Abs3 Z4 VfGG davon abgesehen, ein weiteres Verfahren in diesen Rechtssachen durchzuführen. Dies erfolgt im Hinblick darauf, dass die in dem Verfahren über die Anträge zu V238/2021 und V240/2021 aufgeworfenen Rechtsfragen durch die Entscheidung über den vorliegenden Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich bereits geklärt sind (vgl VfSlg 20.244/2018).
V. Ergebnis
1. Die Wort und Zeichenfolgen ", - Fahrzeuge aus Richtung Westen kommend mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach" und ", bei km 119,864 Zusatz: 'Mit dem Fahrziel östlich von Kemmelbach'" sowie das Wort "jeweils" in der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 28. April 2004, Z ME-S1-V 04266, in der Fassung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 3. Juli 2008, Z MES1-V-0643/005, waren gesetzwidrig.
2. Im Übrigen sind die Anträge zurückzuweisen.
3. Die Verpflichtung der Niederösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Feststellung der Gesetzwidrigkeit erfließt aus Art139 Abs5 zweiter Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §61 VfGG sowie §2 Abs1 Z6 NÖ Verlautbarungsgesetz.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Straßenverkehrszeichen, Verordnung Kundmachung, Fahrverbot, Geltungsbereich (örtlicher) einer Verordnung, VfGH / Gerichtsantrag, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Verwerfungsumfang, StraßenpolizeiEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:V223.2021Zuletzt aktualisiert am
24.03.2022