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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des N A in A, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. November 2021, L512 2183540-2/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der aus Pakistan stammende Revisionswerber stellte erstmals am 6. Juli 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er damit begründete, dass er in Folge von Grundstücksstreitigkeiten aus Pakistan geflohen sei.
2 Dieser Antrag wurde im Instanzenzug vom Bundesverwaltungsgericht - nach Durchführung einer Verhandlung - mit dem Erkenntnis vom 21. Mai 2021 abgewiesen und es wurde gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung erlassen (sowie weitere nach dem Gesetz vorgesehene Aussprüche getätigt).
3 Die dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. August 2021, Ra 2021/18/0252, zurückgewiesen.
4 Am 30. August 2021 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005. Diesen begründete er im Wesentlichen mit dem Fortbestehen der bereits in seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz vorgebrachten Fluchtgründe. Weiters brachte er vor, sein Vater sei vor einigen Monaten von denselben Leuten, die den Revisionswerber verfolgt hätten, angeschossen und die Tante ermordet worden. Im Fall der Rückkehr fürchte der Revisionswerber um sein Leben.
5 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das das Asylverfahren des Revisionswerbers nicht zugelassen hatte, wies den Folgeantrag mit Bescheid vom 29. Oktober 2021 wegen entschiedener Sache zurück, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht festgelegt.
6 Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 29. November 2021 ohne Durchführung einer Verhandlung als unbegründet abgewiesen. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 In der Begründung schloss sich das Bundesverwaltungsgericht der Beurteilung der belangten Behörde an, dass der Revisionswerber keinen Sachverhalt vorgebracht habe, der die Führung eines neuerlichen inhaltlichen Asylverfahrens erforderlich mache. Die neuen Sachverhaltselemente hinsichtlich der Vorfälle den Vater und die Tante betreffend seien - mit näherer Begründung - als nicht glaubhaft zu werten und es liege daher in Bezug auf dieses Vorbringen kein „glaubhafter Kern“ vor.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 In der vorliegenden Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben könne, abgewichen. Zum einen habe sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine unrichtige Bestimmung in Bezug auf die Voraussetzungen zur Abstandnahme von der mündlichen Verhandlung gestützt. Zum anderen habe das Verwaltungsgericht - wie schon die Behörde - die neuen Sachverhaltselemente als unglaubwürdig erachtet, obwohl keine inhaltliche Auseinandersetzung mit allen Beweismitteln erfolgt sei.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Verhandlungspflicht im Fall einer Beschwerde gegen eine im Zulassungsverfahren von der Behörde getroffene Entscheidung - wozu auch Beschwerden gegen eine vor Zulassung des Verfahrens ausgesprochene Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG zählen - besonderen Verfahrensvorschriften, nämlich § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG, folgt (vgl. aus vielen VwGH 10.12.2021, Ra 2021/14/0367; grundlegend dazu VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072, jeweils mwN).
13 Dass das Bundesverwaltungsgericht dabei von den in den zuvor zitierten Entscheidungen aufgestellten Leitlinien - unabhängig davon, ob sich das erkennende Verwaltungsgericht auf die richtige Gesetzesbestimmung bezieht - abgewichen wäre, zeigt die Revision nicht auf.
14 Soweit sich der Revisionswerber im Kern gegen die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach im Zusammenhang mit den im Folgeantrag behaupteten Fluchtgründen des Revisionswerbers eine entschiedene Sache vorgelegen sei, wendet, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen ist, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (vgl. VwGH 20.10.2021, Ra 2021/20/0239, mwN).
15 Bei wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. VwGH 19.1.2022, Ra 2020/20/0100, mwN).
16 Die Beurteilung, ob die behauptete Sachverhaltsänderung einen „glaubhaften Kern“ aufweist, erfolgt stets im Rahmen der Beweiswürdigung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 18.1.2021, Ra 2020/20/0425, mwN).
17 Eine solche Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung vermag die Revision mit dem pauschalen Vorbringen (welches sich in weiten Teilen auf die Wiedergabe des Inhalts des Bescheides und des Erkenntnisses beschränkt), es sei keine inhaltliche Auseinandersetzung mit allen vorgelegten Beweismitteln erfolgt, nicht darzutun.
18 Der Revisionswerber wendet sich mit dem weiteren Zulässigkeitsvorbringen gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) vorgenommene Interessenabwägung und führt dazu aus, dass das Bundesverwaltungsgericht in der Interessenabwägung die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit des Revisionswerbers zu seinen Lasten einbezogen habe, obwohl dieser nachweislich seit mehr als vier Jahren keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung beziehe. Zur Klärung dieses Punktes hätte eine Verhandlung durchgeführt werden müssen.
19 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 20.10.2021, Ra 2021/20/0365, mwN).
20 Das Bundesverwaltungsgericht hat bei seiner Beurteilung fallbezogen alle relevanten Umstände näher beleuchtet und ausreichend berücksichtigt. Entgegen den Revisionsausführungen ist das Bundesverwaltungsgericht in seiner rechtlichen Begründung davon ausgegangen, dass der Revisionswerber keine Leistungen aus der Grundversorgung beziehe und selbsterhaltungsfähig sei. Auf die zu diesem Punkt gerügte Verletzung der Verhandlungspflicht ist damit nicht mehr einzugehen.
21 Dass die anhand sämtlicher für die Entscheidung maßgeblichen Umstände erfolgte Beurteilung des Verwaltungsgerichtes als unvertretbar anzusehen wäre, zeigt die Revision nicht auf.
22 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 28. Februar 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022200009.L00Im RIS seit
23.03.2022Zuletzt aktualisiert am
28.03.2022