Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 1. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kostersitz als Schriftführer in der Strafsache gegen * K* wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 1. September 2021, GZ 41 Hv 13/21h-42, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * K* eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB, zweier Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB (I./) und zweier Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 2 StGB (II./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in N* und andernorts M*, mithin eine Person, die wegen einer geistigen Behinderung, nämlich einer angeborenen Intelligenzminderung, unfähig ist, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er
I./ mit ihm eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornahm, und zwar
1./ Anfang Juni 2020, indem er ihn aufs Bett stieß, sodass dieser auf dem Bauch zu liegen kam, dessen Hose samt Unterhose hinunterzog und seinen Penis in dessen After einführte;
2./ zwischen Ende Mai 2020 und Ende Juni 2020, indem er dessen Hose samt Unterhose herunterzog, ihn umdrehte, auf seinen unbekleideten Schoß zog und ihm dabei den Penis in dessen After einführte;
3./ zwischen Ende Mai 2020 und Anfang Juli 2020, indem er ihn aufforderte, sich bäuchlings auf das Bett zu legen und daraufhin seinen Penis in dessen After einführte,
wobei die Taten eine Körperverletzung verbunden mit einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, nämlich eine Anpassungsstörung (ICD-10: F43.2) zur Folge hatten;
II./ außer dem Fall des § 205 Abs 1 StGB an ihm eine geschlechtliche Handlung vornahm, und zwar
1./ Ende Juni 2020, indem er ihn auszog, sich unbekleidet auf ihn legte und seinen Penis an dessen Körper und dabei insbesondere an dessen Penis rieb und dabei geschlechtsverkehrsähnliche Bewegungen machte;
2./ am 4. Juli 2020, indem er dessen Hand zu seinem Penis führte und damit an diesem manipulierte, ihn schließlich aufforderte, sich bäuchlings auf das Bett zu legen, sich unbekleidet auf ihn legte und seinen Penis an dessen Gesäß rieb und dabei geschlechtsverkehrsähnliche Bewegungen machte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Dem Einwand der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider steht die Schilderung des M*, er habe sich nicht gewehrt, um den Angeklagten nicht zu verletzen (US 10), nicht in erörterungsbedürftigem Widerspruch zur auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen (ON 16) gestützten Feststellung der mangelnden Dispositionsfähigkeit des Opfers zu den Tatzeitpunkten (US 3 f). Darüber hinaus haben sich die Tatrichter mit dessen Angaben im durch das Gebot zu bestimmter, aber gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe erforderlichen Umfang (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) auseinandergesetzt (US 10 ff, 13 f), wobei sie nicht verhalten waren, den wörtlichen Inhalt sämtlicher Angaben des Zeugen im Detail zu erörtern (RIS-Justiz RS0106642). Mit eigenständigen Erwägungen zu diesen Angaben unternimmt die Beschwerde bloß den Versuch, die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld zu bekämpfen.
[5] Entgegen dem weiteren Beschwerdevorbringen (Z 5 zweiter Fall) betreffen die Angaben des Sachverständigen im Rahmen der Gutachtenserörterung in der Hauptverhandlung (ON 41 S 21), wonach es „auch andere Elemente gegeben [habe], die M* in dieser Zeit belastet haben“, keine entscheidende Tatsache (RIS-Justiz RS0106268; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 398 f). Denn den Urteilsannahmen zufolge waren die dem Angeklagten zu I./1./ bis I./3./ zur Last gelegten Taten „kausaler Auslöser“ für die beim Tatopfer diagnostizierte Anpassungsstörung mit Krankheitswert in der Dauer von zumindest 10 Wochen (US 5; vgl auch US 16 iVm ON 41 S 21). Dass dafür gegebenenfalls auch andere Umstände mitursächlich waren, steht der strafrechtlichen Zurechnung der schweren Verletzungsfolgen nicht entgegen (RIS-Justiz RS0091997, RS0092036).
[6] Zur prozessförmigen Ausführung einer Tatsachenrüge (Z 5a) ist ein ins Treffen geführtes aktenkundiges Beweismittel in Hinsicht auf seine Eignung, erhebliche Bedenken gegen die bekämpfte Feststellung über eine entscheidende Tatsache hervorzurufen, an der Gesamtheit der diesbezüglichen beweiswürdigenden Erwägungen des Schöffengerichts zu messen (RIS-Justiz RS0117446 [T1]). Daran orientiert sich die Beschwerde nicht, indem sie – unter Übergehen der tatrichterlichen Darlegungen – aus isoliert hervorgehobenen Angaben des Opfers dessen Dispositionsfähigkeit abzuleiten versucht.
[7] Im Übrigen weckt auch die Beschwerdebehauptung, das Erstgericht habe den Umstand außer Acht gelassen, dass sich „einzig und allein die gänzlich widerstreitenden Aussagen des Angeklagten und des Opfers“ gegenüberstehen, keine nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierenden Bedenken (RIS-Justiz RS0119583) gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen iSd Z 5a des § 281 Abs 1 StPO; damit wird neuerlich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung die Beweiswürdigung des Schöffengerichts bekämpft (RIS-Justiz RS0118780, RS0100555).
[8] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) die Konstatierungen zum Schuldspruch I./ zur subjektiven Tatseite (US 5) als bloße Wiedergabe der verba legalia kritisiert, legt sie nicht dar, weshalb es den in Rede stehenden Feststellungen – die sowohl die Wissens- als auch die Willenskomponente in Bezug auf alle äußeren Tatbildmerkmale zum Ausdruck bringen – am gebotenen Sachverhaltsbezug mangeln sollte (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 8; RIS-Justiz RS0119090).
[9] Die vermisste Feststellung, dass sich der Vorsatz des Angeklagten auch auf die mangelnde Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit des Opfers bezog, findet sich ausdrücklich in den (von der Beschwerde selbst zitierten) tatrichterlichen Konstatierungen (US 5), wonach es dem Angeklagten auf die Ausnutzung der (partiell) eingeschränkten Dispositionsfähigkeit des M* (vgl US 4; siehe dazu Philipp in WK² StGB § 205 Rz 20) geradezu ankam.
[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – wie schon die Generalprokuratur zutreffend ausführte – bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
[11] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E134175European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00003.22H.0301.000Im RIS seit
23.03.2022Zuletzt aktualisiert am
23.03.2022