RS Vfgh 2022/3/1 V239/2021 (V239/2021-10)

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Veröffentlicht am 01.03.2022
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Index

90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art89 Abs1, Art139 Abs1 Z1
StVO 1960 §24, §43 Abs1 litc, §44, §52, §94d, §96
V des Magistrates der Stadt Wien vom 08.08.2013
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Aufhebung einer – im Jahr 2013 eingerichteten – Ladezone in einer Geschäftsstraße in Wien mangels Erforderlichkeit; Wegfall der Erforderlichkeit war für die verordnungserlassenden Behörde – trotz fehlender behördlicher Überprüfung – jedenfalls seit Beendigung der unternehmerischen Tätigkeit am Standort, für den die Ladezone eingerichtet worden war, erkennbar; Wegfall der tatsächlichen Grundlage für die Erlassung der Verordnung bereits bei Übermittlung von Projektunterlagen für ein Hotel ersichtlich

Rechtssatz

Gesetzwidrigkeit der Zeichen- und Ziffernfolge ", 6.9." der Verordnung des Magistrates der Stadt Wien vom 08.08.2013, ZMA 46 - DEF/21733/2013 (Antrag des Verwaltungsgerichts Wien - VGW - LVwG).

Das antragstellende LVwG hat Punkt 6.9. der Verordnung des Magistrates der Stadt Wien im Beschwerdeverfahren anzuwenden und diese Bestimmung ist von den übrigen Anordnungen der Verordnung trennbar. Soweit die Wiener Landesregierung meint, der vorliegende Antrag sei zu eng gefasst, weil Punkt 6.12. der Verordnung nicht mitangefochten werde, ist ihr zu entgegnen, dass sich die vorgebrachten Bedenken des antragstellenden LVwG gegen die Errichtung einer zeitlich unbeschränkten Ladezone, nicht aber gegen die Verordnung von Parkordnungen richten.

Die Errichtung einer Ladezone nach §43 Abs1 litc StVO 1960 setzt zum einen ein erhebliches wirtschaftliches Interesse von einem oder von mehreren umliegenden Unternehmen voraus, Straßenstellen für die Durchführung von Ladetätigkeiten freizuhalten, zum anderen aber auch, dass die betroffenen Straßenstellen nur für die unbedingt notwendige Zeit und Strecke freigehalten werden.

Die mit dem vorliegenden Antrag angefochtene Ladezone wurde ausweislich des Verordnungsaktes ausschließlich aus dem Grund erlassen, dem seit dem Jahr 1904 an der Adresse Währinger Straße 28 ansässigen Unternehmen die Durchführung von Lade- bzw Liefertätigkeiten (weiterhin) zu ermöglichen.

Dem Verordnungsakt sind keine Hinweise darauf zu entnehmen, dass im Zuge der Verordnungserlassung das erhebliche wirtschaftliche Interesse anderer umliegender Unternehmen geprüft bzw berücksichtigt worden wäre. Der Verweis auf im Zuge der Neueinrichtung von Ladezonen durchgeführte Erhebungen sowie auf diverse Amtshandlungen der Verkehrsbehörde auf dem gegenständlichen Straßenabschnitt seit dem Jahr 1967 trägt schon deshalb nicht, weil die Wiener Landesregierung in diesem Zusammenhang selbst darauf hinweist, dass die Bezug habenden Akten teilweise nicht mehr vorhanden und daher einer Überprüfung durch den VfGH nicht mehr zugänglich sind. Abgesehen davon betrafen diese Erhebungen - anders als im vorliegenden Fall - jeweils zeitlich beschränkte Ladezonen, die an wechselnden Standorten verordnet wurden.

Soweit die Wiener Landesregierung in diesem Zusammenhang vorbringt, dass in den Projektunterlagen immer wieder auf die "Qualität als Geschäftsstraße" hingewiesen werde und sich daraus unzweifelhaft das Vorhandensein von weiteren Geschäften, die auf Lademöglichkeiten angewiesen seien, ergebe, ist dem zu entgegnen, dass sich diese Hinweise jeweils auf die Notwendigkeit einer Gehsteigbreite von 2,5 Metern, nicht aber auf die Errichtung einer Ladezone beziehen.

Wie die Wiener Landesregierung in ihrer Äußerung ausführt, ist das Unternehmen, dessen Interessen mit der Errichtung der Ladezone im Jahr 2013 Rechnung getragen wurde, seit Ende 2018 nicht mehr an dem Standort Währinger Straße 28 ansässig. Die angefochtene Verordnungsbestimmung war daher spätestens seit Ende 2018 nicht mehr erforderlich im Sinne des §43 Abs1 StVO 1960.

Gemäß §96 Abs2 StVO 1960 hat die Behörde mindestens alle fünf Jahre unter Beiziehung des Straßenerhalters alle angebrachten Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs daraufhin zu überprüfen, ob sie noch erforderlich sind. Nicht mehr erforderliche Einrichtungen dieser Art sind zu entfernen. Die Verletzung dieser Überprüfungspflicht begründet nach der bisherigen Rsp des VfGH für sich allein noch keine Gesetzwidrigkeit von Verordnungen, deren Überprüfung unterblieben war. Dementsprechend ist regelmäßig davon auszugehen, dass eine Verordnung für die in §96 Abs2 StVO 1960 festgelegte Zeit auch dann gesetzlich gedeckt ist, wenn die Voraussetzungen für ihre Erlassung in der Folge wegfallen. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn der Behörde solche Umstände vorzeitig angezeigt wurden oder für sie bereits vorher erkennbar waren bzw sie davon Kenntnis haben musste.

Nachdem der verordnungserlassenden Behörde bereits im Jahr 2017 Projektunterlagen zum Umbau dieses Geländes in ein Hotel übermittelt wurden, ist entgegen den Ausführungen der Wiener Landesregierung davon auszugehen, dass der verordnungserlassenden Behörde dieser Umstand bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt geworden ist. Mag auch die fehlende Überprüfung der angefochtenen Verordnungsbestimmung gemäß §96 Abs2 StVO 1960 für sich genommen nicht zu deren Gesetzwidrigkeit geführt haben, wurde sie aber jedenfalls durch den erkennbaren Wegfall der tatsächlichen Grundlage für ihre Erlassung gesetzwidrig (E v 22.09.2021, V102/2021). Daran vermag der Hinweis auf die derzeit noch ungewisse künftige Nutzung der Liegenschaft Währinger Straße 28 nichts zu ändern.

Diesem Ergebnis steht auch der Umstand nicht entgegen, dass allenfalls andere Gründe vorliegen könnten, die die Errichtung einer Ladezone in dem in der angefochtenen Verordnungsbestimmung angegeben Bereich notwendig erscheinen lassen. Die Wiener Landesregierung führt in diesem Zusammenhang aus: "Anhaltspunkte dafür, dass der Ladebedarf umliegender Betriebe bzw anrainender privater Personen nicht mehr besteht, finden sich keine. Da für Lastfahrzeuge ausreichend breite Parkspuren in der Umgebung ansonsten nicht eingerichtet sind, würde eine Aufhebung der Ladezone zu Problemen für Lastfahrzeuge führen, die etwa über die Parkspuren hinausragen bzw unzulässigerweise in zweiter Spur laden müssten, was die Verkehrssicherheit beeinträchtigen würde. Umbauten, die jedenfalls temporär sind, können nach der Praxis [...] per se kein Grund sein, Ladezonen aufzuheben." Diese Ausführungen können die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnungsbestimmung nicht sanieren, weil der Erlassung der angefochtenen Verordnungsbestimmung keine Prüfung der wirtschaftlichen Interessen anderer umliegender Unternehmen voranging. Den vorgelegten Verordnungsakten lässt sich im Übrigen auch kein Hinweis darauf entnehmen, dass die angefochtene Verordnungsstelle auch auf §43 Abs1 litb StVO 1960 gestützt worden wäre.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Halte(Park-)verbot, Verordnungserlassung, VfGH / Gerichtsantrag, VfGH / Prüfungsumfang, Straßenverkehrszeichen, Straßenpolizei

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:V239.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.03.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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