Entscheidungsdatum
25.08.2021Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
VwGVG 2014 §38Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Mag. Holl, LL.M. über die Beschwerde des Herrn A. B. gegen den Zurückweisungsbescheid der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat C., vom 29.6.2021, Zl. VStV/.../2021, mit welchem der Einspruch vom 24.6.2021 gegen die Strafverfügung vom 2.6.2021 als verspätet zurückgewiesen wurde,
zu Recht:
I. Gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG iVm § 38 VwGVG iVm § 49 Abs. 1 und Abs. 2 VStG wird der Beschwerde Folge gegeben und der angefochtene Bescheid vom 29.6.2021 behoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang
Mit Zurückweisungsbescheid vom 29.6.2021 zur GZ: VStV/.../2021, zugestellt am 2.7.2021, wurde der Einspruch des Beschwerdeführers gegen die Strafverfügung vom 2.6.2021 als verspätet zurückgewiesen. Begründend wurde auf § 26 Abs. 2 ZustG verwiesen und dargelegt, dass aufgrund der Postübergabe der Strafverfügung am 2.6.2021 (wohl gemeint 4.6.2021) der Einspruch vom 24.6.2021 als verspätet zu werten sei (Ende der Einspruchsfrist 22.6.2021).
Per E-Mail vom 26.7.2021 legte der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde gegen diesen Zurückweisungsbescheid ein. Er brachte darin vor, dass er die Strafverfügung erst am 11.6.2021 erhalten habe und sein dagegen gerichteter Einspruch vom 24.6.2021 sohin rechtzeitig eingebracht worden sei.
Die belangte Behörde erließ keine Beschwerdevorentscheidung und legte den Verfahrensakt samt Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien vor (ha. eingelangt am 17.8.2021), wobei die belangte Behörde auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und für den Fall einer Durchführung auf eine Teilnahme verzichtete.
II. Sachverhalt
Mit Strafverfügung der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat C. vom 2.6.2021 zur GZ: VStV/.../2021 wurde über den Beschwerdeführer wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 102 Abs. 1 KFG iVm § 36 lit. e KFG iVm § 57a Abs. 5 KFG iVm § 134 Abs. 1 KFG eine Geldstrafe iHv 150,- Euro (1 Tag und 6 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Zwecks postalischer Zustellung ohne Zustellnachweis in Wien, D.-weg 46 übergab die belangte Behörde am 4.6.2021 die Strafverfügung der Post.
Die Strafverfügung langte in weiterer Folge am 11.6.2021 beim Beschwerdeführer ein. Per E-Mail vom 24.6.2021 erhob der Beschwerdeführer sodann Einspruch gegen die Strafverfügung vom 2.6.2021.
Mit Zurückweisungsbescheid vom 29.6.2021 zur GZ: VStV/.../2021 wies die belangte Behörde unter Verweis auf § 26 Abs. 2 ZustG den Einspruch vom 24.6.2021 gegen die Strafverfügung vom 2.6.2021 als verspätet zurück.
III. Beweiswürdigung
Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der belangten Behörde sowie durch Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens.
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Behördenakt, insbesondere aus den Aufzeichnungen der belangten Behörden über die im gegenständlichen Fall erfolgten Zustellvorgänge. Die Aufzeichnungen stimmen insofern mit den Ausführungen der belangten Behörde im Zurückweisungsbescheid überein, als die Strafverfügung tatsächlich zwecks Zustellung (ohne Zustellnachweis) an die Post übergeben und dies in der Zustellübersicht dokumentiert wurde. Aus der aktenkundigen Zustellübersicht geht allerdings hervor, dass die Übergabe der Strafverfügung an die Post nicht wie im Bescheid angeführt am 2.6.2021, sondern am 4.6.2021 erfolgte (siehe dazu auch Aktenvermerk vom 20.8.2021).
Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer die Strafverfügung daraufhin erst am 11.6.2021 erhielt, ergibt sich aus dem schlüssigen Beschwerdevorbringen, wobei sich für das Verwaltungsgericht Wien keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, dass es sich hierbei um unrichtige Angaben handeln könnte, ergaben. Demgegenüber lassen sich dem Akteninhalt keine Hinweise auf etwaige weitere Ermittlungsschritte seitens der belangten Behörde hinsichtlich des Zeitpunktes des tatsächlichen Einlegens der Strafverfügung in die Abgabeeinrichtung oder des Hinterlassens derselben an der Abgabestelle entnehmen.
IV. Rechtsgrundlagen
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, lauten auszugsweise:
„Anzuwendendes Recht
§ 38. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG in Verwaltungsstrafsachen die Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 – VStG, BGBl. Nr. 52/1991, mit Ausnahme des 5. Abschnittes des II. Teiles, und des Finanzstrafgesetzes – FinStrG, BGBl. Nr. 129/1958, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.“
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG), BGBl. Nr. 52/1991 idF BGBl. I Nr. 57/2018, lauten auszugsweise:
„§ 49. (1) Der Beschuldigte kann gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben und dabei die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen. Der Einspruch kann auch mündlich erhoben werden. Er ist bei der Behörde einzubringen, die die Strafverfügung erlassen hat.
(2) Wenn der Einspruch rechtzeitig eingebracht und nicht binnen zwei Wochen zurückgezogen wird, ist das ordentliche Verfahren einzuleiten. Der Einspruch gilt als Rechtfertigung im Sinne des § 40. Wenn im Einspruch ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten angefochten wird, dann hat die Behörde, die die Strafverfügung erlassen hat, darüber zu entscheiden. In allen anderen Fällen tritt durch den Einspruch, soweit er nicht binnen zwei Wochen zurückgezogen wird, die gesamte Strafverfügung außer Kraft. In dem auf Grund des Einspruches ergehenden Straferkenntnis darf keine höhere Strafe verhängt werden als in der Strafverfügung.
(3) Wenn ein Einspruch nicht oder nicht rechtzeitig erhoben oder zurückgezogen wird, ist die Strafverfügung zu vollstrecken.“
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Zustellung behördlicher Dokumente (Zustellgesetz – ZustG), BGBl. Nr. 200/1982 idF BGBl. I Nr. 5/2008, lauten auszugsweise:
„Zustellung ohne Zustellnachweis
§ 26. (1) Wurde die Zustellung ohne Zustellnachweis angeordnet, wird das Dokument zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (§ 17 Abs. 2) eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird.
(2) Die Zustellung gilt als am dritten Werktag nach der Übergabe an das Zustellorgan bewirkt. Im Zweifel hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung von Amts wegen festzustellen. Die Zustellung wird nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.“
V. Rechtliche Beurteilung
Zunächst wird festgehalten, dass das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall nur über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung zu entscheiden hat (vgl. VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002).
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 26 Abs. 2 ZustG hat die Behörde bei Zustellungen ohne Zustellnachweis die Folge zu tragen, dass der Behauptung der Partei, sie habe ein Schriftstück nicht empfangen, nicht wirksam entgegengetreten werden kann. Bei bestrittenen Zustellungen ohne Zustellnachweis hat die Behörde die Tatsache der Zustellung nachzuweisen. In diesem Fall muss – mangels Zustellnachweises – der Beweis der erfolgten Zustellung auf andere Weise von der Behörde erbracht werden. Gelingt dies nicht, muss die Behauptung der Partei über die nicht erfolgte Zustellung als richtig angenommen werden. Diese Grundsätze gelten auch für den Nachweis des Zeitpunktes einer - unstrittig erfolgten - Zustellung ohne Zustellnachweis (vgl. VwGH 15.5.2013, 2013/08/0032; VwGH 20.12.2007, 2007/16/0175).
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Frist des § 26 Abs. 2 ZustG – abweichend von § 33 Abs. 1 AVG – durch Samstage, Sonn- und Feiertage im Fortlauf gehemmt wird (vgl. Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely, Zustellrecht, § 26 ZustG Rz 4).
Im vorliegenden Fall behauptet der Beschwerdeführer die verfahrensgegenständliche Strafverfügung erst nach Ablauf des vermuteten Zustellzeitraumes von drei Werktagen iSd § 26 Abs. 2 ZustG (hier 9.6.2021), nämlich am 11.6.2021, erhalten zu haben. Dadurch traf die belangte Behörde die Beweislast und sie hätte von Amts wegen den Zeitpunkt der Zustellung ermitteln müssen. Die belangte Behörde trat der Behauptung des Beschwerdeführers jedoch durch keinerlei Nachweise wirksam entgegen, sondern berief sich im Zurückweisungsbescheid lediglich auf die Zustellvermutung des § 26 Abs. 2 ZustG. Sohin war der Zustellvermutung durch die erfolgte Bestreitung des Beschwerdeführers die Grundlage entzogen und die diesbezügliche Behauptung des Beschwerdeführers als richtig anzunehmen. Daher erfolgte der Einspruch vom 24.6.2021 gemäß § 49 Abs. 2 VStG iVm § 26 Abs. 2 letzter Satz ZustG rechtzeitig und die Erlassung des Zurückweisungsbescheids erfolgte zu Unrecht.
Zudem wird festgehalten, dass vor Zurückweisung eines Rechtsmittels als verspätet die belangte Behörde gemäß § 24 VStG iVm § 45 Abs. 3 AVG verpflichtet gewesen wäre, dem Beschwerdeführer eine nach dem Akteninhalt offenkundige Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten. Unterlässt sie dies und geht sie von einer Versäumung der Rechtsmittelfrist aus, ohne dies dem Rechtsmittelwerber vorgehalten zu haben, hat sie daher das Risiko einer Bescheidaufhebung zu tragen (vgl. VwGH 24.11.2011, 2011/23/0269).
Der Entfall einer öffentlichen mündlichen Verhandlung im gegenständlichen Fall gründet sich auf § 44 Abs. 2 VwGVG, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Strafverfügung; Einspruch; Zustellung ohne Zustellnachweis; Beweislast; ZustellvermutungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.031.062.12225.2021Zuletzt aktualisiert am
21.03.2022