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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §63 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. M. Fellner, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 5. Juli 1994, Zl. Fr 1446/94, betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 4. Mai 1994, dem Beschwerdeführer zugestellt am selben Tag, wurde der Beschwerdeführer gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 und 6 des Fremdengesetzes (FrG) ausgewiesen.
Die dagegen am 18. Mai 1994 zur Post gegebene Berufung des Beschwerdeführers hatte folgenden Wortlaut:
"Ich erhebe hiermit binnen offener Frist das Rechtsmittel der
BERUFUNG
gegen den oben bezeichneten Bescheid, welcher mir am 4.5.1994 im Amte ausgefolgt wurde, wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung des Vorliegens von Voraussetzungen für eine Ausweisung in meinem Fall.
BEGRÜNDUNG
Zur näheren Begründung verweise ich auf die Ergänzung zu dieser Berufung, die ich aus zeitlichen Gründen (meines Rechtsberaters; Anm.) erst binnen der nächsten sieben Tage einzubringen imstande bin.
Ich beantrage, im Vorgriff auf diese - ausführliche - Berufungsergänzung, daß der angefochtene Bescheid aus den oben genannten und noch zu konkretisierenden Gründen behoben wird."
Mit am 25. Mai 1994 zur Post gegebenem Schriftsatz vom 24. Mai 1994 brachte der Beschwerdeführer eine "Berufungsergänzung" ein.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (belangte Behörde) vom 5. Juli 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 63 Abs. 3 und 5 AVG zurückgewiesen. Diese Entscheidung wurde damit begründet, daß Berufungen gemäß § 63 Abs. 3 AVG einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten hätten. Gemäß § 63 Abs. 5 AVG sei die Berufung von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat, oder bei der Behörde, die über die Berufung zu entscheiden hat. Der Bescheid der Behörde erster Instanz sei dem Beschwerdeführer am 4. Mai 1994 zugestellt worden. Die Berufungsfrist habe daher am 18. Mai 1994 geendet. Das Berufungsschreiben des Beschwerdeführers vom 18. Mai 1994 sei zwar am 18. Mai 1994 rechtzeitig zur Post gegeben und damit rechtzeitig eingebracht worden; jedoch sei die Berufungsbegründung vom 24. Mai 1994 erst am 25. Mai 1995 zur Post gegeben und sohin verspätet eingebracht worden. Aus dem rechtzeitig eingebrachten Schriftsatz sei nicht einmal eine Andeutung darüber zu entnehmen, worin die Unrichtigkeit des bekämpften Bescheides gelegen sein soll; es fehle an dem Erfordernis eines begründeten Berufungsantrages. Es genüge nicht, wenn die Berufung erkennen lasse, was die Partei anstrebe, sondern müsse in einer Berufung ausgeführt werden, womit die Partei ihren Standpunkt vertreten zu können glaube.
Dagegen richtet sich die vorliegende, zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete, von diesem mit Beschluß vom 5. Oktober 1994, B 1720/94, abgelehnte und mit Beschluß vom 8. November 1994, B 1720/94, auf Antrag des Beschwerdeführers dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend macht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil nach seiner Auffassung die von ihm rechtzeitig eingebrachte Berufung gemäß § 63 Abs. 3 AVG ausreichend begründet gewesen sei. Ob die Berufungsgründe zielführend seien, sei für das Vorliegen von ausreichenden Berufungsgründen nach einheitlicher Rechtsprechung und Lehre nicht entscheidend. Wesentlich sei vielmehr, daß erkennbar sei, weshalb der Berufungswerber den angefochtenen Bescheid für unzutreffend halte. § 63 Abs. 3 AVG dürfe im Geiste des Gesetzes auch nicht formalistisch ausgelegt werden; die Berufung des Beschwerdeführers habe erkennen lassen, was die Partei anstrebe und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaubte. Die Worte "die verhängte Strafe ist mir zu hoch" hätten für die Annahme des Vorliegens eines begründeten Berufungsantrages für eine Strafberufung nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 9. Juli 1995, Zl. 85/07/0080, Slg. Nr. 11.832 A) noch ausgereicht. Dem von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid genannten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Februar 1989, Zl. 88/18/0347, sei eine Berufung zugrunde gelegen, in welcher inhaltlich bloß "Berufung wegen Rechtswidrigkeit" ausgeführt worden sei; der vorliegend eingebrachten Berufung sei demgegenüber zweifelsfrei zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer den erstinstanzlichen Bescheid wegen materieller Rechtswidrigkeit einer Überprüfung durch die Behörde zweiter Instanz zu unterziehen gesucht habe; sie sei somit wesentlich konkreter als die Formulierung "Berufung wegen Rechtswidrigkeit", welche offenlasse, ob damit der Berufungsgrund der materiellen Rechtswidrigkeit, wesentlicher Verfahrensverstöße, einer unrichtigen Ermessensübung oder unrichtiger Beweiswürdigung angezogen werde.
Die Beschwerde ist berechtigt. Nach § 63 Abs. 3 AVG hat die Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten. Zur Frage des Erfordernisses eines "begründeten Berufungsantrages" hat der Verwaltungsgerichtshof erkannt, daß ein begründeter Antrag dann vorliegt, wenn die Eingabe erkennen läßt, welchen Erfolg der Einschreiter anstrebt und womit er seinen Standpunkt vertreten zu können glaubt, selbst wenn die Begründung nicht als stichhältig anzusehen ist (vgl. etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. September 1989, Zl. 89/04/0005, und vom 30. Jänner 1990, Zl. 88/18/0361, Slg. Nr. 13.108/A). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die Berufung enthält nämlich insoferne fallbezogene Berufungsausführungen, als darin zum Ausdruck gebracht wird, daß der Beschwerdeführer den konkret gegen ihn erlassenen Ausweisungsbescheid wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen gerade in seinem Fall bekämpfen will. Insoferne ist die in der vorliegend zu beurteilenden Berufung gebrauchte Formulierung etwa auch mit der im Erkenntnis vom 29. Juni 1995, Zl. 94/18/0936, als gerade noch ausreichend begründet erkannten Formulierung "unrichtige rechtliche Beurteilung der von mir geltend gemachten Abschiebungshindernisse bezüglich Namibia" vergleichbar. Sie ist auch weniger allgemein gehalten als eine mit der bloßen Begründung "wegen Rechtswidrigkeit" versehene Berufung, welche Formulierung der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17. Februar 1989, Zl. 88/18/0347, als nicht ausreichende Begründung angesehen hat.
Die belangte Behörde hat somit zu Unrecht die Ansicht vertreten, daß innerhalb der Berufungsfrist keine begründete Berufung eingebracht wurde; die Berufung wurde zu Unrecht zurückgewiesen.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1994180902.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
23.12.2011