Index
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960Norm
B-VG Art139 Abs1 Z1Leitsatz
Gesetzwidrigkeit einer Wortfolge einer Geschwindigkeitsbeschränkungsverordnung der Bundesministerin für die A2 Südautobahn mangels ordnungsgemäßer Kundmachung; Aufstellung des Verkehrszeichens ausschließlich am rechten Fahrbahnrand im Widerspruch zu der für Autobahnen geltenden KundmachungsvorschriftSpruch
I. 1. Die Wortfolge "und auf der Richtungsfahrbahn Wien von km 172,275 bis km 167,598" der Verordnung der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie vom 17. Mai 2013, Z BMVIT-138.002/0008-IV/ST5/2013, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
2. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
II. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark,
"die Verordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Innnovation und Technologie vom 17.05.2013, GZ: BMVIT-138.002/0008-IV/ST5/2013 als gesetzwidrig aufzuheben,
in eventu
die Verordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie vom 17.05.2013, GZ: BMVIT-138.002/0008-IV/ST5/2013, im Hinblick auf den Satzteil 'und auf der Richtungsfahrbahn Wien von km 172,275 bis km 167,598' als gesetzwidrig aufzuheben".
II. Rechtslage
1. Die Verordnung der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie vom 17. Mai 2013, Z BMVIT-138.002/0008-IV/ST5/2013, lautet – auszugsweise – wie folgt:
"A 2 Süd Autobahn, Abschnitt Laßnitzhöhe; Verordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h bei nasser Fahrbahn, Schneefall und Eisbildung
Aufgrund §43 Abs1 StVO 1960, BGBl Nr 159/1960, in der derzeit gültigen Fassung, wird verordnet:
Zur Sicherheit des sich bewegenden Verkehrs wird bei nasser Fahrbahn, Schneelage oder Eisbildung auf der A 2 Süd Autobahn auf der Richtungsfahrbahn Thörl-Maglern von km 167,600 bis km 172,275 und auf der Richtungsfahrbahn Wien von km 172,275 bis km 167,598 die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h beschränkt.
Diese Verordnung ist gemäß §44 StVO 1960 durch die entsprechenden Straßenverkehrszeichen kundzumachen. […]"
(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960), lauten – auszugsweise – wie folgt:
"§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.
(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung
a) […]
b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,
1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,
2. den Straßenbenützern ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben, insbesondere bestimmte Gruppen von der Benützung einer Straße oder eines Straßenteiles auszuschließen oder sie auf besonders bezeichnete Straßenteile zu verweisen;
c) – d) […]
(1a) – (11) […]
§44. Kundmachung der Verordnungen.
(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. Parteien im Sinne des §8 AVG ist die Einsicht in einen solchen Aktenvermerk und die Abschriftnahme zu gestatten. Als Straßenverkehrszeichen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen die Vorschriftszeichen sowie die Hinweiszeichen 'Autobahn', 'Ende der Autobahn', 'Autostraße', 'Ende der Autostraße', 'Einbahnstraße', 'Ortstafel', 'Ortsende', 'Internationaler Hauptverkehrsweg', 'Straße mit Vorrang', 'Straße ohne Vorrang', 'Straße für Omnibusse' und 'Fahrstreifen für Omnibusse' in Betracht. Als Bodenmarkierungen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen Markierungen, die ein Verbot oder Gebot bedeuten, wie etwa Sperrlinien, Haltelinien vor Kreuzungen, Richtungspfeile, Sperrflächen, Zickzacklinien, Schutzwegmarkierungen oder Radfahrerüberfahrtmarkierungen in Betracht.
(1a) Werden Verkehrsverbote, Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrserleichterungen für den Fall zeitlich nicht vorherbestimmbarer Verkehrsbedingungen (wie etwa Regen, Schneefall, besondere Verkehrsdichte) verordnet und erfolgt die Kundmachung dieser Verordnung im Rahmen eines Systems, das selbsttätig bei Eintritt und für die Dauer dieser Verkehrsbedingungen die entsprechenden Straßenverkehrszeichen anzeigt (Verkehrsbeeinflussungssystem), so kann der in Abs1 genannte Aktenvermerk entfallen. In diesem Fall ist jedoch sicherzustellen, dass der Inhalt, der Zeitpunkt und die Dauer der Anzeige selbsttätig durch das System aufgezeichnet werden; diese Aufzeichnungen sind entweder in elektronisch lesbarer Form zu speichern oder in Form von Ausdrucken aufzubewahren. Parteien im Sinne des §8 AVG ist auf Verlangen ein Ausdruck der Aufzeichnungen oder eine Kopie des Ausdrucks auszufolgen.
(2) – (5) […]
[…]
§44c. Verkehrsbeeinflussung
(1) Die Behörde kann für eine bestimmte Straße oder Straßenstrecke für den Fall besonderer Verkehrs- oder Fahrbahnverhältnisse, deren Auftreten zeitlich und/oder örtlich nicht vorhersehbar ist, durch Verordnung Verkehrsmaßnahmen (Verkehrsverbote, Verkehrsbeschränkungen, Verkehrserleichterungen) festlegen, die auf Grund der örtlichen oder verkehrsmäßigen Gegebenheiten nach dem Stand der Wissenschaft zur Aufrechterhaltung oder Förderung der Leichtigkeit oder Flüssigkeit des Verkehrs unter Bedachtnahme auf die Verkehrssicherheit zweckmäßig sind.
(2) In der Verordnung sind festzulegen:
1. die Straße oder Straßenstrecke, auf der die Verkehrsmaßnahmen gelten sollen,
2. die beim Auftreten besonderer Verkehrs- oder Fahrbahnverhältnisse jeweils geltenden Verkehrsmaßnahmen und
3. die Verkehrs- oder Fahrbahnverhältnisse, bei deren Auftreten die Verkehrsmaßnahmen gelten sollen.
(3) Verordnungen gemäß Abs1 sind mittels eines Verkehrsbeeinflussungssystems (§44 Abs1a) kundzumachen. Der örtliche und zeitliche Umfang der von der Behörde verordneten Verkehrsmaßnahmen wird dabei durch die Anzeige der betreffenden Straßenverkehrszeichen mit der Wirkung bestimmt, als ob der örtliche und zeitliche Umfang von der Behörde bestimmt worden wäre.
[…]
§48. Anbringung der Straßenverkehrszeichen.
(1) Die Straßenverkehrszeichen (§§50, 52 und 53) sind als Schilder aus festem Material unter Bedachtnahme auf die Art der Straße und unter Berücksichtigung der auf ihr üblichen Verkehrsverhältnisse, namentlich der darauf üblichen Geschwindigkeit von Fahrzeugen, in einer solchen Art und Größe anzubringen, daß sie von den Lenkern herannahender Fahrzeuge leicht und rechtzeitig erkannt werden können. Im Verlauf derselben Straße sind womöglich Straßenverkehrszeichen mit gleichen Abmessungen zu verwenden.
(1a) Abweichend von Abs1 können für Straßenverkehrszeichen auch optische (Glasfasertechnik) oder elektronische Anzeigevorrichtungen verwendet werden; in diesem Falle können die Straßenverkehrszeichen abweichend von den Abbildungen in den §§50 und 52 auch 'farbumgekehrt' (der weiße Untergrund schwarz und die schwarzen Symbole sowie die schwarze Schrift weiß) dargestellt werden. Weiters kann die Darstellung der Linie, welche die Fahrbahn symbolisiert, in den Straßenverkehrszeichen gem. §52 lita Z4a bis 4d und 7a bis 7c entfallen.
(2) Die Straßenverkehrszeichen sind auf der rechten Straßenseite oder oberhalb der Fahrbahn anzubringen, sofern sich aus diesem Bundesgesetz nichts anderes ergibt. Die zusätzliche Anbringung an anderen Stellen ist zulässig. Auf Autobahnen sind Gefahrenzeichen und Vorschriftszeichen auf beiden Seiten oder oberhalb der Fahrbahn anzubringen, ausgenommen auf Streckenteilen, die in der jeweiligen Fahrtrichtung nur einen Fahrstreifen aufweisen, oder in Gegenverkehrsbereichen.
(3) – (6) […]
[…]
§52. Die Vorschriftszeichen
Die Vorschriftszeichen sind
a) Verbots- oder Beschränkungszeichen,
b) – c) […]
a) Verbots- oder Beschränkungszeichen
1. – 9d. […]
10a. 'GESCHWINDIGKEITSBESCHRÄNKUNG (ERLAUBTE HÖCHSTGESCHWINDIGKEIT)'
[Zeichen]
Dieses Zeichen zeigt an, dass das Überschreiten der Fahrgeschwindigkeit, die als Stundenkilometeranzahl im Zeichen angegeben ist, ab dem Standort des Zeichens verboten ist. Ob und in welcher Entfernung es vor schienengleichen Eisenbahnübergängen anzubringen ist, ergibt sich aus den eisenbahnrechtlichen Vorschriften.
10b. 'ENDE DER GESCHWINDIGKEITSBESCHRÄNKUNG'
[Zeichen]
Dieses Zeichen zeigt das Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung an. Es ist nach jedem Zeichen gemäß Z10a anzubringen und kann auch auf der Rückseite des für die Gegenrichtung geltenden Zeichens angebracht werden. Es kann entfallen, wenn am Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung eine neue Geschwindigkeitsbeschränkung, sei es auch nicht aufgrund dieses Bundesgesetzes, beginnt.
11. – 25b. […]
[…]
§54. Zusatztafeln.
(1) Unter den in den §§50, 52 und 53 genannten Straßenverkehrszeichen sowie unter den in §38 genannten Lichtzeichen können auf Zusatztafeln weitere, das Straßenverkehrszeichen oder Lichtzeichen erläuternde oder wichtige, sich auf das Straßenverkehrszeichen oder Lichtzeichen beziehende, dieses erweiternde oder einschränkende oder der Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs dienliche Angaben gemacht werden.
(2) Die Angaben und Zeichen auf Zusatztafeln müssen leicht verständlich sein. Insbesondere kann auch durch Pfeile in die Richtung der Gefahr oder des verkehrswichtigen Umstandes gewiesen werden.
(3) Die Zusatztafeln sind Straßenverkehrszeichen. Sie sind, sofern sich aus den Bestimmungen des §53 Z6 nichts anderes ergibt, rechteckige, weiße Tafeln; sie dürfen das darüber befindliche Straßenverkehrszeichen seitlich nicht überragen.
(4) Zusatztafeln dürfen nicht verwendet werden, wenn ihre Bedeutung durch ein anderes Straßenverkehrszeichen (§§50, 52 und 53) zum Ausdruck gebracht werden kann.
(5) Die nachstehenden Zusatztafeln bedeuten:
a) – e) […]
f) [Zeichen]
Diese Zusatztafel weist darauf hin, dass das Straßenverkehrszeichen bei Schneelage oder Eisbildung auf der Fahrbahn zu beachten ist.
g) [Zeichen]
Diese Zusatztafel weist darauf hin, dass das Straßenverkehrszeichen bei nasser Fahrbahn zu beachten ist. Die Symbole der Zusatztafeln nach litf und g dürfen auch auf einer Zusatztafel nebeneinander angebracht werden.
h) – m) […]
[…]
§94. Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes ist der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie
1. […]
2. für die Erlassung von Verordnungen, die Autobahnen betreffen, ausgenommen jedoch Verordnungen gemäß §43 Abs1a, und
3. […]
[…]"
III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Beim Landesverwaltungsgericht Steiermark ist ein Verfahren über eine Beschwerde gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung vom 8. Mai 2018 anhängig, in dem dem Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht zur Last gelegt wird, er habe am 17. September 2017, um 07:48 Uhr, in der Gemeinde Nestelbach bei Graz, auf der A2, StrKm. 168,5, Richtung Norden als Lenker eines Kraftfahrzeuges mit einem näher bezeichneten Kennzeichen auf nasser Fahrbahn die in diesem Bereich erlaubte Höchstgeschwindigkeit bei Nässe von 100 km/h um 65 km/h überschritten. Die in Betracht kommende Messtoleranz sei bereits zu seinen Gunsten abgezogen worden. Dadurch sei die Rechtsvorschrift des §52 lita Z10a StVO 1960 verletzt worden. Die Verwaltungsbehörde verhängte gemäß §99 Abs2e StVO 1960 eine Geldstrafe von € 330,– (im Fall der Uneinbringlichkeit 5 Tage und 13 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe). Dem Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht wurde die Zahlung von € 43,– als Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens aufgetragen.
2. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark stellte aus Anlass des bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahrens einen Antrag auf Prüfung der "Verordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie" vom 17. Mai 2013, Z BMVIT-138.002/0008-IV/ST5/2013, beim Verfassungsgerichtshof und brachte darin die folgenden – auszugsweise wiedergegebenen – Bedenken vor:
"III.Präjudizialität:
[…]
In der Beschwerde wurde unter anderem vorgebracht, dass ein Kundmachungs-mangel vorgelegen habe, da keine Anzeige an den permanent verbauten Überkopfanzeigern erfolgt sei und zum anderen die bei Nässe zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h bloß durch ein Straßenverkehrszeichen rechter Hand ersichtlich gewesen wäre.
Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat im Beschwerdeverfahren als Rechtsgrundlage die Verordnung des BMVIT vom 17.05.2013, GZ: BMVIT-138.002/0008-IV/ST5/2013, in Fahrtrichtung Wien (von km 172,275 bis km 167,598) unmittelbar anzuwenden.
IV. Begründung (Darlegung der gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung sprechenden Bedenken gemäß §57 Abs1 VfGG):
Die Verordnung des BMVIT vom 17.05.2013 lautet wie folgt: […]
Aus dem von der Straßenmeisterei vorgelegten Aktenvermerk über den Auf- bzw Abbau von Verkehrszeichen, welcher im erstinstanzlichen Verfahren noch ohne Datum vorgelegt wurde, anlässlich der nachfolgenden Erhebungen mit dem Datum 10.06.2013, geht zwar der Aufbau von Verkehrszeichen auf der A2 Richtung Thörl-Maglern (aufsteigende Kilometrierung) hervor, nicht jedoch für eine absteigende Kilometrierung in Richtung Wien. Inwieweit eine Steuerungskonfiguration der Verkehrsbeeinflussungsanlage vorgenommen wurde, kann dahingestellt bleiben, da laut Schaltplan sich die VBA im bezughabenden Streckenabschnitt der A2 bei km 168,613 befindet, sohin mehr als einen Kilometer entfernt vom verordneten Beginn der Geschwindigkeitsbeschränkung. Ein entsprechendes Straßenverkehrszeichen findet sich lediglich auf der Rampe D Laßnitzhöhe, Auffahrt auf die A2 Richtung Wien, ebenso auf der Rampe B, Auffahrt auf die A2 Richtung Thörl-Maglern (Beilage ./G und ./H zur Verhandlungsschrift). Bei StrKm 172,275 steht kein Straßenverkehrszeichen.
In der vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark stattgefundenen öffentlichen, mündlichen Verhandlung am 26.09.2018 legte der einvernommene Zeuge BI […] dar, dass auf der A2 Richtungsfahrbahn Wien im Bereich des Tatortes keine Straßenverkehrszeichen auf die 100 km/h-Geschwindigkeitsbeschränkung bei Nässe laut Verordnung hinweisen.
[…]
Auf der A2 sind beim Beginn bei StrKm 172,275 der 100 km/h Geschwindigkeitsbeschränkung bei nasser Fahrbahn, Schneefall und Eisbildung keine entsprechenden Straßenverkehrszeichen gemäß §44 StVO aufgestellt. Die Anbringung des Verkehrszeichens lediglich auf der Auffahrt Rampe D Laßnitzhöhe (einer einmündenden Straße) entspricht nicht §48 StVO. Der Vorschrift des §44 Abs1 StVO ist immanent, dass die bezüglichen Straßenverkehrszeichen dort angebracht sind, wo der räumliche Geltungsbereich der Verordnung beginnt und endet (vgl VwGH 24.09.2018, V30/2018 mwN).
[…]
Durch die Anbringung des Straßenverkehrszeichens auf der Auffahrtsrampe B und D liegt eine ausreichende Publizität vor, somit die Möglichkeit, dass Adressaten von der Verordnung Kenntnis erlangen. Verkehrsteilnehmer, die bei Laßnitzhöhe auf die Autobahn auffahren, gehen von einer 100 km/h Geschwindigkeitsbeschränkung bei nasser Fahrbahn aus, die nicht wieder aufgehoben wird. Absolute Nichtigkeit ist daher nicht anzunehmen. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark sieht sich daher an die gesetzwidrig kundgemachte Verordnung gebunden und begehrt die Aufhebung der genannten Verordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h bei nasser Fahrbahn, Schneefall und Eisbildung auf der A2 zur Gänze.
In eventu wird der Antrag gestellt, dass der Satzteil 'und auf der Richtungsfahrbahn Wien von km 172,275 bis km 167,598' der zitierten Verordnung behoben wird."
(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
3. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hat die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag dargelegten Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:
"[…]
Mit Verordnung vom 17.5.2013 (GZ: BMVIT-138.002/0008-IV/ST5/2013) wurde auf der A2 Südautobahn im Bereich Laßnitzhöhe in beiden Fahrtrichtungen die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei nasser Fahrbahn, Schneelage und Eisbildung auf 100 km/h beschränkt. Gleichzeitig wurde die bis zu diesem Zeitpunkt geltende Verordnung, die eine Beschränkung auf 100 km/h bzw 80 km/h vorgesehen hat aufgehoben; eine Beschränkung auf 80 km/h erwies sich laut Sachverständigengutachten als nicht mehr erforderlich, da die Fahrbahn saniert und diesbezüglich entsprechend optimiert wurde.
Wie aus dem Akt ersichtlich wurden laut Kundmachungsvermerk des Straßenerhalters auf der Richtungsfahrbahn Thörl-Maglern entsprechende Straßenverkehrszeichen in Metallausführung angebracht bzw abgebaut; auf der Richtungsfahrbahn Wien wurden keine solchen Straßenverkehrszeichen angebracht, da die Kundmachung hier über bereits bestehende elektronische Anzeigevorrichtungen erfolgt. Im Kundmachungsvermerk kann es daher folgerichtig auch keine Auflistung von angebrachten Straßenverkehrszeichen in Fahrtrichtung Wien geben.
Die Anzeigevorrichtungen in Fahrtrichtung Wien (wie sich aus dem Sachverständigengutachten sowie aus dem Votum ergibt) befinden sich bei fallender Kilometrierung bei km 172,275 (dem Verordnungsbeginn) und bei km 167,598 (dem Verordnungsende); die Beschränkung wird entsprechend wiederholt. Die jeweilige Kundmachung erfolgt über die elektronischen Anzeigevorrichtungen aufgrund einer Registrierung von Messwerten von Wetterstationen über die Intensität der Niederschläge in Kombination mit über von Bodensensoren gewonnenen Informationen über die Wasserfilmdicke.
Aus Sachverständigensicht sind elektronische Anzeigevorrichtungen im Falle von Verkehrsbeschränkungen, die nicht ständig gelten, hinsichtlich Wahrnehmung durch die Verkehrsteilnehmer als äußerst sinnvoll einzustufen, da die Beschränkung nur dann angezeigt wird, wenn sie tatsächlich gilt und nicht ständig sichtbar ist.
Vom Straßenerhalter wurde für den gegenständlichen Tatzeitpunkt das Schaltprotokoll der elektronischen Anzeigevorrichtungen angefordert. Daraus ergibt sich, dass zu diesem Zeitpunkt keine Schaltung erfolgt ist dh die Anzeigevorrichtung 'dunkel' war und somit die gesetzliche Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h gegolten hat. Weshalb es zu einer Bestrafung aufgrund der gegenständlichen Verordnung gekommen ist, ist für das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. […]"
4. Die Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung und der Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht haben keine Äußerung erstattet.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung zu Art89 Abs1 B-VG seit VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (vgl zB VfSlg 12.382/1990, 16.875/2003, 19.058/2010, 19.072/2010, 19.230/2010 uva.; vgl auch VfGH 18.9.2015, V96/2015, sowie die Rechtsprechung zu nicht ordnungsgemäß kundgemachten Gesetzen VfSlg 16.152/2001, 16.848/2003 und die darin zitierte Vorjudikatur). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B-VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich.
Dem Gerichtsakt ist zu entnehmen, dass bei der Anschlussstelle Laßnitzhöhe auf der Richtungsfahrbahn Wien innerhalb des Verordnungsbereiches ein Verkehrszeichen iSd §52 lita Z10a, §54 Abs5 litf und litg StVO 1960 aufgestellt wurde. Dadurch erlangte die angefochtene Verordnung jedenfalls ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist (vgl VfSlg 19.072/2010, 19.230/2010 uva.; vgl auch VfGH 18.9.2015, V96/2015).
1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellen-den Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
Angesichts des vorliegenden Gerichtsaktes ist es nicht offenkundig unrichtig (denkunmöglich), dass die Verordnung ("Verordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h bei nasser Fahrbahn […]") eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Ausgangsverfahren bildet. Der Hauptantrag umfasst allerdings Bestimmungen, die im Anlassfall offenkundig nicht präjudiziell und offensichtlich trennbar sind (vgl VfSlg 17.572/2005, 19.939/2014; VfGH 24.11.2016, V18-19/2016; 28.9.2017, G31/2017), weil die Verordnung Verkehrsbeschränkungen für unterschiedliche Fahrtrichtungen auf derselben Straße sowie die Aufhebung früherer Anordnungen enthält (vgl VfGH 14.3.2018, V114/2017).
Lediglich die Beschränkung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit bei nasser Fahrbahn, Schneelage und Eisbildung auf 100 km/h auf der Richtungsfahrbahn Wien von km 172,275 bis km 167,598 in der angefochtenen Verordnung ist präjudiziell, weil die Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit durch den Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren in dieser Fahrtrichtung in diesem Streckenabschnitt erfolgte (vgl VfGH 14.3.2018, V114/2017; 26.11.2018, V52/2018).
1.3. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist der Hauptantrag, soweit er sich auf die Wortfolge "und auf der Richtungsfahrbahn Wien von km 172,275 bis km 167,598" der angefochtenen Verordnung bezieht, zulässig. Im Übrigen ist der Hauptantrag jedoch als unzulässig zurückzuweisen.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Soweit der Antrag zulässig ist, ist er auch begründet.
2.3. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark behauptet die gesetzwidrige Kundmachung der Geschwindigkeitsbeschränkung, weil die Verordnung nur durch ein Verkehrszeichen am rechten Fahrbahnrand der Fahrtrichtung Wien innerhalb des räumlichen Geltungsbereiches und nicht am Beginn und am Ende des räumlichen Geltungsbereiches der Verordnung kundgemacht worden sei.
2.3.1. Die angefochtene Verordnung basiert auf §43 Abs1 StVO 1960. Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 sind die in §43 StVO 1960 bezeichneten Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft (vgl VfSlg 18.710/2009, 19.409/2011, 19.410/2011). Der Vorschrift des §44 Abs1 StVO 1960 ist immanent, dass die bezüglichen Straßenverkehrszeichen dort angebracht sind, wo der räumliche Geltungsbereich der Verordnung beginnt und endet (vgl VfGH 24.9.2018, V30/2018; 14.3.2018, V114/2017). Diese Vorgaben gelten sinngemäß für Verkehrsbeeinflussungssysteme iSd §44 Abs1a StVO 1960 (vgl VwGH 25.6.2014, 2013/07/0294).
2.3.2. §48 Abs2 StVO 1960 normiert als Aufstellungsort der Verkehrszeichen für Autobahnen die Anbringung auf beiden Seiten oder oberhalb der Fahrbahn, ausgenommen auf Streckenteilen, die in der jeweiligen Fahrtrichtung nur einen Fahrstreifen aufweisen, oder in Gegenverkehrsbereichen (vgl VfGH 26.11.2018, V52/2018). Dem Gerichtsakt ist eindeutig zu entnehmen, dass die Richtungsfahrbahn Wien mindestens zwei Fahrstreifen aufweist, weshalb die qualifizierten Aufstellungsmodalitäten für Autobahnen gemäß §48 Abs2 dritter Satz StVO 1960 gegeben sind.
2.3.3. Die Bestimmung des §48 Abs2 StVO 1960 (in der Fassung der 19. Novelle, BGBl Nr 518/1994) verfolgt den Zweck, auf Autobahnen mit mehreren Fahrstreifen sicherzustellen, dass auch Fahrzeuglenker, die nicht den rechten Fahrstreifen benutzen, Gefahren- und Vorschriftszeichen auf jeden Fall wahrnehmen können, auch wenn sie gerade an einem auf dem rechten Fahrstreifen befindlichen Fahrzeug vorbeifahren und daher die auf der rechten Fahrbahnseite angebrachten Verkehrszeichen nicht wahrnehmen können (vgl VfGH 26.11.2018, V52/2018).
2.3.4. Die Kundmachung der Geschwindigkeitsbeschränkung bloß innerhalb des räumlichen Geltungsbereiches mit einem einzelnen Verkehrsschild an der rechten Fahrbahnseite reicht nicht aus. Da die auf §43 Abs1 StVO 1960 basierende Verordnung zum Tatzeitpunkt auch nicht über die vorhandenen, oberhalb der Fahrbahn befindlichen Verkehrsbeeinflussungssysteme am Beginn und am Ende des räumlichen Geltungsbereiches der Verordnung kundgemacht wurde, erfolgte die Kundmachung nicht im Einklang mit §48 Abs2 StVO 1960. Die Kundmachung erfolgte daher gesetzwidrig.
2.3.5. Da die Verordnung schon wegen der nicht ordnungsgemäßen Kundmachung gesetzwidrig ist, erübrigt sich ein Eingehen auf die übrigen Bedenken des antragstellenden Gerichtes.
2.3.6. Eine Anwendung des Art139 Abs3 Z3 B-VG scheidet schon deswegen aus, weil die Verordnung verschiedene, voneinander unabhängige Tatbestände enthält (vgl VfGH 11.6.2019, V61/2018). Es ist daher nicht die gesamte Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, weil der Kundmachungsmangel einer Verkehrsbeschränkung keine unmittelbare Auswirkung auf die Verbindlichkeit der anderen, in der Verordnung enthaltenen und kundgemachten Verkehrsbeschränkungen bzw Anordnungen hat (vgl VfGH 14.3.2018, V114/2017). Der festgestellte Kundmachungsmangel betrifft ausschließlich die – (im Ausgangsverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark) präjudiziellen – im Spruch genannten Teile der zitierten Verordnung. Da die unter II.1. wiedergegebene Verordnung ua weitere Regelungen über Verkehrsbeschränkungen beinhaltet, die auf andere Weise, wie etwa durch anders gestaltete Verkehrszeichen an anderen, näher bezeichneten Orten kundzumachen sind, kommt eine Aufhebung der ganzen Verordnung gemäß Art139 Abs3 Z3 B-VG im vorliegenden Verfahren nicht in Betracht (vgl VfSlg 19.127/2010, 19.128/2010; VfGH 14.3.2018, V114/2017).
V. Ergebnis
1. Die Wortfolge "und auf der Richtungsfahrbahn Wien von km 172,275 bis km 167,598" der Verordnung der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie vom 17. Mai 2013, Z BMVIT-138.002/0008-IV/ST5/2013, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
2. Im Übrigen ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen.
3. Die Verpflichtung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §4 Abs1 Z4 BGBlG.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Straßenpolizei, Geschwindigkeitsbeschränkung, Verordnung Kundmachung, Straßenverkehrszeichen, VfGH / PräjudizialitätEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2019:V71.2018Zuletzt aktualisiert am
21.03.2022