TE Vfgh Erkenntnis 2022/3/3 E1163/2021

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Veröffentlicht am 03.03.2022
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Index

L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
BauG Stmk §18
RaumOG Stmk 2010
Flächenwidmungsplan 4.0 der Landeshauptstadt Graz §4
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Aufhebung der angefochtenen Entscheidung im Anlassfall

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Das Land Steiermark ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

1. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des Grundstückes Nr 1398/2, KG 63105 Gries, in Graz. Mit dem 4.0 Flächenwidmungsplan der Landeshauptstadt Graz wurde ua für dieses, als Bauland ("Nutzungsüberlagerung Allgemeines Wohngebiet mit Kerngebiet") gewidmete Grundstück gemäß §26 Abs4 Steiermärkisches Raumordnungsgesetz 2010 – StROG die Erforderlichkeit einer Bebauungsplanung verordnet (§4 iVm Deckplan 1 [Bebauungsplanzonierungsplan]); teilweise sind in diesem Gebiet bereits Bebauungspläne vorhanden. Allgemein gilt gemäß §40 Abs8 StROG, dass soweit eine Bebauungsplanpflicht nach §26 Abs4 StROG besteht, die Gemeinden spätestens im Anlassfall Bebauungspläne zu erstellen haben, wobei das Verfahren zur Erstellung oder Änderung der Bebauungspläne unverzüglich nach Eintreten des Anlassfalles einzuleiten und spätestens innerhalb von 18 Monaten abzuschließen ist. Baubewilligungen dürfen erst nach Vorliegen eines rechtswirksamen Bebauungsplanes erteilt werden.

1.1. Laut Vorhabensliste des Stadtplanungsamtes der Landeshauptstadt Graz vom 18. Oktober 2017 war das in Rede stehende Grundstück zunächst Teil der vorbereitenden Planungen zur Erstellung des Bebauungsplanes "Brückengasse – Karlauplatz – Fabriksgasse". Mit Schreiben vom 22. Jänner 2018 beantragte der Beschwerdeführer die Erlassung eines Bebauungsplanes für das Grundstück und legte in weiterer Folge im Jahr 2019 von Sachverständigen und Planungsagenturen erarbeitete Bebauungsvorschläge und konkretisierende Planunterlagen vor, die im Wesentlichen die Errichtung von Gebäuden mit insgesamt 60 bis 74 Wohn- und Gewerbeeinheiten sowie von Stellplätzen zum Gegenstand haben. Der am 15. November 2018 aufgelegte Entwurf des Bebauungsplanes "Brückengasse – Karlauplatz – Fabriksgasse" bezog das Grundstück des Beschwerdeführers aber nicht mit ein.

1.2. Mit Schreiben vom 28. Jänner 2019 erhob der Beschwerdeführer dagegen Einwendungen. Unter anderem monierte er das Ausscheiden seines Grundstückes aus dem Planungsgebiet. Durch diese Verkleinerung sei das Planungsgebiet nicht mehr zweckmäßig und werde die städtebauliche Abstimmung zwischen den Bauplätzen der angrenzenden Grundstücke verhindert. Mit Beschluss vom 6. Juni 2019, dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht mit Schreiben vom 13. Juni 2019, erließ der Gemeinderat der Landeshauptstadt Graz den 05.28.0 Bebauungsplan "Brückengasse – Karlauplatz – Fabriksgasse" und erledigte die Einwendung des Beschwerdeführers betreffend das Ausscheiden seines Grundstückes aus dem Planungsgebiet wie folgt (Schreibweise im Original):

"Ad 3) Festlegung Planungsgebiet

Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Aufwendungen im Bebauungsplanverfahren wird versucht einen praktikablen Bereich als Planungsgebiet festzulegen. Für die Grundstücke Nr 1382 [Anm: gemeint 1398/2], 1400 und 1399/1 ist momentan keine bauliche Entwicklung für eine den Raumordnungsgrundsätzen und Steiermärkischen Baugesetz entsprechende Struktur und Gestaltung aufgrund des schwierigen Parzellenzuschnitts möglich. Bei Interesse der Eigentümer könnte durch entsprechende Maßnahmen (z. B. mit einer flächengleichen Grundumlegung) die Basis für eine bauliche Entwicklung gelegt werden und ein Bebauungsplan erstellt werden."

1.3. Der Beschwerdeführer hält die für sein Grundstück festgelegte Bebauungsplanpflicht für gesetzwidrig und richtete daher zunächst einen Antrag gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG an den Verfassungsgerichtshof, den 4.0 Flächenwidmungsplan insoweit als gesetzwidrig aufzuheben. Der Verfassungsgerichtshof wies diesen Antrag mit Beschluss vom 23. Juni 2020, V88/2019, als unzulässig zurück.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Verfassungsgerichtshof das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers im Hinblick auf §40 Abs8 StROG angesichts des Verhaltens der Behörde nicht verkenne, sich jedoch nicht veranlasst sehe, aus diesem Grund von seiner ständigen Judikatur abzugehen. Dem Antragsteller stehe ein anderer zumutbarer Weg, seine Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, insoweit offen, als er eine Bauplatzerklärung gemäß §18 Steiermärkisches Baugesetz – Stmk BauG beantragen und die allfällige Verweigerung derselben vor dem Verwaltungsgericht bekämpfen könne. In diesem Verfahren wäre der angefochtene 4.0 Flächenwidmungsplan präjudiziell.

2. Der Beschwerdeführer stellte daraufhin einen Antrag gemäß §18 Abs1 Stmk BauG, die Bebauungsgrundlagen für sein Grundstück einzelfallbezogen in näher bestimmtem Ausmaß festzulegen. Mit Bescheid vom 31. August 2020 wies der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz (belangte Behörde) diesen Antrag als unbegründet ab.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark mit Erkenntnis vom 17. März 2021 als unbegründet ab.

In der Begründung wird ausgeführt, dass für den betreffenden Teil des Baulandes gemäß §26 Abs4 StROG eine Bebauungsplanzonierung vorhanden und damit eine Bebauungsplanung erforderlich sei. Somit liege die entscheidende Voraussetzung des §18 Abs1 Stmk BauG, der keinen Ermessensspielraum einräume, nicht vor. Auch sei darauf zu verweisen, dass gemäß §40 Abs8 StROG Baubewilligungen erst nach Vorliegen eines rechtswirksamen Bebauungsplanes erteilt werden dürften. Ferner sei die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu erwähnen, wonach eine gesetzwidrige Untätigkeit des Verordnungsgebers bei der Erlassung eines Bebauungsplanes die Verfassungswidrigkeit der einer Erteilung der Baubewilligung entgegenstehenden Bestimmungen bewirken könne (VfSlg 17.604/2005).

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung gesetzwidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof am 30. September 2021 gemäß Art139 Abs1 Z2 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des 4.0 Flächenwidmungsplanes der Landeshauptstadt Graz, ABl. 04/2018, ein, soweit damit für das Grundstück Nr 1398/2, KG 63105 Gries, die Erforderlichkeit einer Bebauungsplanung vorgesehen wird. Mit Erkenntnis vom 3. März 2022, V249/2021, hob der Verfassungsgerichtshof diese Verordnungsbestimmung als gesetzwidrig auf.

6. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

6.1. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat eine gesetzwidrige Verordnungsbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.

6.2. Der Beschwerdeführer wurde also durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg 10.303/1984, 10.515/1985).

6.3. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

8. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlassfall, Flächenwidmungsplan

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E1163.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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