RS Vfgh 2022/3/3 V249/2021 (V249/2021-10)

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Veröffentlicht am 03.03.2022
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Index

L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z2
StGG Art5
EMRK 1. ZP Art1
Stmk BauG §18
Stmk RaumOG 2010 §9, §26, §32, §37, §40, §41, §62
Flächenwidmungsplan 4.0 der Landeshauptstadt Graz §4
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Aufhebung von Teilen eines Flächenwidmungsplans der Landeshauptstadt Graz, soweit damit die Erforderlichkeit einer Bebauungsplanung für ein bestimmtes Grundstück vorgeschrieben wird; Verletzung der Verpflichtung gemäß dem Flächenwidmungsplan zur Erlassung eines Bebauungsplans binnen 18 Monaten durch den Gemeinderat; Beendigung eines Verfahrens zur Erstellung oder Änderung von Bebauungsplänen nur durch Erlassung – nicht durch Verweigerung – eines Bebauungsplanes; langjährige Nichterlassung des Bebauungsplans stellt effektives Bauverbot und unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkung dar

Rechtssatz

Gesetzwidrigkeit des §4 iVm Deckplan 1 (Bebauungsplanzonierungsplan) des 4.0 Flächenwidmungsplanes der Landeshauptstadt Graz, beschlossen im Gemeinderat am 11.05.2017 und am 08.02.2018, ABl 04/2018, soweit damit für das Grundstück Nr 1398/2, KG 63105 Gries, die Erforderlichkeit einer Bebauungsplanung vorgesehen wird.

Aus den vorgelegten Verordnungsakten geht hervor, dass im Allgemeinen ausreichende Erhebungen im Hinblick auf die von der Bebauungsplanpflicht betroffenen Grundstücke durchgeführt worden sind. Es ist daher der verordnungserlassenden Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie für das betreffende Gebiet grundsätzlich die Pflicht zur Erstellung von Bebauungsplänen statuiert.

Die im Fall VfSlg 17604/2005 angestellten Überlegungen lassen sich auf das Verhältnis von Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan im vorliegenden Fall übertragen. Sieht nämlich der Verordnungsgeber im Flächenwidmungsplan die Erlassung eines Bebauungsplanes verpflichtend vor, so bewirkt er damit, solange er keinen Bebauungsplan erlässt, ein effektives Bauverbot auf dem betreffenden Grundstück:

§40 Abs8 StROG und §4 Abs1 des 4.0 Flächenwidmungsplanes bestimmen, dass Baubewilligungen erst nach Vorliegen eines rechtswirksamen Bebauungsplanes erteilt werden dürfen. Der Landesgesetzgeber sieht daher auch vor, dass die jeweilige Gemeinde spätestens im "Anlassfall", insbesondere im Falle eines "Ansuchens um Erstellung des Bebauungsplanes nach erfolgter Abklärung aller Vorfragen", Bebauungspläne zu erstellen, Verfahren zur Erstellung oder Änderung der Bebauungspläne unverzüglich nach Eintreten des Anlassfalles einzuleiten und spätestens innerhalb von 18 Monaten abzuschließen hat (§40 Abs8 StROG). Das Gesetz verpflichtet somit dazu, dass ein solches Verfahren mit der Erlassung eines Bebauungsplanes - nicht mit deren Verweigerung - zu enden hat: Das "Abschließen" des Verfahrens zur Bebauungsplanerstellung besteht in der Kundmachung des Bebauungsplanes. Aus §40 Abs1 und 8 StROG ergibt sich demnach, dass die Erstellung eines Bebauungsplanes nicht im Ermessen der verordnungserlassenden Behörde liegt, sondern sie dazu verpflichtet ist, die Bebauungsplanung innerhalb einer bestimmten Frist vorzunehmen. Aus §40 Abs2 StROG ergibt sich ferner, dass die "den Raumordnungsgrundsätzen entsprechende Entwicklung der Struktur und Gestaltung des im Flächenwidmungsplan ausgewiesenen Baulandes und des Freilandes (Sondernutzungen)" mit der Bebauungsplanung - nicht durch ihre tatsächliche Verweigerung - anzustreben ist. Ein Bebauungsplan ist daher jedenfalls zu erlassen, wenn der Flächenwidmungsplan dies vorsieht; die Planungsziele sind durch den Bebauungsplan anzustreben und die Erlassung des Bebauungsplanes kann nicht mit Verweis auf die Raumordnungsgrundsätze verweigert werden. Lassen diese nämlich im Einzelfall keine Bebauung zu, so dürfte das betreffende Grundstück überhaupt nicht als Bauland gewidmet sein. Zu all dem kommt hinzu, dass die Festlegung der Bebauungsgrundlagen im Bauland für den Einzelfall gemäß §18 Abs1 Stmk BauG wie im vorliegenden Fall nur in Betracht kommt, "sofern Bebauungspläne nicht erforderlich sind".

Im Anlassfall hat der Beschwerdeführer am 22.01.2018 die Erstellung eines Bebauungsplanes für das in Rede stehende Grundstück beantragt. Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Graz hat innerhalb von 18 Monaten, nämlich am 06.06.2019, lediglich entschieden, dass für das Grundstück ein Bebauungsplan nicht erstellt wird. Der Gemeinderat hat also das Verfahren zur Erstellung des Bebauungsplanes entgegen §40 Abs8 StROG nicht innerhalb von 18 Monaten "abgeschlossen", sondern im Gegenteil der Sache nach entschieden, innerhalb der vorgesehenen Frist keinen Bebauungsplan zu erlassen. Damit besteht aber für das Grundstück des Beschwerdeführers im Anlassfall im Zeitpunkt der Beschlussfassung durch den VfGH nun schon seit knapp vier Jahren ein effektives Bauverbot, das die verordnungserlassende Behörde durch Erlassung des Bebauungsplanes hätte beseitigen müssen.

Wenn die verordnungserlassende Behörde nun - erstmalig - vorbringt, dass über das in Rede stehende Grundstück (anscheinend im nördlichen Teil) eine künftige Straßenbahntrasse verlaufen solle, hat dies keinerlei Bezug zu den Bedenken des VfGH. Zwar mögen der Ausbau des öffentlichen Verkehrs in Richtung des Grazer Südwestens zur vorläufigen Endhaltestelle "Don Bosco" erforderlich sein und ein entsprechender Grundsatzbeschluss des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 14.11.2019 bzw ein Schwerpunkt im Regierungsprogramm der Stadtregierung vom 13.11.2021 vorliegen. Eine solche Planungsabsicht wäre aber zunächst durch eine entsprechende Entwicklungsplanung insbesondere im Flächenwidmungsplan zu verfolgen gewesen, die wiederum durch eine Bausperre iSd §9 Abs2 StROG hätte abgesichert werden können. Aus den vorgelegten Verordnungsakten ist aber in keiner Weise ersichtlich, dass "über die gegenständliche Liegenschaft [...] eine künftige Straßenbahntrasse [verlaufe]"; das Grundstück ist aus dem Planungsareal vielmehr explizit ausgenommen. Eine allfällige (teilweise) Veräußerung oder Enteignung des im grundbücherlichen Eigentum des Beschwerdeführers im Anlassfall stehenden Grundstückes zum Zwecke der Verkehrsplanung wird ebenso wenig behauptet. Im Einzelnen wären (geplante) öffentliche oder private Verkehrsflächen entweder gemäß §37 Abs1 StROG als Vorbehaltsflächen auszuweisen oder aber gemäß §32 Abs1 und 2 StROG im Flächenwidmungsplan oder, soweit dies nicht möglich oder zweckmäßig ist, im Bebauungsplan festzulegen bzw - soweit es sich um überörtliche Festlegungen in Angelegenheiten des Verkehrswesens bezüglich der Eisenbahnen nach §1 Abs3 StROG handelt - im Flächenwidmungsplan ersichtlich zu machen gewesen.

Im Ergebnis führt diese, durch die ausdrückliche Verweigerung der Verordnungserlassung qualifizierte Untätigkeit der verordnungserlassenden Behörde im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung somit dazu, dass sich die Bebauungsplanpflicht im 4.0 Flächenwidmungsplan in Bezug auf das Grundstück des Beschwerdeführers im Anlassfall als Eigentumsbeschränkung darstellt, die nicht mehr von einem fairen Gleichgewicht der öffentlichen und privaten Interessen getragen ist. Sie ist damit gesetzwidrig, woran auch die Regelung des §40 Abs8 StROG, wonach die Erstellung beantragter Bebauungspläne erst "nach erfolgter Abklärung aller Vorfragen" zu erfolgen hat, nichts zu ändern vermag. Soweit im Übrigen auf die Regelung des §62 Abs2 StROG verwiesen wird, die die Möglichkeit der aufsichtsbehördlichen Ersatzvornahme in Bezug auf die Bebauungsplanerstellung vorsieht, ist zu erwähnen, dass ein solches Aufsichtsmittel die Gemeinde nicht ihrer Verpflichtung enthebt, selbst gesetzmäßig zu handeln, ganz abgesehen davon, dass dem Normunterworfenen kein Rechtsanspruch darauf zusteht, dass die Aufsichtsbehörde dieses Aufsichtsmittel ergreift.

(Anlassfall E 1163/2021, E v 03.03.2022; Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Bebauungsplan, Flächenwidmungsplan, Eigentumsbeschränkung, Bauverbot, Verordnungserlassung, Entscheidungspflicht, Baurecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:V249.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.03.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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