TE Vwgh Beschluss 2022/2/22 Ra 2021/11/0071

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.02.2022
beobachten
merken

Index

E1P
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §13a
AVG §39 Abs2
B-VG Art133 Abs4
MRK Art6
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §8a
VwGVG 2014 §8a Abs1
VwGVG 2014 §8a Abs2
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des W Z in W, vertreten durch Dr. Stephan Pachinger, dieser vertreten durch Dr. Silvia Vinkovits, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Friedrich-Schmidt-Platz 4/6, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Februar 2021, Zl. W133 2239307-2/2E, betreffend Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe in einem Verfahren zur Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        1. Mit Eingabe vom 9. Juli 2020 stellte der Revisionswerber bei der belangten Behörde einen Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten.

2        Nach Einholung eines allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens sowie einer durch die im Schreiben des Revisionswerbers vom 15. September 2020 dagegen relevierten Einwendungen veranlassten ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme wies die belangte Behörde den Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 29. September 2020 ab und stellte einen Grad der Behinderung von 30 % fest.

3        Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers holte die belangte Behörde im Rahmen eines Beschwerdevorentscheidungsverfahrens ein Sachverständigengutachten der Fachrichtung Neurologie und Psychiatrie ein, in dem die Sachverständige vier näher genannte Funktionseinschränkungen feststellte und den Gesamtgrad der Behinderung mit 30 % bewertete. Das dazu eingeräumte Parteiengehör nahm der Revisionswerber mit Stellungnahme vom 12. Jänner 2021 wahr.

4        Mit Beschwerdevorentscheidung vom 15. Jänner 2021 wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten nicht vorlägen.

5        Das bei der belangten Behörde eingebrachte Schreiben vom 27. Jänner 2021, in dem der Revisionswerber den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Vertretung im gesamten verwaltungsgerichtlichen Verfahren stellte, wertete diese als Vorlageantrag und legte dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: Verwaltungsgericht) die Beschwerde sowie den Verfahrenshilfeantrag zur Entscheidung vor.

6        2. Mit dem hg. angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag des Revisionswerbers auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gemäß § 8a VwGVG ab und erklärte unter einem die Revision für unzulässig.

7        In seiner Begründung traf das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe des Verfahrensganges die Feststellungen, der Revisionswerber habe das gesamte bisherige Verfahren nach dem Behinderteneinstellungsgesetz selbständig und ohne rechtliche Vertretung geführt. Auch die Beschwerde sei vom Revisionswerber selbst eingebracht. Sie erfülle alle inhaltlichen Voraussetzungen und sei detailliert begründet. Der Revisionswerber rüge darin ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, wende sich mit eingehender Begründung sowohl gegen die Beurteilungen des allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens als auch gegen die rechtliche Beurteilung und stelle konkrete Anträge. Im Laufe des gesamten Verfahrens habe der Revisionswerber ein Verhalten gezeigt, das keinerlei Zweifel daran aufkommen lasse, dass er in der Lage sei, das vorliegende Verfahren vor dem Verwaltungsgericht auch ohne die Beigebung eines Rechtsanwaltes zu führen.

8        Beweiswürdigend verwies es auf den verfahrenseinleitenden Antrag, die Stellungnahmen des Revisionswerbers zu den beiden Sachverständigengutachten und dessen Beschwerde, welche sich als fristgerecht, formgerecht und detailliert erwiesen haben würden.

9        In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG sei Voraussetzung für die Gewährung von Verfahrenshilfe insbesondere, dass diese auf Grund des Art. 6 Abs. 1 EMRK oder des Art. 47 GRC geboten sei. In seinem Erkenntnis vom 11. September 2019, Ro 2018/08/0008, habe der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass der Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer im Verfahren der Verwaltungsgerichte Ausnahmecharakter zukomme und diese nur in besonderen, in der Entscheidung genannten Einzelfallkonstellationen erforderlich sein könne, etwa wenn die Formulierung einer Beschwerde oder andere Verfahrenshandlungen besondere Schwierigkeiten aufwerfen, die die Fähigkeiten der Partei nach ihren persönlichen Umständen überschreiten. Der Revisionswerber habe seine zweifelsfrei vorliegenden Fähigkeiten im Verkehr mit Behörden im Verfahren mehrfach unter Beweis gestellt. Die Beschwerde, die Einwendungen und Stellungnahmen des Revisionswerbers hätten allesamt den Formvorschriften entsprochen, seien ausführlich mit näherer Begründung auf die gerügten Beurteilungen der Leidenszustände des Revisionswerbers eingegangen und würden auch jeweils klare Begehren enthalten haben. Eine Komplexität des Falles in der Weise, dass der Revisionswerber im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht oder in einer etwaigen mündlichen Verhandlung anwaltlich vertreten sein müsste, sei in einem Verfahren wie dem gegenständlichen nach dem Behinderteneinstellungsgesetz nicht gegeben, da es vorliegend nicht um die Lösung einer schwierigen Rechtsfrage, sondern vielmehr um die Feststellung der gesundheitlichen Funktionseinschränkungen des Revisionswerbers gehe, welche unter dessen Mitwirkung durch Sachverständige zu erfolgen habe und vorliegend auch bereits erfolgt sei. Besondere rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten, die eine rechtsanwaltliche Vertretung erforderlich machten, seien somit nicht zu erwarten. Eine erforderliche Manuduktion im Zuge einer etwaigen Verfahrenshandlung oder in einer etwaigen Verhandlung erfolge durch das erkennende Gericht, weshalb der Revisionswerber durch die Nichtbeigebung eines Rechtsanwaltes auch dahingehend keinerlei Nachteile erfahre. Zur Bedeutung der Angelegenheit für den Revisionswerber sei auszuführen, dass diese subjektiv als erheblich erachtet werden möge, jedoch mangels gravierender Eingriffe in Grundrechte objektiv betrachtet nicht für die Gewährung der Verfahrenshilfe ausreichen würde. Da die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe daher nicht gegeben seien, sei der Antrag abzuweisen gewesen.

10       3. Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

11       4.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

12       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

13       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14       4.2. Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht habe seine Entscheidung mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet, indem es von seinem Eindruck, wonach der Revisionswerber das gesamte bisher andauernde Verfahren selbständig und ohne rechtliche Vertretung geführt habe, darauf geschlossen habe, dass dieser als juristischer Laie auch für das weitere Verfahren keinen Rechtsbeistand benötige. Es sei dabei stillschweigend davon ausgegangen, dass ein allfälliger, im Hintergrund agierender Rechtsberater auch weiterhin verfügbar sein werde. Der Revisionswerber habe unter anderem ausgeführt, dass er vor Behördengängen Angst habe, weil er psychisch und intellektuell einer Verhandlung nicht gewachsen und aus diesen Gründen nicht in der Lage sei, seine Argumente vorzubringen. Hätte sich das Verwaltungsgericht einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschafft, wäre es zu der Feststellung gelangt, dass der Revisionswerber mitnichten über die Rechtskenntnisse und Ausdrucksmöglichkeiten eines Durchschnittsbürgers verfüge. Insofern als zu dieser Frage keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestehe, liege eine erhebliche Rechtsfrage vor.

15       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt die Gewährung der Verfahrenshilfe nach § 8a VwGVG nicht in allen Verfahren der Verwaltungsgerichte in Betracht, sondern erfordert, dass der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK oder des Art. 47 GRC eröffnet ist. Im Sinn des § 8a Abs. 2 zweiter Satz VwGVG schließt die Bewilligung der Verfahrenshilfe im vollen Umfang die Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer ein. Zur Beurteilung, ob auf Grund des Art. 6 EMRK bzw. des Art. 47 GRC die Beigebung eines Rechtsanwaltes „geboten ist“, kommt es im Sinn der Judikatur des EGMR und des EuGH darauf an, ob dies für den „effektiven Zugang“ der Partei zum Gericht unentbehrlich ist. Vor dem Hintergrund der Ausgestaltung des Verfahrens nach dem VwGVG - der Manuduktionspflicht, der auch für nicht rechtkundige Bürger grundsätzlich zu bewältigenden Einhaltung der Formvorschriften und des Amtswegigkeitsprinzips - sowie der durch § 8a Abs. 1 VwGVG angeordneten ausdrücklichen Beschränkung der Gewährung der Verfahrenshilfe auf Fälle, in denen dies nach Art. 6 Abs. 1 EMRK oder Art. 47 GRC geboten ist, kommt der Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer im Verfahren der Verwaltungsgerichte Ausnahmecharakter zu. Sie kann jedoch im Einzelfall erforderlich sein. Dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn schon die Formulierung einer Beschwerde bzw. eines Vorlageantrags, eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. die Erstattung weiteren Vorbringens im Verfahren - etwa aufgrund einer nach Lage des Falles bestehenden Pflicht der Parteien, an der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken - besondere Schwierigkeiten aufwerfen, die die Fähigkeiten der Partei nach ihren persönlichen Umständen überschreiten (vgl. hiezu VwGH 11.9.2019, Ro 2018/08/0008, mwN).

16       Die Frage, ob die Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer im Sinne dieser Rechtsprechung fallgegenständlich erforderlich ist, stellt demnach keine grundsätzliche, sondern eine einzelfallbezogene Rechtsfrage dar, welche die Zulässigkeit einer Revision jedenfalls dann nicht zu begründen vermag, wenn das Verwaltungsgericht diese Frage vertretbar gelöst hat. Dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, wonach der Revisionswerber angesichts des Umstandes, dass er das gesamte Verfahren selbständig und ohne rechtliche Vertretung selbst geführt habe, durch seine Einwendungen und Stellungnahmen zu den Sachverständigengutachten sowie seine Beschwerde seine Fähigkeiten im Verkehr mit Behörden unter Beweis gestellt habe, unvertretbar sei, zeigt die Revision nicht näher auf. Auf Grundlage dieser Annahme gab es für das Verwaltungsgericht - anders als von der Revision angedeutet - auch keine Veranlassung, sich vom Revisionswerber einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Somit ist nicht ersichtlich, dass die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Einzelfallbeurteilung unvertretbar wäre.

17       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 22. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021110071.L00

Im RIS seit

21.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten