Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Deimbacher (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Andreas Schlitzer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Angestelltenbetriebsrat des H*, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ö*, vertreten durch Kremslehner-Milchram-Ehm-Mödlagl Rechtsanwälte (GbR) in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. März 2021, GZ 9 Ra 71/20g-18, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Das Berufungsgericht hat die maßgebliche Rechtslage, nämlich § 14 Abs 1 MSchG iVm § 8 MSchG, Art 11 Mutterschutz-RL und die herrschende Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0070949; RS0051730; RS0070937; VwGH Zl 81/12/0149 VwSlg 10.944 A/1983; Zl 2009/12/0187 VwSlg 17.957 A/2010; EuGH C-194/08 Gassmayr, Rn 53) zutreffend dargestellt.
[2] Gesichert wird nach § 14 Abs 1 MSchG der Durchschnittslohn, der sich aus Normallohn (Gehalt) einschließlich aller Zulagen und Zuschläge errechnet. Nicht umfasst von der Weiterzahlungspflicht des Dienstgebers ist das Entgelt für die Leistung von Überstunden, selbst wenn zulässigerweise ein Überstundenpauschale vereinbart war (vgl 8 ObA 233/95).
[3] Auch bei Weiterbeschäftigung der schwangeren Dienstnehmerin können daher Verdiensteinbußen dadurch eintreten, dass sie keine Überstunden mehr leisten darf (4 Ob 81/74 = Arb 9348 = DRdA 1976, 18 [M. Schwarz]; 8 ObA 233/95; 8 ObA 124/03y; 9 ObA 30/15z; Wolfsgruber-Ederer in ZellKomm³ § 8 MSchG Rz 6; Burger-Ehrnhofer in Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/ Thomasberger, Mutterschutzgesetz und Väterkarenzgesetz² 192, 301; Ercher/Stech in Ercher/Stech/Langer, Mutterschutz und Väter-Karenzgesetz § 14 MSchG Rz 17). Über die Normalarbeitszeit hinausgehende Mehrleistungen sollen während Schwangerschaft und Stillzeit nicht fortgezahlt werden, wenn sie tatsächlich nicht mehr erbracht werden.
[4] 2. Diese Rechtsfolge trifft nicht nur werdende Mütter und begründet insoweit keine Diskriminierung gegenüber anderen Arbeitnehmern, soweit sie sich in einer vergleichbaren Situation befinden. Ein völliger Wegfall der Leistung von Überstunden durch längere Zeit hindurch aufgrund eines gesetzlichen Verbots führt für die Zeit des Verbots zum Ruhen des Anspruchs auf Pauschale, denn die Grundlage für die Vereinbarung eines Pauschalbetrags für Überstunden liegt in der beiderseitigen Annahme, dass solche Überstunden auch tatsächlich geleistet werden dürfen (RIS-Justiz RS0051730; RS0051709).
[5] Die Rechtsansicht, dass Arbeitnehmerinnen während der Dauer eines Überstundenverbots nach § 8 MSchG hinsichtlich der Entlohnung nicht ungünstiger gestellt werden dürften als Arbeitnehmer bei einer Dienstverhinderung infolge Krankheit oder Arbeitsunfall oder während des Erholungsurlaubs, trifft nicht zu. Eine solche Gleichbehandlungspflicht ergibt sich auch nicht aus der Mutterschutz-RL 92/85/EWG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH. Mit dem Unionsrecht unvereinbar ist zwar die Schlechterstellung einer Dienstnehmerin, die wegen eines im Zusammenhang mit der Schwangerschaft stehenden krankhaften Zustands arbeitsunfähig ist und einen Krankenstand in Anspruch nimmt, gegenüber Arbeitnehmern, deren Krankheit auf anderen Ursachen beruht (C-191/03, McKenna ECLI:EU:C:2005:513; C-66/96 Pedersen ECLI:EU:C:1988:549). Auf eine Diskriminierung während eines solchen Krankenstands bezieht sich das Klagebegehren nicht.
[6] 3. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es nach Art 11 der RL 92/85/EWG nicht erforderlich, dass eine Arbeitnehmerin, die wegen eines Mutterschaftsurlaubs der Arbeit fernbleibt, sämtliche Vergütungen und Zulagen beanspruchen kann, die sie monatlich bezieht, wenn sie arbeitet und die Arbeitsleistungen erbringt, die ihr von ihrem Arbeitgeber zugewiesen wurden (C-194/08, Gassmayr ECLI:EU:C:2010:386, Rn 79). Auch wenn diese Entscheidung die hier nicht gegenständliche Entgeltfortzahlung während eines Mutterschaftsurlaubs zum Gegenstand hatte, treffen die grundsätzlichen Erwägungen auf den vorliegenden Fall zu. Auch nach Art 11 Nr 1 Mutterschutz-RL müssen in den in den Art 5, 6 und 7 genannten Fällen (insbesondere also dem vorliegenden Fall der Umgestaltung der Arbeitsbedingungen oder bei Wechsel des Arbeitsplatzes) – gleichlautend zu Nr 2 für den Mutterschaftsurlaub – die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte, einschließlich der Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder des Anspruchs auf eine angemessene Sozialleistung, entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten gewährleistet sein.
[7] Nach Art 11 Nr 4 Mutterschutz-RL steht den Mitgliedstaaten frei, den Anspruch auf die Fortzahlung des Arbeitsentgelts oder die Sozialleistung davon abhängig zu machen, dass die betreffende Arbeitnehmerin die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Bedingungen für das Entstehen eines Anspruchs auf diese Leistungen erfüllt.
[8] 4. Die Beurteilung, dass ein Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für Mehr- und Überstundenarbeit, die aufgrund einer Umgestaltung des Arbeitsplatzes iSd Art 5 Abs 1 oder 2 der RL nicht mehr geleistet werden, sich nicht aus der nationalen Rechtsvorschrift des § 14 Abs 1 MSchG ableiten lässt, wird in der Revision nicht in Zweifel gezogen. Es geht aus den Feststellungen auch nicht hervor, dass es sich bei den Überstundenpauschalen um solche handelt, die – von Fällen der gesetzlich angeordneten Entgeltfortzahlung abgesehen – den Ärztinnen und Ärzten der Beklagten als Entgeltbestandteil unabhängig davon gewährt werden, ob tatsächlich Überstunden zu leisten sind.
[9] 5. Aus dem Klagsvorbringen ist auch nicht abzuleiten, dass die betroffenen Dienstnehmerinnen vor der Schwangerschaft Nachtarbeit gemäß § 6 Abs 1 und 2 MSchG im Rahmen der Normalarbeitszeit geleistet haben. Eine Änderung der Beschäftigung im Sinn der in § 14 Abs 1 MSchG aufgezählten Gründe ist nach dem System der Ausnahmebestimmungen eine Änderung im Rahmen der Normalarbeitszeit. Der Wegfall von Überstunden aufgrund der Arbeitszeitbeschränkung gemäß § 8 MSchG wird nicht allein deswegen zu einer Maßnahme nach § 6 MSchG, weil Überstunden vor dem Verbot unter anderem auch in der Nachtzeit geleistet wurden. Insofern liegt hier kein mit der von der Revision zitierten Entscheidung 8 Ob 124/03y gleichartiger Sachverhalt vor.
[10] 6. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht mit den Grundsätzen der höchstgerichtlichen Judikatur und der Rechtsprechung des EuGH im Einklang. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO wird in der Revision nicht aufgezeigt.
Textnummer
E134161European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00035.21M.0125.000Im RIS seit
21.03.2022Zuletzt aktualisiert am
21.03.2022