TE Vwgh Erkenntnis 2022/2/10 Ro 2019/15/0179

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Veröffentlicht am 10.02.2022
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Index

E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
32/04 Steuern vom Umsatz

Norm

UStG 1994 §10 Abs2 Z4 litb idF 1994/663
UStG 1994 §10 Abs2 Z4 litd idF 1994/663
VwRallg
61995CJ0346 Blasi VORAB

Beachte


Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ro 2019/15/0176 E 10.02.2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamts Spittal Villach (nunmehr Finanzamt Österreich, Dienststelle Spittal Villach) in 9500 Villach, Meister-Friedrich-Straße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 18. März 2019, Zl. RV/4100145/2019, betreffend Umsatzsteuer 2009 bis 2012 (mitbeteiligte Partei: WEG S in H, vertreten durch Gerlinde Andritsch, Steuerberaterin in 9500 Villach, Völkendorfer Straße 16), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Die mitbeteiligte Partei ist - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts - die aus den Wohnungseigentümern des Gebäudes S 1 in H gebildete Wohnungseigentümergemeinschaft, die gegenüber den Wohnungseigentümern Leistungen der Erhaltung und Verwaltung des Betriebes der im gemeinsamen Eigentum stehenden Teile und Anlagen der Liegenschaft erbringt. Das Gebäude besteht aus zwei Geschäftseinheiten im Erdgeschoss und 27 Wohnungen in den Obergeschoßen.

2        Die mitbeteiligte Partei hatte ihre Leistungen an die Wohnungseigentümer insoweit dem Normalsteuersatz unterzogen, als diese auf die beiden Geschäftseinheiten entfielen. In Bezug auf die Wohnungen hatte sie gemäß § 10 Abs. 2 Z 4 lit. d UStG 1994 den ermäßigten Steuersatz zur Anwendung gebracht.

3        Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung traf die Prüferin die Feststellung, dass die Wohnungen von den jeweiligen Wohnungseigentümern teilweise touristisch als Ferienwohnungen genutzt worden seien, teilweise aber auch für eigene (kurzfristige) Wohnzwecke. Das Ausmaß der „als Ferienwohnungen genutzten Einheiten“ habe die Prüferin „infolge eingeschränkter Ermittlungsmöglichkeiten“ im Schätzungswege mit 75 % angenommen. In Bezug auf diese 75 % der bisher dem ermäßigten Steuersatz unterzogenen Umsätze sei die Prüferin zum Ergebnis gelangt, dass von einer Option zur Steuerpflicht nach § 6 Abs. 1 Z 17 UStG 1994 auszugehen sei und diese Umsätze dem Normalsteuersatz unterlägen.

4        Das Finanzamt erließ - zum Teil nach Wiederaufnahme der Verfahren - den Prüfungsfeststellungen entsprechende Umsatzsteuerbescheide 2009 bis 2012. Die Umsatzsteuer 2012 wurde gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig festgesetzt, weil für dieses Jahr noch keine Jahressteuererklärung eingereicht worden war.

5        Gegen die Umsatzsteuerbescheide erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde. Sie begehrte die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 10 Abs. 2 Z 4 lit. d UStG 1994 in Bezug auf die für die 27 Wohneinheiten erbrachten Leistungen.

6        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge. Hinsichtlich Umsatzsteuer 2012 wurde die Abgabenfestsetzung anhand der während des Beschwerdeverfahrens eingereichten Umsatzsteuererklärung vorgenommen und die vorläufige Festsetzung gemäß § 200 Abs. 2 BAO durch eine endgültige ersetzt.

7        Das Bundesfinanzgericht führte sodann aus, in Bezug auf die Leistungen der mitbeteiligten Partei gegenüber den Wohnungseigentümern sei strittig, ob diese Leistungen, soweit sie auf die einzelnen Wohnungen - also nicht auf die Geschäftslokale - entfielen, mit 10 % oder mit 20 % der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien. Die mitbeteiligte Partei sehe sämtliche Nutzungen der Wohnungen - nicht der Geschäftslokale - als Nutzungen an, die Wohnzwecken iSd § 10 Abs. 2 Z 4 lit. d UStG 1994 dienten.

8        Zum Sachverhalt traf das Bundesfinanzgericht die Feststellung, dass die 27 Wohnungen von den Wohnungseigentümern zum Teil selbst bewohnt worden seien, zum Teil hätten die Wohnungseigentümer die Wohnungen an Touristen vermietet.

9        Im Rahmen der rechtlichen Erwägungen vertrat das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen die Ansicht, ob die Wohnungseigentümer ihre Wohnungen selbst bewohnten oder ob sie darin Feriengäste gegen Entgelt beherbergten, ändere nichts daran, dass die Wohnungen jedenfalls Wohnzwecken dienten. Wohnzwecken diene eine Wohnung in allen Fällen, in denen Menschen auf Dauer Aufenthalt und Unterkunft in der Wohnung gewährt werde. Diese Voraussetzung sei auch bei einer wochenweisen oder auch einer nur tageweisen (z.B. im Rahmen eines „Wochenendurlaubs“) Vermietung an Feriengäste erfüllt.

10       Das Bundesfinanzgericht erklärte die Revision wegen der Frage für zulässig, ob der Steuersatz nach § 10 Abs. 2 Z 4 lit. d UStG 1994 idF BGBl. I Nr. 663/1994 auch insoweit zur Anwendung komme, als die Eigentumswohnungen der entgeltlichen Beherbergung von Feriengästen dienten.

11       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die ordentliche Revision des Finanzamts, zu der die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung erstattet hat.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13       Die Revision ist zulässig und begründet.

14       Gemäß § 2 Abs. 5 WEG 2002 bilden alle Wohnungseigentümer zur Verwaltung der Liegenschaft die Eigentümergemeinschaft; sie ist eine juristische Person mit Rechtsfähigkeit in dem durch § 18 Abs. 1 und 2 WEG 2002 umschriebenen Umfang.

15       Gemäß § 10 Abs. 2 Z 4 lit. d UStG 1994 (in der hier anwendbaren Stammfassung BGBl. Nr. 663/1994) ermäßigt sich die Umsatzsteuer auf 10 % für die Leistungen von Personenvereinigungen zur Erhaltung, Verwaltung oder zum Betrieb der in ihrem gemeinsamen Eigentum stehenden Teile und Anlagen einer Liegenschaft, an der Wohnungseigentum besteht und die Wohnzwecken dienen, ausgenommen eine als Nebenleistung erbrachte Lieferung von Wärme.

16       Das Finanzamt bringt auf das Wesentliche zusammengefasst vor, das Bundesfinanzgericht vertrete im angefochtenen Erkenntnis zu Unrecht die Auffassung, „Wohnzwecke“ iSd § 10 Abs. 2 Z 4 lit. d UStG 1994 lägen auch dann vor, wenn die Leistungen der Wohnungseigentümergemeinschaft Wohnungen beträfen, die der kurzfristigen, nämlich bloß wochenweisen oder gar nur tageweisen Beherbergung dienten. Mit diesem Vorbringen zeigt die Revision ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf.

17       Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 4. Februar 2009, 2007/15/0116, und auch in den Erkenntnissen vom 24. März 2015, 2012/15/0042, sowie vom 25. Juni 2014, 2010/13/0119, zu Recht erkannt, dass Grundstücke, Gebäude oder Teile und Anlagen dann Wohnzwecken iSd Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z 4 lit. d UStG 1994 dienen, wenn sie dazu bestimmt sind, in abgeschlossenen Räumen privates Leben zu ermöglichen und Menschen somit auf Dauer Aufenthalt und Unterkunft gewähren.

18       Wird eine Wohnung bloß für wenige Wochen oder gar Tage überlassen, kann von einem Aufenthalt „auf Dauer“ keine Rede sein. Darin unterscheidet sich der Begriff der „Wohnzwecke“ iSd § 10 Abs. 2 Z 4 lit. d auch von jenem der „Beherbergung“ iSd § 10 Abs. 2 Z 4 lit. b (jeweils in der angeführten Stammfassung des UStG 1994). Denn während der „Wohnzweck“ einen Zustand beschreibt, der grundsätzlich auf Dauer ausgelegt ist, erfasst der Begriff der Beherbergung die Zurverfügungstellung einer bloß vorübergehenden Wohnmöglichkeit (vgl. sinngemäß EuGH 12.2.1998, C-346/95, Blasi, Rn. 23).

19       Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 10. Februar 2022

Gerichtsentscheidung

EuGH 61995CJ0346 Blasi VORAB

Schlagworte

Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RO2019150179.J00

Im RIS seit

18.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

22.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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