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32/02 Steuern vom Einkommen und ErtragNorm
EStG 1988 §34 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamtes Österreich (Dienststelle Wien 8/16/17) in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 6. Mai 2020, RV/7101879/2020, betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2018 (mitbeteiligte Partei: R in W, vertreten durch Dr. Günter Schandor, Rechtsanwalt in 1120 Wien, Arndtstraße 98 Top 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Die Mitbeteiligte machte im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2018 verschiedene gesundheitsbezogene Aufwendungen („Apothekenbedarf“ - Heilmittel und Heilbehelfe, Paraffinbäder und Wohlfühlmassagen, Operationskosten in einer Wiener Privatklinik: OP-Team, Konsilien, Laborkosten und Aufzahlung für 2-Bettzimmer) als außergewöhnliche Belastungen geltend.
2 Das Finanzamt erließ einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 und erkannte darin die Aufwendungen für Paraffinbäder und Wohlfühlmassagen sowie die Aufzahlung auf das 2-Bettzimmer in der Privatklinik nicht als außergewöhnliche Belastung an. Zur Begründung führte es an, bei den Paraffinbädern und Wohlfühlmassagen handle es sich um keine speziellen therapeutischen Heilbehandlungen und es liege dazu auch keine ärztliche Verordnung vor. Die Aufzahlung auf das 2-Bettzimmer würde wie Aufwendungen für Sonderklassengebühren bzw. Selbstbehalte keine außergewöhnliche Belastung darstellen. Die anerkannten Aufwendungen - nach Abzug einer „Haushaltsersparnis“ für die Zeit des Spitalsaufenthalts - seien niedriger als der Selbstbehalt gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1988 und daher nicht zu berücksichtigen.
3 In der gegen den Einkommensteuerbescheid 2018 erhobenen Beschwerde führte die Mitbeteiligte aus, in der betreffenden Privatklinik gebe es keine Alternative zum 2-Bettzimmer, womit dieses Zimmer keine Sonderklasse, sondern die einzige Möglichkeit sei. Der behandelnde Arzt operiere zudem nur in dieser Klinik. In der Gesamtsumme der Rechnung sei auch die Betreuung enthalten.
4 Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung ab und führte zusammengefasst aus, Voraussetzung für die Abzugsfähigkeit von außergewöhnlichen Belastungen sei, dass Aufwendungen zwangsläufig aus triftigen medizinischen Gründen getätigt werden und nicht nur lediglich aufgrund bestimmter Vorstellungen von Betroffenen über eine bestimmte medizinische Betreuung. Die Vorteile der Sonderklasse, wie etwa Behandlung durch den Arzt des Vertrauens oder Aufenthalt in einem Einzelzimmer, seien keine triftigen medizinischen Gründe.
5 Die Mitbeteiligte stellte einen Vorlageantrag und führte darin im Wesentlichen aus, sie habe die Privatklinik aufgrund ihrer Krankengeschichte - die sie kursorisch darstellte - gewählt. Die Behandlung sei nur bei einem Ärzteteam, welches in einer Privatkrankenanstalt tätig sei, angeboten worden.
6 Vor der Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht ersuchte das Finanzamt die Mitbeteiligte um Übermittlung einer Bestätigung des Krankenanstaltenverbundes, dass der Eingriff notwendig und die Behandlung durch ein Institut des Krankenanstaltenverbundes nicht möglich gewesen sei. In der Beantwortung dieses Vorhalts führte der Vertreter der Mitbeteiligten aus, aufgrund der im Raum stehenden Vermutung, die Mitbeteiligte habe die Operation „unnotwendigerweise“ durchgeführt, werde dem „Ansinnen“ des Finanzamtes nicht weiter nachgegangen. Ergänzend werde auf die Aktenlage und auf die zweifelsfrei gegebenen, gewichtigen medizinischen Gründe für die Behandlung in der Privatklinik verwiesen.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde der Mitbeteiligten Folge und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, der von der Mitbeteiligten im Vorlageantrag detailliert beschriebene Krankheitsverlauf werde vom Finanzamt nicht in Streit gezogen. Im Hinblick auf diesen Krankheitsverlauf sei der Mitbeteiligten beizupflichten, dass sich wohl niemand einer nicht notwendigen Operation unterziehen werde. Die durchgeführte Operation habe sich daher als medizinisch zwingend erwiesen, womit die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen nicht zu hinterfragen sei. Die Mitbeteiligte habe sich für die Durchführung der Operation in der Privatklinik entschieden, weil ihr langjährig behandelnder Arzt nur dort Operationen durchgeführt habe. Die strittigen Kosten seien somit aus triftigen Gründen medizinisch geboten und damit zwangsläufig erwachsen.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Amtsrevision, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Einleitung eines Vorverfahrens, in dem von der Mitbeteiligten eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
10 Das Finanzamt bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von der - näher genannten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil das Bundesfinanzgericht die Zwangsläufigkeit der strittigen Aufwendungen allein aufgrund des Vorbringens der Mitbeteiligten angenommen habe, obwohl keine Nachweise für die Notwendigkeit des Eingriffs und für die Höhe der getätigten Aufwendungen vorgelegen seien.
11 Damit erweist sich die Revision als zulässig und begründet.
12 § 34 Abs. 3 EStG 1988 macht den Anspruch auf Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung davon abhängig, dass die Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwächst; dies ist dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige sich der Belastung aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Dabei ist die Zwangsläufigkeit des Aufwands stets nach den Umständen des Einzelfalls zu prüfen. Solche tatsächlichen Gründe, die die Zwangsläufigkeit der Belastung zu begründen vermögen, können insbesondere in der Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Betreuungsbedürftigkeit des Steuerpflichtigen gelegen sein (vgl. VwGH 27.9.2021, Ra 2020/15/0066, mwN). Die Zwangsläufigkeit im Sinne des § 34 Abs. 3 EStG 1988 ergibt sich bei Krankheitskosten aus der Tatsache der Krankheit (vgl. VwGH 15.12.2021, Ro 2020/15/0010, mwN).
13 Zu den als außergewöhnliche Belastung abzugsfähigen Krankheitskosten zählen nur Aufwendungen für solche Maßnahmen, die zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich notwendig sind (vgl. VwGH 18.2.2021, Ra 2019/15/0113, mwN). Zum Nachweis der Notwendigkeit ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ärztliches Zeugnis oder ein Gutachten erforderlich (vgl. VwGH 4.9.2014, 2012/15/0136, mwN). Einem ärztlichen Gutachten kann es gleich gehalten werden, wenn ein Teil der angefallenen Aufwendungen von einem Träger der gesetzlichen Sozialversicherung übernommen werden (vgl. VwGH 5.3.2020, Ra 2019/15/0159, mwN).
14 Zu berücksichtigen ist weiters, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Merkmal der Zwangsläufigkeit auch der Höhe nach gegeben sein muss (vgl. VwGH 24.3.2021, Ra 2020/15/0029, mwN). Das Bundesfinanzgericht hat aber keine Feststellungen dazu getroffen, in welcher Höhe sich die angefallenen Aufwendungen als notwendig erwiesen haben, insbesondere hinsichtlich der von der Mitbeteiligten gewählten Behandlung in einer Privatklinik anstatt in einer öffentlichen Krankenanstalt. Dabei ist zu beachten, dass triftige medizinische Gründe auch höhere Aufwendungen als die von Sozialversicherungsträgern finanzierten zwangsläufig erscheinen lassen (vgl. z.B. VwGH 5.10.2021, Ra 2021/15/0059; 10.5.2021, Ra 2021/15/0031, mwN).
15 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 11. Februar 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020130062.L00Im RIS seit
18.03.2022Zuletzt aktualisiert am
28.03.2022