Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision 1. des S S, 2. der H A, 3. der T S und 4. des A S, alle in L, alle vertreten durch Mag. Florian Traxlmayr, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 12/Arkade, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Oktober 2021, Zlen. 1. W175 2242578-1/8E, 2. W175 2242576-1/7E, 3. W175 2242577-1/4E und 4. W175 2242579-1/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind die Eltern der Drittrevisionswerberin und des Viertrevisionswerbers, alle sind Staatsangehörige Afghanistans. Sie stellten am 5. August 2020 Anträge auf internationalen Schutz.
2 Mit den Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) jeweils vom 7. April 2021 wurden die Anträge bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 - AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Den Revisionswerbern wurde gemäß § 8 Abs. 1 bzw. § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (jeweils Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (jeweils Spruchpunkt III.).
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurden die Beschwerden der Revisionswerber gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten (jeweils Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA) als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A) und eine Revision für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt B).
4 Begründend führte das BVwG - soweit für den Revisionsfall relevant - aus, dass die Zweitrevisionswerberin keine Lebensweise angenommen habe, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten Afghanistans darstelle. Das BVwG stützte sich diesbezüglich auf den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck und die Aussagen der Zweitrevisionswerberin. Es führte aus, sie nehme nur einen „kleinstmöglichen Bewegungsradius“ wahr, beschränke ihr Leben auf die Haushaltsführung, die Kindeserziehung sowie „ihren Mann“ und schöpfe die Möglichkeiten eines selbstbestimmten Lebens nicht aus. Sie orientiere sich nach wie vor „nach ihrem Mann“ und es sei keine „konsequente Verinnerlichung eines westlich-modernen Kleidungsstils“ zu erkennen gewesen. Ihre Berufswünsche wichen von ihrer Lebenswirklichkeit ab, weil sie sich noch nicht einmal über Berufsmöglichkeiten informiert habe. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass den Revisionswerbern aufgrund ihres Asylverfahrens und des damit verbundenen Auslandsaufenthaltes Repressalien in ihrem Herkunftsstaat drohen würden. Auch würde den Revisionswerbern keine Verfolgung drohen, bloß, weil sie Angehörige der Volksgruppe der Hazara seien. Das BVwG verkenne in diesem Zusammenhang nicht, dass im Juli 2021 neun Hazara durch die Taliban getötet worden seien. Daraus lasse sich aber nicht der Schluss ziehen, dass alle Angehörigen der Volksgruppe der Hazara im Entscheidungszeitpunkt oder in naher Zukunft jedenfalls verfolgt werden würden. Der Drittrevisionswerberin und dem Viertrevisionswerber würden keine erheblichen Eingriffe aufgrund ihrer Minderjährigkeit drohen. Dies ergebe sich aus den herangezogenen Länderberichten und gelte umso mehr, wenn sie gemeinsam mit ihren Eltern im Familienverband zurückkehren würden. Auch die Machtübernahme der Taliban ändere daran nichts.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision - gesondert - vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. für viele VwGH 15.9.2021, Ra 2021/01/0210, mwN).
10 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst mit näherer Begründung vor, das BVwG habe veraltete Länderberichte herangezogen und sich nicht mit der dynamischen Situation seit der Machtübernahme der Taliban auseinandergesetzt. Außerdem sei die Beweiswürdigung des BVwG zum Nichtvorliegen einer Gruppenverfolgung der Hazara unvertretbar. In diesem Zusammenhang sei dem BVwG auch ein Begründungsmangel unterlaufen, weil es sich mit dieser Gruppenverfolgung nicht ausreichend auseinandergesetzt habe. Entgegen den Ausführungen des BVwG drohe der Zweitrevisionswerberin sehr wohl eine Verfolgung als westlich orientierte Frau. Auch im Hinblick auf eine etwaige Verfolgung der Drittrevisionswerberin als junges Mädchen sei zum einen die Beweiswürdigung unvertretbar, weil sie nur aus Stehsätzen bestehe, und zum anderen habe das BVwG nur unzureichend ermittelt. Schließlich stelle sich auch noch die Rechtsfrage, ob die Revisionswerber als Angehörige der sozialen Gruppe der Rückkehrer einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt seien. Die diesbezügliche Beweiswürdigung sei unvertretbar. Außerdem habe das BVwG auch in diesem Punkt seine Begründungspflicht verletzt.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. ErläutRV 1618 BlgNR 24. GP 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 21.7.2021, Ra 2021/01/0223-0224, mwN).
12 Die Revision bringt in ihrer Zulässigkeitsbegründung vor, die Beweiswürdigung sei im Hinblick auf mehrere Aspekte unvertretbar, bleibt dabei aber durchwegs pauschal. Es gelingt ihr nicht, mit dem nicht näher begründeten, aber mehrmals erstatteten Vorbringen, das BVwG habe „die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen“, aufzuzeigen, dass das BVwG von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre. Dies gilt auch für den Vorwurf, das BVwG habe sich „unzulässiger Stehsätze und pauschaler Aussagen“ bedient. Soweit in der Revision die beweiswürdigende Annahme des BVwG bekämpft wird, wonach die Zweitrevisionswerberin keine „westliche Orientierung“ angenommen habe, bleibt die Revision ebenso unsubstantiiert. Das Vorbringen, aus den Angaben der Zweitrevisionswerberin lasse sich „die westliche Orientierung sehr wohl ableiten“, wird nämlich nicht näher begründet und bleibt damit nicht nachvollziehbar. An dieser Beurteilung ändern auch die in der Revision zitierten Berichte über Kontrollpunkte der Taliban nichts. Das BVwG durfte einzelfallbezogen und auf Grund des in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vertretbar davon ausgehen, dass die Zweitrevisionswerberin keine grundlegende und entsprechend verfestigte Änderung ihrer Lebensführung erfahren habe.
13 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargelegt werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen darzulegen (vgl. für viele VwGH 15.9.2021, Ra 2021/01/0304, mwN).
14 Soweit die Revisionswerber mit Verweis auf verschiedene Länderinformationsblätter der Staatendokumentation des BFA sowie die mediale Berichterstattung über die „extreme Volatilität der Sicherheitslage“ vorbringen, dem BVwG seien Ermittlungsfehler unterlaufen, zeigen sie die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensmängel nicht auf; dies, weil sie in diesem Zusammenhang eine Verletzung von „einfach- und verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte(n) gemäß Art 2 und 3 EMRK“ behaupten, ihnen aber bereits vom BFA der Status der subsidiär Schutzberechtigten aufgrund derartiger Verletzungen zuerkannt wurde (vgl. Rn. 2).
15 Aber auch im Hinblick auf die vorgebrachten Verfahrensfehler im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer Gruppenverfolgung von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara bleibt die Revision unsubstantiiert und bringt lediglich vor, die Begründung des Erkenntnisses werde „den Anforderungen die der VwGH hinsichtlich der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte in seiner Rechtsprechung dargestellt hat, nicht gerecht“. Die in der Revision zitierten Berichte wurden entweder ohnehin vom BVwG berücksichtigt, handeln inhaltlich nicht von Repressalien gegen Angehörigen der Volksgruppe der Hazara, sondern gegen als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen, oder haben keinen konkreten Fallbezug. Der Revision mangelt es daher auch in diesem Punkt an der erforderlichen Relevanzdarlegung.
16 Schließlich gelingt es den Revisionswerbern auch nicht, die Relevanz der vorgebrachten Verletzung der Begründungspflicht in Bezug auf eine Gruppenverfolgung der „sozialen Gruppe der Rückkehrer“ aufzuzeigen. Der Revision ist insbesondere nicht zu entnehmen, inwiefern für die Revisionswerber ein günstigeres Ergebnis erzielt werden hätte können, wenn das BVwG die in der Revision geforderte, aber nicht näher erläuterte „ausreichende Auseinandersetzung mit der Machtübernahme durch die Taliban“ vorgenommen hätte.
17 Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass im bisherigen Verfahren nicht vorgebracht wurde, dass die Drittrevisionswerberin aufgrund der Zugehörigkeit zur „sozialen Gruppe der Mädchen“ verfolgt werden würde. Diesem Vorbringen steht daher das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof aus § 41 erster Satz VwGG abzuleitende Neuerungsverbot entgegen (vgl. etwa VwGH 15.9.2021, Ra 2021/01/0271, mwN).
18 In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 21. Februar 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021010373.L00Im RIS seit
18.03.2022Zuletzt aktualisiert am
22.03.2022