TE Vwgh Beschluss 2022/2/21 Ra 2021/14/0335

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Veröffentlicht am 21.02.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
24/01 Strafgesetzbuch
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2
StGB §43
StGB §46
VwRallg implizit

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl und die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des A A, vertreten durch Mag.a Sarah Moschitz-Kumar, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Schießstattgasse 30/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Oktober 2021, G315 2167008-1/32E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak sunnitisch-muslimischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe, stellte am 20. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) und brachte zusammengefasst vor, er sei von schiitischen Milizen bedroht worden und fürchte bei einer Rückkehr in den Irak um sein Leben.

2        Mit Bescheid vom 20. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag vollinhaltlich ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 28. März 2019 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens des Raufhandels gemäß § 91 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe von insgesamt € 960,--, die zur Hälfte bedingt nachgesehen wurde, verurteilt.

4        Mit Bescheid vom 4. April 2019 hielt das BFA fest, dass der Revisionswerber sein vorläufiges Aufenthaltsrecht gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 verloren hat. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Bescheid vom 20. Juli 2017 erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Die Revision wendet sich ausschließlich gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden Spruchpunkte und bringt dazu zusammengefasst vor, das BVwG habe bei der im Rahmen der Rückkehrentscheidung vorzunehmenden Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK für den Revisionswerber sprechende Aspekte unzureichend berücksichtigt und ihn benachteiligenden Aspekten ein zu großes Gewicht beigemessen.

10       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. VwGH 20.10.2021, Ra 2021/14/0304, mwN).

11       Wenn der Revisionswerber die Bedeutung seines sechseinhalbjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet anspricht, übersieht er, dass das persönliche Interesse zwar grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, die bloße Aufenthaltsdauer jedoch nicht allein maßgeblich ist, sondern vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen ist, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. VwGH 7.10.2020, Ra 2020/14/0414, mwN).

12       Entgegen dem Vorbringen in der Revision hat das BVwG auch die Art und Dauer des Aufenthalts des Revisionswerbers in Österreich von über fünf Jahren einbezogen, allerdings zu Recht in seine Erwägungen miteinfließen lassen, dass es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn - wie hier - integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 20.10.2021, Ra 2021/14/0283, mwN). Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für eine Eheschließung mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten Person, wenn dem Fremden zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise klar sein musste (vgl. VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0518, mwN). Das BVwG bezog sowohl die Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin am 6. November 2020, den gemeinsamen Haushalt der Eheleute ab 16. März 2021 sowie die Tatsache der Eheschließung zu einem Zeitpunkt, als sich der Revisionswerber seinen unsicheren Aufenthalts bewusst sein musste, in seine Erwägungen mit ein.

13       Eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, wird in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann für gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug der Fall ist (vgl. VwGH 16.12.2021, Ra 2021/14/0374, mwN).

14       Das BVwG setzte sich mit den der Verurteilung zugrundeliegenden Straftaten, seiner aktiven Beteiligung an den inkriminierten Handlungen - Teilnahme an einem Raufhandel mit einer schweren Körperverletzung als Folge sowie versuchtem Widerstand gegen die Staatsgewalt - samt den daraus erwachsenden Folgen sowie mit dem sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbild des Revisionswerbers auseinander. Entgegen der in der Revision geäußerten Ansicht war das vom BVwG festgestellte Fehlverhalten des Revisionswerbers, mit dem er sowohl gegen strafrechtliche als auch wesentliche fremdenrechtliche Vorschriften verstoßen hat, in maßgeblicher Weise einzubeziehen.

15       Soweit in der Revision die bedingte Strafnachsicht des Revisionswerbers ins Treffen geführt wird, genügt der Hinweis, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Fehlverhalten eines Fremden und die daraus abzuleitende Gefährlichkeit ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts, also unabhängig von gerichtlichen Erwägungen über bedingte Strafnachsichten oder eine bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug, zu beurteilen ist (vgl. VwGH 7.10.2021, Ra 2021/21/0276, mwN).

16       Soweit die Revision darüber hinaus vorbringt, dass die Verfahrensdauer vor dem Bundesverwaltungsgericht ohne ersichtlichen Grund über sechs Jahre in Anspruch genommen und sich das Bundesverwaltungsgericht mit den Erwerbstätigkeiten und der Selbsterhaltungsfähigkeit des Revisionswerbers in der Interessenabwägung unzureichend auseinandergesetzt habe, ist festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen auch diese für die Interessenabwägung maßgeblichen Umstände hinreichend in seine Entscheidung einbezogen hat. Entgegen dem Revisionsvorbringen berücksichtigte es im Rahmen der Interessenabwägung auch die Erwerbstätigkeiten des Revisionswerbers und die zu seinen Gunsten sprechende Verfahrensdauer ebenso wie den Verlust des Aufenthaltsrechts gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005. Dass der Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit des Revisionswerbers vor dem Hintergrund der vom Bundesverwaltungsgericht sonst festgestellten Umstände (Aufenthaltsdauer, Straffälligkeit, Grad der Integration etc.) fallbezogen eine solche Bedeutung zukäme, die zu einem anderen Ergebnis führen müsste (vgl. VwGH 20.10.2021, Ra 2021/14/0304, mwN), legt die Revision nicht dar.

17       Die Revision vermag daher nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht seine Interessenabwägung in einer unvertretbaren Weise vorgenommen hätte oder die Gewichtung der einbezogenen Umstände den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien widerspräche.

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 21. Februar 2022

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021140335.L00

Im RIS seit

17.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

22.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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