TE Vwgh Beschluss 2022/2/11 Ra 2021/18/0350

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Veröffentlicht am 11.02.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der S A, vertreten durch Mag. Christa Schatzl, Rechtsanwältin in 8952 Irdning, Aignerstraße 22, als bestellte Verfahrenshelferin, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. September 2021, W265 2193806-1/19E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Eltern der Revisionswerberin, beide afghanische Staatsangehörige, beantragten am 18. Juli 2016 internationalen Schutz; auch für die am 24. August 2016 bereits in Österreich geborene Revisionswerberin stellte der Vater einen diesbezüglichen Antrag, ohne für sie eigene Fluchtgründe geltend zu machen.

2        Mit Bescheiden jeweils vom 29. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge aller Familienangehörigen, somit auch jenen der Revisionswerberin, zur Gänze ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und setzte Fristen für die freiwillige Ausreise fest.

Dagegen erhoben die Revisionswerberin und ihre Eltern eine gemeinsame Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

3        Während des Verfahrens über die Beschwerde wurde der Vater der Revisionswerberin wegen des Verbrechens des Mordes an der Mutter der Revisionswerberin mit Urteil des Landesgerichts Leoben vom 8. Juli 2020 strafgerichtlich zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren verurteilt. Infolge des Ablebens der Mutter wurde deren Beschwerdeverfahren mit Beschluss des BVwG eingestellt.

4        Die gegen den Bescheid vom 29. März 2018 erhobene Beschwerde der Revisionswerberin wies das BVwG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 8. September 2021 hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet ab, gab der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. statt und erkannte ihr den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zu. Weiters erteilte das BVwG ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Die übrigen Spruchpunkte wurden ersatzlos behoben und die Revision für nicht zulässig erklärt.

5        Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2021 brachte die nunmehrige Revisionswerberin, vertreten durch rechtskundige Mitarbeiter:innen der Caritas Graz, einen auf 17 Seiten begründeten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ein, in dem zunächst verfahrensrechtliche Fragen wie die Unterlassung der Durchführung der mündlichen Verhandlung durch das BVwG aufgeworfen wurden. Darüber hinaus enthält der Antrag ausführliche Vorbringen zur Asylrelevanz der Verfolgung der Revisionswerberin aufgrund ihres Geschlechtes bzw. ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe alleinstehender Mädchen, zum besonderen Beurteilungsmaßstab aufgrund der Minderjährigkeit sowie zur kumulativen Bewertung von Verfolgungsgründen samt rechtlicher Ausführungen. Mit Beschluss vom 8. November 2021, Ra 2021/18/0350-4, bewilligte der Verwaltungsgerichtshof die Verfahrenshilfe.

6        Nur gegen Spruchpunkt I. des verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses (Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten) wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7        Mangels Erfüllung der Formalerfordernisse des § 28 Abs. 1 und 3 VwGG wurde die Revision der bestellten Verfahrenshelferin mit verfahrensleitender Anordnung vom 3. Jänner 2022 zur Verbesserung zurückgestellt. Darin wird die Revisionswerberin vom Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich zur Behebung folgender Mängel aufgefordert:

„1.  Es ist der Sachverhalt in einer zeitlich geordneten Darstellung wiederzugeben (§ 28 Abs. 1 Z 3 VwGG).

2.   Es sind die Rechte, in denen die revisionswerbende Partei verletzt zu sein behauptet (Revisionspunkte, § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG), zu bezeichnen.

3.   Es sind die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob die Revision rechtzeitig eingebracht ist, anzugeben (§ 28 Abs. 1 Z 7 VwGG).

4.   Es sind gesondert die Gründe anzugeben, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (Zulässigkeitsgründe einer außerordentlichen Revision; § 28 Abs. 3 VwGG).“

8        Mit dem am 12. Jänner 2022 eingebrachten Schriftsatz wurde eine Ergänzung der Revision vorgelegt, die wiederum (bis auf den Punkt „Zum Sachverhalt“) keine näheren Untergliederungen aufweist. „Zu den Zulässigkeitsgründen einer außerordentlichen Revision“ wird lediglich in einem Absatz Folgendes ausgeführt:

„[E]ntgegen den Ausführungen der belangten Behörde [hängt] die Entscheidung sehr wohl von der Lösung einer Rechtsfrage [ab], der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Unstrittig ist, dass der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Dies ändert jedoch nichts daran, dass es sich aufgrund der besonderen Umstände letztlich um einen Einzelfall handelt, auf welchen die sonst übliche Judikatur nicht anwendbar ist. Zu berücksichtigen ist, dass es sich bei der [Revisionswerberin] um ein 5-jähriges, in Österreich geborenes Mädchen handelt, welches hier nicht nur voll integriert ist, sondern auch keinerlei Bezug zum Herkunftsstaat der Eltern hat und aus nachvollziehbaren und äußerst glaubwürdigen Gründen einer erheblichen Bedrohung im Fall einer Rückführung ausgesetzt wäre. Die belangte Behörde hat selbst auf unzähligen Seiten die Situation in Afghanistan geschildert, wobei sich diese bekanntlich in den letzten Wochen noch zugespitzt hat und mittlerweile auch Hungernöte drohen. Aus Sicht der [Revisionswerberin] ist es daher nicht zulässig, sich auf die gängige Judikatur zu berufen, sondern ist im vorliegenden Fall eine Einzelfallentscheidung zu treffen, sodass die außerordentliche Revision bereits aus diesem Grund zuzulassen ist bzw. zulässig ist.“

9        Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten führt die Revision - wenn auch nicht unter dem Zulässigkeitsvorbringen - Folgendes aus:

„Aus Sicht der [Revisionswerberin] liegen sämtliche Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status als Asylberechtigte vor.

Dessen ungeachtet ist die belangte Behörde offenbar der Ansicht, dass aus dem Fluchtvorbringen der Eltern [...] keine der [Revisionswerberin] drohende Verfolgung abgeleitet werden könne.

Die belangte Behörde ist weiters der Ansicht, dass der [Revisionswerberin] ein Aufwachsen im afghanischen Normensystem unter dem Aspekt des Fehlens einer drohenden asylrelevanten Verfolgung zumutbar wäre. Dass hinsichtlich der [Revisionswerberin] keine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes vorliegt, wird nicht wirklich bestritten, allerdings ist davon auszugehen, dass im Fall einer ‚Rückführung‘ Gefahr für Leib und Leben der [Revisionswerberin] droht, dies umso mehr, als kein familiärer Hintergrund gegeben ist, der Gewähr dafür leisten würde, dass die [Revisionswerberin] zumindest mit den elementarsten Dingen versorgt wird.

Aufgrund der aktuellen Situation in Afghanistan ist jedenfalls davon auszugehen, dass eine reale Gefahr für die [Revisionswerberin] besteht.“

10       Damit wird eine Zulässigkeit der vorliegenden Revision nicht dargetan.

11       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

13       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14       Hat das Verwaltungsgericht im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, so hat die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird (vgl. VwGH 15.12.2021, Ra 2021/16/0092, mwN).

15       In diesen gemäß § 28 Abs. 3 VwGG bei einer außerordentlichen Revision gesondert vorzubringenden Gründen ist konkret auf die Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung über die Revision zu lösen habe und in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche bzw. welche Rechtsfrage dieser uneinheitlich oder noch nicht beantwortet habe (vgl. etwa VwGH 8.11.2021, Ra 2021/20/0301, mwN).

16       Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der sonstigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision führen könnten, aufzugreifen (zu alldem vgl. VwGH 29.11.2021, Ra 2018/08/0246, mwN).

17       Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung auch betont, dass dem Gebot der gesonderten Darstellung der Gründe für die Zulässigkeit der Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG nicht schon durch nähere Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der bekämpften Entscheidung (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) oder zu den Rechten, in denen sich der Revisionswerber verletzt erachtet (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG), Genüge getan wird. Dem Gebot der gesonderten Darstellung der Gründe für die Zulässigkeit der Revision wird sohin insbesondere dann nicht entsprochen, wenn die zur Zulässigkeit der Revision erstatteten Ausführungen der Sache nach Revisionsgründe darstellen oder das Vorbringen zur Begründung der Zulässigkeit der Revision mit Ausführungen, die inhaltlich (bloß) Revisionsgründe darstellen, in einer Weise vermengt ist, dass keine gesonderte Darstellung der Zulässigkeitsgründe im Sinn der Anordnung des § 28 Abs. 3 VwGG vorliegt (vgl. VwGH 17.5.2021, Ra 2021/14/0116, mwN).

18       Ein solcher Fall liegt hier vor. Zunächst enthält die nicht untergliederte Revision - ungeachtet ihrer Zurückstellung zur Verbesserung - keine gesonderte Darstellung der Gründe für ihre Zulässigkeit im Sinn der Anordnung des § 28 Abs. 3 VwGG, sondern vermengt die Darlegung von Zulässigkeitsgründen und Revisionsgründen. Abgesehen davon wird zur Zulässigkeit der Revision von dieser aber auch lediglich vorgebracht, es liege ein „Einzelfall“ vor, „auf welchen die sonst übliche Judikatur nicht anwendbar“ sei, weil es sich bei der Revisionswerberin um ein Kleinkind handle, das keinen Bezug zu Afghanistan mehr habe und bei Rückkehr erheblich bedroht wäre. Dabei lässt die Revision jegliche Ausführungen dazu vermissen, welche „sonst übliche Judikatur“ sie überhaupt im Blick hat. Soweit die Revision im Hinblick auf die aktuelle Lage in Afghanistan eine Gefährdung der Existenzgrundlage für die Revisionswerberin befürchtet, übersieht sie zudem, dass der Revisionswerberin vom BVwG ohnedies subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, weshalb eine Rückkehr der Revisionswerberin nach Afghanistan gegenständlich nicht zur Diskussion steht.

19       Zur Frage, ob der Revisionswerberin nicht bloß subsidiärer Schutz, sondern auch der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen wäre, enthält die Revision kein relevantes Vorbringen. Im Gegenteil: Die Revision führt aus, „nicht wirklich“ zu bestreiten, dass der Revisionswerberin keine „Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes“ drohe. Damit unterlässt es die Revision jedenfalls darzutun, ob und aus welchen Gründen der Revisionswerberin - entgegen der Ansicht des BVwG - asylrechtlicher Schutz hätte gewährt werden müssen.

20       Da in der Revision sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, war die Revision zurückzuweisen.

Wien, am 11. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021180350.L00

Im RIS seit

16.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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