TE Vwgh Beschluss 2022/2/17 Ra 2022/18/0023

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Veröffentlicht am 17.02.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art2
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Q A, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 2021, W142 2150335-2/49E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein somalischer Staatsangehöriger, beantragte am 4. Juni 2015 internationalen Schutz. Seine Flucht begründete er im Wesentlichen damit, sich als somalischer Soldat zur Ausbildung in der Türkei aufgehalten zu haben. Er sei zwar Muslim gewesen, habe sich aber während seines Aufenthalts in der Türkei für andere Religionen interessiert und eine Bibel erworben. Deshalb sei er von anderen somalischen Soldaten massiv angefeindet worden und letztlich desertiert. Im Zuge des Verfahrens brachte er vor, in Österreich habe er sein Interesse für das Christentum vertieft und sei im Jahr 2018 zum katholischen Glauben konvertiert. Bei Rückkehr fürchte er wegen all dieser Geschehnisse getötet zu werden.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 25. Mai 2018 - im zweiten Rechtsgang - zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

3        Begründend schenkte das BVwG dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers (Tätigkeit als somalischer Soldat, der zur militärischen Ausbildung in die Türkei geschickt worden sei; Anfeindungen wegen des Erwerbs einer Bibel) keinen Glauben. Deshalb drohe ihm wegen dieser behaupteten Geschehnisse bei Rückkehr keine Verfolgung. Im Übrigen gestand es dem Revisionswerber zu, sich in Österreich für den christlichen Glauben interessiert und verschiedene religiöse Aktivitäten gesetzt zu haben. Am 8. April 2018 sei er (römisch-katholisch) getauft worden. Ungeachtet dessen habe der Revisionswerber nicht glaubhaft machen können, sich dem neuen Glauben ernsthaft und nachhaltig zugewandt zu haben. Die Konversion sei nur „formal“ erfolgt, um Vorteile im Asylverfahren zu erwirken. Es sei nicht davon auszugehen, dass er allein deshalb in Somalia verfolgt werden würde.

4        Eine gefahrlose Rückkehr des Revisionswerbers in seine Heimatstadt Baardheere komme wegen der dortigen volatilen Sicherheitslage nicht in Betracht. Der Revisionswerber könne sich aber in der somalischen Hauptstadt Mogadischu, wo er vor seiner Ausreise aus Somalia schon gelebt habe, wiederansiedeln. Er sei jung und arbeitsfähig, verfüge über näher genannte Schulbildung und Berufserfahrung, sei mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut und könne auf ein näher umschriebenes Unterstützungsnetzwerk zurückgreifen. Grundlegende Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft, seien dort befriedigt. Auch eine grundlegende medizinische Versorgung sei vorhanden. Die psychischen Probleme des Revisionswerbers (er leide an depressiven Episoden und einer posttraumatischen Belastungsstörung, wogegen er näher bezeichnete Medikamente einnehme) seien auch in Mogadischu behandelbar.

5        Zur Rückkehrentscheidung nahm das BVwG eine näher begründete Abwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. § 9 Abs. 1 BFA-VG vor, in welcher die Aufenthaltsdauer, die erlangten Sprachkenntnisse (A2), die gesetzten Integrationsschritte und die Unbescholtenheit des Revisionswerbers als private Interessen des Revisionswerbers am Verbleib in Österreich den näher begründeten überwiegenden öffentlichen Interessen an seiner Außerlandesbringung gegenübergestellt wurden.

6        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit geltend gemacht wird, das BVwG habe amtswegige Ermittlungen zum Fluchtvorbringen des Revisionswerbers und seinem Gesundheitszustand zu Unrecht unterlassen. Es sei Beweisanträgen, die der Revisionswerber in einer Beschwerde im ersten Rechtsgang gestellt hatte, nicht nachgekommen. Die Beweiswürdigung des BVwG zum Fluchtvorbringen sei nicht hinreichend begründet worden; die Feststellung, dass die psychische Erkrankung in Mogadischu behandelbar sei, sei aktenwidrig. Mit seiner Rückkehrentscheidung weiche das BVwG von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit des Eingriffs in das Privatleben ab.

7        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

9        Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht (im zweiten Rechtsgang) keine Beweisanträge gestellt wurden, denen das BVwG nicht nachgekommen wäre. Das Revisionsvorbringen kann vor diesem Hintergrund nur dahingehend verstanden werden, dass der Revision zufolge das BVwG von Amts wegen ergänzende Ermittlungen hätte tätigen sollen.

10       Die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein „ausreichend ermittelter Sachverhalt“ vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, begründet nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern stellt eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung dar (vgl. VwGH 7.6.2021, Ra 2021/18/0192). Dass dem BVwG bei dieser Beurteilung ein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifender wesentlicher Verfahrensmangel unterlaufen wäre und dem BVwG unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden Beweisergebnisse weitere amtswegige Ermittlungen „erforderlich“ im Sinne des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 erscheinen mussten, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

11       Es gelingt der Revision auch nicht, eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende unvertretbare Beweiswürdigung des BVwG bzw. damit zusammenhängende Begründungsmängel darzutun. Das BVwG hat sich mit den nicht konsistenten Angaben des Revisionswerbers zu seinen Fluchtgründen im Laufe des gesamten Verfahrens umfangreich beweiswürdigend auseinandergesetzt. Es hat zur Frage der (Schein-)Konversion die beantragten Beweise aufgenommen und die Beweisergebnisse vollständig und zumindest schlüssig gewürdigt.

12       Wenn die Revision von aktenwidrigen Feststellungen zur medizinischen Versorgung in Mogadischu spricht, ist zwar zuzugestehen, dass die Länderfeststellungen eine mangelhafte medizinische Versorgung in Somalia dokumentieren und insbesondere davon sprechen, dass Medikamente zur Behandlung von psychischen Krankheiten nicht immer verfügbar seien. Gleichzeitig wird jedoch auch angeführt, dass „grundlegende Medikamente“ vorhanden seien. Insofern ist die Einschätzung des BVwG, der Revisionswerber könne in Mogadischu (etwa auch privat) die erforderlichen Medikamente besorgen, zumindest nicht aktenwidrig. Abgesehen davon vermag die Revision aber insgesamt nicht darzutun, dass der Revisionswerber bei Rückkehr nach Mogadischu wegen seiner psychischen Erkrankung einer realen Gefahr der Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt wäre (vgl. zum diesbezüglichen Prüfmaßstab vor allem EGMR 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien).

13       Zur Rückkehrentscheidung ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. etwa VwGH 13.9.2021, Ra 2021/18/0112, mwN). Ein solcher Fall liegt auch hier vor. Die Revision vermag nämlich nicht aufzuzeigen, dass das BVwG bei seiner Abwägung den ihm nach der dargestellten Rechtsprechung eingeräumten Beurteilungsspielraum überschritten hätte.

14       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 17. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022180023.L00

Im RIS seit

16.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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