TE Vwgh Erkenntnis 2022/2/17 Ra 2020/18/0127

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Veröffentlicht am 17.02.2022
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §37
AVG §68 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der Z D, vertreten durch Dr. Hans-Peter Neher, Rechtsanwalt in 4820 Bad Ischl, Pfarrgasse 5/II, als bestellter Verfahrenshelfer, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Dezember 2019, W103 1414451-3/2E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird insoweit, als sie sich gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses (Zurückweisung des Antrages, der Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen) wendet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen (nämlich im Hinblick auf Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses, mit dem die Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl abgewiesen wurde) wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, stellte am 22. Dezember 2009 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, den sie damit begründete, dass sie die Behörden, seit ihr Neffe zu den Widerstandskämpfern gegangen sei, nicht mehr in Ruhe gelassen hätten und nach dem Verbleib ihrer Söhne gefragt hätten. Ihr älterer Sohn sei bereits anerkannter Flüchtling in Österreich, ihr jüngerer Sohn Asylwerber. Sie habe jahrelang in Angst und Sorge um ihre Kinder gelebt und wolle bei diesen in Österreich bleiben. Ihr Ehemann B - der Vater ihrer Söhne - lebe nach wie vor im Heimatdorf und arbeite als Lehrer.

2        Der Asylgerichtshof wies diesen Antrag in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesasylamtes mit Erkenntnis vom 26. Jänner 2011 zur Gänze ab und sprach die Ausweisung der Revisionswerberin in die Russische Föderation aus. Der Asylgerichtshof sah ein „deutliches Indiz dafür, dass die [Revisionswerberin] und ihre Familie in ihrem Herkunftsstaat keiner asylrelevanten Verfolgung aufgrund des - den Widerstandskämpfern angehörenden - Neffen ausgesetzt [sei], [...] in dem Umstand, dass der Ehemann [B] der [Revisionswerberin] [...] nach wie vor in Tschetschenien [lebe].“

3        Im Februar 2011 kehrte die Revisionswerberin unter Gewährung von Rückkehrhilfe in die Russische Föderation zurück.

4        Am 4. November 2019 stellte die Revisionswerberin den im vorliegenden Fall relevanten zweiten Antrag auf internationalen Schutz, den sie damit begründete, dass sich nunmehr nicht nur ihre asylberechtigten Söhne, sondern auch ihr mittlerweile ebenfalls asylberechtigter Ehemann B in Österreich aufhalten würden. Sie wolle jetzt bei diesen leben, weil sie zuhause ganz allein gewesen sei. Ihre Asylgründe aus dem ersten Verfahren halte sie weiterhin aufrecht; sie persönlich sei davon nicht direkt betroffen, sondern ihre Söhne und ihr Ehemann B.

5        Mit Bescheid vom 3. Dezember 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag sowohl hinsichtlich des Status als Asylberechtigte als auch hinsichtlich des Status als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen die Revisionswerberin eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin in die Russische Föderation zulässig sei und dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe, erließ ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot und stellte fest, dass der Revisionswerberin die Unterkunftnahme in einem bestimmten Quartier aufgetragen worden sei.

6        Das BFA hielt insbesondere fest, eine aufrechte Ehe mit dem von der Revisionswerberin als Ehemann bezeichneten B könne nicht festgestellt werden. Die Revisionswerberin habe in ihrer Einvernahme im Zuge des ersten Asylverfahrens im Jahr 2010 angegeben, sie sei mit B seit 1981 standesamtlich verheiratet. B habe dagegen bei seiner Einvernahme vor dem BFA im Jahr 2015 ausgesagt, die Revisionswerberin und er hätten im Jahr 1980 (bloß) traditionell geheiratet, was er in seinem Pass eintragen habe lassen, und seien seit dem Jahr 2011 geschieden. In einer Einvernahme im Jahr 2018 habe B zunächst mehrmals von der Revisionswerberin als seiner „Ex-Gattin“ gesprochen, jedoch später angegeben, dass er nicht geschieden sei. Die Revisionswerberin habe in der Einvernahme vor dem BFA auf den Vorhalt, B habe von einer Scheidung im Jahr 2011 gesprochen, angegeben, die Scheidung sei zum Schein erfolgt, damit sie die Probleme des Mannes nicht mehr haben würde, es gebe keine Scheidungsurkunde und sie hätten sich nur getrennt. Sie habe bei der Einvernahme eine beglaubigte Übersetzung einer Kopie einer Heiratsurkunde vorgelegt, auf der als Heiratsdatum und als Ausstellungsdatum der 16. September 1982 vermerkt sei. Das BFA könne nicht ausschließen, dass sich die Revisionswerberin diese Urkunde viel später habe ausstellen lassen, zumal es nach den Länderfeststellungen in der Russischen Föderation möglich sei, Heiratsurkunden zu „kaufen“. Es sei nicht nachvollziehbar, dass sowohl die Revisionswerberin als auch B in keiner der Einvernahmen das in der Heiratsurkunde festgehaltene Hochzeitsdatum korrekt genannt, sondern die Jahre 1980 und 1981 angegeben hätten. Außerdem hätte die Revisionswerberin bei Bestehen einer aufrechten Ehe zum Zeitpunkt der Asylgewährung an B im Jahr 2016 versuchen können, über einen Einreiseantrag nach Österreich zu gelangen, was sie nicht getan habe. Auch deshalb gehe das BFA von keiner aufrechten Ehe aus.

7        In der dagegen gerichteten Beschwerde brachte die Revisionswerberin insbesondere vor, das BFA habe zu Unrecht festgestellt, dass sie nicht mit B verheiratet sei, nur weil B „dies“ vor Jahren angegeben hätte; dies sei durch spätere Aussagen dahin berichtigt worden, dass man nur getrennt sei. Ein Scheidungsurteil sei weder durch ein Gericht in Österreich, noch durch ein solches in der Russischen Föderation ergangen; das BFA habe zum Vorliegen eines solchen Urteils auch keine Ermittlungen angestellt. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt. Außerdem stellte die Revisionswerberin den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

8        Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die Beschwerde mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab (Spruchpunkt I.). Den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wies das BVwG als unzulässig zurück (Spruchpunkt II.). Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

9        Das BVwG hielt fest, eine wesentliche Änderung der die Revisionswerberin betreffenden asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat oder eine wesentliche Änderung in sonstigen in der Person der Revisionswerberin gelegenen Umstände könne seit der Entscheidung über den ersten Asylantrag nicht festgestellt werden. Die beiden volljährigen Söhne der Revisionswerberin sowie deren Vater B, allesamt asylberechtigt, befänden sich in Österreich. Eine aufrechte Ehe zwischen der Revisionswerberin und B könne jedoch nicht festgestellt werden. Den diesbezüglichen beweiswürdigenden Erwägungen des BFA sei beizupflichten. Eine Heiratsurkunde sei nicht im Original vorgelegt worden. Zur in Kopie vorgelegten Urkunde über eine standesamtliche Eheschließung im Jahr 1982 sei festzuhalten, dass B eine standesamtliche Eheschließung in seiner Einvernahme vor dem BFA im Jahr 2015 ausdrücklich verneint und mehrfach angeführt habe, lediglich traditionell mit der Revisionswerberin verheiratet gewesen zu sein. Daher erweise sich die Authentizität dieser Urkunde als fragwürdig. Das BFA habe auch zusätzlich bereits darauf verwiesen, dass die Revisionswerberin und B in ihren Einvernahmen die Jahre 1980 und 1981, aber nicht den September 1982 als Eheschließungsdatum erwähnt hätten. Unabhängig von der abschließenden Beurteilung der Echtheit der lediglich in Kopie vorgelegten Urkunde sei festzustellen gewesen, dass die Ehe, sollte sie tatsächlich vorgelegen haben, im Jahr 2011 geschieden worden und eine Wiederverheiratung seither nicht erfolgt sei. Sowohl die Revisionswerberin als auch B hätten in ihren Einvernahmen vor dem BFA eine Scheidung im Jahr 2011 erwähnt. Die spätere Behauptung, sie hätten sich nur „zum Schein“ scheiden lassen, werde als unwahre Schutzbehauptung gewertet. Sollten sie damit bezweckt haben, die Revisionswerberin von den Problemen des B im Herkunftsstaat fernzuhalten, wäre nicht ersichtlich, warum sie die „zum Schein“ erfolgte Scheidung auch gegenüber den österreichischen Behörden hätten ins Treffen führen sollen. Vielmehr wäre es der Revisionswerberin im Falle des Bestehens einer aufrechten Ehe mit dem in Österreich asylberechtigten B offen gestanden, von der Russischen Föderation aus einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 AsylG 2005 zu stellen. Dass die Revisionswerberin aber mehrfach bei Vertretungsbehörden anderer Länder erfolglos um Schengenvisa angesucht und letztlich den Weg einer illegalen Einreise nach Österreich gewählt habe, bekräftige die Einschätzung des BFA, dass eine aufrechte Ehe nicht vorliege.

10       Weiters falle auf, dass die Revisionswerberin in sich widersprüchliche Angaben bezüglich ihrer Kontakte mit B nach der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat im Jahr 2011 gemacht habe. Sie habe sich in grobe Widersprüche verstrickt was die Frage betreffe, ob es im Sommer 2017 zu einem mehrwöchigen Aufenthalt mit B in Moskau gekommen sei, sodass die persönliche Glaubwürdigkeit der Revisionswerberin zusätzlich beeinträchtigt sei. Dass die Revisionswerberin und B ab dem Jahr 2009 rund ein Jahrzehnt getrennt voneinander gelebt hätten, bekräftige das Ergebnis einer nicht aufrechten Beziehung in diesem Zeitraum.

11       In der Beschwerde sei den Erwägungen des Bescheides zum Nichtvorliegen einer aufrechten Ehe inhaltlich nicht entgegengetreten worden. Insbesondere sei keine Erklärung in Bezug auf die von beiden Partnern erwähnte Scheidung im Jahr 2011 gegeben worden. Soweit die Beschwerde Ermittlungen im Herkunftsstaat bezüglich einer erfolgten Scheidung anrege, sei darauf zu verweisen, dass aufgrund der Aussagen des B bei seiner Einvernahme im Jahr 2015 sowie mangels Vorlage einer unbedenklichen Heiratsurkunde im Original nicht festgestellt habe werden können, dass eine standesamtliche Ehe überhaupt geschlossen worden sei; außerdem wären personenbezogene Anfragen an die Behörden des Herkunftsstaates im Rahmen des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz unzulässig. Es wäre - so das BVwG - an der Revisionswerberin gelegen, Beweismittel hinsichtlich ihres aktuellen Familienstandes vorzulegen bzw. den nachvollziehbaren Erwägungen der Behörde in diesem Zusammenhang in der Beschwerde entgegenzutreten.

12       Rechtlich folgerte das BVwG die Revisionswerberin habe in ihrem zweiten Antrag auf internationalen Schutz keinen nach Rechtskraft des vorangegangenen Verfahrens neu entstandenen asylrelevanten Sachverhalt mit einem glaubhaften Kern vorgebracht, sondern den Antrag erkennbar mit der Absicht eines gemeinsamen Familienlebens mit den hier lebenden Angehörigen gestellt. Da eine aufrechte Ehe zwischen der Revisionswerberin und einer in Österreich asylberechtigten Person nicht habe festgestellt werden können und die beiden Söhne volljährig seien, sei auch kein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 mit Bezug auf die in Österreich asylberechtigten Angehörigen zu führen gewesen.

13       Die Revisionswerberin erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 25. Februar 2020, E 428/2020-5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

14       Die außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit insbesondere vor, das BVwG hätte schon aufgrund des festgestellten Umstandes, dass B - der entgegen der stets bestrittenen Annahme des BFA und des BVwG nach wie vor der Ehepartner der Revisionswerberin sei - (erst) seit 2016 in Österreich asylberechtigt sei, nicht aussprechen dürfen, dass die Revisionswerberin keinen nach Rechtskraft der Entscheidung über den vorangegangenen Antrag neu entstandenen Sachverhalt mit glaubhaftem Kern vorgebracht habe, und sei damit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen einer Zurückweisung eines Folgeantrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache abgewichen.

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

16       Die Revision ist teilweise zulässig und auch berechtigt.

17       Zu I.:

18       Gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses (Zurückweisung des Antrages, der Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen) wurde kein gesondertes Zulässigkeitsvorbringen im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGG erstattet, weshalb sich die Revision in diesem Umfang als unzulässig erweist.

19       Die Revision war daher insoweit gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

20       Zu II.:

21       Soweit sich die Revision gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses, mit dem die Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid des BFA abgewiesen wurde, richtet, ist sie zulässig und begründet.

22       „Sache“ des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens war (vorrangig) die Frage, ob das BFA den Folgeantrag der Revisionswerberin auf internationalen Schutz zu Recht wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hatte.

23       Das BVwG hatte dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist.

24       Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen. Dabei entspricht es im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung berechtigten und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukommt; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, an den eine positive Entscheidungsprognose im obigen Sinne anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrags mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (vgl. dazu etwa VwGH 21.08.2020, Ra 2020/18/0157, mwN und grundlegend etwa VwGH 4.11.2004, 2002/20/0391, mwN).

25       Im Verfahren über den ersten Antrag der Revisionswerberin auf internationalen Schutz stützte der Asylgerichtshof die Nichtzuerkennung des Status einer Asylberechtigten in seinem Erkenntnis aus dem Jahr 2011 insbesondere auf die Überlegung, ein deutliches Indiz dafür, dass die Revisionswerberin und ihre Familie in ihrem Herkunftsstaat keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt seien, könne darin gesehen werden, dass der Ehemann der Revisionswerberin - angesprochen ist damit eindeutig B - nach wie vor in Tschetschenien lebe.

26       Ihren Folgeantrag vom 4. November 2019 begründete die Revisionswerberin insbesondere damit, dass sich ihr Ehemann B nunmehr in Österreich befinde und asylberechtigt sei. Das BVwG stellte im angefochtenen Erkenntnis die Asylberechtigung des B in Österreich seit dem Jahr 2016 auch fest. Schon darin ist eine wesentliche (nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens erfolgte) Sachverhaltsänderung zu erblicken, die einer Zurückweisung des Folgeantrags wegen entschiedener Sache grundsätzlich entgegensteht.

27       Die behauptete Sachverhaltsänderung ist auch asylrelevant, weil der Revisionswerberin als Ehefrau des B und somit als dessen Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 lit. b AsylG 2005 im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen sein könnte.

28       Wenn das BVwG dem neuen Sachverhalt ungeachtet dessen keine Relevanz beimaß, so nur deshalb, weil es anders als im ersten Asylverfahren die Ehe zwischen der Revisionswerberin und B in Zweifel zog. Dazu nahm das BVwG eine umfangreiche beweiswürdigende Beurteilung der entscheidungswesentlichen Tatsachen ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor, die sich nicht bloß auf eine Prüfung des „glaubhaften Kerns“ der behaupteten Sachverhaltsänderung beschränkte. Derartige Erwägungen hätten nicht im Rahmen einer Zulässigkeitsprüfung des Folgeantrags stattfinden dürfen, sondern sie hätten ein inhaltliches Asylverfahren vorausgesetzt, in dem die Beweisaufnahme unter Einhaltung der dafür vorgesehenen Verfahrensgarantien (etwa durch Einvernahme der Revisionswerberin und ihres potentiellen Ehemanns) zu erfolgen gehabt und die widersprechenden Beweisergebnisse zu würdigen gewesen wären.

29       Die angefochtene Entscheidung, mit der somit zu Unrecht die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Folgeantrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache abgewiesen wurde, war wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

30       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 17. Februar 2022

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Zurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020180127.L00

Im RIS seit

16.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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