TE Vfgh Erkenntnis 2021/3/10 E4501/2020

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Veröffentlicht am 10.03.2021
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG Art83 Abs2
GlücksspielG §52
VwGG §38a
Kundmachung der BM für EU und Verfassung gemäß §38a VwGG, BGBl I 55/2020
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Entscheidung eines Landesverwaltungsgerichts entgegen der Sperrwirkung eines vom Verwaltungsgerichtshof gefassten Beschlusses nach §38a VwGG

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Mit Straferkenntnis vom 6. Mai 2020 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck acht Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 10.000,– wegen Übertretung des §52 Abs1 Z1 viertes Tatbild iVm §52 Abs2 dritter Tatbestand GSpG gegen die Beschwerdeführerin.

2. Mit Erkenntnis vom 17. November 2020 setzte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die verhängten Geldstrafen auf jeweils € 3.000,– pro Glücksspielgerät herab und wies die Beschwerde gegen das Straferkenntnis im Übrigen als unbegründet ab. Nach Rechtsauffassung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich folge aus der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 12. September 2019, Rs C 64/18 ua, Maksimovic, im Hinblick auf die Bestimmung des §52 Abs2 GSpG, dass die Gesamthöhe der bei mehrfacher Tatbestandsverwirklichung festzusetzenden Einzelstrafen verhältnismäßig zu sein habe. Wenngleich sich das rechtswidrige Verhalten der Beschwerdeführerin auf acht Glücksspielgeräte erstreckte und somit von einer erheblichen Beeinträchtigung der durch §52 Abs1 Z1 GSpG geschützten Rechtsgüter auszugehen sei, erweise sich die seitens der Behörde verhängte Strafe von insgesamt € 80.000,– sowie die Ersatzfreiheitsstrafe von insgesamt 40 Tagen als unverhältnismäßig und sei – bei unionsrechtskonformer Auslegung der Strafbestimmungen des Glücksspielgesetzes – entsprechend herabzusetzen.

3. Gegen diese Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich richtet sich die vorliegende Beschwerde nach Art144 B-VG. Die Beschwerdeführerin behauptet die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG und Art2 StGG. Mit Beschluss vom 27. April 2020 habe der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art267 AEUV die Frage der Übertragbarkeit der Feststellung der Unionsrechtswidrigkeit im Urteil vom 12. September 2019, Rs C 64/18 ua, Maksimovic, auf Straftatbestände entsprechend dem §52 Abs1 Z1 GSpG zur Entscheidung vorgelegt. Weiters habe der Verwaltungsgerichtshof am 27. April 2020 einen Beschluss nach §38a VwGG unter anderem betreffend die Frage gefasst, ob §52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG gegen Unionsrecht verstoße. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes nach §38a VwGG sei am 30. Juni 2020 im Bundesgesetzblatt kundgemacht worden. Die angefochtene Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich sei somit entgegen der Sperrwirkung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes gemäß §38a Abs3 VwGG ergangen und verletze die Beschwerdeführerin in ihren Rechten nach Art7 B-VG und Art2 StGG.

4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich legte die Gerichtsakten vor und erstattete eine Gegenschrift. In seiner Gegenschrift bestreitet das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die Sperrwirkung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013, gemäß §38a Abs3 VwGG im Wesentlichen mit der Begründung, der Beschluss sei nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden. Die Kundmachung sei zum einen von einem unzuständigen Organ, nämlich von der Bundesministerin für EU und Verfassung anstelle des Bundeskanzlers, und zum anderen im nicht gesetzlich vorgesehenen "Publikationsmedium", nämlich im Bundesgesetzblatt Teil I anstelle des Bundesgesetzblattes Teil II, erfolgt.

Weiters erachtet das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013-7, in "materieller Hinsicht" für nichtig. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe die vom Verwaltungsgerichtshof zur Vorabentscheidung nach Art267 AEUV vorgelegten Fragen bereits im Urteil vom 12. September 2019, Rs C-64/18 ua, Maksimovic, umfassend geklärt. Die Annahme einer Sperrwirkung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013-7, würde eine unionsrechtswidrige Umgehung des Prinzips der autonomen Beurteilung der Unionsrechtskonformität des nationalen Rechts durch das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich bedeuten.

II. Erwägungen

1. Die vorliegende Beschwerde entspricht in allen entscheidungswesentlichen Belangen der dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3. März 2021, E4041/2020, zugrunde liegenden Beschwerde, die sich gegen eine gleichlautende Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich wendet.

2. Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, auf die Entscheidungsgründe seines am 3. März 2021 zu E4041/2021 gefällten Erkenntnisses hinzuweisen. Daraus ergibt sich auch für die vorliegende Beschwerde, dass das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die Entscheidung vom 17. November 2020 entgegen der Sperrwirkung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013-7, fasste: Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich traf nach Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes im Bundesgesetzblat I 55/2020 am 20. Juni 2020 eine die (Beschwerde-)Sache der Beschwerdeführerin erledigende Entscheidung, in der das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die im Punkt II des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020 genannten Rechtsvorschriften des §52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG anzuwenden und die in Punkt I des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020 genannten Rechtsfragen zu beurteilen hatte.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Verwaltungsgerichtshof, Kundmachung, Bindung (der Verwaltungsgerichte an VwGH), Glücksspiel, Verwaltungsstrafrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E4501.2020

Zuletzt aktualisiert am

15.03.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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