TE OGH 2021/12/16 5Ob74/21z

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Veröffentlicht am 16.12.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. S* M*, 2. G* M *, beide vertreten durch Mag. Vinzenz Fröhlich, Dr. Maria Christina Kolar-Syrmas, Dr. Armin Karisch, Rechtsanwälte in Graz, gegen die übrigen Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ * KG * als Antragsgegner, darunter 1. Mag. H* S*, vertreten durch Mag. Herbert Schaffler, Rechtsanwalt in Wien, 15. K* W*, 16. H* W*, wegen § 17 Abs 2 iVm § 52 Abs 1 Z 3 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Erstantragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 24. Februar 2021, GZ 5 R 176/20v-14, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Graz-West vom 11. August 2020, GZ 210 Msch 11/19b-10, bestätigt wurde, den

Sachbeschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Sachbeschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung lautet:

„Der Antrag, gemäß § 17 WEG 2002 eine Benutzungsvereinbarung des Inhalts zu erlassen, dass sämtliche Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ * KG * berechtigt sind, in der auf dieser Liegenschaft gelegenen Tiefgarage einspurige Fahrzeuge auf den im beiliegenden Plan (Beilage ./B), der einen integrierenden Bestandteil dieses Beschlusses darstellt, eingezeichneten Flächen nicht dauerhaft abzustellen, wird abgewiesen.

Die Antragsteller sind schuldig, dem Erstantragsgegner binnen 14 Tagen die mit 1.719,54 EUR (darin 286,59 EUR USt und 29,20 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, sowie die mit 548,16 EUR (darin 64,03 EUR USt und 164 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.“

Die Antragsteller sind schuldig, dem Erstantragsgegner binnen 14 Tagen die mit 706,40 EUR (darin 76,73 EUR USt und 246 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]       Die Parteien sind (bzw waren zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichts) die Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. In der Tiefgarage der Wohnungseigentumsanlage gibt es 37 PKW-Abstellplätze. Ausgewiesene Abstellplätze für Mopeds oder Motorräder gibt es auf der Liegenschaft nicht.

[2]       Die Antragsteller beantragten die „Erlassung einer Benützungsvereinbarung gemäß § 17 WEG“ des Inhalts, dass sämtliche Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft berechtigt sind, in der auf dieser Liegenschaft gelegenen Tiefgarage einspurige Fahrzeuge auf bestimmten, in einem beiliegenden Plan eingezeichneten Flächen nicht dauerhaft abzustellen.

[3]       Der Erstantragsgegner trat dem Antrag entgegen und wandte unter sehr viel anderem ein, es komme zu einer Substanzveränderung der Tiefgarage, welche der Einstimmigkeit bedürfe. Der 15. Antragsgegner sprach sich zunächst ebenfalls gegen eine Benützungsregelung aus. Unter anderem wandte er ein, bei einer Zunahme von einspurigen Kraftfahrzeugen sei nicht verständlich, wie jeder Wohnungseigentümer sein Recht ausüben soll. Gemeinsam mit der 16. Antragsgegnerin sprach er sich letztlich aber, falls eine Regelung erforderlich sein sollte, für ein Rotationssystem gegen Entgelt aus.

[4]       Das Erstgericht gab dem Antrag im Wesentlichen statt. Es traf folgende Benützungsregelung: „Sämtliche Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft [...] sind berechtigt, in der auf der Liegenschaft gelegenen Tiefgarage zum Verkehr zugelassene, einspurige Kraftfahrzeuge auf den im beiliegenden Plan (Beilage ./B) als 1, 3, 4, 5 und 6 (pink) gekennzeichneten Abstellflächen nicht dauerhaft abzustellen.“

[5]          Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Erstantragsgegners nicht Folge. Ausgehend von den (einzeln dargestellten) Grundsätzen der Rechtsprechung zur Benützungsregelung sei die Entscheidung des Erstgerichts nicht zu beanstanden. Der Inhalt der Regelung sei durchaus nachvollziehbar und solle ganz offensichtlich zum Ausdruck bringen, dass es sich um Abstellplätze handle, die nicht einem bestimmten Eigentümer in einer anderen ausschließenden Art und Weise dauerhaft zukommen sollten. Die Rekursbehauptungen zu einer Rechtsunsicherheit in diesem Zusammenhang seien nicht nachvollziehbar, weil es erfahrungsgemäß durchaus möglich sei, Parkflächen mehreren Nutzern zur Verfügung zu stellen, ohne gleichzeitig konkrete Zuweisungen einzelner Abstellplätze vorzunehmen. Die Rekursausführungen über das Bevorzugen einzelner Wohnungseigentümer berücksichtigten nicht den Umstand, dass es durch die vom Erstgericht vorgenommene Benützungsregelung gerade nicht zu einer Zuweisung von Abstellflächen an bestimmte Wohnungseigentümer komme.

[6]            Die Prämisse, dass es bei einer Benützungsregelung nach § 17 Abs 2 WEG zur rechtsgestaltenden Zuweisung ausschließlicher Benützungsrechte an Miteigentümer kommen müsse, stehe der Regelung durch das Erstgericht nicht entgegen. Es erfolge zwar keine Zuweisung von bestimmten Flächen an einzelne konkret genannte Wohnungseigentümer. Aus der ins Auge gefassten Regelung ergebe sich aber, dass die einzelnen Abstellplätze jeweils vorübergehend (nicht dauerhaft) nur einem Wohnungseigentümer zukommen sollen, nämlich demjenigen, von dem die Abstellfläche mangels Abstellung eines anderen Fahrzeugs gerade verwendet werden kann. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Zulässigkeit einerseits einer „Turnusregelung“ und andererseits einer Regelung, wonach Parkflächen ohne Unterteilung und Zuweisung bestimmter Parkplätze allen Miteigentümern zur Verfügung stehen.

[7]       Den Entscheidungsgegenstand bewertete das Rekursgericht mit 10.000 EUR übersteigend, den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es nicht zu.

[8]       Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Erstantragsgegners mit dem Antrag, die angefochtenen Entscheidungen abzuändern und den Antrag abzuweisen. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.

[9]       Die Antragsteller beantragen in der
ihnen freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben. Die übrigen Mit- und Wohnungseigentümer haben sich am Revisionsrekursverfahren – wie schon am Rekursverfahren – nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

[10]       Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Rechtsauffassung der Vorinstanzen korrekturbedürftig ist. Er ist demnach auch berechtigt.

[11]            1. Jeder Wohnungseigentümer kann eine gerichtliche Regelung über die Benützung der verfügbaren allgemeinen Teile der Liegenschaft oder die gerichtliche Abänderung einer bestehenden Regelung aus wichtigen Gründen beantragen (§ 17 Abs 2 WEG).

[12]       2. Allgemeine Teile der Liegenschaft stehen im ideellen Miteigentum aller Wohnungseigentümer. Nach allgemeinen Grundsätzen steht der Gebrauch einer im Miteigentum stehenden Sache jedem Teilhaber grundsätzlich soweit zu, als dadurch der konkrete Gebrauch der anderen nicht gestört wird. Zum Wesen einer Benützungsregelung gehört es daher, diese allgemeinen Gebrauchsbefugnisse eines Mit- und Wohnungseigentümers in Sondernutzungsrechte an bestimmten Teilen der gemeinsamen Sache umzugestalten (5 Ob 7/17s mwN).

[13]            3. Das Begehren der Antragsteller ist zwar nominell auf Erlassung einer Benützungsregelung gemäß § 17 Abs 2 WEG gerichtet. Die damit angestrebte Regelung soll aber nicht die Zuweisung von Sondernutzungsrechten beinhalten, sondern die Klarstellung oder Änderung der Nutzungswidmung bestimmter allgemeiner Teile. Die Antragsteller fordern weder für sich noch für andere Miteigentümer Sonderrechte durch Zuweisung ausschließlicher Benützungsrechte an den fraglichen Flächen ein. Ein solches Begehren, das auf eine gleichartige Nutzung von allgemeinen Teilen durch alle Mit- und Wohnungseigentümer gerichtet ist, widerspricht der Rechtsnatur einer Benützungsregelung nach § 17 Abs 2 WEG. Ein Begehren, das nicht auf die rechtsgestaltende Zuweisung ausschließlicher Benützungsrechte abzielt und daher den materiellen Erfordernissen einer Benützungsregelung nicht Rechnung trägt, ist von § 17 Abs 2 WEG nicht erfasst und abzuweisen (5 Ob 7/17s mwN).

[14]       4. Das Rekursgericht zitiert diese Grundsätze zwar, wendet sie dann aber nicht an. Es verweist vielmehr auf die Rechtsprechung („MietSlg 59.403, 63.465; RS0101498“), wonach es im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung auch dazu kommen könne, dass Parkflächen ohne Unterteilung und Zuweisung bestimmter Parkplätze allen Miteigentümern zur Verfügung stehen.

[15]     Diese Aussage findet sich in der Entscheidung 5 Ob 2017/96w, der Leitentscheidung zu RIS-Justiz RS0101498, sowie in den Entscheidungen 5 Ob 17/99g [implizit] und 5 Ob 69/06t. Sie bezieht sich aber in all diesen Fällen ausschließlich auf den nach Zuweisung ausschließlicher Benützungsrechte an bestimmte Wohnungseigentümer verbleibenden, keinem der Wohnungseigentümer zur Sondernutzung überlassenen Rest. Eine Benützungsregelung gemäß § 17 Abs 2 WEG kann demnach so aussehen, dass einem Wohnungseigentümer ein bestimmtes Areal zur Sondernutzung überlassen wird und der Rest, ohne Unterteilung und Zuweisung bestimmter Areale, allen übrigen Miteigentümern zur Verfügung steht.

[16]     Die weiteren vom Rekursgericht zitierten Entscheidungen 5 Ob 87/07s (MietSlg 59.403) und 5 Ob 69/11z (MietSlg 63.465) bejahen lediglich die Zulässigkeit einer Turnuslösung und enthalten nur Aussagen dazu. Eine solche Turnuslösung schafft aber ausschließliche Benützungsrechte, die zwar jeweils zeitlich befristet, aber von vornherein bestimmt sind. Das von den Vorinstanzen in eine Benützungsregelung gegossene „First come first serve“-Prinzip schafft hingegen keine solche bestimmten Sondernutzungsrechte, vielmehr entspricht dieses aus dem Blickwinkel der Art und Weise ihrer Ausübung den allgemeinen Gebrauchsbefugnissen eines Mit- und Wohnungseigentümers an allgemeinen Teilen. Was bei einer derartigen „Benützungsregelung“ neu festgelegt wird, das ist die erlaubte Nutzungsart. Eine derartige Umwidmung trägt den materiellen Erfordernissen einer Benützungsregelung nicht Rechnung (vgl 5 Ob 7/17s).

[17]            5. Der außerordentliche Revisionsrekurs ist daher berechtigt. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind in eine Abweisung des Antrags abzuändern.

[18]       Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG. Es entspricht der Billigkeit, dem im Revisionsrekursverfahren obsiegenden Erstantragsgegner Kostenersatz für das gesamte Verfahren zuzuerkennen. Zu berücksichtigen war, dass entgegen dessen Kostenverzeichnis der Streitgenossenzuschlag für seine Rechtsmittelschriften jeweils (nur) 1% beträgt, weil dem Erstantragsgegner in den Rechtsmittelverfahren lediglich zwei Antragsteller gegenüberstanden (vgl 5 Ob 6/18s mwN). Die Pauschalgebühr beträgt gemäß § 53 WEG iVm TP 12 lit c Z 6 GGG und TP 12a lit a und b GGG für das Rekursverfahren 164 EUR und für das Revisionsrekursverfahren 246 EUR.

Textnummer

E133960

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00074.21Z.1216.000

Im RIS seit

16.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

16.03.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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