TE Vwgh Erkenntnis 2022/1/31 Ra 2020/09/0011

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Veröffentlicht am 31.01.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz

Norm

AVG §7 Abs1 Z3
BDG 1979 §123 Abs2 idF 2011/I/140
BDG 1979 §94 Abs1 Z1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §24 Abs1
VwGVG 2014 §6
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Dr. Doblinger und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision der Prof. Mag. AB in C, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. Dezember 2019, W136 2224801-1/3E, betreffend Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach dem Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarkommission bei der Bildungsdirektion für Wien, Senat für Lehrer/Innen an allgemeinbildenden höheren Schulen [nunmehr: Bundesdisziplinarbehörde]; weitere Partei: Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung [nunmehr: Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport]), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die im Jahr 1960 geborene Revisionswerberin steht als Lehrerin an einem Bundesgymnasium und wirtschaftskundlichen Bundesrealgymnasium in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

2        Mit Bescheid der Bildungsdirektion für Wien (in der Folge: Dienstbehörde) vom 26. März 2019 wurde die Revisionswerberin wegen des Verdachts, erniedrigende, beleidigende und herabwürdigende Aussagen gegenüber Schülerinnen und Schülern getätigt zu haben, zunächst vorläufig vom Dienst suspendiert, nachdem bei der Dienstbehörde nach einem Fernsehauftritt des Bildungsdirektors von Wien im März 2019 im Zusammenhang mit Beschwerden von Eltern bei der Volksanwaltschaft rund 60 schriftliche Beschwerden über die Revisionswerberin von derzeitigen als auch ehemaligen Schülerinnen und Schülern oder deren Erziehungsberechtigten einlangten.

3        Mit dem Bescheid der Disziplinarkommission bei der Bildungsdirektion Wien, Senat für Lehrer/innen an allgemeinbildenden höheren Schulen (in der Folge: Disziplinarkommission) vom 21. Juni 2019 wurde die Revisionswerberin gemäß § 112 Abs. 1 Z 3 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979) vom Dienst suspendiert.

4        Die Dienstbehörde erstattete, nachdem sie eine Vielzahl von der Revisionswerberin unterrichteten Schülerinnen und Schülern der Schuljahre 2016/17 bis 2018/19, die Direktorin, Lehrerinnen und Lehrer sowie einen Unterrichtspraktikanten einvernommen und eine Stellungnahme von der zuständigen Schulaufsicht und der Schulpsychologie eingeholt hatte, mit Schreiben vom 4. Juli 2019 eine Disziplinaranzeige gegen die Revisionswerberin.

5        In der Folge wurde mit Bescheid der Disziplinarkommission vom 10. September 2019 gegen die Revisionswerberin ein Disziplinarverfahren eingeleitet.

6        Der Spruch lautete wie folgt (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):

„Gegen Sie bestehen die nachfolgenden Vorwürfe, Sie haben in Ihrer Tätigkeit als Professorin am Bundesgymnasium und wirtschaftskundlichen Bundesrealgymnasium mit Medienschwerpunkt in W (im Folgenden X),

1.   in den Schuljahren 2016/17 bis 2018/19 in Ausübung des Lehrberufes durch das Herbeiführen von Druck- und Angstsituationen bei Ihren Schülerinnen und Schülern wie etwa mittels einschüchternder Verhaltensweisen, das Unterbinden von Rückfragen bei Nichtverstehen des Lehrstoffes sowie durch Äußerungen beispielsweise ‚die AHS und die Matura ist nicht für jeden gedacht‘, ‚Mathematik muss geschafft werden‘, eine angsterfüllte Atmosphäre, Angstzustände und sonstige Beeinträchtigungen (insb. Schlafstörungen, Appetitmangel, Übergeben vor der Schularbeit) ausgelöst und somit einen dem Bildungsauftrag nicht entsprechenden Unterrichtsstil angewendet;

2.   sich in den Schuljahren 2016/17 bis 2018/19 gegenüber den von Ihnen zu unterrichtenden Schülerinnen und Schülern durch während des Unterrichts getätigte herabwürdigende, beleidigende und nicht wertschätzende Äußerungen und Verhaltensweisen, nämlich

nachdem ein Schüler Sie mit ‚Servus‘ angesprochen hatte, brüllten Sie ihn an und stellten klar, dass ‚Servus‘ Sklave bedeutet, und Sie forderten diesen Schüler auf sich verkehrt in eine Ecke zu stellen,

herabwürdigende Äußerungen wie ‚Ihr seid dumm und kindisch‘, ‚Ihr seid wie Bauern‘ (mit Hintergrund, dass Bauern nicht so gebildet seien), ‚Du wirst in deinem Leben keinen Erfolg haben.‘, ‚Also Josi, sind wir ehrlich, du kannst einfach nichts. Alles was du sagst ist falsch.‘ sowie ‚Du kannst nichts‘ (mit einem schadenfroh wirkenden Lächeln),

auf eine Note bezogene Frage beantwortete Sie mit: ‚Ich möchte mich mit solchen kindischen Fragen nicht auseinandersetzen. Ich bin die Lehrerin, du die Schülerin, du musst das akzeptieren‘,

Fragen stempelten Sie als lächerlich ab, worauf Schülerinnen und Schüler Angst hatten, von Ihnen bloßgestellt zu werden,

Sie erzeugten bei Schülerinnen und Schülern das Gefühl, dass sie für blöd gehalten werden,

Sie erweckten durch die sinngemäßen Äußerungen ‚Du passt hier nicht her, was machst du hier, wenn du es eh nicht verstehen willst‘, ‚Eine AHS muss eine AHS bleiben und mit diesen Schülerinnen und Schülern geht das nicht‘, und dass es besser wäre beim Billa zu arbeiten, den Eindruck, dass Sie die Schülerinnen und Schüler aussortieren wollen,

herabwürdigend, unangemessen und übergriffig verhalten,

3.   sich durch die diskriminierende und unpassende Aussage ‚Dann schafft ihr das auch nicht, so wie die zehn kleinen Negerlein‘, herabwürdigend und unangemessen verhalten sowie

4.   durch Mobbing bzw. durch Schikane die Schülerin AB im Schuljahr 2017/18, Schülerin einer damaligen achten Klasse, ab dem Zeitpunkt, in dem Ihnen bewusst wurde, dass sie die Schwester des wegen Ihnen die Schule X verlassenden Schülers CD war, sowie den Schüler EF im Schuljahr 2018/19, Schüler der Klasse 4D, aufgrund einer von seinem Vater in dessen Eigenschaft als Elternvertreter gegen Sie gerichteten Beschwerde, herabwürdigend behandelt.

Es besteht daher gegen Sie der Verdacht, durch die Ihnen unter Z 1 bis 4 vorgehaltenen Äußerungen und Verhaltensweisen, gegen die Ihnen durch § 43 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 211 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes (BDG 1979), § 17 des Schulunterrichtsgesetzes und § 2 des Schulorganisationsgesetzes auferlegte Verpflichtung, Ihre dienstlichen Aufgaben treu und gewissenhaft zu besorgen sowie in Ihrem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung Ihrer dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt, sowie durch die Ihnen unter Z 4 vorgehaltene Verhaltensweise zusätzlich gegen § 43a BDG 1979 im Zusammenhalt mit § 40a Abs. 13 des Vertragsbedienstetengesetzes verstoßen zu haben.“

7        Hinsichtlich des weiteren Vorwurfs in der Disziplinaranzeige, die Revisionswerberin habe nicht nachvollziehbare Leistungsbeurteilungen vorgenommen, stellte die Disziplinarkommission das Verfahren gemäß § 118 Abs. 1 Z 1 Beamtendienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979) ein.

8        In ihrer gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens erhobenen Beschwerde beantragte die Revisionswerberin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und machte unter anderem geltend, dass die Disziplinarkommission es unterlassen habe, die von ihr zur Frage der allfälligen Verjährung beantragten Zeugen einzuvernehmen. Bereits in einer Petition vom 25. April 2017 an die Dienstbehörde sei die Rede davon gewesen, dass Schüler eine Therapie benötigen würden. Auch in näher genannten Zeitungsartikeln aus dem Jahr 2017 seien die Vorwürfe betreffend Umgangston gegenüber Schülerinnen und Schüler bereits enthalten gewesen. Diese Vorwürfe seien auch in einer Besprechung am 9. September 2017 bei der Dienstbehörde thematisiert worden. Sowohl in der Beschwerde an die Volksanwaltschaft als auch in der gegen die Revisionswerberin gerichteten Petition sei darauf hingewiesen worden, dass die Dienstbehörde laufend über jegliches Verhalten der Revisionswerberin unterrichtet werde. Die Dienstbehörde habe über die erhobenen Vorwürfe bereits vor mehr als sechs Monaten Kenntnis gehabt. Sämtliche Vorwürfe seien daher bereits verjährt.

9        Mit Erkenntnis vom 20. Dezember 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

10       Dem legte das Bundesverwaltungsgericht folgende Feststellungen zugrunde:

„Es besteht der begründeten Verdacht, dass die BF seit dem Schuljahr 2016/17 die von der belangten Behörde im bekämpften Bescheid dargestellten Verhaltensweisen und Äußerungen gesetzt bzw. getätigt hat.“

Im Rahmen der beweiswürdigenden Erwägungen verwies das Bundesverwaltungsgericht darauf, dass sich dieser Sachverhalt, der den Verdacht von konkreten Dienstpflichtverletzungen durch die Revisionswerberin begründe, unmittelbar aus der vorliegenden Aktenlage ergebe, insbesondere aus den niederschriftlichen Aussagen von Schülern und Lehrern jener Schule, an der die Revisionswerberin unterrichte. Damit sei der Sachverhalt für das Verfahrensstadium des Einleitungsbeschlusses ausreichend geklärt. Es stehe auch unverwechselbar fest, welche konkreten Vorgänge den Gegenstand des Disziplinarverfahrens bilden würden. Die Revisionswerberin bestreite sämtliche Anlastungen und gebe an, dass es sich um eine gezielte Hetzkampagne gegen ihre Person handle. Dieses Vorbringen sei angesichts der Vielzahl von übereinstimmenden bzw. ähnlichen Angaben über den Unterricht bzw. das Verhalten der Revisionswerberin gegenüber Schülern nicht geeignet, den Verdacht von Dienstpflichtverletzungen zu beseitigen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit dem Verjährungseinwand im Wesentlichen begründend aus, der Beginn der Verjährungsfrist im Sinn des § 94 Abs. 1 Z 1 BDG 1979 werde nur durch ein „eindeutiges Wissen um konkrete Umstände, die eine Dienstpflichtverletzung darstellen würden“ ausgelöst. Selbst bei mehrmaligen Beschwerden von Eltern über den Unterricht einer Lehrerin könne jedoch ohne Hinzukommen besonderer Umstände nicht davon ausgegangen werden, dass damit die Dienstbehörde über Kenntnisse im zuvor zitierten Sinn verfügt habe. Auch der Umstand, dass einzelne Printmedien über die von den Eltern erhobenen Vorwürfe berichten, sei nicht geeignet, die Verjährungsfrist auszulösen, zumal die Revisionswerberin auch in der Vergangenheit, alle Vorwürfe als Hetzkampagne von Eltern leistungsschwacher oder unwilliger Schüler zurückgewiesen habe. Im Hinblick darauf, dass seit Jahren Beschwerden gegen die Revisionswerberin geführt würden, könne keineswegs mit Sicherheit angenommen werden, dass die im Jahr 2017 und 2018 erhobenen und somit der Bildungsdirektion bekannten Beschwerden genau jene Vorwürfe umfassen würden, die nunmehr angelastet werden.

Weiters verwies es darauf, dass der Spruch des Einleitungsbeschlusses entgegen dem Vorbringen der Revisionswerberin ausreichend konkret gefasst sei, weil das der Revisionswerberin angelastete Verhalten entsprechend näher zitierter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in groben Umrissen umschrieben werde.

Das Unterbleiben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass der für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des bekämpften Bescheides notwendige Sachverhalt problemlos den Akten zu entnehmen gewesen sei und einer weiteren Klärung in einer Verhandlung nicht bedurft habe. Im gegenständlichen Verfahren sei nicht zu prüfen, ob die Revisionswerberin tatsächlich Dienstpflichtverletzungen begangen habe, sondern ob hinreichende Verdachtsgründe für die Einleitung eines Disziplinverfahrens vorliegen würden. Im Übrigen habe sich die erkennende Richterin bereits in der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren betreffend die aufgrund des gleichen Sachverhaltes verfügte Suspendierung der Revisionswerberin einen persönlichen Eindruck von dieser verschaffen können.

11       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor. Revisionsbeantwortungen wurden in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12       Die Revisionswerberin macht in ihrem Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision unter anderem eine Befangenheit der erkennenden Richterin geltend. Diese habe gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, weil sie begründungslos von ihrer Zusage im Suspendierungsverfahren, den Verjährungseinwand im Verfahren über den Einleitungsbeschluss inhaltlich zu prüfen, abgegangen sei. Aufgrund der Vielzahl an übergangenen Beweisanträgen, den begründungslos ergangenen Erkenntnissen und der massiv vorgreifenden und antizipierenden Beweiswürdigung lägen mehrere konkrete Umstände für das Fehlen der Objektivität vor. Die Richterin habe - wenn auch außerhalb des Protokolls - angegeben, dass sie selber Probleme in Mathematik gehabt und auf Nachhilfe angewiesen gewesen sei. Ferner weiche das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Anforderungen an die Bestimmtheit des Spruches von Einleitungsbeschlüssen ab. Weiters rügt die Revisionswerberin das Unterbleiben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Im Übrigen macht die Revisionswerberin näher konkretisierte Verfahrensmängel geltend (Begründungsmängel, Aktenwidrigkeit sowie Ermittlungsmängel).

13       Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.

14       Nach § 123 Abs. 2 zweiter Satz Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979) in der Fassung nach der Dienstrechts-Novelle 2011, BGBl. I Nr. 140, sind im Einleitungsbeschluss die Anschuldigungspunkte bestimmt zu bezeichnen.

15       Der Verwaltungsgerichtshof vertritt dazu in ständiger Rechtsprechung nach der Rechtslage der Dienstrechts-Novelle 2011, wonach der Einleitungsbeschluss nunmehr auch die Funktion des entfallenden Verhandlungsbeschlusses erfüllt, die Auffassung, dass „die Anschuldigungspunkte bestimmt anzuführen“ heiße, dass im Spruch des Einleitungsbeschlusses auch der vom Beschuldigten gesetzte strafbare Sachverhalt darzustellen ist, wobei alle Umstände anzugeben sind, die zur Bezeichnung der strafbaren Handlung und zur Subsumtion unter einen bestimmten gesetzlichen Tatbestand notwendig sind. Insbesondere ist auch darzustellen, welche Dienstpflichten der Beschuldigte im Einzelnen durch welches Verhalten verletzt haben soll, also welchen gesetzlichen Bestimmungen der angeführte Sachverhalt zu unterstellen sein wird, wobei die endgültige rechtliche Subsumtion dem das Disziplinarverfahren beendenden Erkenntnis der Disziplinarkommission - die an die rechtliche Würdigung im Einleitungsbeschluss nicht gebunden ist - vorbehalten bleibt.

16       Gegenstand und Grundlage eines Disziplinarerkenntnisses dürfen nur die Anschuldigungspunkte sein, die im Einleitungsbeschluss als Dienstpflichtverletzungen zur Last gelegt wurden. Angesichts dieser Bedeutung des Einleitungsbeschlusses für den Gegenstand und die Entscheidungsgrundlagen des Disziplinarerkenntnisses kommt der „bestimmten“ Darstellung der Tatsachen, in denen eine Dienstpflichtverletzung erblickt wird, rechtserhebliche Bedeutung zu: Der vorgeworfene Sachverhalt muss der Eigenart der Dienstpflichtverletzung entsprechend substanziiert dargestellt sein, also schlüssig alle Einzelumstände enthalten, die Voraussetzung für die Annahme der Schuld und der Erfüllung des Tatbestandes der vorgeworfenen Dienstpflichtverletzung und für die Strafbemessung sind. Er muss eine so hinreichende Substanziierung enthalten, dass eine sachgerechte Verteidigung möglich und die - an den Inhalt und Umfang der Anschuldigung gebundene - Disziplinarkommission in der Lage ist, den in bestimmter Hinsicht erhobenen Vorwürfen nachzugehen, ohne genötigt zu sein, aus einem allgemeinen Sachverhalt das herauszufiltern, was als konkrete Verletzung der Dienstpflichten in Betracht kommt (vgl. zum Ganzen VwGH 17.2.2015, Ra 2014/09/0007, VwSlg. 19038 A; zum Einleitungsbeschluss nach dem gleichartigen § 48 Apothekerkammergesetz 2001 siehe 20.5.2020, Ra 2019/09/0011).

17       Die vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Auffassung, dass im Spruch des Einleitungsbeschlusses das dem Beschuldigten zur Last gelegte Verhalten, das als Dienstpflichtverletzung erachtet wird, nur in groben Umrissen zu umschreiben sei und die einzelnen Fakten nicht bestimmt, das heißt in den für eine Subsumtion relevanten Einzelheiten umschrieben werden müssen, entspricht der Judikatur zum Einleitungsbeschluss nach § 123 BDG 1979 in der Fassung vor der Dienstrechts-Novelle 2011, die weiterhin auf Disziplinarrechtssysteme Anwendung findet, die eine derartige bestimmte Anführung der Anschuldigungspunkte im Einleitungsbeschluss nicht vorgesehen und diese einem weiteren Verhandlungsbeschluss vorbehalten haben (vgl. dazu neuerlich VwGH 20.5.2020, Ra 2019/09/0011 unter Verweis auf 26.4.2016, Ra 2016/09/0043 sowie 18.12.2012, 2011/09/0124, jeweils mwN). Das Bundesverwaltungsgericht verkannte daher die im vorliegenden Revisionsfall oben wiedergegebene hier maßgebliche Rechtslage, wenn es sich bei der Beurteilung, ob der Spruch des Einleitungsbeschlusses den Anforderungen an seine Bestimmtheit entspreche, darauf stützte, dass das der Revisionswerberin angelastete Verhalten in groben Umrissen umschrieben sei, und belastete die Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Im fortgesetzten Verfahren wird vom Bundesverwaltungsgericht zu prüfen sein, ob der Spruch den dargestellten von der Judikatur zur hier maßgeblichen Rechtslage entwickelten Anforderungen an seine Bestimmtheit entspricht und allenfalls auch eine Präzisierung des Spruches vorzunehmen haben.

18       Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht nach § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß Abs. 4 kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

19       Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird durch einen rechtskräftig ergangenen und bezüglich der Vorwürfe ausreichend konkreten Einleitungsbeschluss - ungeachtet seiner allfälligen Fehlerhaftigkeit - die Verjährungsfrist im Disziplinarverfahren wirksam unterbrochen. Bereits bei Erlassung des durch ein ordentliches Rechtsmittel bekämpfbaren Einleitungsbeschlusses war die Frage der Verjährung zu beurteilen und kann daher nicht neuerlich aufgeworfen werden. Wenn demnach im Stadium der Entscheidung über die Einleitung oder Nichteinleitung eines Disziplinarverfahrens abschließend die Frage der Verjährung zu klären ist, kann sich vor diesem Hintergrund die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Ermittlung von diesbezüglich notwendigen Sachverhaltselementen nicht nur über Antrag, sondern auch von Amts wegen ergeben (vgl. jüngst VwGH 22.9.2021, Ra 2021/09/0146, mwN).

20       Die Revisionswerberin hat sowohl in ihrer Stellungnahme im Rahmen ihres rechtlichen Gehörs auf Übermittlung der Disziplinaranzeige als auch in ihrer Beschwerde eine allfällige Verjährungsproblematik im Hinblick auf § 94 Abs. 1 Z 1 BDG 1979 angesprochen. In diesem Zusammenhang wies sie unter anderem zusammengefasst in der Sache darauf hin, dass einzelne Vorwürfe bereits Inhalt einer Petition im Jahr 2017 und einer Besprechung bei der Dienstbehörde gewesen seien. Auch seien beispielsweise in der Beschwerde an die Volksanwaltschaft aus dem Sommer 2018 nunmehr inkriminierte Sachverhalte angeführt gewesen. Trotzdem hat das Bundesverwaltungsgericht keine mündliche Verhandlung durchgeführt und ohne sich mit dem Beschwerdevorbringen der Revisionswerberin näher auseinanderzusetzen pauschal lediglich darauf verwiesen, dass nicht mit Sicherheit angenommen werden könne, dass die im Jahr 2017 und 2018 erhobenen und somit der Bildungsdirektion bekannten Beschwerden genau jene Vorwürfe umfassen, die nunmehr angelastet würden. Der für die Frage der Verjährung maßgebliche Sachverhalt erscheint angesichts dieses Beschwerdevorbringens bloß aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde keineswegs als geklärt, weshalb das Verwaltungsgericht verhalten gewesen wäre, eine - von der Revisionswerberin auch ausdrücklich beantragte - mündliche Verhandlung durchzuführen, um eine umfassende mängelfreie Würdigung sämtlicher für die Verjährung relevanter Umstände, insbesondere wann der Dienstbehörde welche Tatvorwürfe bekannt geworden sind, vornehmen zu können. Durch das Absehen von der Verhandlung hat das Bundesverwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis somit auch mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

21       Soweit die Revisionswerberin eine Befangenheit der Richterin behauptet, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach jeder Vorwurf einer Befangenheit nach § 7 Abs. 1 Z 3 AVG konkrete Umstände aufzuzeigen hat, welche die Objektivität des Entscheidungsträgers in Frage stellen oder zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist. Nur eindeutige Hinweise, dass ein Entscheidungsträger seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit ist, können seine Unbefangenheit in Zweifel ziehen (vgl. VwGH 11.3.2021, Ra 2020/09/0017; 15.10.2020, Ro 2019/04/0021; 21.6.2017, Ra 2017/03/0016; 25.6.2009, 2007/07/0050, VwSlg. 17716 A). Für die Beurteilung, ob eine Befangenheit in diesem Sinne vorliegt, ist maßgebend, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln (vgl. etwa VwGH 18.2.2015, Ra 2014/03/0057). Der Vorwurf von Verfahrensfehlern bildet - ohne Hinzutreten weiterer begründeter Umstände - keinen Anlass, die Befangenheit des Richters anzunehmen (vgl. wiederum VwGH 11.3.2021, Ra 2020/09/0017, mwN). Insbesondere kann aus der bloßen Abweisung der von der revisionswerbenden Partei gestellten Beweisanträge eine Befangenheit nicht abgeleitet werden (vgl. VwGH 31.3.2016, Ro 2015/07/0038, mwN). Mit dem Verweis auf eine Vielzahl an Verfahrensmängel (zum Teil das Suspendierungsverfahren betreffend) wird eine Voreingenommenheit der in Rede stehenden Richterin nicht aufgezeigt. Die behauptete Bemerkung bloß zu eigenen Mathematikschwächen während der Schulzeit - außerhalb der Verhandlung - war aus Sicht eines objektiven Verfahrensteilnehmers nicht dazu angetan, begründete Zweifel an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung der Richterin hervorzurufen.

22       Das angefochtene Erkenntnis war schon aus dem Grund der dargestellten - vorrangig aufzugreifender - inhaltlichen Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

23       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 31. Jänner 2022

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Besondere Rechtsgebiete Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6 Verfahrensbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020090011.L00

Im RIS seit

14.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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