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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr.in Gröger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der S K, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Juni 2021, W259 2224040-1/22E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin ist Staatsangehörige des Iran und Kurdin. Sie stellte am 14. Februar 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Zur Begründung brachte sie vor, dass sie aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Arbeiterkommunistischen Partei (API) und ihres Einsatzes für Frauen- und Menschenrechte verfolgt worden sei. Sie sei außerdem Atheistin. Im Fall ihrer Rückkehr in den Iran würde ihr drohen, aufgrund ihrer politischen Tätigkeit im Iran, aber auch wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit in Österreich, verhaftet zu werden.
2 Mit Bescheid vom 29. August 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag der Revisionswerberin zur Gänze ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin in den Iran zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
Begründend führte das BVwG aus, es sei aus näher dargestellten Gründen nicht glaubhaft, dass die Revisionswerberin sich bereits im Iran politisch betätigt habe. In Österreich sei sie nach ihrer Einreise Mitglied der API geworden und habe im Jahr 2019 und einmal im Jahr 2021 an politischen Veranstaltungen teilgenommen. Eine Verfolgung durch iranische Behörden wegen ihrer exilpolitischen Aktivitäten drohe im Fall einer Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit; ebensowenig drohe ihr Verfolgung wegen ihrer Abkehr vom islamischen Glauben.
3 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit und in der Sache unter anderem vorgebracht wird, das BVwG habe einschlägige Länderberichte zum Iran, aus denen sich ergeben hätte, dass die Revisionswerberin wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit bei Rückkehr vom iranischen Regime ausgeforscht und verfolgt werden würde, unberücksichtigt gelassen. Es habe bei seiner Beweiswürdigung auch außer Acht gelassen, dass die konstatierten Unstimmigkeiten im Aussageverhalten auf die psychische Erkrankung der Revisionswerberin zurückgeführt werden könnten. Die Beweiswürdigung sei auch aus anderen Gründen unvertretbar, etwa, weil das BVwG seine eigenen Feststellungen zur Bedrohung von politisch aktiven Personen nicht beachtet habe.
4 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet.
7 Das BVwG erachtet das Fluchtvorbringen der Revisionswerberin zu ihren politischen Aktivitäten im Iran für nicht glaubhaft. Es stellt aber fest, dass die Revisionswerberin in Österreich Mitglied der Arbeiterkommunistischen Partei Irans (API) geworden sei und an einigen exilpolitischen Aktivitäten teilgenommen habe. Trotzdem vermeint das BVwG, eine Rückkehrgefährdung für die Revisionswerberin verneinen zu können. Es sei zwar zuzugestehen, dass die Revisionswerberin auch auf der Homepage der API auf einer Fotografie abgebildet und im persischsprachigen Fernsehsender der BBC gezeigt worden sei, jedoch sei die Revisionswerberin nicht namentlich genannt worden und dadurch besonders in Erscheinung getreten. Eine besonders exponierte Stellung als politische Aktivistin in Österreich oder im Iran habe sie nicht schlüssig dargestellt. Lediglich der Umstand, dass sie in Österreich Mitglied der API sei, ohne eine exponierte Rolle in dieser Partei zu haben, vermöge für sich allein betrachtet jedenfalls nicht eine konkrete Verfolgungs- bzw. Bedrohungssituation der Revisionswerberin im Fall einer Rückkehr in den Iran zu begründen.
8 Zu Recht macht die Revision geltend, dass sich diese Einschätzung nicht ohne Weiteres nachvollziehen lässt.
In den Länderfeststellungen des angefochtenen Erkenntnisses findet sich keine ausdrückliche Bezugnahme auf die API. Es wird auch nicht näher dargestellt, wie Aktivisten dieser Partei - sei es in exponierter oder in untergeordneter Rolle - von den Sicherheitsbehörden im Iran behandelt werden. Dementsprechend fehlen im angefochtenen Erkenntnis auch ausreichende Feststellungen, die eine abschließende Beurteilung der Rückkehrgefährdung ermöglichen.
Soweit es sich bei der API, wie die Revision geltend macht, um eine Abspaltung der Komala(h)-Partei (Kurdistan Organization of the Communist Party of Iran, Komala, SKHKI) handeln sollte, die in den Länderfeststellungen des angefochtenen Erkenntnisses erwähnt wird, ist darauf hinzuweisen, dass nach diesen Feststellungen die Mitgliedschaft in kurdischen Parteien illegal ist und streng bestraft wird. Auffallend seien häufige Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen im Zusammenhang mit der Unterstützung der kommunistischen Komala-Partei und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß.
Das BVwG hat seine Einschätzung, der Revisionswerberin drohe trotz Mitgliedschaft in der API und exilpolitischen Aktivitäten, bei denen sie sogar fotografiert und auf der Webseite der API bzw. im persischsprachigen Fernsehen der BBC gezeigt worden sei, keine Rückkehrgefahr, insbesondere nicht zu diesen angesprochenen Länderfeststellungen in Bezug gesetzt.
9 Die Begründung des BVwG zur mangelnden Verfolgungsgefahr ist somit insgesamt nicht nachvollziehbar und entspricht schon deshalb nicht den Anforderungen an die Begründungspflicht von verwaltungsgerichtlichen Erkenntnissen.
10 Aus den dargelegten Erwägungen war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
11 Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abzusehen.
12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 3. Februar 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021180285.L00Im RIS seit
14.03.2022Zuletzt aktualisiert am
14.03.2022