TE Vwgh Beschluss 2022/2/3 Ra 2020/17/0081

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Veröffentlicht am 03.02.2022
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Index

E1P
E6J
E6O
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art6
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §44 Abs5
VwGVG 2014 §48
VwGVG 2014 §48 Abs1
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
62009CJ0347 Dickinger und Ömer VORAB
62012CJ0390 Pfleger VORAB
62015CJ0464 Admiral Casinos Entertainment VORAB
62017CJ0003 Sporting Odds VORAB
62017CO0079 Gmalieva VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner sowie den Hofrat Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der P Kft., vertreten durch Mag. Rainer Hochstöger, MBA, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 20. April 2020, 1. LVwG 34.9-1782/2019-12 und 2. LVwG 34.9-1783/2019-13, betreffend Beschlagnahme nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die revisionswerbende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 10. Mai 2019 ordnete die belangte Behörde gemäß § 53 Abs. 1 Z 1 lit. a Glücksspielgesetz - GSpG die Beschlagnahme von sechs näher bezeichneten Glücksspielgeräten und zwei Cash-Centern an.

2        Dagegen erhoben sowohl die I Kft. als auch die revisionswerbende Partei jeweils Beschwerde.

3        Das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) führte eine gemeinsame mündliche Verhandlung durch, bei der für die revisionswerbende Partei kein Vertreter erschien.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis entschied das LVwG über beide Beschwerden. In Teil 1.) dieser Erledigung wies es die Beschwerde der I Kft. als unbegründet ab (Spruchpunkt I.) und sprach aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei (Spruchpunkt II.).

5        In Teil 2.) dieser Erledigung wies das LVwG die Beschwerde der revisionswerbenden Partei als unbegründet ab (Spruchpunkt I.) und sprach aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei (Spruchpunkt II.).

6        Die vorliegende außerordentliche Revision richtet sich gegen „das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 20.04.2020, [...] GZ: LVwG 34.9-1782/2019-12, GZ: LVwG 34.9-1783/2019-13“, somit auch gegen Teil 1.) im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses.

7        Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte Aufwandersatz.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zu fassen (§ 34 Abs. 3 VwGG).

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision - gesondert - vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die revisionswerbende Partei durch die Abweisung der Beschwerde der I Kft (Teil 1.) im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses) nicht in ihren Rechten verletzt sein kann, sodass die Revision insofern zurückzuweisen ist.

12       Zur Zulässigkeit ihrer Revision bringt die revisionswerbende Partei zunächst vor, es liege ein Verstoß gegen die ständige Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) zur dynamischen Kohärenzprüfung vor. Das LVwG habe im Hinblick auf die amtswegige Beurteilung der Unionsrechtskonformität des GSpG lediglich Unterlagen aus dem Zeitraum 2010 bis 2016 zu Grunde gelegt, die vom Revisionswerber vorgelegten Unterlagen seien unberücksichtigt geblieben.

13       Dazu ist auszuführen, dass die Anforderungen an eine Prüfung der Unionsrechtskonformität im Zusammenhang mit einer Monopolregelung im Glücksspielsektor durch die nationalen Gerichte geklärt sind (vgl. EuGH 15.9.2011, Dickinger und Ömer, C-347/09, Rn. 83 f; 30.4.2014, Pfleger, C-390/12, Rn. 47 ff; 30.6.2016, Admiral Casinos & Entertainment AG, C-464/15, Rn. 31, 35 ff; 28.2.2018, Sporting Odds Ltd., C-3/17, Rn. 28, 62 ff; sowie 6.9.2018, Gmalieva s.r.o. u.a., C-79/17, Rn. 22 ff). Diesen Anforderungen ist der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 16. März 2016, Ro 2015/17/0022, durch die Durchführung der nach der Rechtsprechung des EuGH erforderlichen Gesamtwürdigung nachgekommen. Der Verwaltungsgerichtshof hat an dieser Gesamtwürdigung mit Erkenntnis vom 11. Juli 2018, Ra 2018/17/0048, 0049, mit näherer Begründung festgehalten. Von dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht im Revisionsfall nicht abgewichen. Entgegen dem weiteren Vorbringen steht die angefochtene Entscheidung daher nicht im Widerspruch zum Urteil des EuGH vom 30. April 2014, Pfleger, C-390/12. Darüber hinaus wird die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht näher dargelegt (vgl. VwGH 15.9.2021, Ra 2020/17/0100).

14       Die revisionswerbende Partei bringt zur Zulässigkeit der Revision überdies vor, es dürfe gemäß § 48 VwGVG nur auf das Rücksicht genommen werden, was in der Verhandlung vorgekommen sei; auf Aktenstücke sei nur insoweit Rücksicht zu nehmen, als sie verlesen worden seien. Das LVwG habe bei der vor ihm durchgeführten mündlichen Verhandlung „den Akteninhalt“ nicht verlesen. Bei der Fällung des Erkenntnisses hätte das LVwG daher nur auf die Zeugenaussagen in der Verhandlung Rücksicht nehmen dürfen. Keiner der Zeugen habe jedoch Angaben zum Spielablauf tätigen können.

15       Gemäß § 48 Abs. 1 VwGVG ist, wenn eine Verhandlung durchgeführt wurde, bei der Fällung des Erkenntnisses nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in dieser Verhandlung vorgekommen ist. Auf Aktenstücke ist nur insoweit Rücksicht zu nehmen, als sie in der Verhandlung verlesen wurden, es sei denn, der Beschuldigte hätte darauf verzichtet, oder als es sich um Beweiserhebungen handelt, deren Erörterung infolge des Verzichts auf eine fortgesetzte Verhandlung gemäß § 44 Abs. 5 VwGVG entfallen ist.

16       § 48 VwGVG legt die Geltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im Verwaltungsstrafverfahren fest, der für den Beschuldigten an Art. 6 EMRK zu messen ist. Demnach darf das Verwaltungsgericht, soweit es eine Verhandlung durchführt, bei seiner Entscheidung nur auf die in der Verhandlung selbst vorgekommenen Beweise Rücksicht nehmen.

17       Mit dem oben wiedergegebenen Zulässigkeitsvorbringen macht die revisionswerbende Partei einen Verfahrensmangel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulässigkeitsgrund ins Treffen geführt, so muss darüber hinaus bereits in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz des jeweiligen Verfahrensmangels dargetan und somit dargelegt werden, weshalb bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die revisionswerbende Partei günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa VwGH 7.7.2021, Ra 2020/17/0078, mwN).

18       Eine ausreichende Relevanzdarstellung enthält die Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision nicht. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, welche konkreten Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis als unrichtig bestritten werden und nicht hätten getroffen werden dürfen und welche anderen Feststellungen hätten getroffen werden müssen. Abgesehen davon haben die revisionswerbende Partei und ihr Rechtsvertreter trotz gehöriger Ladung und ohne Geltendmachung eines Grundes, der es für das LVwG erforderlich gemacht hätte, die von ihr beantragte mündliche Verhandlung zu vertagen, diese unbesucht gelassen und damit die ihr eingeräumte Möglichkeit zur mündlichen Erörterung der Rechtssache nicht wahrgenommen. Mit diesem Verhalten hat die revisionswerbende Partei zu erkennen gegeben, dass sie von dem von einem Verhandlungsantrag umfassten Begehren, die Argumente zur Verteidigung gegen den erhobenen strafrechtlichen Vorwurf mündlich vorzutragen und die Erhebungsergebnisse mündlich zu erörtern, Abstand nimmt, womit sie in konkludenter Weise auf die Verlesung der Verfahrensakten oder Aktenstücke im Sinne des § 48 Abs. 1 VwGVG verzichtet hat. Wenn daher die Verlesung von Verfahrensakten in der Verhandlung am 3. Dezember 2019 unterblieben ist, so ist nicht zu erkennen, dass die revisionswerbende Partei dadurch unzulässigerweise in der Wahrnehmung ihrer Verteidigungsrechte unter dem Blickwinkel des Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) beeinträchtigt worden wäre (vgl. wieder VwGH 7.7.2021, Ra 2020/17/0078, mwN, zu einem gleich gelagerten Fall). Derartiges legt die Revision auch nicht dar.

19       Mit ihrem in Bezug auf § 48 VwGVG erstatteten Zulässigkeitsvorbringen zeigt die Revision daher auch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.

20       In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

21       Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

22       Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

23       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 3. Februar 2022

Gerichtsentscheidung

EuGH 62009CJ0347 Dickinger und Ömer VORAB
EuGH 62012CJ0390 Pfleger VORAB
EuGH 62015CJ0464 Admiral Casinos Entertainment VORAB
EuGH 62017CJ0003 Sporting Odds VORAB
EuGH 62017CO0079 Gmalieva VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020170081.L00

Im RIS seit

14.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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