TE Vwgh Beschluss 2022/2/8 Ra 2021/22/0190

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Veröffentlicht am 08.02.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §46
B-VG Art133 Abs4
NAG 2005 §21a Abs4 Z2
NAG 2005 §46 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache der Z R, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 13. April 2021, LVwG 26.7-35/2021-11, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Steiermark), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1.1. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde (im Folgenden: Behörde) wies mit Bescheid vom 13. Oktober 2020 den Erstantrag der Revisionswerberin, einer nordmazedonischen Staatsangehörigen, vom 20. Februar 2020 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) mangels Nachweis von Deutschkenntnissen gemäß § 21a NAG ab.

Die Behörde führte begründend aus, die Revisionswerberin habe vorgebracht, dass sie aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht in der Lage sei, einen Deutschkurs zu absolvieren. Die Behörde habe daher ein amtsärztliches Gutachten (vom 26. August 2020) eingeholt, dem zufolge die Revisionswerberin zur Absolvierung eines Alphabetisierungskurses und in der Folge eines Deutschkurses auf dem Niveau A1 als geeignet erscheine. Dessen ungeachtet habe die Revisionswerberin einen entsprechenden Nachweis von Deutschkenntnissen nicht erbracht und somit die Erteilungsvoraussetzung des § 21a NAG nicht erfüllt.

1.2. Die Revisionswerberin erhob gegen den Bescheid Beschwerde mit dem wesentlichen Vorbringen, sie sei Analphabetin und daher nicht in der Lage, ein Sprachdiplom zu erlangen. Das von der Behörde eingeholte Gutachten sei mangelhaft, weil die Amtsärztin „keine medizinische Sachverständige“ sei; zudem seien die gutachterlichen Ausführungen in sich widersprüchlich und nicht schlüssig nachvollziehbar. Richtiger Weise wäre kein Amtsarzt, sondern ein medizinischer bzw. psychiatrischer Sachverständiger beizuziehen gewesen.

1.3. Das Verwaltungsgericht führte eine mündliche Verhandlung durch, in der die Amtsärztin ihr Gutachten erläuterte und im Wesentlichen bestätigte.

Die Revisionswerberin brachte in der mündlichen Verhandlung weiters vor, sie sei „psychisch in Mitleidenschaft geraten“, weise „eine Angstsymptomatik auf“ bzw. sei „traumatisiert“ und „leide an Vergesslichkeit“. Auch im Hinblick darauf sei ein psychiatrischer Sachverständiger beizuziehen, zumal die Amtsärztin nicht in der Lage (gewesen) sei, „die Psyche“ der Revisionswerberin „entsprechend zu diagnostizieren“ und verlässliche Schlüsse zu ziehen, inwieweit sie einen Deutschkurs absolvieren könne.

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 13. April 2021 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab.

Das Verwaltungsgericht traf Feststellungen zu den persönlichen und familiären Verhältnissen der Revisionswerberin sowie zu den Hintergründen der gegenständlichen Antragstellung. In Bezug auf den erforderlichen Nachweis von Deutschkenntnissen hielt es fest, die Revisionswerberin habe im Herkunftsland keine Schule besucht und könne weder lesen noch schreiben, sie spreche keinerlei Deutsch und bezeichne sich auch in ihrer Muttersprache als Analphabetin. Das Verwaltungsgericht gab ferner das amtsärztliche Gutachten wieder, dem zufolge die Revisionswerberin aufgrund ihres physischen und psychischen Gesundheitszustands zur Absolvierung eines Alphabetisierungskurses und folglich eines Deutschkurses auf dem Niveau A1 als geeignet erscheine.

In der Beweiswürdigung hielt das Verwaltungsgericht fest, es bestehe keinerlei Grund, das amtsärztliche Gutachten in Zweifel zu ziehen. Die Sachverständige habe nachvollziehbar und zweifelsfrei dargelegt, dass die Revisionswerberin zur Absolvierung eines Alphabetisierungskurses und folglich eines Deutschkurses auf dem Niveau A1 als geeignet erscheine. Die Revisionswerberin habe in der mündlichen Verhandlung den Eindruck erweckt, gar nicht willens zu sein, die deutsche Sprache zu erlernen, sie stehe vielmehr auf dem Standpunkt, dass sie Deutsch nicht zu lernen brauche, weil sie ohnehin durch ihre Familie versorgt sei. Die Beiziehung eines psychiatrischen Sachverständigen sei im Hinblick auf das amtsärztliche Gutachten verzichtbar.

Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, gemäß § 21a Abs. 4 Z 2 NAG hätten Drittstaatsangehörige, denen aufgrund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustands der Nachweis der erforderlichen Deutschkenntnisse nicht zumutbar sei, einen solchen nicht zu erbringen. Der Drittstaatsangehörige habe dies durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen. Gegenständlich sei die Revisionswerberin jedoch nach dem eingeholten amtsärztlichen Gutachten physisch und psychisch in der Lage, einen Alphabetisierungskurs und in weiterer Folge einen Deutschkurs zu absolvieren.

2.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision mangels Vorliegen einer Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die - nach Ablehnung der Behandlung und Abtretung der zunächst erhobenen Verfassungsgerichtshofbeschwerde (VfGH 24.6.2021, E 2147/2021-5) ausgeführte - außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung die Revisionswerberin ein Abweichen von der Rechtsprechung in den nachfolgend näher erörterten Punkten behauptet. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird dabei jedoch nicht aufgezeigt.

4. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

5.1. Die Revisionswerberin macht einerseits geltend, das Verwaltungsgericht habe den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision lediglich unter sinngemäßer Wiedergabe des Art. 133 Abs. 4 B-VG begründet. Eine solche Begründung werde den Anforderungen nicht gerecht, dürfe sie doch nicht so kurz und inhaltsleer sein, dass die Parteien die Erfolgsaussichten einer Revision nicht beurteilen könnten.

5.2. Dieses Vorbringen ist nicht zielführend, wozu des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG auf die Begründung im Beschluss VwGH 14.4.2021, Ra 2020/22/0257, Pkt. 3, verwiesen werden kann.

6.1. Die Revisionswerberin bemängelt andererseits, das Verwaltungsgericht habe ihrem Antrag auf Beiziehung eines psychiatrischen Sachverständigen nicht entsprochen. Die Amtsärztin sei nicht in der Lage gewesen, die psychische Erkrankung der Revisionswerberin festzustellen bzw. entsprechende Schlüsse zu ziehen, inwieweit diese zum Nachweis von Deutschkenntnissen imstande sei.

6.2. Gemäß § 21a Abs. 4 Z 2 NAG haben Drittstaatsangehörige durch ein amtsärztliches Gutachten oder ein Gutachten eines Vertrauensarztes einer österreichischen Berufsvertretungsbehörde nachzuweisen, dass ihnen auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustands der Nachweis der erforderlichen Deutschkenntnisse nicht zugemutet werden kann.

Demnach hat die Beurteilung des Vorliegens eines vom Drittstaatsangehörigen zu behauptenden und nachzuweisenden Unzumutbarkeitsgrundes im Sinn des § 21a Abs. 4 Z 2 NAG auf Basis eines entsprechenden ärztlichen Gutachtens (unter anderem eines Amtsarztes) zu erfolgen (vgl. VwGH 27.7.2017, Ra 2016/22/0066, Pkt. 4.2.).

Im Hinblick darauf ist das Vorgehen der Behörde und des Verwaltungsgerichts, aufgrund des Vorbringens der Revisionswerberin, dass sie aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht in der Lage sei, einen Deutschkurs zu absolvieren, ein amtsärztliches Gutachten einzuholen, nicht zu beanstanden.

6.3. Der Argumentation der Revisionswerberin, die Amtsärztin sei nicht in der Lage gewesen, die behauptete psychische Erkrankung festzustellen und entsprechende Schlüsse zu ziehen, kann nicht gefolgt werden.

Der Gesetzgeber hat bereits durch die Anordnung einer Prüfung auf Basis eines Gutachtens unter anderem eines Amtsarztes in § 21a Abs. 4 Z 2 NAG implizit zum Ausdruck gebracht, dass ein solcher Arzt - allenfalls unter Heranziehung einer ergänzenden fachlichen Expertise (etwa Beischaffung von fachärztlichen Befunden bzw. Stellungnahmen) - grundsätzlich zu einer solchen Begutachtung in der Lage ist.

6.4. Im Übrigen ist zu entgegnen, dass die Revisionswerberin die Unzumutbarkeit der Erlangung von Deutschkenntnissen vorrangig mit ihrem Analphabetismus begründete. Warum die Amtsärztin dazu nicht habe Stellung nehmen können, ist nicht ersichtlich. Das dann erst in der Beschwerdeverhandlung erstattete Vorbringen zu einer psychischen Erkrankung der Revisionswerberin war aber nur allgemein gehalten und nicht näher substantiiert. Schon deshalb war es jedenfalls nicht unvertretbar, von der Einholung des beantragten psychiatrischen Gutachtens abzusehen.

7. Insgesamt wird daher in der - für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 23.1.2020, Ra 2017/22/0096) - kein als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzugreifender Fehler aufgezeigt. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 8. Februar 2022

Schlagworte

Beweismittel Sachverständigenbeweis Beweismittel Sachverständigengutachten Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweislast Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021220190.L00

Im RIS seit

14.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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