TE Vwgh Beschluss 2022/2/14 Ra 2021/21/0216

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Veröffentlicht am 14.02.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §114 Abs1
FrPolG 2005 §114 Abs3 Z1
FrPolG 2005 §114 Abs3 Z2
FrPolG 2005 §114 Abs4
FrPolG 2005 §67 Abs1
FrPolG 2005 §67 Abs3
FrPolG 2005 §70 Abs3
SMG 1997 §28a Abs1
SMG 1997 §28a Abs4 Z3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des W J B, vertreten durch Dr. Klaus Schimik, Rechtsanwalt in 1180 Wien, Anastasius Grün-Gasse 23/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. Mai 2021, L508 2161111-2/4E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der 1987 geborene Revisionswerber, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise im September 2010 einen Antrag auf internationalen Schutz, der - in Verbindung mit einer Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan - im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 6. November 2013 vollinhaltlich abgewiesen wurde. Infolge seiner im Februar 2014 vorgenommenen Eheschließung mit einer rumänischen Staatsangehörigen wurde dem Revisionswerber im November 2014 eine Aufenthaltskarte als Angehöriger dieser EWR-Bürgerin ausgestellt, die bis November 2019 gültig war und deren Verlängerung der Revisionswerber rechtzeitig beantragte.

2        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 31. August 2016 war der Revisionswerber wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs. 1, Abs. 3 Z 1 und 2 sowie Abs. 4 erster Fall FPG, des als Beteiligter begangenen Verbrechens des versuchten Suchtgifthandels nach §§ 15, 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall und Abs. 4 Z 3 SMG sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB letztlich zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten verurteilt worden. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe zu näher genannten Zeiten im August 2015 und Februar 2016 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit weiteren Tätern als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung gewerbsmäßig die rechtswidrige Einreise einer größeren Zahl von Fremden von Ungarn (teilweise über die Slowakei) nach Österreich mit Bereicherungsvorsatz gefördert. Dabei sei der Revisionswerber als Organisator und als Auftraggeber für zwei weitere Täter und teilweise auch als Mitfahrer im Vorausfahrzeug tätig gewesen. Weiters habe sich der Revisionswerber ab dem 4. Jänner 2016 am Versuch eines unbekannt gebliebenen Täters in Pakistan beteiligt, Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich 520 Gramm Heroin, via eines Versanddienstes aus Pakistan nach Österreich einzuführen, indem er sich bereit erklärt habe, dieses Paket entgegenzunehmen, sich zur Übernahme bereit gehalten und bei DHL wegen der Zustellung des Paketes interveniert habe. Schließlich habe der Revisionswerber am 11. Oktober 2015 eine andere Person vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihr mit einer abgebrochenen Bierflasche zunächst einen Stoß gegen die rechte Körperseite versetzt habe, wodurch die Person eine Prellung des Brustkorbes erlitten habe, und ihr sodann zwei Schnitte im Bereich des linken Knies zugefügt habe.

3        Im Hinblick darauf erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) - im zweiten Rechtsgang - gegen den Revisionswerber mit Bescheid vom 28. Oktober 2020 gemäß § 67 Abs. 1 und 3 FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot und erteilte ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.

4        Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 26. Mai 2021 insofern statt, als es die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf sechs Jahre herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - nach Ablehnung der Behandlung einer zunächst erhobenen Verfassungsgerichtshofsbeschwerde und ihrer Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof (VfGH 29.9.2021, E 2608/2021-7) - fristgerecht ausgeführte außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.

6        Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

8        Unter diesem Gesichtspunkt macht der Revisionswerber geltend, dass das BVwG einerseits sein Wohlverhalten seit der Haftentlassung (im September 2019) und andererseits sein Privat- und Familienleben in Österreich nicht ausreichend berücksichtigt sowie zu Unrecht von der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung und von der Aufnahme beantragter Beweismittel, insbesondere der Einvernahme näher genannter Zeugen, abgesehen habe.

9        Dazu ist vorauszuschicken, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage beruht und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgt ist - nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG ist. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (vgl. etwa VwGH 5.8.2021, Ra 2021/21/0188, Rn. 9, mwN).

10       Im Zuge der für das Aufenthaltsverbot anzustellenden Gefährdungsprognose setzte sich das BVwG ausreichend mit den konkreten Umständen des strafrechtlichen Fehlverhaltens des Revisionswerbers und zu seinen Gunsten auch mit den vom Strafgericht herangezogenen Milderungsgründen auseinander. Dabei gelangte es zum Ergebnis, dass angesichts der Gravidität der Straftaten, der dem Revisionswerber zur Last gelegten Gewerbsmäßigkeit und der teilweisen Tatbegehung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib des Revisionswerbers im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet sei, womit das BVwG offenbar auf den Gefährdungsmaßstab nach dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG abstellen wollte. Mit Rücksicht auf die Schwere der verübten Verbrechen und die bei der Suchtgiftdelinquenz erfahrungsgemäß hohe Wiederholungsgefahr und vor dem Hintergrund der schlechten wirtschaftlichen Situation des Revisionswerbers (offener Abgaben- bzw. Beitragsrückstand in Höhe von € 50.000,--; aktuelles monatliches Nettoeinkommen in Höhe von € 1.200,--) ging das BVwG überdies nicht von einem Wegfall oder einer entscheidungserheblichen Minderung der vom Revisionswerber ausgehenden Gefahr aus. Hierfür erachtete es auch den Zeitraum des Wohlverhaltens seit der Haftentlassung im September 2019 als zu kurz, wobei es in diesem Zusammenhang auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verwies, wonach der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat. Deshalb erachtete das BVwG auch die Befragung eines in der Beschwerde als Zeugen namhaft gemachten Justizwachebeamten zum Verhalten des Revisionswerbers während des Strafvollzugs für entbehrlich.

11       Diese insgesamt zutreffende Auffassung ist - entgegen der Meinung in der Revision - vom Verwaltungsgerichtshof nicht zu beanstanden, wobei im Übrigen im Hinblick auf die Erlangung der Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger erst im Jahr 2014 und der durchgehenden Anhaltung in Gerichtshaft von Februar 2016 bis September 2019 fraglich ist, ob der Revisionswerber überhaupt ein Daueraufenthaltsrecht erworben hat; ein für die Anwendung des fünften Satzes des § 67 Abs. 1 FPG erforderlicher durchgehender rechtmäßiger Aufenthalt als begünstigter Drittstaatsangehöriger von zehn Jahren lag jedenfalls nicht vor.

12       Was die vom Revisionswerber gerügte mangelnde Berücksichtigung seines Privat- und Familienlebens anbelangt, ist zu entgegnen, dass das BVwG ausreichende Feststellungen zu seinen persönlichen Verhältnissen in Österreich, insbesondere auch zur Verfügung über eine Mietwohnung, zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit und zum Bestehen von sozialen Kontakten, unter anderem auch zu zwei in Österreich lebenden Cousins, traf und auf sie bei der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG angemessen Bedacht nahm. Dabei bezog das BVwG auch mit ein, dass sich die Ehefrau des Revisionswerbers mittlerweile von ihm abgewendet hat und - wenn auch eine Scheidung bislang nicht erfolgte - seit längerer Zeit von ihm getrennt lebt, wogegen die nunmehrige Beziehung des Revisionswerbers mit einer österreichischen Staatsbürgerin erst seit Anfang August 2020 besteht und der Revisionswerber mit ihr und deren Sohn nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebt, sondern sie lediglich an den Wochenenden besucht. Vor diesem Hintergrund ist die Abwägungsentscheidung des BVwG, wonach die privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet in den Hintergrund zu treten hätten, in Anbetracht des besonders großen öffentlichen Interesses an der Bekämpfung (grenzüberschreitender) Suchtgiftkriminalität und des unter fremdenrechtlichen Aspekten besonders verpönten Verhaltens der Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung (vgl. dazu einerseits VwGH 22.2.2021, Ra 2020/21/0537, Rn. 12, mwN, und andererseits VwGH 20.5.2021, Ra 2021/21/0146, Rn. 10, mwN) nicht zu beanstanden. Da das BVwG das Beschwerdevorbringen betreffend die Beziehung zu seiner aktuellen Lebensgefährtin seiner Entscheidung zugrunde legte und auch ein von ihr verfasstes Schreiben berücksichtigte, begründete die Unterlassung ihrer Vernehmung - entgegen dem Standpunkt in der Revision - in diesem Zusammenhang keinen relevanten Verfahrensmangel. Soweit der Revisionswerber auch noch die Annahme des BVwG kritisiert, seine Kontakte könnten im Wege moderner Kommunikationsmittel aufrechterhalten werden, genügt der Hinweis, dass Schwierigkeiten in der Fortsetzung bestehender Beziehungen in Österreich im soeben beschriebenen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Straftaten der begangenen Art in Kauf zu nehmen sind.

13       Unter Berücksichtigung der genannten Umstände durfte das BVwG insgesamt sogar von einem eindeutigen Fall ausgehen, der es ihm ausnahmsweise erlaubte, von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber abzusehen (zur Rechtsprechung, wonach in eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch bei Verschaffung eines positiven persönlichen Eindrucks für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, eine Verhandlung unterbleiben kann, vgl. etwa VwGH 2.9.2021, Ra 2020/21/0364, Rn. 13, mwN).

14       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

15       Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 14. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021210216.L00

Im RIS seit

14.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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