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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §20Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des S M Z in L, vertreten durch Dr. Anton Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. April 2021, W196 2115684-6/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, stellte erstmals am 6. Juni 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend gab er an, er werde wegen einer „Schlägerei mit Russen“ polizeilich als Terrorist gesucht.
2 Mit Bescheid vom 29. Juli 2013 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers ab und wies diesen in die Russische Föderation aus. Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wurde vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 8. Mai 2015 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet abgewiesen und die Beschwerde an das BFA zur Prüfung einer Rückkehrentscheidung zurückverwiesen.
3 Mit Bescheid vom 21. September 2015 erteilte das BFA dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
4 Am 5. April 2016 stellte der Revisionswerber einen Folgeantrag. Mit Bescheid des BFA vom 4. August 2016 wurde der Antrag abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit seiner Abschiebung in die Russische Föderation ausgesprochen und eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG mit Erkenntnis vom 9. Mai 2017 als unbegründet ab.
5 Am 20. Februar 2019 stellte der Revisionswerber einen zweiten Folgeantrag, der vom BFA mit Bescheid vom 14. März 2019 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Das BFA erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, erklärte die Abschiebung in die Russische Föderation für zulässig und setzte keine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Mit Erkenntnis des BVwG vom 10. Juli 2019 wurde die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
6 Am 29. Oktober 2019 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen vierten Antrag auf internationalen Schutz. Begründend wurde vorgebracht, der Revisionswerber habe von seinem Vater telefonisch erfahren, dass die „Staatssicherheit“ diesem zwei Ladungen für ihn übergeben habe. Warum er gesucht werde und wann sein Vater die Ladungen erhalten habe, wisse er nicht. Der Revisionswerber befürchte aber inhaftiert und getötet zu werden.
7 Mit Bescheid vom 12. Jänner 2020 wies das BFA den Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, sprach aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe und erließ gegen ihn ein befristetes Einreiseverbot.
8 Das BVwG gab der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers mit Erkenntnis vom 14. Februar 2020 statt und behob den Bescheid. Dies wurde damit begründet, dass der Antrag inhaltlich behandelt werden müsse, weil das Vorbringen einen glaubhaften Kern aufweise.
9 Mit Bescheid vom 3. August 2020 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, sprach aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe, und erließ gegen ihn ein befristetes Einreiseverbot.
10 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
11 Mit Beschluss vom 27. September 2021, E 3055/2021-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde mit Beschluss vom 27. Oktober 2021, E 3055/2021-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
12 In der Folge wurde die gegenständliche außerordentliche Revision erhoben.
13 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit macht die Revision zunächst eine Verletzung der Verhandlungspflicht durch das BVwG geltend und bringt dazu vor, es sei kein „geklärter Sachverhalt“ vorgelegen.
15 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß dem - hier maßgeblichen - ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) („wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“) dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 8.6.2021, Ra 2021/19/0180, mwN).
16 Die Revision zeigt mit dem Vorbringen, der Revisionswerber sei bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA nicht einvernahmefähig gewesen, nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall von diesen Leitlinien abgewichen wäre.
17 Das BFA stützte seine Schlussfolgerung, dem Revisionswerber drohe keine asylrelevante Verfolgung, zusammengefasst darauf, dass die vorgelegten (und übersetzten) Ladungen gefälscht seien und überdies nicht plausibel sei, warum der Revisionswerber nach so langer Abwesenheit aus dem Herkunftsstaat nun plötzlich von den Behörden „als Verdächtiger“ geladen werden sollte. Das BVwG schloss sich der Beweiswürdigung des BFA an.
Auch wenn das BFA und das BVwG zwar feststellten, der Revisionswerber sei bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA einvernahmefähig gewesen, kommt es im vorliegenden Fall auf die Frage einer allfälligen Beeinträchtigung der Einvernahmefähigkeit (wie vom BVwG auch festgehalten) nicht an, weil sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung tragend auf andere Erwägungen (in Zusammenhang mit den vorgelegten Ladungen) stützte. Insofern ist auch dem Vorbringen, das BVwG hätte zur Frage der Einvernahmefähigkeit des Revisionswerbers ein Sachverständigengutachten einholen müssen, der Boden entzogen.
Der Revisionswerber hat in seiner Beschwerde, die eine bloße Wiederholung des Vorbringens aus seiner bereits vor Bescheiderlassung eingebrachten Stellungnahme darstellt, auch kein weiteres Vorbringen erstattet, dass das BVwG zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verpflichtet hätte. Vor allem erfolgte kein näheres Vorbringen zu den erwähnten Ladungen, weshalb insgesamt von einem bloß unsubstantiiertem Bestreiten des vom BFA festgestellten Sachverhalts auszugehen ist.
18 Ausgehend davon, dass der Revisionswerber in der Beschwerde weder den Feststellungen des BFA zum Gesundheitszustand des Revisionswerbers substantiiert entgegen trat, noch neue Beweismittel vorlegte, wird auch mit dem pauschalen Verweis auf den Amtswegigkeitsgrundsatz in Zusammenhang mit der Epilepsie-Erkrankung des Revisionwerbers eine Verletzung der Verhandlungspflicht nicht dargetan, zumal nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Frage, ob amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstellt, weil es sich dabei um eine einzelfallbezogene Beurteilung handelt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2019/19/0226, mwN).
19 Einer Berücksichtigung der erstmals in der Revision vorgebrachten Tatsache der Begründung einer Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet und dem Vorliegen von Einstellungszusagen steht das Neuerungsverbot des § 41 VwGG entgegen.
20 Insoweit die Revision schließlich die Aktenwidrigkeit der Feststellung des BVwG, wonach der Revisionwerber über soziale Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat verfüge, behauptet, ist ihr zu entgegnen, dass eine solche nur vorläge, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben worden wäre bzw. wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hätte, nicht aber, wenn Feststellungen getroffen werden, die auf Grund der Beweiswürdigung oder einer anders lautenden rechtlichen Beurteilung mit den Behauptungen einer Partei nicht übereinstimmen (vgl. VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0534, mwN).
Eine Aktenwidrigkeit in diesem Sinn zeigt die Revision, die sich der Sache nach vielmehr gegen die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung des BVwG wendet, nicht auf.
21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 15. Februar 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190468.L00Im RIS seit
14.03.2022Zuletzt aktualisiert am
11.04.2022