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Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner sowie den Hofrat Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision 1. des I P und 2. der N R E GmbH, beide vertreten durch Mag. Rainer Hochstöger, MBA, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10, gegen das am 29. Oktober 2019 mündlich verkündete und am 5. November 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien 1. VGW-002/011/7534/2019-9, 2. VGW-002/011/7535/2019, 3. VGW 002/V/011/2663/2019 und 4. VGW-002/V/011/2664/2019, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes sowie Beschlagnahme und Einziehung nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird hinsichtlich seines Spruchpunktes A) - soweit dieser über die Schuldfrage abspricht - und seines Spruchpunktes B) zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der erstrevisionswerbenden Partei Aufwendungen in Höhe von 1.346,40 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 19. Oktober 2018 ordnete die belangte Behörde gegenüber der zweitrevisionswerbenden Partei gemäß § 53 Abs. 1 Glücksspielgesetz - GSpG die Beschlagnahme von vier näher bezeichneten Glücksspielgeräten samt dem allenfalls in den ungeöffneten Kassenladen enthaltenem Bargeld und eines Ein- und Auszahlungsgerätes an und verfügte die Einziehung dieser Geräte gemäß § 54 Abs. 1 GSpG.
2 Mit Straferkenntnis vom 11. April 2019 erkannte die belangte Behörde den Erstrevisionswerber als handelsrechtlichen Geschäftsführer der zweitrevisionswerbenden Partei der vierfachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 dritter Fall GSpG schuldig und verhängte über ihn vier Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 20.000,-- (samt Ersatzfreiheitsstrafen). Die zweitrevisionswerbende Partei wurde gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur Haftung herangezogen.
3 Mit Spruchpunkt A) des angefochtenen Erkenntnisses gab das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) der von den revisionswerbenden Parteien gegen das Straferkenntnis erhobenen Beschwerde hinsichtlich der Schuldfrage keine Folge. Es gab der Beschwerde aber hinsichtlich der Straffrage „unter Einbeziehung des Urteils zum Kumulationsverbot des EuGH vom 12.09.2019, verb Rs C 64/18, C 140/18, C 146/18 und C 148/18“ insoweit statt, als es anstelle der (von der belangten Behörde gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG verhängten) vier Geldstrafen und vier Ersatzfreiheitsstrafen eine „Gesamtstrafe von EUR 25.000,00 und eine Ersatzfreiheitsstrafe von sechs Tagen“ verhängte. Ferner wurden (u.a.) die Kosten des Strafverfahrens neu bemessen (§ 64 Abs. 1 und 2 VStG) und ausgesprochen, dass die „beschwerdeführende Partei“ keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe (Unterspruchpunkt I.). Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision gegen diese Entscheidung gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Unterspruchpunkt II.).
4 Mit Spruchpunkt B) des angefochtenen Erkenntnisses wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde der zweitrevisionswerbenden Partei gegen den Bescheid, mit dem die Beschlagnahme sowie die Einziehung der Geräte verfügt worden waren, als unbegründet ab und sprach aus, dass die zweitrevisionswerbende Partei keinen Beitrag zu den Kosten des (diesbezüglichen) Beschwerdeverfahrens zu leisten habe (Unterspruchpunkt I.). Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision gegen diese Entscheidung gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Unterspruchpunkt II.).
5 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 26. Februar 2020, E 187/2020-5, E 223/2020-4, die Behandlung der von den revisionswerbenden Parteien dagegen erhobene Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
6 In der Folge erhoben die revisionswerbenden Parteien vorliegende Revision. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
7 Mit Erkenntnis vom 3. Februar 2022, Ra 2020/17/0012, hob der Verwaltungsgerichtshof aufgrund einer Revision des Bundesministers für Finanzen Spruchpunkt A) des angefochtenen Erkenntnisses im Umfang des Ausspruches über die Strafe sowie die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens und des Beschwerdeverfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.
8 Durch die genannte Aufhebung des Spruchpunktes A) des angefochtenen Erkenntnisses durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Februar 2022, Ra 2020/17/0012, gehört dieser Spruchpunkt A) nur mehr insoweit dem Rechtsbestand an, als er der Beschwerde der erstrevisionswerbenden Partei in der Schuldfrage keine Folge gab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 In ihrem Vorbringen zur Zulässigkeit macht die Revision ausschließlich geltend, dass das Verwaltungsgericht keine Kohärenzprüfung durchgeführt habe. Mit diesem Vorbringen erweist sich die Revision als zulässig. Sie ist auch begründet.
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des in der Sache entscheidenden Verwaltungsgerichts, zum Zweck der Durchführung einer Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen die die Dienstleistungsfreiheit beschränkenden Bestimmungen des GSpG erlassen worden sind und umgesetzt werden, die hiefür notwendigen Feststellungen zu treffen, um in der Folge beurteilen zu können, ob die Regelungen des GSpG den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Zur Ermöglichung der Beurteilung, ob Unionsrecht unmittelbar anwendbar ist, hat das Verwaltungsgericht Feststellungen dazu zu treffen, ob die Monopolregelung den unionsrechtlichen Vorgaben entspricht, und sich für den Fall der Annahme der Nichtanwendbarkeit von Unionsrecht auch mit der Frage verfassungsrechtlicher Bedenken der Anwendung von § 52 GSpG wegen Inländerdiskriminierung auseinanderzusetzen (vgl. etwa VwGH 29.1.2020, Ra 2019/09/0133, mwN).
11 Das angefochtene Erkenntnis enthält zur Frage der Vereinbarkeit der anzuwendenden Bestimmungen des GSpG mit dem Unionsrecht keine Ausführungen, obwohl die revisionswerbenden Parteien dazu im Beschwerdeverfahren, beispielsweise im vorbereitenden Schriftsatz vom 7. Oktober 2019, ein zum Teil umfangreiches Vorbringen erstattet haben. Bereits damit hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet (vgl. VwGH 23.8.2016, Ra 2015/17/0079).
12 An dieser Beurteilung vermag auch die Begründung des Verwaltungsgerichts, näher genannte vorbereitende Schriftsätze hätten deswegen keine Beachtung gefunden, weil die anwaltliche Vertretung der revisionswerbenden Parteien zur ersten mündlichen Verhandlung nicht erschienen sei bzw. bei der letzten mündlichen Verhandlung den vorbereitenden Schriftsatz im Rahmen der mündlichen Erörterung nicht habe vortragen können, nichts zu ändern. Das Verwaltungsgericht hätte nämlich seiner Pflicht, die anzuwendenden Bestimmungen des GSpG hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zu beurteilen, von Amts wegen nachkommen müssen (vgl. VwGH 17.2.2016, Ra 2015/17/0020, mwN).
13 Das angefochtene Erkenntnis war daher in dem im Spruch genannten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
14 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.
15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 53 Abs. 1 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 21. Februar 2022
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020170105.L00Im RIS seit
14.03.2022Zuletzt aktualisiert am
28.03.2022